European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00055.22X.0707.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger hatte im wiederaufzunehmenden Verfahren von der beklagten Planerin wegen nicht fachgerechter Planung eines Wärmedämmverbundsystems den Ersatz von Kosten der Fassadensanierung begehrt. Dieses Klagebegehren wurde wegen Verjährung abgewiesen, weil der Kläger bestehende Mängel und Schäden mehr als drei Jahre vor Klagserhebung erkennen hätte können (vgl 7 Ob 26/18a, zuletzt 7 Ob 69/19a).
[2] Gegen das in diesem Verfahren ergangene rechtskräftige Urteil richtet sich die am 17. 1. 2022 bei Gericht eingelangte Wiederaufnahmeklagedes Klägers, die er darauf stützt, dass in einem anderen Verfahren, das er gegen einen weiteren Verursacher angestrengt habe, ein anderer Sachverständiger in einem auf wissenschaftlichen Grundlagen und genauer Analyse der konkreten Fassade erstellten Gutachten zu einem anderen Schluss über die Erkennbarkeit der Mängel gekommen sei und das im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattete, für die Beurteilung der Verjährung maßgebliche Gutachten widerlegt habe. Der Kläger sei durch das ihm am 12. 2. 2020 zugestellte neue Gutachten zwar in der Lage gewesen, die grundsätzliche Eignung der darin erstatteten Ausführungen für ein allfälliges Wiederaufnahmeverfahren zu prüfen. Jedoch wäre die Empfehlung, bereits nach Zustellung des späteren Gutachtens eine Wiederaufnahmsklage einzubringen, als Klage „ins Blaue“ zu werten und geradezu spekulativ gewesen. Die Erkennbarkeit der Beweiskraft im Sinne eines Wiederaufnahmsgrundes gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sei erst mit der am 20. 12. 2021 erfolgten Zustellung der – für den Kläger günstigen – Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im zweiten Verfahren (5 Ob 42/21v) möglich gewesen. Die Wiederaufnahmsklage sei daher rechtzeitig.
[3] Das Rekursgericht bestätigte den die Wiederaufnahmeklage wegen Verfristung zurückweisenden Beschluss des Erstgerichts: Die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO sei bei Einbringung der Wiederaufnahmsklage bereits verstrichen gewesen, da der Klägermit dem Gutachten im zweiten Verfahren bereits Kenntnis davon erhalten habe, dass nach diesem Gutachten entgegen der Erkenntnisse des Vorverfahrens die Mangelhaftigkeit des Gewerkes für den Laien zum im Vorprozess angenommenen Zeitpunkt noch nicht erkennbar gewesen sei.
[4] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekursdes Klägers, der eine Abänderung dahin anstrebt, dass die Wiederaufnahmsklage „bewilligt bzw zugelassen“ und dem Erstgericht die Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens aufgetragen werde.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Die Bestätigung eines – wie hier – nach § 538 ZPO vor Anberaumung einer Tagsatzung gefassten Beschlusses auf Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage unterliegt nicht dem Rechtsmittelausschluss nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, weil sie keine Sachentscheidung über das Rechtsmittelklagebegehren ist (1 Ob 8/18k mwN). Der – auch sonst nicht jedenfalls unzulässige (vgl RS0116279; 4 Ob 83/12b) – Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof ist daher bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO zulässig (RS0023342 [T2]).
Eine solche zeigt der Kläger aber nicht auf:
[6] 2.1. Die Wiederaufnahmsklage ist nach § 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben, die sich von dem Tag an berechnet, an welchem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen.
[7] 2.2. Entscheidend für den Beginn der Klagefrist ist jener Tag, an dem der Wiederaufnahmskläger Kenntnis von neuen Tatsachen und Beweismitteln mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad erlangt, der objektiv gesehen die Wiederaufnahme rechtfertigt (RS0044790 [T5]). Die Frist beginnt erst dann, wenn er die neuen Beweismittel so weit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann (RS0044635), nicht aber erst dann, wenn er schon weiß, dass das Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu abweichenden und eine günstigere Entscheidung bewirkenden Tatsachenfeststellungen führen wird (RS0044635 [T6]). Er muss nur in der Lage sein, einen form- und inhaltsgerechten Beweisantrag zu stellen (vgl RS0044635 [T1]).
[8] 2.3. Die Frage, ab wann eine Partei imstande ist, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismittel bei Gericht vorzubringen, womit die vierwöchige Notfrist des § 534 Abs 1 ZPO in Gang gesetzt wird (§ 534 Abs 2 Z 4 ZPO), hängt stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (vgl RS0044790 [T4]).
[9] 3.1. Der Kläger hat nach dem Vorliegen des Gutachtens, aus dem er die Unrichtigkeit des ersten Gutachtens und damit der Grundlage für die Bejahung der Verjährung des Anspruchs im wiederaufzunehmenden Verfahren ableitet, fast zwei Jahre mit der Klagsführung zugewartet.
[10] 3.2. Er begründet dies jetzt damit, dass erst mit der Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im zweiten Verfahren (5 Ob 42/21v) eine die Wiederaufnahme rechtfertigende Wahrscheinlichkeit für den Beweis der Tatsachen zur Herbeiführung einer günstigeren Entscheidung vorgelegen seien; die „Beweiskraft“ des zweiten Gutachtens sei erst mit der höchstgerichtlichen Entscheidung erkennbar gewesen.
[11] 4.1. Unter den vorliegenden Umständen könnte das nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO allenfalls maßgebliche Beweismittel jedoch nur das Gutachten im späteren Verfahren sein, nicht aber die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch die dieses Verfahren abhandelnden Gerichte (und letztlich den OGH zu 5 Ob 42/21v).
[12] Der Oberste Gerichtshof hat daher auch bereits ausgesprochen, dass in einem Fall, in dem sich ein Wiederaufnahmegrund aus einem in einem Folgeprozess eingeholten Sachverständigengutachten ergibt, der Wiederaufnahmekläger, wenn er die Klagefrist nicht versäumen will, nicht bis zur Zustellung des Urteils im Folgeprozess zuwarten darf (vgl 10 ObS 371/01s = RS0044635 [T3]).
[13] Zudem folgte die berufungsgerichtliche Entscheidung im zweiten Verfahren nicht aus einer Verweigerung von „Beweiskraft“ für das zweite Gutachten, sondern wurde mit einer vom Obersten Gerichtshof in der Folge nicht geteilten rechtlichen Würdigung der gerade auf das Gutachten gestützten Feststellungen begründet; diese Feststellungen wiederum unterschieden sich in Ansehung erkennbarer Putzabblätterungen und Risse von denen im wiederaufzunehmenden Verfahren (5 Ob 42/21v Rz 23).
[14] 4.2. Der Revisionsrekurswerber zeigt zusammengefasst nicht nachvollziehbar auf, inwieweit die Vorinstanzen von den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung abgewichen wären und zu Unrecht Säumigkeit angenommen hätten, weil ihm die Eignung des von ihm ins Treffen geführten neuen Gutachtens für ein allfälliges Verfahren bereits mit dessen Zustellung klar war (wie er letztlich auch in der Klage selbst zugestanden hat).
[15] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO).
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