OGH 7Ob532/92

OGH7Ob532/9219.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei WIENER GEBIETSKRANKENKASSE, Wien 10., Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Damian, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hans Georg H*****, wegen S 61.254,54 s.A. infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 31. Jänner 1992, GZ 1 R 448/91-5, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 25. Oktober 1991, GZ 3 C 2983/91d-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten, dem Geschäftsführer der H***** H***** GmbH, rückständige Sozialversicherungsbeiträge der Gesellschaft auf Grund einer vom Beklagten abgegebenen Bürgschaftserklärung. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist.

Nach der Auffassung der Vorinstanzen erstrecke sich die Zuständigkeit der Handelsgerichte nach § 51 Abs.1 Z 6 JN nur auf bestimmte Schadenersatzansprüche Dritter gegen den in der zitierten Bestimmung umschriebenen Personenkreis.

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der klagenden Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob Streitigkeiten aus einer von einem Geschäftsführer einer GmbH für Sozialversicherungsbeiträge der Gesellschaft abgegebenen Bürgschaftserklärung die Zuständigkeit der Handelsgerichte gegeben ist, wird von den Gerichten zweiter Instanz nicht einheitlich beantwortet. In der in EvBl. 1987/27 veröffentlichten Entscheidung bejahte das Oberlandesgericht Wien die Kausalgerichtsbarkeit. Die vom Geschäftsführer einer GmbH für Beitragsrückstände der Gesellschaft dem Sozialversicherungsträger gegenüber abgegebene Bürgschaftserklärung sei gesellschaftsbezogen erfolgt, der Geschäftsführer habe sich im Sinne des § 51 Abs.1 Z 6 JN verantwortlich gemacht. Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist, soweit überblickbar, nicht vorhanden.

Nach § 51 Abs.1 JN gehören vor die selbständigen Handelsgerichte,

falls der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von

S 50.000,- übersteigt, unter anderem Streitigkeiten aus den

Rechtsverhältnissen der Kaufleute mit ihren Prokuristen,

Handlungsbevollmächtigten und Handlungsgehilfen, ferner aus den

Rechtsverhältnissen aller dieser Personen zu Dritten, denen sie

sich im Gewerbe des Arbeitgebers verantwortlich gemacht haben,

und aus den Rechtsverhältnissen zwischen Dritten und solchen

Personen, die wegen mangelnder Prokura oder Handlungsvollmacht

haften, soweit es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache

(§ 50 Abs.1 ASGG) handelt (Z 3); ferner Streitigkeiten aus dem

Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer

Handelsgesellschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern,

zwischen den Mitgliedern der Verwaltung und den Liquidatoren der

Gesellschaft und der Gesellschaft oder deren

Mitgliedern, ..... sowie Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen

aller dieser Personen zu Dritten, denen sie sich in dieser

Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, ..... sofern es sich

nicht um eine Arbeitsrechtssache (§ 50 Abs.1 ASGG) handelt (Z 6).

Die Worte, sowie Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen aller dieser Personen zu Dritten, denen sie sich in dieser Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, im § 51 Abs.1 Z 6 JN wurden durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 eingefügt. In den Erläuterungen hiezu wird ausgeführt, daß Angestellte einer Gesellschaft, die sich deren Vertragspartnern, also Dritten, durch rechtswidriges Verhalten im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft verantwortlich gemacht haben, nach § 51 Abs.1 Z 3 - so wie die Gesellschaft selbst - vor dem Handelsgericht geklagt werden können. Für die Vorstandsmitglieder, die Geschäftsführer und sonstigen Funktionäre oder die Mitglieder einer Gesellschaft, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit Dritten gegenüber verantwortlich gemacht haben, fehlt nach herrschender Rechtsprechung eine solche Bestimmung, sie können wegen dieser deliktischen Schädigung nur vor dem allgemeinen Gericht geklagt werden. Es soll daher in der Z 6 des § 51 nach dem Vorbild der Z 3 auch das Rechtsverhältnis der hier genannten Personen zu Dritten in die Handelsgerichtsbarkeit einbezogen werden (1337 BlgNR 15. GP 4).

Wie schon in der Entscheidung EvBl. 1987/27 hervorgehoben wurde, sollte ganz offensichtlich durch § 51 Abs.1 Z 6 JN eine gewisse Konzentration der aus der gesellschaftsbezogenen Funktion der Mitglieder der Verwaltung herrührenden Streitigkeiten bei den Kausalgerichten herbeigeführt werden. Gleichwohl werden jedoch Kontraktsansprüche nicht schlechthin unter diese Bestimmung fallen (vgl. Fasching I 322, ZPR2 Rz 254). Hier geht es jedoch um ganz spezifische Ansprüche gegen einen Geschäftsführer einer GmbH. Dieser kann sich dem Sozialversicherungsträger gegenüber für Sozialversicherungsbeiträge der Gesellschaft durch Konkursverschleppung haftbar machen (RZ 1989/39 ua). Die Einbehaltung und Vorenthaltung der Dienstnehmeranteile stellt nach § 114 Abs.1 ASVG einen strafbaren Tatbestand dar, den bei einer Personengesellschaft des Handelsrechtes das zur Vertretung befugte Organ zu verantworten hat. Der Verantwortliche ist jedoch unter anderem dann nicht zu bestrafen, wenn er sich bis zum Schluß der Verhandlung dem berechtigten Sozialversicherungsträger gegenüber vertraglich zur Nachentrichtung der ausstehenden Beiträge binnen einer bestimmten Zeit verpflichtet

(§ 114 Abs.3 ASVG). Kommt als Haftungsgrund des Geschäftsführers einer GmbH ein deliktisches Verhalten in Betracht, kann die Zuständigkeit der Handelsgerichte nicht zweifelhaft sein. Aus dem Gesagten ergibt sich aber auch, daß eine vertragliche Verpflichtung des Geschäftsführers, auch wenn sie nicht unmittelbar im Zusammenhang mit einem Strafverfahren eingegangen wird, Auswirkungen auf eine allfällige Strafbarkeit des Geschäftsführers haben kann. Im Falle einer Konkursverschleppung ist eine Konkurrenz der Haftungsgründe zumindest hinsichtlich des Konkursausfalls denkbar.

Im vorliegenden Fall kommt nach den Klagsangaben ein deliktisches Verhalten des Geschäftsführers als Haftungsgrund zwar nicht in Betracht, dies ist aber für die Lösung der grundsätzlichen Frage bedeutungslos. Der enge Zusammenhang zwischen einer deliktischen Haftung und einer vertraglichen Verpflichtung und die möglichen Auswirkungen der vertraglichen Verpflichtung auf einen deliktischen Haftungsgrund lassen es unter dem Gesichtspunkt der Konzentration der Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen der in § 51 Abs.1 Z 6 JN genannten Personen zu Dritten, denen sie sich in ihrer gesellschaftsbezogenen Funktion verantwortlich gemacht haben, inkonsequent erscheinen, Streitigkeiten aus einer vom Geschäftsführer der GmbH für Sozialversicherungsbeiträge übernommenen Bürgschaft nicht der Kausalgerichtsbarkeit zu unterstellen, wenn ein deliktischer Haftungsgrund nicht vorliegt oder nicht geltend gemacht werden kann. Die Übernahme der Bürgschaft kann gerade im Hinblick auf die deliktsrechtliche Haftbarkeit erfolgt sein. Die vom Geschäftsführer einer GmbH für Beitragsrückstände der Gesellschaft dem Sozialversicherungsträger gegenüber abgegebene Bürgschaftserklärung begründet daher bei Inanspruchnahme des Geschäftsführers die Zuständigkeit des Handelsgerichtes.

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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