OGH 7Ob52/12s

OGH7Ob52/12s30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P*****, vertreten durch Anwaltspartnerschaft Dr. Krückl, Dr. Lichtl, Dr. Huber, Mag. Eilmsteiner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1030 Wien, wegen 3.090,20 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 17. Februar 2012, GZ 16 R 269/11p-7, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21. Dezember 2011, GZ 16 Cg 244/11m-4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt von der beklagten Sozialversicherungsanstalt (SVA) der Bauern (Arzt-)Honorar von 3.090,20 EUR sA und die Feststellung, dass für die Honorarabrechnung der Klägerin über ihre an Versicherte der Beklagten erbrachten Leistungen die Zusatzvereinbarung vom 12. Februar 2003 [zum Gesamtvertrag vom 27. 2. 1956], abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Oberösterreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger „für die in § 2 angeführten Krankenversicherungen“ anzuwenden sei. Die Beklagte erachte sich nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 9. 2010, B 1290/09 an diese Zusatzvereinbarung ab dem 2. Quartal 2011 nicht mehr gebunden und habe daher - zu Unrecht - das Honorar der Klägerin um 3.090,20 EUR gekürzt. Sollte die Zusatzvereinbarung nicht als Gesamtvertrag im Sinn des BSVG bzw ASVG zu qualifizieren sein, liege zumindest ein echter Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 881 Abs 2 ABGB vor, weil die Honorarleistung der Beklagten direkt den Ärzten zukommen solle.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Für die geltend gemachten Ansprüche, die sich auf Honorarforderungen aus dem Einzelvertrag bezögen, sei der Rechtsweg unzulässig. Gemäß § 344 Abs 1 ASVG sei zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die mit dem Einzelvertrag in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stünden, die paritätische Schiedskommission berufen. Diese Bestimmung sei weit auszulegen. Selbst wenn die Zusatzvereinbarung als echter Vertrag zugunsten Dritter zu qualifizieren wäre, würde ein derartiger rechtlicher oder zumindest tatsächlicher Zusammenhang der konkreten Streitigkeit zum Einzelvertrag vorliegen, sodass es weiterhin bei der Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission bliebe.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Mit der zwischen dem Hauptverband und der Ärztekammer unter Mitunterfertigung der beklagten SVA der Bauern abgeschlossenen Zusatzvereinbarung sei eine vom Gesamtvertrag abweichende Honorarregelung getroffen worden. Der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 27. 9. 2010, B 1290/09, VfSlg 19.167, vergleichbare Zusatzvereinbarungen, die der Hauptverband mit der Ärztekammer für Steiermark unter Mitunterfertigung der SVA der Bauern abgeschlossen hatte, nicht als Teil eines bestehenden Gesamtvertrags qualifiziert. Davon ausgehend könne auch die hier zu beurteilende Zusatzvereinbarung nicht als Gesamtvertrag qualifiziert werden. Sie sei aber auch kein Einzelvertrag, der nach der Legaldefinition des § 341 Abs 3 ASVG zwischen dem Versicherungsträger und dem Arzt oder der Gruppenpraxis abgeschlossen werde.

Nach § 344 Abs 1 ASVG sei zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit einem Einzelvertrag (eines Vertragsarztes, einer Gruppenpraxis etc und dem Versicherungsträger) stünden, im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Ihre Zuständigkeit sei weit auszulegen. In ihren Zuständigkeitsbereich fielen nicht nur unmittelbar aus dem Einzelvertrag abgeleitete Streitigkeiten, wie Honoraransprüche, sondern etwa auch Streitigkeiten über Rückforderungs- und Schadenersatzansprüche, wenn der Anspruchsgrund während des Einzelvertrags entstanden sei. Die Zuständigkeit umfasse auch die vorfrageweise Beurteilung des Gesamtvertrags, etwa die Vorfrage, ob ein bestimmter Teil des Gesamtvertrags Teil des Einzelvertrags geworden sei und dieser (zB eine Honorarkürzungsregel) gegenüber dem Vertragsarzt wegen Nichtigkeit nicht anzuwenden sei.

In einem Spannungsverhältnis dazu stehe die Rechtsprechung, wonach dann, wenn der Gesetzgeber die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche ausnahmsweise einer Verwaltungsbehörde zuweise, es nicht angehe, den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde durch eine ausdehnende Auslegung zu erweitern. Allerdings sei die Kompetenz der paritätischen Schiedskommission zwingend und ihre Zuständigkeit weit auszulegen. Sie umfasse die uneingeschränkte Jurisdiktion über die dieser Kommission zugewiesenen Streitigkeiten, sodass deren qualitative Zerlegung durch Zuweisung der Entscheidung über bestimmte Sachfragen an andere Behörden oder Spruchkörper ausscheide. Ebenso wenig sei diese Kompetenz nach der Person des Antragstellers teilbar, soweit der Streitgegenstand ein einzelvertraglicher Anspruch iSd § 344 Abs 1 ASVG sei.

Selbst wenn die Zusatzvereinbarung als privatrechtlicher Vertrag zwischen der Beklagten und der Ärztekammer mit Wirkung zugunsten Dritter - auch für die Klägerin - zu beurteilen sei, ändere dies nichts daran, dass ihre daraus abgeleitete Honorarforderung im Einzelvertrag mit der Beklagten „wurzelt“ und daher in einem rechtlichen Zusammenhang mit diesem Einzelvertrag stehe. Es fiele schwer, einen solchen Zusammenhang zu verneinen, würde etwa die Klägerin das gesamte Honorar für ein Quartal vor der paritätischen Schiedskommission geltend machen und sich zur Begründung unter anderem auf die Zusatzvereinbarung berufen. Diese könne somit nicht isoliert vom Einzelvertrag betrachtet werden. Daher falle es in die Kompetenz der paritätischen Schiedskommission, die Wirksamkeit der Zusatzvereinbarung als Vorfrage für den von der Klägerin behaupteten Honoraranspruch zu beurteilen. Es schade nicht, dass die Klägerin die Zusatzvereinbarung als privatrechtlichen Vertrag bezeichne, weil nach § 338 ASVG auch der Gesamtvertrag und der Einzelvertrag als privatrechtliche Vereinbarungen zu qualifizieren seien.

Die Klägerin vertrete die Rechtsansicht, für einen Teil ihrer Honorarforderung sei die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission zu verneinen, ohne jedoch aufzuzeigen, weshalb weder ein rechtlicher noch ein tatsächlicher Zusammenhang zu diesem Einzelvertrag bestehe. Die Ausführungen zur Qualifikation der Zusatzvereinbarung als privatrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter sowie zu einer möglichen Inhaltskontrolle der Zusatzvereinbarung ändere nichts an der Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission für das vorliegende Begehren, sodass dazu nicht näher Stellung genommen werden müsse.

Das Oberlandesgericht Wien habe in einem Parallelverfahren (12 R 194/11d) im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs B 1290/09 die Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht. Zum Unterschied davon werde vorliegend aus der vom Verfassungsgerichtshof verneinten Qualifikation einer vergleichbaren Zusatzvereinbarung als Gesamtvertrag noch keine Zulässigkeit des Rechtswegs abgeleitet. Vielmehr bilde die Wirksamkeit der Zusatzvereinbarung eine Vorfrage zur Beurteilung des behaupteten Honoraranspruchs der Klägerin. Wegen der Qualifikation der paritätischen Schiedskommission als Verwaltungsbehörde sei der Rechtsweg für einen in deren Entscheidungskompetenz fallenden Anspruch unzulässig.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission nach § 344 Abs 1 ASVG (hier iVm § 181 BSVG) auch die Beurteilung einer Honorarforderung eines Vertragsarztes gegen den Versicherungsträger umfasse, welche der Vertragsarzt aus der Abänderung der Honorarordnung durch eine Zusatzvereinbarung zum Gesamtvertrag ableite, die der Hauptverband mit der zuständigen Ärztekammer unter Mitfertigung des beklagten Versicherungsträgers geschlossen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Klägerin ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurs macht im Wesentlichen geltend, die Zusatzvereinbarung als privatrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter unterliege nicht dem Kommissionssystem, sondern der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Nicht alle Verträge zwischen der Ärztekammer und dem Hauptverband seien Normverträge. Es sei daher für die Parteien des Gesamtvertrags möglich, einfache privatrechtliche Vereinbarungen zu schließen.

Dem ist zu erwidern:

Die beklagte SVA der Bauern hat seit dem ASRÄG 1997 nicht mehr die Kompetenz zur Mitwirkung am Abschluss von Gesamtverträgen. Für sie ist vielmehr gemäß dem § 181 Z 1 BSVG idF der 24. Novelle zum BSVG (BGBl I 101/2001) „ein zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger namens einer Gebietskrankenkasse (§ 26 Abs 1 Z 1 ASVG) und der örtlich zuständigen Ärztekammer jeweils abgeschlossener Gesamtvertrag“ bindend. Die Beklagte wird kraft Gesetzes Vertragspartei dieses jeweils abgeschlossenen Gesamtvertrags. Der Hauptverband hatte daher seit dem 1. 7. 1997 weder die Rechtsmacht, mit der Ärztekammer einen eigenen Gesamtvertrag als Abschlussbevollmächtigter für die Beklagte (bzw für die in dieser SVA zusammengefassten krankenversicherten Personen) abzuschließen, noch in einer solchen Vereinbarung von bestehenden Gesamtverträgen mit einer Gebietskrankenkasse abzuweichen; sind diese doch für die Beklagte kraft Gesetzes nunmehr ausdrücklich „bindend“. Daher ist die strittige Zusatzvereinbarung, soweit sie Sonderbestimmungen für die Versicherten der Beklagten enthält, kein Gesamtvertrag iSd § 341 ASVG und auch kein Teil eines solchen Gesamtvertrags (VfGH B 1290/09, VfSlg 19.167 [zum völlig vergleichbaren Fall von „Zusatzvereinbarungen“ zum Gesamtvertrag vom 1. 7. 1993, die nach dem 1. 7. 1997 zwischen der Ärztekammer für Steiermark und dem Hauptverband unter Mitwirkung der Beklagten geschlossen wurden]).

Auch die hier zu beurteilende Zusatzvereinbarung ist weder ein Gesamtvertrag iSd § 341 ASVG noch ein Teil eines solchen Gesamtvertrags. Die fragliche Zusatzvereinbarung ist aber auch kein Einzelvertrag, weil sie nicht iSd § 341 ASVG zwischen einem Arzt oder einer Gruppenpraxis und einem Träger der Krankenversicherung abgeschlossen wurde. Es liegt vielmehr eine rein schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern vor, die nicht dem Typus Gesamtvertrag oder Einzelvertrag angehört (vgl Kletter in Sonntag, ASVG² § 338 Rz 11).

Für den Revisionsrekurs ist aber weder daraus etwas zu gewinnen, dass die Zusatzvereinbarung als wirksamer, die einzelnen Vertragsärzte begünstigender Vertrag zugunsten Dritter qualifiziert wird, noch aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, wonach den im ASVG vorgesehenen Kollegialbehörden (hier: paritätische Schiedskommission nach § 344 ASVG) - grundsätzlich - nicht die Zuständigkeit eingeräumt ist, über Rechtsstreitigkeiten aus anderen privatrechtlichen Verträgen zu entscheiden, an denen niedergelassene Ärzte und Krankenversicherungsträger als Vertragspartner beteiligt sind, und dass für Streitigkeiten aus solchen anderen Vereinbarungen privatrechtlicher Natur gemäß § 1 JN - grundsätzlich - die ordentlichen Gerichte zuständig sind (vgl VfSlg 17.381, 15.802).

All dies vermag nämlich nichts daran zu ändern, dass der vorliegende Rechtsstreit in unmittelbarem rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag der Klägerin steht und daher die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission nach § 344 Abs 1 ASVG gegeben ist:

Kann doch der Umstand, dass der Klagsanspruch - unabhängig von seiner Rechtsnatur - einen solchen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag aufweist, schon deshalb nicht ernstlich bezweifelt werden, weil rechtlich nur die Höhe dieses Anspruchs von der Zusatzvereinbarung abhängt, während sich die Frage, ob er dem Grunde nach besteht, weiterhin nach dem Einzelvertrag und dem Gesamtvertrag richtet. Das Honorar ist allein aufgrund der Zusatzvereinbarung also gar nicht bestimmbar. Einzelvertrag und Zusatzvereinbarung sind daher rechtlich dadurch verbunden, dass die im Rahmen des Einzelvertrags erbrachten Leistungen Grundlage des begehrten Honorars sind.

Diese Beurteilung steht auch mit der Rechtsprechung im Einklang, wonach § 344 ASVG weit auszulegen (Kletter in Sonntag, ASVG², § 344 Rz 1 mwN) und die paritätische Schiedskommission dazu berufen ist, als Vorfrage über Rechtsverhältnisse zu entscheiden, für die sie als Hauptfrage nicht zuständig wäre, etwa die Wirksamkeit von Teilen des Gesamtvertrags (vgl VfSlg 18.203, VfSlg 15.698; Kletter aaO Rz 2). Die Zusatzvereinbarung ist zwar kein Einzel- oder Gesamtvertrag; deren Gültigkeit ist aber eine Vorfrage, um beurteilen zu können, ob dem Arzt im Einzelfall Honorar gebührt. Dass durch diese Vereinbarung nur die Honorarordnung modifiziert wird und sie keine selbständige Honorarordnung enthält, bringt die Klägerin selbst vor. Die Zusatzvereinbarung kann daher nur im Zusammenhalt mit dem Einzel- bzw Gesamtvertrag überhaupt einen Anspruch begründen; die Prüfung ihrer Gültigkeit unterliegt somit der Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission.

Nicht zuständig ist die Schiedskommission weiterhin für alle Streitigkeiten, die nicht mit einem Vertrag nach dem 6. Teil des ASVG im Zusammenhang stehen, insbesondere also für solche aus (freien) Dienstverträgen zwischen einem Arzt und einem Krankenversicherungsträger. Soweit aber Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Vertragspartnerverhältnis stehen, ist die Zuständigkeit der paritätischen Schiedskommission zu bejahen (vgl Strasser, Arzt und gesetzliche Krankenversicherung 400 f; Souhrada, Schiedskommissionsorganisation, SozSi 1990, 18 ff [20] mwN).

Die Lösung der Frage, ob der Klägerin das von ihr begehrte höhere Honorar zusteht, erfordert stets auch ein Eingehen auf die entsprechenden, weitgehend durch den Gesamtvertrag reglementierten Bestimmungen des Einzelvertrags und insbesondere der Honorarordnung. Daher besteht ein untrennbarer rechtlicher und tatsächlicher Zusammenhang mit dem Einzelvertrag (vgl SSV-NF 7/A2). Es kommt auch im vorliegenden Fall der Grundsatz zum Tragen, dass für die von einem Vertragsarzt gegen den Versicherungsträger geltend gemachte Honorarforderung der Rechtsweg unzulässig ist (RIS-Justiz RS0045587; 8 N 508/94 = EvBl 1995/89; 1 Ob 329/97g).

Das haben bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt, weshalb dem Revisionsrekurs ein Erfolg versagt bleiben muss.

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