OGH 7Ob512/94

OGH7Ob512/9423.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nicole Susanne H*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Walter Karl H*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 14.September 1993, GZ R 737/93-53, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 24.Mai 1993, GZ 1 P 335/84-50, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung zu fällen.

Text

Begründung

Die Eltern der Minderjährigen schlossen anläßlich der Scheidung ihrer Ehe nach § 55a EheG am 29.8.1984 folgenden, auszugsweise wiedergegebenen und pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich:

"... 2. Die Antragsteller kommen überein, daß die minderjährige Tochter Sabine, geboren am 17.9.1971, in Pflege und Erziehung beim Vater Walter H***** verbleibt. Die minderjährige Tochter Nicole Susanne, geboren am 17.5.1980, verbleibt hingegen in Pflege und Erziehung bei der Mutter. Hiezu wird noch festgehalten, daß sich derzeit die minderjährige Tochter Nicole Susanne in Pflege bei Brigitte B*****, befindet, und zwar solange, bis die Mutter Aloisia H***** in der Lage ist, die Pflege gegenüber Nicole Susanne selbst wieder zu übernehmen. Der Vater Walter H***** ist mit dieser Regelung einverstanden. Was den Unterhalt betrifft, kommen die Antragsteller überein, daß der Vater Walter H***** für den Unterhalt gegenüber der minderjährigen Sabine und die Mutter Aloisia H***** für den Unterhalt gegenüber der minderjährigen Nicole Susanne aufkommt...".

Am 19.3.1992 begehrte der Magistrat der Stadt Wels, den Vater zum Ersatz der Kosten der Durchführung der Maßnahme der vollen Erziehung der mj. Nicole bei den Pflegeeltern Johann und Brigitte B***** mit einem Betrag von monatlich S 2.000,-- ab 1.3.1989 zu verpflichten. Die von der Sozialhilfe der Stadt Wels getragenen Unterhaltskosten für die Minderjährige beliefen sich auf monatlich S 3.440,-- zuzüglich einer jährlichen Bekleidungshilfe von S 4.870,-- (ON 24).

Der Vater widersprach diesem auf § 40 JWG iVm § 47 OÖJWG 1991 gestützten Ersatzbegehren mit dem Hinweis auf die von der Mutter im Vergleich übernommene Unterhaltsverpflichtung. Im übrigen habe er für die weitere Tochter Sabine zu sorgen gehabt und habe Kreditverbindlichkeiten zu tragen. Er sei nicht der Vater der mj. Nicole (ON 26).

Die Mutter der minderjährigen Nicole verpflichtete sich mit Vereinbarung vom 22.4.1992, für diese ab 1.4.1992 einen monatlichen Beitrag von S 1.300,-- zu bezahlen (ON 27).

Das Erstgericht wies im ersten Rechtsgang das Ersatzbegehren des Magistrates der Stadt Wels ab. In dem diese Entscheidung aufhebenden Beschluß ging das Rekursgericht davon aus, daß trotz der mit Vergleich vom 29.8.1984 erfolgten Übernahme der gesamten Unterhaltskosten durch die Mutter auch der Vater zur Unterhaltsleistung heranzuziehen sei, wenn die Mutter außerstande sei, für den Unterhalt des Kindes zur Gänze aufzukommen. Eine gänzliche Entbindung des Vaters von der Unterhaltspflicht sei dem Vergleich nicht zu entnehmen. Die Sachlage habe sich seit Vergleichsabschluß geändert; wie, werde das Erstgericht noch zu erheben haben.

Im fortgesetzten Verfahren verpflichtete das Erstgericht den Vater antragsgemäß zur begehrten Ersatzleistung. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Mutter der mj. Nicole Susanne verdient (seit wann steht nicht fest) monatlich S 10.644,63 durchschnittlich netto; sie lebt in der Genossenschaftswohnung ihres Lebensgefährten und ist nur für dieses Kind sorgepflichtig. Der Vater verdiente bis Ende Mai 1990 monatlich S 10.000,-- netto und in der Folge bis Ende 1992 monatlich durchschnittlich S 14.256,67 netto. In den Monaten Jänner und Februar 1993 bezog der Vater Arbeitslosen- bzw. Krankengeld von täglich S 315,60; seit 8.3.1993 verdient er monatlich S 12.500,-- netto. Er ist wieder verheiratet, seine Gattin bezieht eine Frühpension. Sabine ist seit März 1989 selbsterhaltungsfähig.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß zufolge der ihm überbundenen Rechtsansicht von einer Ersatzverpflichtung des Vaters nach § 33 JWG 1989 iVm § 47 OÖJWG 1991 auszugehen sei.

Noch vor Vorlage des Rekurses des Vaters teilte der Magistrat der Stadt Wels dem Erstgericht mit, daß sich die mj. Nicole Susanne seit 7.4.1993 nicht mehr bei ihren Pflegeeltern, sondern seit 24.5.1993 bei ihrer Mutter in Pflege und Erziehung befindet (ON 54).

Das Rekursgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung den erstgerichtlichen Beschluß. Es erklärte unter gleichzeitigem Ausspruch, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt, den Revisionsrekurs für zulässig. Die vom Vater geltend gemachten Mietkosten sowie die von ihm zu erfüllenden monatlichen Kreditverbindlichkeiten, die er anläßlich der Scheidung übernommen habe, könnten die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht schmälern. Eine Sorgepflicht für seine nunmehrige Gattin liege nicht vor, da diese über ein ausreichendes eigenes Einkommen verfüge.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung vom Vater erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Nach § 33 JWG sind die Kosten der vollen Erziehung des bei Pflegeeltern untergebrachten Minderjährigen von diesem und seinen Unterhaltspflichtigen nach bürgerlichem Recht zu tragen. § 47 OÖJWG ist inhaltsgleich. Nach § 40 JWG entscheidet über einen Kostenersatzantrag des Jugendwohlfahrtsträgers das Außerstreitgericht. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut richtet sich die Ersatzverpflichtung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, wird doch durch eine solche Maßnahme der Unterhaltanspruch des Minderjährigen berührt (vgl. die Gesetzesmaterialien in Ent-Frischenschlager, JWG 61 f).

Den Eltern bleibt im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 140 ABGB in der Frage ihrer jeweiligen Beitragsleistung für das minderjährige Kind eine gewisse Dispositionsfreiheit gewahrt. Sie können mit pflegschaftsbehördlicher Zustimmung eine Vereinbarung darüber treffen, wie sie in Kenntnis der beiderseitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu dem der Höhe nach nicht geschmälerten Gesamtunterhalt des Kindes beitragen wollen. Eine solche Vereinbarung darf aber nicht zu Lasten des Kindes gehen, insbesondere darf der dem Kind gebührende Gesamtunterhalt nicht geschmälert werden (vgl. RZ 1992/4 sowie 7 Ob 649/92). Tritt durch eine solche Vereinbarung, die zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Kind der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedarf, an die Stelle der primären Unterhaltspflicht des Vaters eine bloß subsidiäre, so kann der Vater erst dann zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden, wenn die Mutter außerstande wäre, für den Unterhalt des Kindes zur Gänze selbst aufzukommen (vgl. EvBl. 1973/24). Unterläßt es die durch eine solche Vereinbarung primär unterhaltspflichtig gewordene Mutter, dieser ihrer Verpflichtung nachzukommen, darf dies nicht zum Nachteil des Kindes ausschlagen, es sei denn, der Vater wäre zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes allein nicht imstande, oder müßte, würde ihm dies auferlegt, mehr leisten, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre (vgl. EFSlg. 40.623 f). Zu bedenken ist auch, daß auch Unterhaltsvereinbarungen, nach denen sich ein Elternteil allein zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse des Kindes verpflichtet, und ein sich daraus ergebender Regreßanspruch des anderen Elternteiles, der Umstandsklausel unterliegen (vgl. 8 Ob 1582/92).

Ob das Kindeswohl in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitraum (ab 1.3.1989) wegen einer mangelnden Leistungsfähigkeit der Mutter gefährdet gewesen wäre und der Vater deshalb zum Kostenersatz iS des § 33 JWG heranzuziehen ist, oder ob die Mutter trotz gegebener Möglichkeit, das Kind bei sich im Haushalt zu versorgen, die mj. Nicole bei den Pflegeeltern beließ, bzw. ob sie ohnedies über ausreichende finanzielle Mittel zur Aufbringung der Unterhaltskosten des Kindes verfügte, oder ob sie es allenfalls absichtlich unterließ, zeitweilig einer Beschäftigung nachzugehen - eine Einvernahme der Mutter ist bisher nicht durchgeführt worden; die Feststellung ihrer Einkünfte erfolgte allein aufgrund einer Auskunft ihres Dienstgebers für den Zeitraum 1.11.1991 bis 31.10.1992 (ON 41) - wurde von den Vorinstanzen nicht festgestellt, sodaß eine abschließende rechtliche Beurteilung über das Ersatzbegehren des Jugendwohlfahrtsträgers nicht möglich ist. Darüber hinaus hat es das Rekursgericht unterlassen, amtswegig auf die aktenkundige Änderung der Sachlage einzugehen, da sich das Kind schon zur Zeit der rekursgerichtlichen Entscheidung nicht mehr bei den Pflegeeltern befand. (Zur Antragstellung iS § 40 JWG erscheint der Magistrat der Stadt Wels für die Zeit seit der Beendigung der Erziehungshilfe iS des § 28 JWG für die mj. Nicole nicht mehr legitimiert.)

Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht eine Verfahrensergänzung im oben dargelegten Sinne aufzutragen.

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