OGH 7Ob50/87

OGH7Ob50/8730.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Karl S***, Baumeister, Münzkirchen Nr. 134, vertreten durch Dr. Karl Wagner, Rechtsanwalt in Schärding, wider die beklagte Partei B*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 2., Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Michael Neumann, Rechtsanwalt in Schärding, wegen Feststellung (Streitwert S 100.000,--) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1987, GZ. 4 R 266/86-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 13. Juni 1986, GZ. 1 Cg 52/86-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei dem Kläger auf Grund des Betriebshaftpflichtversicherungsvertrages Nr. 2.142/076392-8 vom 20.9.1983 für alle Schäden und an die klagende Partei herangetragenen Schadenersatzansprüche aus dem Schadensfall vom 26.4.1984 zu haften hat, wobei die Haftung der Höhe nach mit der Versicherungssumme von S 5 Mio. begrenzt ist und ein Selbstbehalt der klagenden Partei von 10 %, höchstens jedoch S 20.000,-- besteht, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.791,45 (darin S 1.071,95 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit S 12.250,55 (darin S 750,55 an Umsatzsteuer und S 4.000,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 9.243,80 (darin S 385,80 an Umsatzsteuer und S 5.000,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der beklagten Partei 1983 einen Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag für sein gewerbliches Unternehmen abgeschlossen, wobei als versicherte Risken die Bauunternehmung, die Betonwarenerzeugung und der Bürobetrieb vereinbart waren. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1978, EHVB 1978) zugrunde. Art.7 Punkt

9.3. der AHVB 1978 lautet: "Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen wegen Schäden an jenen Teilen von unbeweglichen Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit sind." Nach Abschnitt B, Punkt 2 der EHVB 1978 erstreckt sich die Versicherung insbesondere auch auf Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden infolge Unterfahrens oder Unterfangens von Bauwerken (Punkt 2.3.) sowie aus Schäden an benachbarten Bauwerken infolge Unterlassung sachgemäßer Pölzungen (auch Versteifungen und Verspreizungen; Punkt 2.5.). Im Jahre 1984 wollte Theresia S*** in eine Scheune einen Rinderstall einbauen lassen. Die erforderlichen Pölzungen wurden von dem Zimmermann Franz N*** vorgenommen. Er ersetzte dabei, nachdem die Scheune durch Entfernung der Schalung unten aufgemacht worden war, die 16 vorhandenen Steher durch 32 4 m hohe Stützen. Mit der Durchführung der Maurerarbeiten war der Kläger beauftragt. Am 16.4.1984 schnitt der an der Baustelle tätige Polier des Klägers, Johann M***, nachdem er bereits einige Tage zuvor 3 Steher an der Südseite der Scheune von der Pölzung entfernt hatte, weil sie ihm bei der Arbeit im Wege standen und er meinte, daß die verbleibenden Steher ausreichen würden, aus dem gleichen Grund einen weiteren Steher, und zwar einen Windsteher an der Nordwestecke der Scheune, um. Dies hatte zur Folge, daß wenige Stunden später das Dach der Scheune - ein Ziegeldach - samt der Holzkonstruktion nach einem starken Windstoß einstürzte. Dabei wurde Johann S***, ein Schwager der Theresia S***, der bei den Arbeiten half, schwer verletzt.

Johann M*** wurde vom Bezirksgericht Engelhartszell wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB rechtskräftig verurteilt.

Die beklagte Partei lehnt die Deckung der von Theresia S*** geltend gemachten Schadenersatzansprüche ab.

Der Kläger stellt das aus dem Spruch zu ersehende Begehren. Er vertritt den Standpunkt, Leistungsfreiheit der beklagten Partei sei nicht eingetreten, weil Auftrag und Arbeiten ausschließlich auf die Errichtung eines Rinderstalles sich beschränkt und nicht auch auf die bestehende Scheune bezogen hätten. Das Herausschneiden der Steher sei für die Errichtung des Stalles und nicht für irgendwelche Arbeiten an der Scheune erforderlich gewesen. Die Ausschlußklausel des Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 beziehe sich ausdrücklich auf unbewegliche Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung seien. Sie komme daher im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, die Ausschlußklausel des Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 sei anzuwenden, weil Johann M*** Arbeiten an der Scheune getätigt habe. Bei Bauarbeiten sei ein Haus im Ganzen Gegenstand der Tätigkeit im Sinne der genannten Klausel, insbesondere dann, wenn bei den Baumaßnahmen Stützungsaktionen erforderlich seien.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte den bereits wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus, Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 enthalte zwar eine Konkretisierung des allgemeinen versicherungstechnischen Grundgedankens, daß die Betriebshaftpflichtversicherung das allgemeine Unternehmerrisiko für mangelhafte und schlechte Arbeiten nicht abdecke, schließe den Versicherungsschutz für mangelhafte Arbeiten aber nicht aus, soferne derartige Arbeiten Schäden an anderen Sachen oder Teilen von unbeweglichen Sachen verursachen, die nicht Bearbeitungsgegenstand sind. Gegenstand der Tätigkeit des Klägers im Sinne des Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 sei nur das in die Scheune einzubauende Stallgebäude gewesen, nicht jedoch die gesamte Scheune. Die Durchführung der Pölzung des Scheunendaches sei im Verantwortungsbereich des Bauherrn und des Zimmerers N*** gelegen gewesen. Die Ausschlußklausel des Art.7 Punkt 9.3. könne daher hier nicht angewendet werden. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000, nicht jedoch S 300.000,-- übersteigt, und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei. Eine Tätigkeit im Sinne der Ausschlußklausel nach Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 setze ein bewußtes und gewolltes, auf einen bestimmten Zweck abgestelltes Verhalten voraus, bei dem sich auch der Handlungswille auf die unbewegliche Sache erstrecken müsse. Bloß zufällige Einwirkungen auf Teile von unbeweglichen Sachen könnten nicht als Tätigkeit im Sinne der erwähnten Ausschlußklausel betrachtet werden. Der Risikoausschluß greife außerdem nur Platz, wenn die Schäden an jenen Teilen von unbeweglichen Sachen eingetreten seien, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit waren. Dies habe aber zur Voraussetzung, daß die Teile einer unbeweglichen Sache selbst Objekt der vorgenannten Tätigkeit seien. Die Scheune sei nicht unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung, Benützung oder einer sonstigen Tätigkeit des Klägers gewesen. Durch die Pölzungen habe jegliche Einwirkung auf jenen Teil der Scheune vermieden werden sollen, der nicht unmittelbar Gegenstand der Tätigkeit des Klägers gewesen sei. Dieser Teil der Scheune sei nur im Gefahrenbereich der Arbeiten des Klägers gestanden. Der Zusammenhang der vom Kläger vorgenommenen Arbeiten mit den Schäden an der Scheune sei daher nur ein zufälliger. Das für die Beschädigung der Scheune kausale Herausschneiden dreier Steher und einer Windstrebe sei keine Tätigkeit an oder mit der zu bearbeitenden Sache gewesen. Ausschlußobjekt sei nur der Stall selbst, nicht auch der übrige Teil des Gebäudes. Die Revision sei nicht zuzulassen gewesen, weil die Beurteilung der zu lösenden Fragen einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung folge.

Die beklagte Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und beantragt, es im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger, dem die Beantwortung der Revision freigestellt wurde (§ 508 a Abs 2 ZPO), beantragt, die Revision zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig. Die Entscheidung der zweiten Instanz weicht im Ergebnis von der Rechtsprechung des Revisionsgerichtes ab.

Die Ausschlußklausel des Art.7 Punkt 9.3. der AHVB 1978 (der die Bestimmungen des § 4 I. 6. b der deutschen AHB entsprechen) bezieht sich auf Sachen, die unmittelbar Gegenstand der Bearbeitung oder einer sonstigen Tätigkeit sind ("Tätigkeitsklausel"). Eine Tätigkeit im Sinne dieser Klausel setzt eine bewußte und gewollte, auf einen bestimmten Zweck abgestellte, nicht nur zufällige Einwirkung auf eine Sache voraus (Prölss/Martin, VVG23 972; VersR 1961, 602; VersR 1975, 1166; iglS Wussow, AHB7, 427 f). Die Sache muß nicht im Mittelpunkt des Auftrages stehen (Prölss/Martin aaO und 974). Es ist gleichgültig, ob die Einwirkung zur Erfüllung des Auftrages notwendig war oder vom Versicherungsnehmer als erforderlich angesehen wurde, ob sie zweckmäßig oder geboten, ob sie falsch, unvernünftig oder verboten war und ob sie dem Zweck des Auftrages oder dem Willen des Auftraggebers widersprach (Prölss/Martin aaO 975; VersR 1961, 601).

Wesentlich ist deshalb nicht, daß der Kläger nur den Auftrag hatte, einen Rinderstall zu errichten, nicht aber auch, die Scheune zu pölzen oder die vorhandene Pölzung zu entfernen, sondern daß sein Polier Teile der Pölzung durchaus bewußt und gewollt herausgeschnitten hat, weil er sie als bei der Durchführung der Maurerarbeiten für den Stall hinderlich ansah, mag dies zur Erfüllung des erteilten Auftrages nun zweckmäßig oder unvernünftig gewesen sein. Daran, daß die Pölzung der Scheune bzw. deren Entfernung unmittelbar Gegenstand einer Tätigkeit des Poliers des Klägers und also deren Objekt, auf das sich sein Handlungswille erstreckte (EvBl 1971/150), war (VersR 1975, 1166), kann nach dem festgestellten Sachverhalt wohl kein Zweifel bestehen. Der von der beklagten Partei geltend gemachte Risikoausschluß ist daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen gegeben. Der Revision war daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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