OGH 7Ob506/94

OGH7Ob506/9413.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Susanna M*****, geboren am 26.Dezember 1976, infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft M*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3.November 1993, GZ 44 R 838/93-81, womit infolge Rekurses der Bezirkshauptmannschaft M***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Mödling vom 16.Juli 1993, GZ 7 P 13/90-75 bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Unterinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Die mj. Susanna M***** ist das eheliche Kind der Doina und des Mircea M*****. Sie befindet sich seit 12.12.1989 im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe in Heimen der Stadt Wien zur Pflege und Erziehung. Sie war zunächst in der heilpädagogischen Station in H***** und wurde nach einer mehrwöchigen Beurlaubung zu ihrer Mutter, am 24.8.1992 im Landesjugendheim H***** untergebracht.

Mit Beschluß vom 9.5.1990 bestellte das Erstgericht das Bezirksjugendamt für den ***** Wiener Gemeindebezirk auf dessen Antrag zum besonderen Sachwalter gemäß § 213 ABGB zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der mj.Susanna. Mit Beschluß vom 28.8.1991 verpflichtete das Erstgericht - nachdem es zunächst mehrere sowohl gegen den Vater als auch gegen die Mutter gerichtete Kostenersatzanträge des Bezirksjugendamtes zurückgewiesen hatte - auf Antrag desselben Bezirksjugendamtes die Mutter zu monatlichen Kostenersatzleistungen von S 1.900,-- ab 13.12.1990 bis zur Beendigung der Maßnahme der Jugendwohlfahrt.

Am 6.11.1991 beantragte das Bezirksjugendamt (neuerlich), den Vater ab 12.12.1989 zu einer monatlichen Kostenersatzleistung von S 2.100,-- zu verpflichten. Dieser Antrag wurde mit Beschluß vom 3.1.1992 abgewiesen.

Ein weiterer Kostenersatzantrag gegen den Vater langte am 11.2.1992 beim Erstgericht ein. Nunmehr wurden S 2.100,-- monatlich vom 12.12.1989 bis 31.12.1991 und S 2.400,-- monatlich ab 1.1.1992 begehrt.

Am 29.10.1992 beantragte das Bezirksjugendamt, die Mutter ab 1.11.1992 zu einer monatlichen Kostenersatzleistung von S 2.500,-- zu verpflichten. Über diesen Antrag wurde noch nicht entschieden.

Mit Beschluß vom 22.2.1993 verpflichtete das Erstgericht den Vater zu einer monatlichen Kostenersatzleistung von S 1.000,-- ab 1.1.1993 und wies das Mehrbegehren betreffend den Vater ab. Gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung erhob das Bezirksjugendamt Rekurs, über den noch nicht entschieden ist.

Anläßlich der Rekursvorlage ersuchte das Gericht zweiter Instanz das Erstgericht, den angefochtenen Beschluß an einen für die mj. Susanna zu bestellenden Kollisionskurator zuzustellen.

Mit Beschluß vom 16.7.1993 bestellte das Erstgericht die Bezirkshauptmannschaft M***** zum Kollisionskurator der Minderjährigen zu ihrer Vertretung in dem von der Stadt Wien gegen ihre Eltern geführten Verfahren und stellte der Bezirkshauptmannschaft M***** jene Beschlüsse, mit denen inhaltlich über die Kostenersatzanträge entschieden wurde, zu.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs der Bezirkshauptmannschaft M***** nicht Folge. Das Bezirksjugendamt für den ***** Wiener Gemeindebezirk habe einerseits als bestellter Unterhaltssachwalter die Interessen des Kindes zu wahren. Andererseits betreibe es das Kostenfestsetzungsverfahren, in dem es die Interessen der Stadt Wien wahrzunehmen habe, die jenen des Kindes zuwiderliefen, zumal auf eine Geltendmachung gegenüber dem Kind nicht verzichtet worden sei. Es liege daher ein Kollisionsfall vor. Die Eltern befänden sich ebenfalls in einer Interessenkollision, weil sie im Interesse des Kindes möglichst hohe Kostenersatzleistungen anstreben sollten, im eigenen Interesse aber möglichst niedrige. Da keine andere geeignete Person vorhanden sei, sei gemäß § 213 ABGB der Jugendwohlfahrtsträger zum Kollisionskurator zu bestellen. Gemäß § 215a ABGB wäre zwar derjenige Jugendwohlfahrtsträger zu bestellen, in dessen Sprengel das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Da das Kind zu seiner Mutter nach Wien ***** entlassen worden sei, sei dies das Bezirksjugendamt für den ***** Wiener Gemeindebezirk, das aber nicht in Frage komme. Im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft M***** liege das Heim, in dem die Minderjährige überwiegend untergebracht gewesen sei. Außerdem decke sich dessen Sprengel mit dem Sprengel des Erstgerichtes, sodaß ein Naheverhältnis zur Bezirkshauptmannschaft M***** gegeben sei, die gemäß § 213 ABGB auch ohne ihre Zustimmung zum Kollisionskurator bestellt werden könne. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der häufig zu lösenden Rechtsfrage vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Bezirkshauptmannschaft M***** ist zulässig und berechtigt.

Abgesehen davon, daß sich die Minderjährige nach dem Akteninhalt nicht im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft M***** aufhält, sodaß der angefochtene Beschluß der Bestimmung des § 215a ABGB widerspricht, liegt in bezug auf die Minderjährige schon deshalb kein Kollisionsfall iSd § 271 ABGB vor, weil der Kostenersatzanspruch nicht gegen sie, sondern gegen ihre Eltern geltendgemacht wurde. Die Minderjährige hat in diesem Verfahren unabhängig davon, ob ihr gegenüber auf Kostenersatz verzichtet wurde oder nicht, keine Beteiligtenstellung. Ein für sie bestellter Kurator könnte das Verfahren nicht beeinflussen. Es ist daher nicht erkennbar, worin sein Aufgabenbereich liegen sollte.

Sollte sich das Kind derzeit bei seiner Mutter aufhalten - dies läßt sich dem Akteninhalt nicht mit Bestimmtheit entnehmen -, könnte allenfalls ein gewisser Zwiespalt darin liegen, daß das Bezirksjugendamt einerseits als Unterhaltssachwalter die Mutter von der Aufgabe, Unterhaltsansprüche gegen den Vater durchzusetzen, entlasten soll, zugleich aber gegen die Mutter mit (zurückreichenden) Kostenersatzanträgen vorgeht. Ein Kollisionsfall zwischen dem Bezirksjugendamt und der Minderjährigen ist darin aber nicht zu erblicken. Dessen ungeachtet könnte dieser Zustand - insbesondere auf entsprechenden Wunsch der Mutter - durch ein Vorgehen iSd § 212 Abs 5 ABGB beendet werden.

Für diejenige Zeit, in der sich die Minderjährige in Drittpflege befand (oder noch befindet ?), steht ihr gegen beide Elternteile ein Anspruch auf Geldunterhalt zu, dessen Wahrnehmung dem Bezirksjugendamt als Unterhaltssachwalter obliegt. Dieses hat bisher keinen Unterhaltsanspruch namens des Kindes gegen die Eltern geltend gemacht, sondern sich in seiner ihm gemäß §§ 31 ff JWG 1989 (§§ 37 ff Wr. JWG 1990) zukommenden Funktion, die Maßnahmen der Erziehungshilfe durchzuführen, diese zu finanzieren und sich um den Rückersatz der Kosten zu kümmern, dazu entschieden, auf (teilweisen) Kostenersatz durch die Eltern zu dringen (§ 40 JWG 1989). Da Forderungen des Minderjährigen auf wiederkehrende Leistungen, die der Deckung seines Unterhaltsbedarfes dienen, auf Grund einer Anzeige des Jugendwohlfahrtsträgers an den Dritten bis zur Höhe der Ersatzforderung auf den die volle Erziehung gewährenden Jugendwohlfahrtsträger unmittelbar kraft Gesetzes übergehen (§ 34 JWG 1989 und § 40 Wr. JWG 1990), dem Kind im Rahmen der Heimerziehung ohnehin Naturalunterhalt - wenn auch nicht von den Eltern - zukommt und sowohl der Unterhaltsanspruch des Kindes als auch der Rückersatzanspruch des Jugendwohlfahrtsträgers von der Leistungsfähigkeit der Eltern abhängt, kann es für das Kind keinen Unterschied machen, ob der Jugendwohlfahrtsträger namens des Kindes Unterhaltsansprüche (die im Wege der Legalzession auf ihn übergehen) oder im eigenen Namen Rückersatzansprüche, denen nichts anderes als der gesetzliche Unterhaltsanspruch zugrundeliegt (EvBl 1993/149), durchzusetzen versucht.

Im Hinblick auf die in den §§ 33, 34 JWG 1989 und §§ 39, 40 Wr. JWG 1990 vorgesehene Koppelung der Unterhaltsansprüche des Kindes und der Rückersatzansprüche des die volle Erziehung leistenden Jugendwohlfahrtträgers durch den Gesetzgeber erscheint die Betrauung ein und derselben Rechtspersönlichkeit mit der Durchsetzung beider Ansprüche durchaus wünschenswert, um das Vorgehen in beiden Richtungen entsprechend koordinieren zu können. Hätte der Gesetzgeber mit der generellen Möglichkeit von Pflichtenkollisionen des Jugendwohlfahrtsträgers im Kostenersatzverfahren nach § 40 JWG 1989 gerechnet, hätte er die Aufgabe der Kosteneintreibung wohl nicht demselben (örtlich zuständigen) Jugendwohlfahrtsträger übertragen, dem in vielen Fällen zugleich auch die Funktion des Unterhaltssachwalters zukommt.

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