European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00044.840.0117.000
Spruch:
Die Revision wird soweit sie sich gegen den Zuspruch von 15.000 ATS sA aufgrund der Polizze ***** richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 2.843,68 ATS bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 480 ATS Barauslagen und 214,88 ATS Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
J***** B***** hat zu Polizzen‑Nr ***** am 1. 5. 1958 mit der Beklagten eine Lebensversicherung über 15.000 ATS und zu Polizzen‑Nr ***** am 1. 12. 1960 eine weitere Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 20.000 ATS abgeschlossen. Beiden Versicherungen lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Kapitalversicherung auf den Todesfall (ALB) zugrunde. Es handelt sich um Inhaberpolizzen, wobei nach dem Inhalt der Polizzen die Versicherungssumme im Ablebensfall des Versicherten an den Überbringer der Polizze auszuzahlen ist.
Nach § 13 der ALB darf der Versicherer den Inhaber der Polizze als berechtigt ansehen, über alle Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leistung des Versicherers in Empfang zu nehmen. Er kann aber den Nachweis der Verfügungs‑ oder Empfangsberechtigung verlangen.
Nach § 15 Abs 1 der ALB erwirbt eine vom Versicherungsnehmer als bezugsberechtigt bezeichnete dritte Person ein Recht auf die Leistung, falls nichts anderes vereinbart ist, erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalls. Bis dahin kann der Versicherungsnehmer über die Versicherung frei verfügen. Er darf die Bezeichnung widerrufen oder ändern. Er kann auch bestimmen, dass der Bezugsberechtigte das Recht auf die Versicherungsleistung sofort erwerben soll. In diesem Fall ist ein Widerruf oder eine Änderung nur mit Zustimmung des Bezugsberechtigten möglich.
Nach § 15 Abs 2 ALB sind Verpfändungen und Abtretungen der Ansprüche aus der Versicherung dem Versicherer gegenüber nur dann wirksam, wenn sie der bisherige Verfügungsberechtigte der Direktion des Versicherers schriftlich anzeigt. Bei Abtretungen kann statt der Anzeige die Abtretungsurkunde vorgelegt werden.
Bei Abschluss der Lebensversicherungsverträge ging J***** B***** davon aus, dass aus den fällig werdenden Versicherungssummen die anlässlich seines Todes entstehenden Kosten einschließlich der Honorare des Klägers bezahlt werden sollten. Er sowie auch der Kläger gingen davon aus, dass der Inhaber der gegenständlichen Polizzen den Anspruch gegenüber der Beklagten geltend machen könne. Zu diesem Zwecke übergab J***** B***** nocht vor seinem Tod dem Kläger beide Versicherungspolizzen und beauftragte ihn, die Versicherungssummen nach seinem Tod bei der Beklagten zu beheben und daraus die im Zusammenhang mit seinem Ableben entstehenden Auslagen einschließlich der Anwaltskosten zu decken.
J***** B***** ist am 18. 4. 1983 verstorben. Sein Nachlass wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 27. 10. 1983, GZ 3 A 355/83‑15, H***** C***** eingeantwortet. Diese hat dem Kläger Vollmacht zwecks Vertretung im Verlassenschaftsverfahren erteilt.
Das Erstgericht hat das Begehren des Klägers auf Zahlung von 35.000 ATS sA mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe zwar die Forderung aus den Versicherungsverträgen aufgrund einer Inkassozession erworben, doch müsse die Beklagte diese Zession nicht beachten, weil sie ihr nicht schriftlich angezeigt worden sei.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es den Standpunkt vertrat, die Vorschrift des § 15 Abs 2 ALB bezüglich der schriftlichen Anzeige einer Zession gelte für auf den Inhaber lautende Polizzen nicht.
Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist, soweit sie sich gegen den Zuspruch von 15.000 ATS sA richtet, nicht zulässig.
Nach § 502 Abs 2 Z 2 ZPO findet eine Revision nicht statt, wenn der Beschwerdegegenstand an Geld oder Geldeswert 15.000 ATS nicht übersteigt. Soweit die Zulässigkeit der Revision von Geldbeträgen abhängt, gelten gemäß § 55 Abs 4 JN die Zusammenrechnungsvorschriften des neuen § 55 JN. Zusammenzurechnen ist daher nur, wenn mehrere Forderungen einer einzelnen Partei in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen ( Petrasch in ÖJZ 1983, 173). Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche, wenn sie aus einem einheitlichen Vertrag oder einer Gesetzesvorschrift abgeleitet werden. In einem tatsächlichen Zusammenhang stehen Klagsansprüche, die aus demselben Klagssachverhalten abzuleiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre ( Fasching I, 344 f).
Im vorliegenden Fall werden die beiden Ansprüche auf Zahlung von 15.000 ATS und 20.000 ATS aus zwei verscheidenen Verträgen, die nicht einmal zum gleichen Zeitpunkt abgeschlossen worden sind, abgeleitet. Das für den einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen reicht nicht aus, den weiteren Anspruch entscheidend zu stützen, weil eine positive Entscheidung über den zweiten Anspruch notwendig ein Vorbringen bezüglich des zweiten Vertrags voraussetzt. Sohin sind bezüglich der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision die beiden Ansprüche nicht zusammenzurechnen, sodass einer Zulässigkeit der Revision bezüglich des auf 15.000 ATS gerichteten Begehrens die Bestimmung des § 502 Abs 2 Z 2 ZPO entgegensteht. In diesem Umfang musste die Revision sohin zurückgewiesen werden.
Im Übrigen ist die Revision nicht gerechtfertigt.
Die Ausführungen der Revision bezüglich der Verschiedenheit der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland einerseits und in Österreich andererseits sind nicht zutreffend. Es ist zwar richtig, dass der Wortlaut des in Österreich geltenden § 4 Abs 1 VersVG von der gesetzlichen Regelung in der Bundesrepublik Deutschland abweicht, weil Abs 1 des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes auf § 808 des BGB verweist, während nach § 4 Abs 1 des österreichischen Gesetzes der Versicherer die Leistung an den Inhaber verweigern kann, wenn dessen Berechtigung nicht nachgewiesen ist. Der gutgläubige Versicherer wird aber durch die Leistung an den Inhaber oder Überbringer befreit. Der Versicherer ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zur Leistung verpflichtet. Die Beklagte übersieht, dass auch in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Lebensversicherung die Sonderklausel des § 13 ALBG, die im Wesentlichen denselben Wortlaut hat wie § 13 der österreichischen ALB, gilt ( Bruck‑Möller , VVG 8 I, Anm 12 zu § 4). Für den vorliegenden Rechtsstreit ist sohin die in der Bundesrepublik Deutschland geltende Rechtslage der österreichischen Rechtslage gleich.
Zutreffend haben die Vorinstanzen das Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Kläger als Inkassozession beurteilt. Bei ihren gegenteiligen Revisionsausführungen geht die Beklagte nicht zur Gänze von dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus. Die Vorinstanzen haben nämlich ihre Rechtsmeinung nicht ausschließlich auf den Inhalt der Testamente des Versicherungsnehmers gestützt, sondern auch auf den Umstand, wonach der Versicherungsnehmer bereits bei Abschluss der Lebensversicherungsverträge davon ausging, dass aus den fällig werdenden Versicherungssummen die anlässlich seines Todes entstehenden Kosten einschließlich der Honorare des Klägers bezahlt werden sollen. Zu diesem Zweck hat der Versicherungsnehmer dem Kläger die auf den Inhaber lautenden Versicherungspolizzen übergeben, damit der Kläger selbst die Versicherungssumme beheben und der Absicht des Versicherungsnehmer entsprechend verwenden solle. Die übereinstimmende Absicht sowohl des Versicherungsnehmers als auch des Klägers lief also darauf hinaus, dass der Kläger selbständig über die Versicherungssumme verfügen könne, wenn auch im Innenverhältnis eine Abrechnung gegenüber der Verlassenschaft erforderlich war. DA beide Vertragsteile davon ausgingen, dass bereits die Innehabung der Polizze einer Verfügung über die Versicherungssumme ermöglicht, erachteten sie einen bloße Übergabe der Polizze an den Kläger für ausreichend. Im allgemeinen ist die Übergabe des Versicherungsscheines ein starkes Indiz für die Abtretung des Anspruchs aus der Versicherung ( Prölss‑Martin , VVG²³ 1172). Berücksichtigt man neben diesem starken Indiz für die Abtretung auch den festgestellten Willen der Vertragsparteien, erweist sich die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen bezüglich einer Inkassozession als richtig.
Offen ist sohin lediglich die Frage, ob die Bestimmung des § 15 Abs 2 ALB, die eine schriftliche Verständigung des Versicherers von einer erfolgten Abtretung vorsieht, auch für Inhaberpolizzen gilt. Dies wurde vom Berufungsgericht mit Recht verneint. Die Schriftlichkeit der Anzeige ist nämlich nur im Verhältnis zum Versicherer, nicht aber im Verhältnis zum Zessionar bedeutungsvoll. Materiell geht die Versicherungsforderung mit dem Vertrag zwischen dem Verfügungsberechtigten und einem Gläubiger auf Letzteren über. Die schriftliche Anzeige an den Versicherer dient nur der formellen Klarstellung, das heißt der Versicherer kann vor Eingang der schriftlichen Anzeige mit befreiender Wirkung an den Zedenten leisten. Bei Geltung der Inhaberklausel verliert jedoch die schriftliche Abtretungsanzeige ihre Bedeutung ( Bruck‑Möller VVG 8 I Anm 35 zu § 15, Prölss‑Martin , VVG²³ 1173). Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht ergibt sich schon aus dem Zweck der Bestimmung des § 15 Abs 2 ALB. Diese Bestimmung ist nur im Zusammenhang mit § 15 Abs 1 ALB zu verstehen. Letztere Bestimmung entspricht aber § 166 VersVG. Diese Gesetzesstelle sieht die Namhaftmachung eines Bezugsberechtigten und die Befugnis des Versicherungsnehmers, an die Stelle des bezugsberechtigten Dritten einen anderen zu setzen, vor. Der so Begünstigte erwirbt mit dem Versicherungsfall den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag ( Prölss‑Martin , VVG²³, 1166). Der Versicherer darf in einem solchen Fall also nur mehr an den ihm namhaft gemachten Begünstigten leisten. Nach § 14 Abs 3 ALB hat eine Namhaftmachung eines begünstigten Dritten oder die Änderung des begünstigten Dritten in Schriftform zu erfolgen. Es ist daher nur logisch, dass eine Änderung der Begünstigung, durch wen auch immer, wieder nur in Schriftform erfolgen kann. Diese Bestimmung dient dem Schutz des Versicherers, der im Falle einer schriftlichen Anzeige der Abtretung dem Vorwurf begegnen kann, er habe trotz der ihm mitgeteilten Begünstigung einer anderen Person gezahlt. Diese Erwägungen fallen jedoch im Falle einer Inhaberklausel weg. Durch die Zulassung der Inhaberklausel wollte der Gesetzgeber eine Erleichterung der Übertragung des Anspruchs aus der Versicherung ermöglichen. Dieser absicht Rechnung tragend, sieht § 13 ALB vor, dass der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheines als berechtigt ansehen darf, über alle Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leistung der Gesellschaft in Empfang zu nehmen. Demnach besteht in solchen Fällen für den Versicherer nicht die Gefahr, dass ihm entgegengehalten wird, er habe einem Nichtberechtigten gezahlt, es sei denn, es würden Umstände geltend gemacht, aus denen eine Schlechtgläubigkeit des Versicherers zu entnehmen ist. In solchen Fällen bedarf es daher nicht jenes Schutzes, den § 15 Abs 2 ALB dem Versicherer angedeihen lassen will. Würde man das Erfordernis der schriftlichen Anzeige der Abtretung auch für Versicherungsverträge mit Inhaberklausel gelten lassen, würden diese nicht jenen Zweck erfüllen, für den sie vorgesehen sind. Durch die Inhaberklausel sollte die erleichterte Weitergabe des Rechts aus der Versicherung ermöglicht werden. Würde man auch für solche Versicherungen an dem Erfordernis der schriftlichen Verständigung des Versicherers festhalten, wäre eine bloße Weitergabe der Versicherungspolizze mit Wirkung gegenüber dem Versicherer nicht möglich. Der Oberste Gerichtshof tritt daher der oben wiedergegebenen deutschen Lehre bei, derzufolge § 15 Abs 2 ALB für Inhaberversicherungen nicht gilt. Bei solchen Versicherungen kann der Versicherer lediglich die Auszahlung an den Inhaber der Polizze vom Nachweis der Verfügungs‑ oder Empfangsberechtigung abhängig machen. Weist aber der Inhaber eine solche Verfügungs‑ oder Empfangsberechtigung nach, so ist der Versicherer verpflichtet, die Leistung an ihn zu erbringen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger nachgewiesen, dass ihm der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zum Inkasso abgetreten worden ist. Damit hat er aber auch seine Empfangsberechtigung beweisen, sodass die Einwendungen der Beklagten in Leere gehen.
Die weiteren Ausführungen der Revision gehen nicht von dem festgestellten Sachverhalt, sondern lediglich von den Feststellungen über den Inhalt der verschiedenen Testamente aus. Sie sind daher keine wirksamen Argumente gegen die Rechtsausführung des Berufungsgerichts.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, doch war hiebei lediglich von einem Streitwert von 20.000 ATS auszugehen. Bezüglich des darüber hinausgehenden Streitwerts konnten auch dem Kläger keine Kosten zugesprochen werden, weil er in seiner Revisionsbeantwortung nicht auf die teilweise Unzulässigkeit der Revision verwiesen hat.
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