Spruch:
Eine allenfalls künftig eintretende Rechtslage kann als hypothetischer Klagegrund nicht geltend gemacht werden.
Entscheidung vom 19. September 1956, 7 Ob 432/56.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Ehe der Streitteile wurde im Jahr 1945 zu 17 Cg 69/45 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien aus dem Verschulden des Beklagten geschieden; in einem im Zuge des Scheidungsprozesses geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Beklagte zu einer Unterhaltsleistung von 150 S monatlich. Im Jahr 1952 brachte er beim Kreisgericht Korneuburg eine Klage auf Feststellung der Ungültigkeit des Vergleiches mit der Begründung ein, er sei bei Vergleichsabschluß geisteskrank gewesen. Im vorliegenden, seit 5. November 1953 anhängigen Rechtsstreit begehrte die Klägerin unter Hinweis auf die Einkommensverhältnisse des Beklagten eine Unterhaltsleistung von 600 S monatlich, wobei sie in ihrer Klage auch vorbrachte, seiner Klage auf Feststellung der Ungültigkeit des Vergleiches sei in erster Instanz Folge gegeben worden; wenn dieses Urteil bestätigt würde, müsse der Beklagte ihr aus dem Titel des Verschuldens Alimente zahlen.
Nachdem bei der Tagsatzung vom 12. Mai 1954 festgestellt worden war, daß das die Ungültigkeit des Unterhaltsvergleiches aussprechende erstinstanzliche Urteil aufgehoben wurde, faßte der Erstrichter einen Beschluß auf Unterbrechung des vorliegenden Prozesses bis zur Erledigung des Rechtsstreites über die Gültigkeit des Vergleiches.
Das Rekursgericht behob diesen Beschluß und trug dem Erstrichter auf, nach Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden; das Klagsvorbringen lasse nicht erkennen, ob die Klägerin auf Erhöhung des ihr vergleichsmäßig zustehenden Unterhaltsanspruches antrage oder ob sie Unterhaltsbemessung schlechthin begehre, wobei sie selbst von der Ungültigkeit des Vergleiches ausgehe; das Klagsvorbringen müsse dementsprechend präzisiert werden.
Bei der Tagsatzung vom 1. Dezember 1954 begehrte die Klägerin, der Beklagte habe ihr an Stelle des vergleichsmäßigen Betrages 600 S monatlich zu bezahlen, weil dies seinen Einkommensverhältnissen entspreche; sie ging also von der Gültigkeit des Vergleiches aus. Eine neuerliche Entscheidung über den Unterbrechungsantrag erging nicht mehr, doch ruhte das Verfahren, bis am 20. Februar 1956 eine Tagsatzung stattfand, bei welcher die Verhandlung infolge Richterwechsels neu durchgeführt werden mußte. Laut Verhandlungsprotokoll gab der Richter eine Darstellung des Parteienvorbringens, worauf die Parteien die gestellten Sach- und Beweisanträge wiederholten. Sodann wurde außer Streit gestellt, daß der Unterhaltsvergleich rechtskräftig als nichtig aufgehoben wurde. Der Klagevertreter stellte nunmehr klar, daß der Klagsanspruch auf "den Titel des Alleinverschuldens des Beklagten nach der Ehescheidung gestützt werde; für den Fall, daß in einem mittlerweile anhängig gemachten weiteren Prozeß (17 Cg 414/55 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien) das Ehescheidungsurteil als nichtig aufgehoben würde, werde der Klagsanspruch auf den Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe gestützt". Die beklagte Partei erblickte darin eine Klagsänderung und beantragte, sie nicht zuzulassen.
Der Erstrichter wies diesen Antrag mit der Begründung ab, es liege gar keine Klagsänderung vor; die Klägerin habe ihr Begehren nur im Sinne des Auftrages des Rekursgerichtes anläßlich der Prozeßunterbrechung präzisiert.
Das Rekursgericht nahm eine Klagsänderung an, die mangels der Voraussetzungen des § 235 ZPO. nicht zuzulassen sei. Der Erstrichter habe übersehen, daß die Klägerin dem Auftrag des Rekursgerichtes zur Präzisierung ihres Vorbringens schon bei der Tagsatzung vom 1. Dezember 1954 entsprochen habe; ihre letzte Prozeßerklärung, daß sie den Klagsanspruch auf Alleinverschulden des Beklagten nach Ehescheidung und im Falle der Nichtigerklärung des Scheidungsurteils auf den aufrechten Bestand der Ehe stütze, sei durch die seinerzeitige Rekursentscheidung nicht mehr gerechtfertigt oder veranlaßt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Klägerin Folge und ließ die Klagsänderung, daß der Klagsanspruch auf den Titel des Alleinverschuldens des Beklagten nach Scheidung der Ehe gestützt werde, zu.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Hinweis in der Klage, bei Bestätigung des die Nichtigkeit des Unterhaltsvergleiches feststellenden Urteils müsse der Beklagte aus dem Titel des Verschuldens nach der Ehescheidung Unterhalt leisten, hätte noch zur Zeit der Rekurserledigung bezüglich des Unterbrechungsbeschlusses unbeachtet gelassen werden können, denn eine erst künftig allenfalls eintretende Rechtslage kann als hypothetischer Klagegrund nicht geltend gemacht werden. Dies stellt eine bedingte und daher unzulässige Prozeßhandlung dar (vgl. Pollak, System, 2. Aufl. S. 370). Das Rekursgericht hat dieses Vorbringen damals aber als beachtlich erklärt und gerade deshalb eine Klarstellung verlangt. Richtig ist, daß die Klarstellung bei der Tagsatzung vom 1. Dezember 1954 dahin erfolgt ist, die Klägerin begehre eine Erhöhung der ihr vergleichsmäßig zustehenden Alimente. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob diese Erklärung dem späteren Verfahren ohne weiteres zugrunde zu legen war oder ob sie bei der Tagsatzung vom 20. Februar 1956 nach dem Richterwechsel durch die laut Protokoll zunächst erfolgte Wiederholung der Sachanträge aufrechterhalten wurde; die darauf folgende Erklärung, der Klageanspruch werde auf den Titel des Alleinverschuldens des Beklagten gestützt, war jedenfalls eine Klagsänderung.
Sie war aber zuzulassen, weil die Einkommensverhältnisse des Beklagten ebenso zu prüfen gewesen wären, wenn der Unterhaltsvergleich aufrecht geblieben wäre; der Beklagte hatte die Behauptung, die Klägerin unterhalte eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann, auch schon vor der Klagsänderung vorgebracht; eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung dar Verhandlung war also nicht zu besorgen. Mittlerweile hatte der Erstrichter übrigens bereits verschiedene Beweise durchgeführt.
Die weitere Erklärung der Klägerin bei der Tagsatzung vom 20. Februar 1956, für den Fall, daß auch das seinerzeitige Scheidungsurteil für nichtig erklärt würde, stütze sie das Klagebegehren auf den aufrechten Bestand der Ehe, stellt wiederum eine bedingte Prozeßhandlung dar und ist daher unbeachtlich. Ob eine solche neuerliche Klagsänderung zuzulassen wäre, wenn das Scheidungsurteil tatsächlich als nichtig aufgehoben würde, ist derzeit nicht zu prüfen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)