Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der Beklagten die mit 9.887,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.647,90 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Margaretha J*** war seit 7.6.1979 bei der Klägerin mit dem PKW, polizeiliches Kennzeichen G 26.084, gegen Haftpflicht versichert. Mit diesem PKW verschuldete Rene G*** am 16.4.1985 einen Verkehrsunfall. Die Klägerin mußte als Haftpflichtversicherer wegen des Verkehrsunfalles 251.919 S an Schadenersatzleistungen erbringen, deren Rückersatz sie von der Beklagten mit der Behauptung begehrt, zum Unfallszeitpunkt sei eine Folgeprämie trotz qualifizierter Mahnung und Ablaufs der gesetzten Nachfrist nicht zur Gänze bezahlt gewesen.
Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren abgewiesen, wobei sie von folgendem wesentlichen Sachverhalt ausgingen:
Die Jahresprämien waren jeweils zum 1.5. eines jeden Jahres fällig. Mit Anfang 1985 erfolgte eine Prämienerhöhung um 163 S, die von der Beklagten, zusammen mit der am 1.5.1985 fälligen Folgeprämie am 30.4.1985 überwiesen wurde. Die Höhe dieser Folgeprämie betrug
6.859 S. Bezüglich des Erhöhungsbetrages von 163 S war die Versicherungsnehmerin qualifiziert gemahnt worden. Diese Mahnung hat sie am 22.3.1985 persönlich übernommen. Welche Umstände dazu geführt haben, daß die Einzahlung des Betrages von 167 S (163 S + Mahngebühr) erst am 30.4.1985 erfolgte, konnte nicht aufgeklärt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt war es nie zu einem Verzug oder zu Schwierigkeiten mit der Versicherung gekommen.
Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Rückstandes (nur 2,43 % der Jahresprämie) verstoße das Beharren der Klägerin auf der Leistungsfreiheit gegen Treu und Glauben.
Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Daß das Beharren auf der durch einen Verzug gemäß § 39 VersVG eingetretenen Leistungsfreiheit gegen Treu und Glauben verstoßen kann, ist in der Literatur und Judikatur (Prölls-Martin VVG24, 259 Bruck-Möller VVG I8 505 VersR 1963, 376 ua) der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich anerkannt. Auch die österreichische Judikatur hat dies nicht grundsätzlich verneint, sondern vielmehr in einer Entscheidung (VersR 1973, 977) einen Verstoß gegen Treu und Glauben durch die Geltendmachung der Leistungsfreiheit nur mit der Begründung verneint, der dortige Prämienrückstand sei nicht geringfügig gewesen, weil er 20 % der Prämie betragen habe. Daraus kann aber geschlossen werden, daß der damals erkennende Senat die Verwirkung des Regreßanspruches wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben nicht grundsätzlich ausschließen wollte.
Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht das Versicherungsverhältnis im besonderen Maße (SZ 53/130, JBl. 1980, 535, VersR 1978, 752 ua). Natürlich lassen sich keine endgültigen und verbindlichen Regeln darüber aufstellen, in welchen konkreten Fällen ein Verstoß gegen Treu und Glauben anzunehmen ist. Vielmehr werden für eine diesbezügliche Beurteilung die Umstände des Einzelfalles von ausschlaggebender Bedeutung sein. Es ist daher nicht entscheidend, daß die in der deutschen Literatur beispielsweise angeführten Fälle mit dem vorliegenden nicht identisch sind. Vielmehr mußte der vorliegende Fall selbständig dahin geprüft werden, ob man hier einen Verstoß des Versicherers gegen Treu und Glauben annehmen kann.
Grundsätzlich hat der Versicherer Anspruch auf rechtzeitige Bezahlung der Prämie in voller Höhe. Gerade die Bestimmung des § 39 VersVG soll dazu dienen, diesen Anspruch zu sichern. Demnach wird der Versicherer nur in Ausnahmsfällen gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn er die aus § 39 VersVG abzuleitende Rechtsfolge für sich in Anspruch nimmt. Geringfügigkeit eines Rückstandes für sich allein wird diese Konsequenz im allgemeinen nicht bewirken. Weder eine absolute noch eine relative Geringfügigkeit muß ein ausreichendes Argument für die Verweigerung des dem Versicherer zustehenden Rechtes sein. Bleibt beispielsweise der Versicherungsnehmer öfter mit geringen Prämienteilen in Verzug, so muß der Versicherer dies nicht hinnehmen. In einem solchen Fall wird sich der Versicherungsnehmer keinesfalls auf Treu und Glauben berufen können.
Im vorliegenden Fall ist jedoch davon auszugehen, daß die Versicherungsnehmerin jahrelang ihren Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag ordnungsgemäß nachgekommen ist. Bei dem vorliegenden Verzug handelt es sich um einen einmaligen, der noch dazu einen sowohl absolut als auch relativ geringen Betrag zum Gegenstand hatte. Natürlich hat die Versicherungsnehmerin den gesamten eingemahnten Betrag nicht bezahlt, doch haben die Vorinstanzen mit Recht diesen Betrag in Relation zu der gesamten Versicherungsprämie gesetzt, weil es sich hiebei schließlich nur um einen Teil dieser Prämie gehandelt hat. Schon die Tatsache, daß ein Versicherungsnehmer, der Jahre hindurch pünktlich seinen Verpflichtungen nachgekommen ist, einmal eine geringfügige Nachforderung nicht sofort beachtet, mußte der Versicherer in Richtung eines einmaligen Versehens deuten. Hiezu kommt, daß es sich nicht um einen Teil der ursprünglichen Prämie gehandelt hat, sondern um einen Prämienteil, der erst durch eine im Laufe des Versicherungsjahres entstandene Prämienerhöhung entstanden ist. Demnach fällt das Übersehen einer solchen Nachforderung wesentlich geringer ins Gewicht als das Übersehen einer Prämie, mit der man bereits aufgrund des Versicherungsvertrages rechnen mußte. Weiter kommt hinzu, daß die Nachforderung relativ knapp vor dem Fälligwerden der nächsten Folgeprämie entstanden ist. Auch für den Versicherer war es daher naheliegend, daß der Versicherungsnehmer offensichtlich die Nachforderung und die Mahnung nicht in ihrer vollen Tragweite verstanden hat, sondern der Meinung war, hier handle es sich um einen geringfügigen Betrag, der mit der nächsten Prämie einzuzahlen sei. Tatsächlich hat die Versicherungsnehmerin den Rückstand auch mit der nächsten Prämie bezahlt. Bei dieser Sachlage kann nur davon ausgegangen werden, daß die geringfügige Verzögerung mit einem unwesentlichen Teil der Versicherungsprämie, der noch dazu erst gegen Ende eines laufenden Versicherungsjahres entstanden ist, für den Versicherer keine erhebliche Rolle spielte und daß er diesen Verzug ohne weiters in Kauf genommen hätte. Es widerspricht in einem solchen Fall aber Treu und Glauben, wenn der Versicherer einen knapp nach Ablauf der gesetzten Frist, aber nur kurz vor der tatsächlichen Einzahlung der gesamten nächsten Folgeprämie und des Rückstandes erfolgten Unfall nicht decken will, wobei er die offensichtlich für ihn bisher unerhebliche Verzögerung als Begründung für seine auf Leistungsfreiheit gestützte Weigerung heranzieht.
Aus diesen Erwägungen erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob der Versicherungsnehmerin vor der Mahnung überhaupt die Bekanntgabe der Prämienerhöhung zugekommen ist. Diesbezüglich fehlt es an Feststellungen. Würde man nicht bereits aufgrund der oben angestellten Erwägungen zu der Klagsabweisung gelangen, müßte geklärt werden, ob die Versicherungsnehmerin vor der Mahnung überhaupt von der Prämienerhöhung in Kenntnis gesetzt worden ist, weil ein Vorgehen nach § 39 VersVG das vorangegangene Nichtzahlen einer Folgeprämie voraussetzt. Der Versicherer ist nicht berechtigt, zugleich mit der Fälligstellung einer Prämienerhöhung durch deren Bekanntgabe auch das Verzugsverfahren des § 39 VersVG in Gang zu setzen. Vielmehr ist der Verzug Voraussetzung für das Verfahren nach § 39 VersVG. Im Hinblick auf die oben zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht erübrigt sich allerdings eine Klärung dieser Frage im tatsächlichen Bereich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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