Spruch:
Der Haftpflichtversicherer ist nicht wegen Verletzung der "Führerscheinklausel" leistungsfrei, wenn die zunächst für einen längeren Zeitraum ausgesprochene Entziehung der Lenkerberechtigung nachträglich auf einen Zeitraum beschränkt wurde, der schon vor dem Versicherungsfall endete, selbst wenn dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zukam
Ungeachtet der Frage genereller Bindung der Gerichte an Erkenntnisse der Verwaltungsbehörden handelt es sich bei der Entziehung der Lenkerberechtigung um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, dessen Überprüfung durch das Gericht ausgeschlossen ist
Der Versicherer kann auf die Rechtsfolgen der Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VersVG verzichten oder diese Frist verlängern
OGH 18. Feber 1982, 7 Ob 3/82 (OLG Linz 2 R 139/81; LG Salzburg 7 Cg 522/79)
Text
Der Kläger, dem mit Bescheid vom 23. 12. 1974 die Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 und 2 KFG für die Zeit vom 7. 1. 1974 bis 7. 1. 1976 unter Versagung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels entzogen worden war, verschuldete am 2. 2. 1975 in alkoholverdächtigem Zustand einen schweren Verkehrsunfall und verweigerte die Blutabnahme. Vom Strafgericht wurde der Kläger wegen dieses Verkehrsunfalls nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB rechtskräftig verurteilt. Überdies verhängte die Verwaltungsbehörde eine Geldstrafe wegen Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO (Fahren im alkoholisierten Zustand) und eine weitere Geldstrafe wegen der Verwaltungsübertretung nach § 64 Abs. 1 KFG (Fahren ohne Lenkerberechtigung). Schließlich entzog die Verwaltungsbehörde dem Kläger auf Grund des vorliegenden Unfalles neuerlich die Lenkerberechtigung für den Zeitraum bis 8. 1. 1983. Der beklagte Haftpflichtversicherer machte Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. b und c AKHB wegen der Obliegenheitsverletzungen der Alkoholisierung und des Fahrens ohne Lenkerberechtigung geltend und setzte dem Kläger mit Schreiben vom 21. 3. 1975 eine Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VersVG.
Alle angeführten Verwaltungsbescheide wurden in der Folge aufgehoben oder geändert. Die erste Entziehung der Lenkerberechtigung wurde von der Berufungsbehörde mit Bescheid vom 3. 12. 1975 auf die Zeit bis 7. 1. 1975 (also vor dem Unfall) beschränkt; die zweite Entziehung (wegen des vorliegenden Unfalles) wurde einerseits verkürzt und andererseits dahin korrigiert, daß die Entziehungsfrist erst mit 3. 2. 1975 (dem Tag nach dem Unfall) zu laufen beginnt. Der VwGH hob die wegen Fahrens ohne Lenkerberechtigung verhängte Geldstrafe wegen Rechtswidrigkeit auf, weil seit dem Eintritt der Rechtskraft der Einschränkung des seinerzeitigen Entziehungsbescheides davon auszugehen sei, daß dem Kläger die Lenkerberechtigung ab dem 7. 1. 1975 wieder zugekommen sei (VwSlg. 9669/A); die Geldstrafe wegen Fahrens im alkoholisierten Zustand wurde im Schuldausspruch bestätigt, im Strafausspruch aber ebenfalls als rechtswidrig aufgehoben, weil bei der Strafbemessung zu Unrecht auf das Fahren ohne Lenkerberechtigung Rücksicht genommen worden sei. Innerhalb der von der beklagten Partei gesetzten Klagefrist erhob der Kläger am 19. 9. 1975 beim Bezirksgericht die Deckungsklage. Um die Sache vor den Gerichtshof zu bringen, erklärte die beklagte Partei am 10. 10. 1979 ihr Einverständnis, die im ersten Ablehnungsschreiben gesetzte Frist bis 31. 12. 1979 zu verlängern. Darauf zog der Kläger die erste Klage ohne Verzicht auf den Anspruch zurück und brachte sie am 28. 12. 1979 beim Erstgericht neuerlich ein.
Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren auf Feststellung der Deckungspflicht zur Gänze ab. Sie vertraten die Meinung, daß dem Kläger im Zeitpunkt des Versicherungsfalles entgegen der Ansicht des VwGH die Lenkerberechtigung gefehlt habe; überdies hielt der Erstrichter die Feststellung der Alkoholisierung des Klägers im Bescheid der Verwaltungsbehörde für maßgebend; das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, daß die Klage auch verfristet sei, weil die erst nach Ablauf der Klagefrist zugestandene Verlängerung am Verlust des Deckungsanspruches nach § 12 Abs. 3 VersVG nichts habe ändern können.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers teilweise Folge und änderte das Berufungsurteil dahin ab, daß die beklagte Partei unter Abweisung des Mehrbegehrens auf Feststellung der gänzlichen Deckungspflicht schuldig sei, der Klägerin aus dem Schadensfall für alle bereits bestehenden und künftigen Forderungen geschädigter Dritter Versicherungsschutz iS der KFZ-Haftpflichtversicherungsbedingungen bis zum Gesamtbetrag von 30 000 S zu gewähren.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Eine Präklusion des Klagsanspruches nach § 12 Abs. 3 VersVG hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, ob nach ungenütztem Ablauf der Frist eine Verlängerung zugestanden werden kann, weil der Kläger die erste Frist eingehalten und die erste Klage rechtzeitig überreicht hat. Damit hat er seinen Anspruch gewahrt. Wenn die Parteien im Zug jenes Rechtsstreites zwecks Ermöglichung der Anrufung des Gerichtshofes die Verlängerung der Frist vereinbarten, wurde damit nicht eine abgelaufene Frist neu eröffnet, sondern die gewahrte Frist verlängert. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Vorgangsweise bestehen keine Bedenken, zumal der Versicherer, in dessen Interesse das Gesetz die Fristsetzung gestattet, nach allgemeiner Meinung auf diese Position verzichten kann (Prölss - Martin, VVG[22] 131 mwN), und es geradezu gegen Treu und Glauben verstieße, wenn er (was hier gar nicht geschehen ist) unter den gegebenen Umständen die Präklusion der zweiten Klage einwendete.
Es kann auch nicht der Beurteilung der Vorinstanzen gefolgt werden, daß der beklagte Versicherer wegen Verletzung der "Führerscheinklausel" leistungsfrei sei. Ungeachtet der Frage genereller Bindung der Gerichte an Erkenntnisse der Verwaltungsbehörden handelt es sich bei der Entziehung der Lenkerberechtigung um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, dessen Überprüfung durch das Gericht schon wegen des Grundsatzes der Gewaltentrennung jedenfalls ausgeschlossen ist (vgl. Fasching, Sind die Gerichte an präjudizielle Bescheide der Verwaltungsbehörde gebunden? JBl. 1976, 557, 561). Wenn daher hier die Verwaltungsbehörde im Rechtsmittelweg die vor diesem Unfall ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides auf einen Zeitraum beschränkt hat, der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles bereits beendet war, dann steht nunmehr für das Gericht bindend fest, daß dem Kläger im Zeitpunkt des Unfalles die Fahrerlaubnis nicht gefehlt hat. Daran kann es nichts ändern, daß wegen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde damals die Fahrerlaubnis als entzogen anzusehen war. Die vom Berufungsgericht angeführten, im übrigen noch zur alten Rechtslage nach dem KFG 1955 ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes ZVR 1961/240 und Slg. 5897/A betreffen Fälle, in denen die (vorläufige) Entziehung (noch) aufrecht war. Nach deren rechtskräftiger Aufhebung hingegen kann (bei einer hier zuletzt bloß vorläufigen Entziehung, nach deren Ablauf der Führerschein gemäß § 74 Abs. 2 KFG dem Besitzer auf Antrag wieder auszufolgen ist) ein unberechtigtes Lenken rückschauend nicht mehr vorliegen. Aus der Aufhebung des verwaltungsbehördlichen Schuldspruches nach § 64 Abs. 1 KFG durch den VWGH wegen Rechtswidrigkeit folgt aber auch das Fehlen der Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB, weil diese Leistungsfreiheit nach der den AKHB zugrunde liegenden Verordnungsermächtigung des § 60 Abs. 2 Z 4 b KFG eine Verletzung des § 64 Abs. 1 KFG voraussetzt.
Die weiters eingewendete Leistungsfreiheit des Versicherers nach Art. 6 Abs. 2 lit. c AKHB würde nicht nur gemäß Art. 6 Abs. 3 AKHB die - allerdings infolge Aufrechterhaltung des Schuldspruches nach § 5 Abs. 1 StVO vorliegende - Feststellung der Alkoholisierung in einem rechtskräftigen Bescheid einer Verwaltungsbehörde voraussetzen, sondern überdies die hier fehlende zivilgerichtliche Feststellung eines tatsächlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustandes (RZ 1974/37 ua.); überdies wäre die Leistungsfreiheit aus diesem Grund nach Art. 6 Abs. 3 AKHB mit 30 000 S begrenzt.
Eine Verfahrensergänzung in diesem Sinn erübrigt sich jedoch, weil die beklagte Partei zulässigerweise (ZVR 1970/9 ua.) auch die Leistungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 2 Z 2 AKHB durch Verweigerung der verlangten Blutabnahme geltend gemacht und der Kläger in dieser Richtung den Beweis fehlenden Vorsatzes (SZ 46/104; ZVR 1978/327 ua.) nicht einmal angeboten, sondern bloß mangelnde Kausalität repliziert hat. Darauf kommt es aber nach § 6 Abs. 3 VersVG bei vorsätzlicher Verletzung einer vom Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllenden Obliegenheit nicht an. Andererseits ist aber auch hier, weil nichts anderes als die Alkoholisierung in Frage stehen kann, die Leistungsfreiheit auf den Betrag von 30 000 S beschränkt (ZVR 1978/267 ua.).
Nur wegen Verweigerung der Blutabnahme ist daher die Klage bis zum Betrag von 30 000 S nicht berechtigt, darüber hinaus aber wohl.
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