OGH 7Ob37/94

OGH7Ob37/9422.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Heinz Ortner, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagte Partei P***** Kreditversicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Otto Ortner ua Rechtsanwälte in Wien, wegen S 1,859.761,40 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23.Juni 1994, GZ 5 R 317/93-20, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 28.September 1993, GZ 13 Cg 131/92-13, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenkosten erster Instanz.

Text

Begründung

Unstrittig ist, daß die Klägerin bei beklagten Versicherung bereits am 7.6.1990 eine Kreditversicherung gegen politische Risken für Ungarn (richtig für Lieferungen an das ungarische Unternehmen O*****) gegen Ausfälle an Forderungen aus Lieferungen und Dienstleistungen, unter anderem auch bei Vertragsbruch durch einen öffentlichen Vertragspartner abschloß. Die Beklagte kündigte diese Versicherung (vertragsgemäß) zum 31.12.1990 aufgrund geänderter Risikoeinschätzung auf. Die Parteien ersetzten in der Folge die gekündigte Versicherung durch eine neue mit Gültigkeit ab 1.1.1991. Danach betrug die Versicherungssumme 5 Mill.S und die zu zahlende Höchstentschädigung 4,5 Mill.S. Auch diesem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kreditversicherung gegen politische Risken und die Zusatzbedingungen in der Fassung vom 30.5.1990 zugrunde. Der § 2 Z 5 dieser Allgemeinen Versicherungsbedingungen lautet: "Der Versicherungsfall tritt bei Vorliegen eines der nachstehenden Tatbestände ein, soferne diese oder deren Folgen bis zum Ende der Wartefrist andauern: ... 5. Vertragsbruch durch einen öffentlichen Vertragspartner; ..." (Der weitere nicht festgestellte, aber unstrittige Wortlaut der §§ 7 und 8 der Versicherungsbedingungen für die Kreditversicherung gegen politische Risken [Seite 51 ff der Beilage./A] lautet auszugsweise: § 7 Anzeige und Verhaltenspflichten:

1. Der Versicherungsnehmer hat alle ihm bei Beantragung des

Versicherungsschutzes bekannten sowie die ihm anschließend bekannt

werdenden Umstände, die für die Beurteilung des versicherten Risikos,

insbesondere der Rechtsgültigkeit, Gesetzeskonformität und

Durchsetzbarkeit der versicherten Forderung sowie für die Beurteilung

aller hinsichtlich der versicherten Forderung Verpflichteten

erheblich sein können, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen... 2.

Der Versicherungsnehmer hat unverzüglich den Eintritt eines der im §

8 genannten Ereignisse schriftlich anzuzeigen... § 8

Versicherungsfall: Der Versicherungsfall tritt bei Vorliegen eines der nachstehenden Tatbestände ein, soferne diese oder deren Folgen bis zum Ende der Wartefrist andauern: 1. Krieg ..., 2. Bürgerkrieg, Aufstand, Aufruhr und Revolution; 3. Behördliche Maßnahmen, die den Transfer oder die freie Verfügung über die dem Versicherungsnehmer zustehende Geldforderung beschränken, behindern oder verhindern; 4. Verzug beim Devisentransfer, soferne der private Abnehmer sämtlichen vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen ist, und nachgewiesen ist, daß der Erlag des entsprechenden Gegenwertes in der Landeswährung innerhalb von 90 Tagen ab ursprünglich vertraglicher Fälligkeit erfolgt ist; ... Im Zweifelsfall obliegt dem Versicherungsnehmer der Nachweis, daß der Versicherungsfall eingetreten ist, daß kein Risikoausschluß vorliegt und daß er allen gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen ist. Punkt 7 der Zusatzbedingungen zum Versicherungsschein Nr. 800.023 lautet:

Privatisierung: Für den Fall der Privatisierung eines als öffentlich zu qualifizierenden Abnehmers, ist der Vertragsbruch für danach ausgeführte Lieferungen nicht mehr vom Versicherungsschutz umfaßt [§ 2 Nr.5 der AVB-IAP]). Punkt 2 der Zusatzbedingungen bestimmt: "Bei Gefahrenerhöhung oder aus sonstigen ihm berechtigt erscheinenden Gründen kann der Versicherer jederzeit für den betroffenen Kunden die Versicherungssumme herabsetzen oder den Versicherungsschutz aufheben. Diese Maßnahme des Versicherers wird wirksam mit Zugang der schriftlichen Mitteilung beim Versicherungsnehmer. Der bedingungsgemäß bestehende Versicherungsschutz für die bis zum Eingang der Mitteilung beim Versicherungsnehmer entstandenen Forderungen aus Warenlieferungen und erbrachten Dienstleistungen bleibt unberührt." Der Begriff "öffentlicher Vertragspartner" wird weder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen noch in den Zusatzbedingungen definiert.

Mit Schreiben vom 15.4.1991 teilte die Beklagte der Klägerin mit, "daß im Rahmen dieses Versicherungsvertrages die Deckung der Zahlungsunfähigkeit nur solange gegeben ist, als der ungarische Staat für die von O***** eingegangenen Verpflichtungen die Haftung übernimmt". Darauf und auf weitere Schreiben reagierte die Klägerin immer mit dem Hinweis, daß es sich bei O***** um einen Staatsbetrieb handle. Am 27.6.1991 empfahl die Beklagte der Klägerin Lieferungen an die Firma O***** nur mehr gegen Bankgarantie und bot für neue Lieferungen einen Versicherungsschutz bis maximal S 250.000,-- an. Das gewünschte bestätigende Antwortschreiben erging jedoch nicht. Mit Schreiben vom 2.10.1991 hob die Beklagte die Versicherungssumme unter Berufung auf Punkt 2 der Zusatzbedingungen auf und forderte die Klägerin zur Bekanntgabe ihrer Forderung binnen acht Wochen auf. Am 11.10.1991 erstattete die Klägerin daraufhin aufgrund von O***** verursachter Forderungsausfälle eine Schadensanzeige in Höhe von S 3,303.926,-- bei der Beklagten. Darauf leistete die Beklagte lediglich einen Ersatzbetrag von S 997.672,-- an die Beklagte, verweigerte aber die Bezahlung der Forderung aus den Lieferungen ab dem 4.6.1991. Die Klagsforderung entspricht unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes den tatsächlich noch offenen Forderungen gegen O*****.

Unstrittig ist, daß die Beklagte der Klägerin den Versicherungsvertrag (vertragsgemäß) mit Schreiben vom 25.10.1991 zum 31.12.1991 aufgekündigt hat und daß im Jänner 1992 das Liquidationsverfahren über die Firma O***** eröffnet worden ist.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes die Vergütung der von O***** nicht bezahlten Rechnungen in Höhe von S 1,859.761,40.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, daß sie aufgrund der dem Versicherungsschein angeschlossenen Zusatzbedingungen berechtigt gewesen sei, bei Gefahrenerhöhungen oder aus sonstigen ihr wichtig erscheinenden Gründen den Versicherungsschutz jederzeit herabzusetzen oder aufzuheben. Eine solche Maßnahme werde mit Zugang dieser Mitteilung beim Versicherungsnehmer wirksam. Die Klägerin sei schon bei Vertragsabschluß im Juni 1990 darauf hingewiesen worden, den Status der Firma O***** als eines öffentlichen Vertragspartner zu prüfen. Die Beklagte habe in der Folge wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß die Versicherung nur für einen öffentlichen Vertragspartner gelte, für den der ungarische Staat die Haftung übernehme. Es sei der Klägerin mit Begleitschreiben vom 15.4.1991 eine abgeänderte Versicherungspolizze ausgehändigt worden. Die Klägerin habe zwar Bestätigungen vorgelegt, wonach die Firma O***** nach wie vor verstaatlicht sei, doch habe früher eine de facto-Haftung für sie seitens des ungarischen Staates bestanden, die im Zuge der Demokratisierung dieses Landes aber rückgängig gemacht worden sei. Damit sei O***** einer privaten Firma gleichgestellt worden. Für eine solche Firma bestehe aus einem Versicherungsvertrag gegen politische Risken kein Versicherungsschutz mehr. Infolge Aufhebung der Versicherungssumme mit Schreiben vom 2.10.1991 seien die danach erfolgten Lieferungen der Klägerin im Wert von S 495.000,-- jedenfalls nicht mehr gedeckt gewesen. Weiters seien gemäß Punkt 3.2 der Zusatzbedingungen ab Überschreitung des äußersten Kreditzieles künftige Lieferungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen gewesen. Das äußerste Kreditziel zwischen Fakturierung und Zahlung habe vier Monate betragen. Da eine am 21.2.1991 von der Klägerin fakturierte Lieferung bis zum 21.6.1991 nicht bezahlt worden sei, sei für die Lieferung vom 3.12.1991 auch gemäß Punkt 3.2 dieser Zusatzbedingungen der Versicherungsschutz ausgeschlossen. Für die vor dem 15.4.1991 durchgeführten Lieferungen habe die Beklagte bereits einen Betrag von S 997.672,-- vor Klagseinbringung bezahlt.

Darauf replizierte die Klägerin, aufgrund der geänderten Risikoeinschätzung sei es schon ab 1.1.1991 zu einer Erhöhung der Prämien gekommen. Für die Qualifikation der Firma O***** als eines öffentlichen Vertragspartners sei nur maßgeblich, in wessen Eigentum das Unternehmen gestanden sei. Die im Schreiben der Beklagten vom 15.4.1991 gebrauchte Wendung sei nicht Vertragsbestandteil geworden. Nach Übermittlung einer Schadensaufstellung durch die Klägerin habe die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 2.10.1991 offenbar versucht, die Versicherung aufzuheben. Dieses Schreiben sei aber mangelhaft, "weil die Aufhebung der Versicherungssumme in keiner Weise begründet" worden sei. In der Folge habe die Beklagte die Vereinbarung zum 31.12.1991 aufgekündigt. Es wäre daher auch die letzte Lieferung vom 3.12.1991 zumindest mit einem Teilbetrag von S 250.000,-- gedeckt.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Bezahlung eines Teilbetrages von S 1,364.761,40 sA und wies das Mehrbegehren von S 495.000,-- sA ab. Es stellte außer dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, daß bei Vertragsabschluß der Begriff "öffentlicher Vertragspartner" nicht erläutert worden sei. Es sei lediglich darauf hingewiesen worden, daß O***** ein Staatsunternehmen sein müsse. Auch im Schreiben vom 7.6.1990 habe die Beklagte die Klägerin lediglich zur Beobachtung der Eigentümerstruktur der Firma O***** aufgefordert. Einen Hinweis auf die Voraussetzung einer Haftung des Staates für den Versicherungsschutz enthalte dieses Schreiben ebenfalls nicht. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß § 2 Z 5 der AVB-IAP (der inhaltsgleich ist mit § 8 Z 5 der der Polizze angeschlossenen Versicherungsbedingungen für die Kreditversicherung gegen politische Risken, S 51 ff der Beilage ./A) die dort erwähnte Haftung für einen "öffentlichen Vertragspartner" nicht näher umschreibe. Dies sei aber ohne weitere Bedeutung, weil eine Versicherung für den Fall, daß der Staat ohnedies die Haftung für Forderungsausfälle übernehme, geradezu sinnlos wäre. Gemäß § 914 ABGB habe die Klägerin auf den objektiven Sinn des Textes vertrauen und davon ausgehen dürfen, daß ein Staatsbetrieb als öffentlicher Vertragspartner anzusehen sei. Auch nach § 915 zweiter Fall ABGB gehe die Auslegung zum Nachteil der Beklagten. Der Vertrag sei daher so zustandegekommen, wie ihn die Klägerin verstehe. Eine einseitige Änderung durch die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 15.4.1991 sei nicht zulässig. Der Beklagten wäre es vielmehr offen gestanden, den Vertrag zu kündigen und der Klägerin einen neuen Vertrag unter Klarstellung des Begriffes "öffentlicher Vertragspartner" anzubieten. Da die Beklagte lediglich das Kreditlimit unter Aufrechterhaltung des sonstigen Vertrages geändert habe, hafte sie auch für die nach dem 15.4.1991 erfolgten Lieferungen der Klägerin an O*****. Für die Lieferung vom 3.12.1991 bestehe jedoch keine Deckung, da die Beklagte zuvor die Versicherungssumme aufgehoben habe. Dazu sei sie gemäß Punkt 2 der Zusatzbedingungen zum Versicherungsschein berechtigt gewesen. Es bestehe auch keine Deckung für diese Lieferung bis zu S 250.000,--, weil dieses Anbot von der Klägerin nicht angenommen worden sei. Das Mehrbegehren von S 495.000,-- sei daher abzuweisen gewesen. Die Änderung der politisch-wirtschaftlichen Einstellung des ungarischen Staates und der dadurch bewirkte Entfall der Haftung zugunsten der verstaatlichten Unternehmen stelle gerade ein mit einem Versicherungsvertrag gegen politische Risken abgedecktes Risiko dar.

Das Berufungsgericht hob über die Berufungen beider Parteien dieses Urteil auf und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Ohne die von der beklagten Partei gegen die Feststellung, daß über den Begriff des öffentlichen Vertragspartners nichts gesprochen worden sei, erhobene Rüge und die an deren Stelle gewünschte Feststellung, daß vereinbart worden sei, daß es sich dabei um ein Unternehmen handeln müsse, für das der Staat hafte, abschließend zu behandeln, kam das Berufungsgericht rechtlich zum Ergebnis, daß es allein aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 15.4.1991 zu einer wirksamen Änderung des Versicherungsvertrages gekommen sei, die sich die Klägerin aufgrund der von ihr akzeptierten Versicherungsbedingungen wie schon bei der Aufkündigung des ersten Vertrages gefallen lassen müsse. Der Inhalt des letztzitierten Schreibens wäre eine ausreichende Sachgrundlage für die rechtliche Beurteilung, weil aus Punkt 7 der Zusatzbedingungen hervorgehe, daß ein privatisiertes Unternehmen nicht mehr unter den Versicherungsschutz falle. Zu Recht rüge die Beklagte, daß die aus den vorgelegten Beilagen in diese Richtung zu treffende Feststellung unterblieben sei und daher das Ersturteil an einem Mangel leide, der einer erschöpfenden rechtlichen Beurteilung entgegenstehe. Das Erstgericht werde daher mit den Parteien zunächst den Punkt 7 der Zusatzbedingungen zu erörtern und danach Feststellungen zu treffen haben, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer Privatisierung der Firma O***** im Sinne der Zusatzbedingungen eingetreten sind. Eine Verschärfung der Versicherungsbedingungen, so wie dies durch das Schreiben vom 15.4.1991 von der Beklagten gegenüber der Klägerin vorgenommen worden sei, sei rechtlich unbedenklich, weil Beschränkungen der Vertragsfreiheit, die das Versicherungsvertragsgesetz sonst vorsehe, gerade für die Kreditversicherungen nicht zu gelten hätten. Eine derartige Abänderung des Vertrages wäre nach Ansicht des Berufungsgerichtes gerechtfertigt, wenn sich die Qualifikation des öffentlichen Vertragspartners gegenüber dem ersten Versicherungsabschluß im Juni 1990 derart geändert haben sollte, daß nunmehr die Haftung des ungarischen Staates für das verschuldete verstaatlichte Unternehmen weggefallen sei. Demgemäß hätte ab Zugang des Schreibens der Beklagten vom 15.4.1991 bei der Klägerin für alle folgenden Lieferungen kein Versicherungsschutz mehr bestanden, wohl aber für die davor vorliegenden. Da der vorliegende Sachverhalt auch keine ausreichende Grundlage dafür biete, welche Warenlieferungen vor und welche nach diesem Zeitpunkt erfolgt seien, leide das Erstgericht an einem weiteren Mangel, der einer abschließenden Beurteilung entgegenstehe. Da die Berufung der Beklagten im Sinn ihres Aufhebungsantrages gerechtfertigt sei, müsse auch der Berufung der Klägerin ein Erfolg zukommen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die Urkundenauslegung fällt zwar grundsätzlich in die rechtliche Beurteilung, dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn zur Auslegung des Urkundeninhaltes auch die über die Absicht der Parteien durchgeführten Beweise herangezogen worden sind (vgl. MGA ZPO14 § 498/127 f sowie Kodek in Rechberger ZPO § 498 Rz 2). Die Feststellung des Erstgerichtes aufgrund der als glaubwürdig beurteilten Aussage des Zeugen R*****, daß über den Begriff eines öffentlichen Vertragspartners nichts gesprochen worden sei (sodaß ihm die Begriffsauslegung durch die beklagte Partei fremd geblieben sei), steht tatsächlich in einem gewissen Widerspruch zu dem Punkt 7 der der Klägerin zugegangenen Zusatzbedingungen im Zusammenhalt mit der Liquidation des ungarischen Unternehmens O*****. Dem Aufhebungsantrag des Berufungsgerichtes haftet daher in diesem Punkt kein Mangel an. Inwieweit wirksame oder unwirksame mündliche Nebenabreden zwischen den Vertragsteilen getroffen worden sind, hat das Erstgericht allenfalls erst im folgenden Verfahren zu beurteilen. Bereits jetzt sei darauf hingewiesen, daß solchen mündlichen Nebenvereinbarungen trotz der zwingend vorgesehenen Schriftform Gültigkeit zukommen kann.

Richtig ist, daß grundsätzlich neue AVB des Versicherers keine

Änderung bestehender Versicherungsverträge bewirken. Nach der

Rechtsprechung ermöglicht aber eine vorweg erteilte Zustimmung des

Versicherungsnehmers Änderungen, mit denen der Versicherungsnehmer

rechnen mußte. Für das Versicherungsrecht gilt an und für sich, daß

Risikoausschlüsse, die schon bei Vertragsabschluß nach § 879 Abs.3

ABGB nichtig sind, weil sie der Deckungserwartung, die der

Versicherungsnehmer aufgrund der primären Risikobeschreibung hat,

erheblich widersprechen, nicht durch ein nachträgliches

Änderungsrecht zum Vertragsbestandteil gemacht werden können (vgl.

Schauer, Einführung in das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 276 mwN). Nach § 187 Abs.1 VersVG gelten die Beschränkungen der Vertragsfreiheit dieses Gesetzes nicht für die Kreditversicherung. Darüber hinaus waren die Versicherungsverträge der Streitteile revolvierend, d.h. es handelte sich um laufende Versicherungen (vgl. dazu 7 Ob 35/94).

Der wirtschaftliche Zweck einer Vertragsbestimmung ist dann zugunsten des Versicherers bei der Auslegung zu berücksichtigen, wenn er gegenüber dem Versicherungsnehmer auch zum Ausdruck kommt (vgl. Prölss-Martin, VVG25, 29). Forderungsausfälle von Exportfirmen können sowohl wirtschaftliche als auch politische Gründe haben. Um wirtschaftliche Gründe handelt es sich dann, wenn der Importeur oder ausländische Abnehmer zahlungsunfähig wird. Das vom Versicherer übernommene sogenannte politische Risiko sichert den Exporteur gegen Gefahren ab, wenn er aufgrund politischer Umstände im Exportland keine Zahlung erhält (vgl Wagner, Die Kreditversicherung3, 71 ff; Graf in ÖBA 1992, 1005 [1013], Sieg in ZVers.Wiss 511 ff [522], Spohr ÖBA 1962, 211 ff). Solche Umstände können in einem Kriegsausbruch, einem Streik, in Transfer oder Konvertierungsverboten, Moratorien, Zahlungsverboten, Einfuhrverboten, Embargos u.ä. oder einem Entzug der Importlizenz bestehen bzw hiedurch hervorgerufen werden. Die Behauptung der Klägerin, daß eine Versicherung, wenn der Staat ohnedies für sein Unternehmen hafte, für sie sinnlos wäre, trifft daher bei Berücksichtigung dieser Erwägungen nicht zu. Dementsprechend muß es einem Versicherer bei politischen Umwälzungen, die er als Gefahrenerhöhung oder als Veränderung der Geschäftsgrundlage wertet, gestattet sein, seinen bisherigen Versicherungsschutz, besonders wenn er für eine ausländische Importfirma im Gebiet der sg. Reformstaaten abgegeben worden ist, von sich aus durch Kündigung oder durch Herabsetzung der Versicherungssumme zu beenden, um sich vor daraus ergebenden, möglicherweise ungerechtfertigten, Versicherungsansprüchen seiner Versicherungsnehmer bzw den daraus erwachsenden Beweisschwierigkeiten zu schützen. Dies mußte auch dem Versicherungsnehmer aufgrund der besonderen Lagerung des versicherten Risikos schon bei Vertragsabschluß klar sein. Daß der Versicherer nicht verpflichtet ist, diese seine Vorgangsweise gegenüber dem Versicherungsnehmer zu begründen, ist rechtlich nicht bedenklich, weil die im Ausland sich ergebenden Veränderungen wohl nicht immer präzise erfaßbar sein werden und Auseinandersetzungen darüber mit dem in diesem Versicherungszweig bekanntermaßen gegebenen sehr hohen Risiko für den Versicherer mit dem wirtschaftlichen Zweck des Versicherungsvertrages nicht in Einklang zu bringen sind. Die rechtlichen Möglichkeiten, die sich der beklagte Versicherer in den dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen eingeräumt hat, halten insoferne einer Geltungskontrolle nach § 864a ABGB stand, sie wären, sollte sich der Versicherungsnehmer des versicherten Risikos auch nicht voll bewußt gewesen sein, durch die widerspruchslose Annahme des Versicherungsanbotes zum Vertragsgegenstand geworden, dies auch dann, wenn der Versicherungsnehmer diese Bedingungen nicht gelesen hat (vgl. Rummel in Rummel ABGB2 § 864a Rz 2 ff).

Bei chronologischer Betrachtung der vorgelegten Urkunden ergibt sich,

daß nach Abschluß des zweiten Versicherungsvertrages zuerst von der

beklagten Versicherung mit Schreiben vom 11.4.1991 das Kreditlimit

per 1.2.1991 herabgesetzt wurde, dann das bereits zitierte Schreiben

vom 15.4.1991 (= Beilage./4) erging und diesem ein neuer

Versicherungsschein datiert mit 19.4.1991 (Beilage./5) folgte (=

Beilage A S.29 bis 34; die genannten Urkunden wurden möglicherweise gemeinsam zugestellt ["...übermitteln wir Ihnen beiliegend..."]). Bereits im Schreiben vom 15.4.1991 und auch in der Folgekorrespondenz wird immer wieder auf bisher vom Beweisverfahren nicht erfaßte davor stattgefundene Gespräche zwischen den Repräsentanten der Streitteile hingewiesen. Vorläufig steht aber nur fest, daß beiden Versicherungsscheinen, also jenem vom 12.11.1990 und dem zuvor zitierten Versicherungsschein vom 19.4.1991, die bereits erwähnten Zusatzbedingungen zugrundelagen. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes kommt daher der Frage, ob und welche Gespräche die Beteiligten vor dem Schreiben vom 15.4.1991 geführt haben und welche Auffassung über den Begriff des öffentlichen Vertragspartners Vertragsgrundlage geworden sind, sehr wohl rechtserhebliche Bedeutung zu. Insbesondere wird das Erstgericht festzustellen haben, ob die beklagte Versicherung mit dem beschriebenen Vorgang den zweiten Versicherungsvertrag durch einen neuen (dritten) ersetzt haben wollte, welche Gründe hiefür maßgeblich waren und ob es zu einer Kündigung des zweiten Versicherungsvertrages bzw. zu dessen Novation oder überhaupt zu keiner Willenseinigung hierüber gekommen ist. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichtes über die der beklagten Versicherung in den Bedingungen eingeräumten Möglichkeiten zur Vertragsgestaltung treffen nicht voll zu. Die beklagte Versicherung hat sich zwar das jederzeitige Recht, die Versicherungssumme bis auf Null herabzusetzen (und damit den Versicherungsschutz auf eine bestimmte Zeit herab- bzw. auszusetzen) in den Bedingungen eingeräumt, für eine darüber hinausgehende Möglichkeit, das versicherte Risiko auf Dauer zu ändern, fehlen entsprechende Vertragsbestimmungen. Das Berufungsgericht übersieht bei seiner Beurteilung, daß bei derartigen Vertragsbestimmungen, die einem Vertragsblankett gleichkämen, grundsätzlich eine einschränkende Auslegung geboten ist (vgl. Rummel in Rummel ABGB2, § 864a Rz 13 sowie § 914 Rz 4 ff).

Soweit die Rekurswerberin in diesem Zusammenhang vermeint, ihr sei im Schreiben vom 15.4.1991 eine "unmögliche Bedingung" (Beibringung einer Haftungserklärung des ungarischen Staates) gesetzt worden, ist sie darauf hinzuweisen, daß sie sich in einem solchen Fall im Zweifel auch gegen das kommerzielle Risiko mit einer Versicherung abzusichern gehabt hätte, weil ihr die Vorgänge in Ungarn nicht verborgen geblieben sein können.

Ob für die Firma O***** im Zeitpunkt ihrer Insolvenz noch eine de facto-Haftung des ungarischen Staates bestand, diese aber aus politischen Gründen nicht eingelöst wurde, wird die klagende Partei nach § 8 Z 5 der AVB (inhaltsgleich mit § 2 Z 5 der AVB-IAP) zu beweisen haben. Für die Annahme einer Deckung müßte festgestellt werden, wie es mit der Haftung des ungarischen Staates bei Abschluß der beiden ersten Verträge im Jahr 1990 bestellt war und daß sich an dieser Haftungslage nichts geändert hat. Erst wenn solche Beweisergebnisse vorliegen, wird es an der beklagten Versicherung liegen, zu deren Widerlegung zu beweisen, daß die Firma O***** im Zeitpunkt ihrer Zahlungsunfähigkeit bereits "privatisiert" war, d.h. gleich einem in privater Hand stehenden Unternehmen ein Insolvenzverfahren mit nur anteiliger Deckung durchzuführen war oder durchgeführt worden ist. Gelingt der klagenden Partei der zuvor erwähnte Beweis nicht, so wurden von der beklagten Versicherung ab 15.4.1991 zu Recht keine Versicherungsleistungen mehr erbracht. Dies beträfe außer der Forderung vom 3.12.1991 die Forderungen vom 4. bis 10.6.1991 (d.s. jene nach dem 15.4.1991, siehe Beilage A Blatt 15). Die Forderung vom 3.12.1991 wäre darüber hinaus im Falle des Zutreffens der Behauptung der beklagten Versicherung, es wäre das äußerste Kreditziel bereits überschritten gewesen (Punkt 3.2. der Zusatzbedingungen), nicht mehr von der Versicherung umfaßt. Allerdings fehlen auch hier, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, Feststellungen. Auch die Auflösungserklärung laut Beilage 7 vom 2.10.1991 wäre im Hinblick auf Punkt 2 der Zusatzbedingungen insoweit gerechtfertigt, jedoch ist die Zitierung mit "§ 8 Z 6" verfehlt und wurde die "berichtigende" Feststellung der ersten Instanz in der Berufung der Klägerin angefochten, ohne daß das Berufungsgericht dazu Stellung genommen hat.

Eine im übrigen nicht festgestellte Forderung der beklagten Versicherung nach Ablieferung der Quartalsmeldungen durch die Klägerin stünde zur Herabsetzung der Versicherungssumme in keinem Widerspruch, da es sich dabei um eine gesonderte Vertragsverpflichtung der Klägerin handelt, die den beklagten Versicherer allein in die Lage versetzt, den korrekten Ablauf einer laufenden Versicherung zu kontrollieren.

Obwohl das Berufungsgericht den rechtlichen Erklärungswert des Schreibens vom 15.4.1991 möglicherweise rechtlich unzutreffend beurteilt hat, entspricht der dem Erstgericht erteilte Aufhebungsantrag der Rechtslage.

Da, wie bereits zuvor dargelegt, die Beklagte nicht für die Gründe, warum ihrer Ansicht nach die Grundlagen des Versicherungsvertrages nicht mehr gegeben sind, auskunftspflichtig ist, kann die Frage, warum die Beklagte Lieferungen der Klägerin bis zum 4.6.1991 als vom versicherten Risiko gedeckt und danach nicht mehr beurteilt hat, ebenso ungeklärt bleiben, warum die beklagte Partei erst mit Schreiben vom 2.10.1991 die Versicherungssumme herabgesetzt hat.

Aus allen diesen Gründen war dem Rekurs der Klägerin gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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