Spruch:
Eine im Zeitpunkt der Eheschließung bereits bestehende oder in ihrer Anlage schon vorhandene Geisteskrankheit bildet nur dann einen Eheaufhebungsgrund, wenn sie unheilbar oder ihre Heilung hochgradig unwahrscheinlich ist
OGH 9. Jänner 1975, 7 Ob 297/74 (OLG Wien 4 E 132/74; LGZ Wien 31 Cg 168/72)
Text
Der am 10. Mai 1937 geborene Kläger und die am 10. Jänner 1936 geborene Beklagte haben am 31. Oktober 1964 ihre beiderseits erste Ehe geschlossen, aus der das am 16. Mai 1965 geborene Kind Peter stammt. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger und hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Wien.
Mit seiner beim Erstgericht am 17. Mai 1971 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Aufhebung seiner Ehe mit der Beklagten und den Ausspruch, daß diese an der Eheaufhebung schuldig sei. Die Beklagte habe bereits vor ihrer Eheschließung an einer Geisteskrankheit (Schizophrenie) gelitten und diesen Umstand dem Kläger verschwiegen, der bei Kenntnis dieser Erkrankung mit der Beklagten die Ehe nicht eingegangen wäre. Die eheliche Gemeinschaft mit der Beklagten habe der Kläger deshalb aufgehoben, weil ihm ein weiteres Zusammenleben mit ihr nicht mehr zumutbar gewesen sei. Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und behauptete ihrerseits, daß der Kläger von ihrer Erkrankung bereits vor der Eheschließung Kenntnis gehabt und daher eine allfällige Verschlechterung derselben in Kauf genommen habe. Der Kläger habe außerdem nach Eintritt der Verfahrensruhe in dem gegenständlichen Rechtsstreit (9. Juni 1971) mit der Beklagten die Ehe fortgesetzt, weshalb eine Eheaufhebung auch aus diesem Gründe ausgeschlossen sei. Schließlich sei die vom Kläger begehrte Aufhebung seiner Ehe mit der Beklagten auch sittlich nicht gerechtfertigt, weil diese auf den Beistand des Klägers angewiesen sei, der am 1. September 1972 die eheliche Gemeinschaft eigenmächtig aufgehoben habe.
Das Erstgericht wies die Aufhebungsklage ab und traf folgende Feststellungen:
Bei einem stationären Aufenthalt der Beklagten in der Psychiatrischneurologischen Universitätsklinik in Wien vom 25. November 1963 bis 25. Jänner 1964 wurde deren Erkrankung an Schizophrenie festgestellt.
Die Beklagte wurde über die Art ihrer Erkrankung nicht informiert und glaubte daher, daß bei ihr ein Nervenleiden (Nervenzusammenbruch) bestehe. Wohl wurden die Verwandten der Beklagten über die Natur ihrer Erkrankung in Kenntnis gesetzt. Im Mai 1964 lernten die Streitteile einander auf Grund eines Heiratsinserates kennen und beschlossen schon nach kurzer Bekanntschaft einander zu heiraten, als die Beklagte im August 1964 schwanger geworden war. Über Rat ihrer Angehörigen informierte die Beklagte den Kläger darüber, daß sie nervenkrank sei.
Der Kläger bemerkte hierauf jedoch unter dem Eindruck des scheinbar ungestörten Verhaltens der Beklagten, da könnte er ja auch selbst nervenkrank sein. Der Kläger wußte auch auf Grund einer Mitteilung der Schwester der Beklagten von deren stationärer Behandlung in den Jahren 1963/1964. In der Folge verlief das Eheleben der Streitteile nach Geburt des ehelichen Kindes von verschiedenen Kleinigkeiten abgesehen im wesentlichen harmonisch. Im Laufe des Jahres 1969 stellten sowohl der Kläger als auch Familienangehörige der Beklagten bei dieser eine deutliche Wesensveränderung fest, die sich in einer gewissen Verwirrtheit und Zerfahrenheit äußerte. Die Beklagte blickte oft längere Zeit verträumt vor sich hin und zeigte wenig Freude an der Erfüllung ihrer Hausfrauenpflichten. Im Mai 1970 nahm diese Wesensveränderung der Beklagten wieder akute Formen an. Sie litt damals wieder an Wahnideen, die bereits im November 1963 zu ihrer stationären Behandlung geführt hatten. Die Familie der Beklagten drängte daher auf eine neuerliche stationäre Behandlung in der psychiatrisch-neurologischen Universitätsklinik in Wien. Der Kläger wehrte sich zunächst dagegen und wollte vorerst die Notwendigkeit einer solchen Einweisung überlegen. Er las im "Brockhaus" nach und kam laienmäßig auf Grund der Krankheitserscheinungen der Beklagten zu dem Ergebnis, daß deren Krankheitsbild der Schizophrenie einzuordnen sei. Er gab daher seine Zustimmung zur Einweisung der Beklagten in die vorgenannte Klinik, die am 21. Mai 1970 erfolgte. Eine Nachfrage bei den behandelnden Ärzten brachte dem Kläger die Gewißheit, daß die Beklagte an Schizophrenie leidet und für eine Besserung wenig Aussicht bestehe. Nach der Entlassung aus der Klinik am 8. Juni 1970 unterzog sich die Beklagte im Rehabilitationszentrum Maria-Lanzendorf einer mehrwöchigen Injektionskur. Nach der Entlassung der Beklagten gestaltete sich die Ehe der Streitteile weiterhin glücklich und harmonisch. Es bestand zwischen den Ehegatten das beste Einvernehmen. Im Jahre 1971 trat ein neuerlicher Rückfall ein, bei dem sich die bei der Beklagten bereits im Mai 1970 aufgetretenen Krankheitserscheinungen wiederholten. Der behandelnde Hausarzt veranlaßte daher im Einverständnis mit der Beklagten deren neuerliche Einweisung in die Psychiatrisch-neurologische Universitätsklinik in Wien, in der sie in der Zeit vom 25. Jänner bis 4. Feber 1971 stationär behandelt wurde. Im Anschluß daran wurde die Beklagte abermals einige Wochen lang im Rehabilitationszentrum Maria-Lanzendorf weiter behandelt. Nach ihrer Entlassung machte sie dem Kläger immer wieder Vorwürfe, daß er sein Versprechen, sie nicht mehr in Anstaltspflege zu geben, nicht eingehalten habe und er daher an ihrer neuerlichen Klinikeinweisung schuld sei. Ab Feber 1971 steht die Beklagte in dauernder ärztlicher Behandlung. Seit Dezember 1971 ist sie als Vertragsbedienstete im Bundesministerium für Soziale Verwaltung tätig. Sie ist seit April 1973 nur mehr teilzeitbeschäftigt mit einem Monatsnettogehalt von 2.000 S. Im Mai 1972 kam es zwischen den Streitteilen wegen der Erziehung ihres damals sieben Jahre alten Kindes zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich der Klager unmutsvoll äußerte, es wäre ihm lieber, wenn der Bub nicht da wäre. Die Beklagte entgegnete hierauf, es wäre ihr lieber, wenn der Kläger verschwände. Im August 1972 befand sich die Beklagte mit ihrem Sohn, ihrer Schwester und deren Ehegatten auf einem gemeinsamen Urlaub im Burgenland. Bei ihrer Rückkehr am 1. September 1972 fand sie eine schriftliche Mitteilung des Klägers vor, daß er nach reiflicher Überlegung aus der ehelichen Wohnung ausgezogen sei. Seither lebt der Kläger von seiner Familie getrennt. Am 9. Juni 1971 trat in dem vorliegenden Rechtsstreit Ruhen des Verfahrens ein. Am 4. September 1972 beantragte der Kläger die Fortsetzung des ruhenden Verfahrens. Am 16. September 1972 tauschte er auf dem Gelände des Großmarktes in Vösendorf in einem PKW mit Johanna H Zärtlichkeiten aus. Die Genannte erwartete ihn auch am 22. September 1972 nach Arbeitsschluß und tätigte anschließend gemeinsam mit ihm auf der Mariahilfer Straße Einkäufe. Bei dieser Gelegenheit zeigten sich die beiden einander auffallend zugetan. Einige Zeit später brachte der Kläger Johanna H zu ihrer Mutter nach A, wo sich die beiden längere Zeit hindurch aufhielten.
Die Beklagte leidet seit etwa 1961 an Schizophrenie. Da diese Geisteskrankheit im Zeitpunkte der Eheschließung der Streitteile keine manifesten Formen angenommen hatte, mußte sie weder der Beklagten bekannt gewesen sein, noch war sie für den Kläger erkennbar.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Kläger die Beklagte in der Meinung geheiratet habe, sie sei geistig gesund. Wäre ihm daher deren Geisteskrankheit bekannt gewesen, so hätte ihn dies von einer Eheschließung abgehalten. Die Geisteskrankheit der Beklagten stelle daher einen Eheaufhebungsgrund nach § 37 Abs. 1 EheG dar, den der Kläger frühestens drei Tage vor der Klinikeinweisung der Beklagten (21. Mai 1970) entdeckt habe. Die einjährige Klagefrist des § 40 Abs. 1 EheG sei daher gewahrt. Da jedoch der Kläger bereits nach Entdeckung seines Irrtums bis etwa 1971 die Ehe mit der Beklagten im wesentlichen normal fortgesetzt habe, sei die von ihm begehrte Eheaufhebung nach § 37 Abs. 2 EheG ausgeschlossen. Das Aufhebungsbegehren des Klägers sei aber auch sittlich nicht gerechtfertigt, weil dieser durch seine Ende August 1972 erfolgte eigenmächtige Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft und seine ehewidrigen Beziehungen zu Johanna H schwere Eheverfehlungen begangen habe, die die Beklagte berechtigen würden, die Scheidung ihrer Ehe aus dem Verschulden des Klägers zu begehren. Schließlich sei im Hinblick auf die eingetretene Verfahrensruhe vom 9. Juni 1971 bis 3. September 1972 der Eheaufhebungsanspruch des Klägers auch unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 1497 ABGB verjährt.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es teilte zwar nicht die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Klagsanspruch verjährt sei, weil es sich bei der Frist des § 40 Abs. 1 EheG um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handle, auf welche die Vorschriften über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung nicht anzuwenden seien, war jedoch im übrigen der Auffassung, daß der Kläger nach Entdeckung seines Irrtums (Geisteskrankheit der Beklagten) seinen Willen zur Fortsetzung der Ehe dadurch zu erkennen gegeben habe, daß er mit der Beklagten nach deren Entlassung aus der Klinik im Sommer 1970 weiterhin glücklich und harmonisch zusammengelebt habe. Auch der Umstand, daß der Kläger im gegenständlichen Rechtsstreit am 9. Juni 1971 Ruhen des Verfahrens eintreten ließ und dessen Fortsetzung erst am 4. September 1972 beantragte, spreche dafür, daß er den Willen zur Fortsetzung der Ehe hatte. Die vom Kläger begehrte Eheaufhebung sei daher im Sinne des § 37 Abs. 2 EheG ausgeschlossen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge; er hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Revisionsverfahren ist nur bestritten, ob der Revisionswerber nach Entdeckung seines Irrtums zu erkennen gegeben hat, daß er die Ehe fortsetzen wolle. In dieser Richtung bekämpft der Revisionswerber mit Recht die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die von ihm begehrte Aufhebung seiner Ehe mit der Beklagten schon deshalb ausgeschlossen sei, weil sich nach deren Entlassung aus der Klinik im Sommer 1970 das Eheleben der Streitteile weiterhin harmonisch und glücklich gestaltet habe. Die Bestätigung einer nach § 37 Abs. 1 EheG aufhebbaren Ehe ist nämlich nur dann anzunehmen, wenn dem Irrenden nicht nur sein Irrtum bewußt wurde, sondern darüber hinaus noch der Umstand, daß dieser Irrtum eine Aufhebung der Ehe rechtfertigt. Dem Irrenden müssen daher nicht nur die die Aufhebung begrundenden Tatsachen, sondern auch deren Tragweite und Auswirkungen bekannt geworden sein (Hoffmann - Stephan, Komm. z. EheG[2], 319; Schwind in Klang[2] I/1, 669; 6 Ob 259, 262/69, zuletzt 6 Ob 43/71). Während des Klinikaufenthaltes der Beklagten im Jahre 1970 wurde der Revisionswerber von den behandelnden Ärzten darüber informiert, daß seine Gattin an Schizophrenie leidet und für eine Besserung wenig Aussicht bestehe. Da die Ärzte nicht von vornherein die Erkrankung der Beklagten als unheilbar bezeichneten, konnte der Revisionswerber hoffen, daß eine wenn auch geringe Heilungsaussicht bestehe. Einen Eheaufhebungsgrund bildet aber eine im Zeitpunkt der Eheschließung bereits bestehende oder in ihrer Anlage schon vorhandene Geisteskrankheit nur dann, wenn sie unheilbar oder ihre Heilung hochgradig unwahrscheinlich ist (Schwind in Klang[2] I/1, 680). Dies mußte aber der Revisionswerber im Hinblick auf die ihm von den behandelnden Ärzten erteilte Auskunft nicht annehmen. Zu dem vorgenannten Zeitpunkt waren ihm daher die die Eheaufhebung begrundeten Tatsachen noch nicht in ihrer vollen Tragweite und ihren vollen Auswirkungen bekannt. Wenn daher der Revisionswerber die Ehe mit der Beklagten nach deren Entlassung aus der Klinik im Sommer 1970 fortsetzte, so kann darin entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichtes eine Bestätigung seiner Ehe im Sinne des § 37 Abs. 2 EheG nicht erblickt werden.
Ob die begehrte Eheaufhebung deswegen ausgeschlossen ist, weil der Revisionswerber auch nach Eintritt der Verfahrensruhe seinen Willen zur Fortsetzung der Ehe mit der Beklagten zu erkennen gegeben hat, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden, weil die Unterinstanzen zu dem in dieser Richtung erstatteten Vorbringen der Streitteile nur völlig unzureichende Feststellungen getroffen haben. Das angefochtene Urteil mußte daher mangels Spruchreife der Aufhebung verfallen. Da es zur Klärung der Sach- und Rechtslage einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, war auch das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen (§ 510 ZPO).
Das Erstgericht wird daher über die Gestaltung der ehelichen Beziehungen der Streitteile nach Klagserhebung und die Ursachen für die eingetretene Verfahrensruhe im Sinne der vorangehenden Ausführungen ergänzende Feststellungen zu treffen und zu diesem Zweck sein Beweisverfahren zu ergänzen haben. Sollte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang eine Bestätigung seiner aufhebbaren Ehe durch den Revisionswerber verneinen, so wird es auch die sittliche Rechtfertigung des Eheaufhebungsbegehrens zu prüfen haben. Hiebei wird das Erstgericht unter Berücksichtigung der bisherigen Gestaltung des Ehelebens der Streitteile von der in der Lehre im wesentlichen übereinstimmenden Rechtsansicht auszugehen haben, daß einem Eheaufhebungsbegehren dann die sittliche Rechtfertigung mangelt, wenn der Aufhebungsgrund im Laufe der Jahre seine Bedeutung verloren oder wenn er sich auf die Gestaltung der Ehe in keiner Weise ungünstig ausgewirkt hat (Hoffmann - Stephan, 320; Godin, EheG[2], 96; vgl. auch 1 Ob 331/59, zuletzt 7 Ob 395/65). Bei der Beurteilung der sittlichen Rechtfertigung eines Aufhebungsbegehrens spielt nämlich der Gedanke der Bewährung des beklagten Ehegatten eine entscheidende Rolle (Schwind in Klang[2] I/1, 68). Hingegen ist ein Ausschluß des Aufhebungsbegehrens wegen mangelnder sittlicher Rechtfertigung nicht schon dann anzunehmen, wenn die Aufhebung der Ehe den beklagten Ehegatten hart oder besonders haß treffen würde, weil die Härteklausel des § 54 EheG im Wortlaut des § 37 Abs. 2 EheG keine Aufnahme gefunden hat. Daraus kann aber geschlossen werden, daß § 37 Abs. 2 EheG nicht auf den Ausgleich von Härtefällen, sondern darauf abstellt, ob sich die Ehe bewährt bzw. der beklagte Ehegatte in der Ehe bewährt hat (1 Ob 331/59; vgl. auch Hoffmann - Stephan, 322). Das Erstgericht wird daher allenfalls auch ergänzende Feststellungen im Sinne der vorangehenden Darlegungen und zur Behauptung des Revisionswerbers, daß ihm eine Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft mit der Beklagten im Hinblick auf deren Erkrankung nicht mehr zumutbar gewesen sei, zu treffen haben. Erst dann wird das Erstgericht über das Aufhebungsbegehren verläßlich absprechen können. Daß der Revisionswerber in seiner Revisionsschrift nur einen Abänderungsantrag gestellt hat, hindert nicht eine Aufhebung der Urteile der Untergerichte, weil dieser eine solche in sich schließt (EvBl. 1955/188).
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