Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil einschließlich der unangefochtenen Teile lautet:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 327.867,-- samt 4 % Zinsen aus S 366.667,-- vom 30.9.1994 bis 8.2.1995, aus S 304.867,-- vom 9.2.1995 bis 30.1.1996 und aus S 327.867,-- seit 31.1.1996 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei dem Kläger für seine künftigen Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall haftet, der sich am 10.6.1994 auf der Fahrt von L***** nach S***** im Gemeindegebiet von S***** ereignet hat, soweit diese Ansprüche aus unfallskausalen Dauer- und (oder) Spätfolgen resultieren, wobei die Haftung im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrages betreffend den PKW mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** und bis zur Höhe der gesetzlichen oder einer höheren vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme beschränkt ist.
Hingegen wird das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, dem Kläger S 325.400,-- samt 4 % Stufenzinsen zu zahlen, abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 88.932,94 (darin enthalten S 11.732,82 USt und S 18.536,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz und die mit S 23.150,-- (darin enthalten S 1.650,-- USt und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war Eigentümer und Halter eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs, den er am 10.6.1994 seiner Bekannten Gabriele S***** zum Lenken überließ. Sie wollte nach S***** fahren, um sich dort für den Posten einer Kellnerin zu bewerben. Ihr war mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G***** die Lenkerberechtigung für die Dauer vom 1.4.1993 bis 22.2.1996 entzogen worden. Der Kläger fragte Gabriele S***** vor Fahrtantritt nicht danach, ob sie (noch) einen Führerschein besitze. Er ließ sich auch keinen Führerschein vorweisen. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Kläger wußte, daß Gabriele S***** keinen Führerschein besitzt. Der Kläger fuhr bei dieser Fahrt mit. Ihm selbst war im Jahr 1993 der Führerschein wegen Alkoholisierung abgenommen worden. Bei dieser Fahrt kam Gabriele S***** infolge überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und prallte mit dem PKW gegen einen Betonpfeiler. Der Kläger erlitt beim Unfall schwere Verletzungen, die Dauerfolgen nach sich zogen.
Der Kläger kannte Gabriele S***** seit etwa acht oder neun Jahren. In früheren Jahren bestand eine engere Bekanntschaft. In der Folge hatte der Kläger bis kurz vor dem Unfall drei Jahre hindurch keinen Kontakt zu Gabriele S*****. Er wußte, daß sie in früheren Jahren ein Suchtgiftproblem hatte und deshalb vor Gericht stand. Zumindest einmal ist er vor dem Unfall in einem von Gabriele S***** gelenkten PKW mitgefahren.
Der Kläger begehrte nach mehreren Klagsausdehnungen und -einschränkungen zuletzt insgesamt S 653.267, wobei sich dieser Betrag aus Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Zahnsanierungskosten und Pflegekostenersatz zusammensetzt, sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden. Vom Leistungsbegehren wurde eine im Laufe des Verfahrens geleistete Teilzahlung der beklagten Partei von S 253.333 und eine einvernehmlich aufgerechnete Gegenforderung der beklagten Partei von S 23.000 in Abzug gebracht.
Die beklagte Partei wendete ein, daß den Kläger ein Mitverschulden von einem Drittel treffe, weil er seinen PKW einer Person überlassen habe, die verkehrsunzuverlässig gewesen sei und weil er gewußt habe oder zumindest wissen hätte müssen, daß sie aus diesem Grund keine Lenkerberechtigung besitze. Weiters sei die beklagte Partei gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB bis zu S 100.000 leistungsfrei. Der Kläger habe nicht annehmen können, daß sich Gabriele S***** im Besitz einer Lenkerberechtigung befunden habe.
Das Erstgericht erkannte dem Kläger S 297.867 zu und gab dem Feststellungsbegehren in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang statt. Das Mehrbegehren wies es ab. Es erachtete ein Schmerzengeld von S 500.000, eine Verunstaltungsentschädigung von S 50.000 und einen Pflegekostenaufwand von S 45.000 für angemessen. Die Höhe der Zahnsanierungskosten stellte es mit S 79.200 fest. Es bejahte das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß § 6 Abs 2 Z 1 AKHB und somit die Leistungsfreiheit der Beklagten im Betrag von S 100.000. Da § 6 Abs 3 AKHB die Leistungsfreiheit mit diesem Betrag beschränke, sei es der beklagten Partei verwehrt, aus demselben Umstand ein weiteres Mitverschulden und eine weitere betragliche Kürzung abzuleiten.
Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil dahin ab, daß es dem Kläger S 151.817 sA zuerkannte, die Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden zu 3/4 feststellte und das Mehrbegehren abwies. Es trug der Berufung des Klägers teilweise Rechnung und erhöhte die Verunstaltungsentschädigung von S 50.000 auf S 80.000. Die Berufung der beklagten Partei erachtete es insoweit für berechtigt, als dem Beklagten 1/4 Mitverschulden anzulasten sei. Von der ebenfalls bejahten Obliegenheitsverletzung sei der Fall zu unterscheiden, daß den Geschädigten ein Mitverschulden gemäß § 1304 ABGB treffe, weil er sich einem unzuverlässigen Lenker anvertraut habe. So treffe etwa einen Fahrgast, der sich einem alkoholisierten Lenker anvertraut habe, wenn dieser Umstand erkennbar gewesen sei, ein Mitverschulden, das von der Judikatur in der Regel mit einem Viertel angenommen werde. Dasselbe gelte grundsätzlich auch bei fehlender Lenkerberechtigung. Das Wissen des Klägers von einem Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit einem Drogenproblem der Gabriele S***** hätte für den Kläger Grund genug sein müssen, sich von der Lenkerberechtigung der Gabriele S***** zu überzeugen oder nicht mit ihr mitzufahren.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision des Klägers, die sich (nur) gegen die Kürzung seiner Ansprüche um die Mitverschuldensquote von einem Viertel richtet und insbesondere auch die Abweisung von S 100.000 infolge Bejahung der Obliegenheitsverletzung gemäß § 6 AKHB unbekämpft läßt, ist zulässig und berechtigt.
Das Gericht zweiter Instanz hat zutreffend erkannt, daß die Frage, ob dem Versicherungsnehmer ein Verschulden im Sinn des § 6 Abs 2 Z 1 AKHB und damit die Verletzung einer Obliegenheit im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG anzulasten ist, von der Frage zu trennen ist, ob sich der Beifahrer ein eigenes Mitverschulden an seinen beim Unfall erlittenen Verletzungen anrechnen lassen muß.
Bei der Prüfung, ob der Versicherungsnehmer ohne Verschulden erkennen konnte, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken, ist nach ständiger Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen. Die bloße Behauptung des Fahrers, eine Lenkerberechtigung zu besitzen und auch die Beobachtung von früheren Autofahrten des Lenkers exculpieren den Versicherungsnehmer noch nicht (vgl ZVR 1970/139; ZVR 1977/28; ZVR 1992/103 ua). Kümmert sich der Beifahrer nicht darum, ob der Fahrer die Lenkerberechtigung besitzt, so nimmt er damit in Kauf, sich unter Umständen einem Fahrer ohne Lenkerberechtigung und damit einem nicht entsprechend ausgebildeten oder sonst im Straßenverkehr unzuverlässigen Fahrer anzuvertrauen. Das Maß seiner Sorglosigkeit ist aber dann ins Verhältnis zum Verschulden des Lenkers an einem den Beifahrer schädigenden Unfall zu setzen. Die Rechtsprechung hat unter bestimmten Voraussetzungen ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden des Beifahrers wegen fehlender Lenkerberechtigung bejaht, und zwar jeweils dann, wenn dieser Umstand dem Beifahrer bekannt gewesen war (vgl die Zusammenfassung der Rechtsprechung bei Reischauer in Rummel2 II, Rz 18b zu § 1304 ABGB). In ZVR 1985/115 hat der Oberste Gerichtshof ausgeführt, daß eine Verpflichtung, sich hinsichtlich der Lenkerberechtigung zu erkundigen, nicht bestehe, wenn nicht Gründe für einen konkreten Verdacht sprächen, daß dem Lenker die Berechtigung fehle.
Die Besonderheit des hier vorliegenden Falles liegt darin, daß Gabriele S***** die Lenkerberechtigung schon vor längerer Zeit erworben hatte und zu einer Zeit, als sie der Kläger kennenlernte, offenbar im Besitz einer solchen war. Die Berechtigung wurde ihr erst - befristet - entzogen, als der Kontakt mit dem Kläger für einige Jahre hindurch abgebrochen war. Das Wissen des Klägers um ein Gerichtsverfahren der Gabriele S***** im Zusammenhang mit ihren Suchtgiftproblemen "in früheren Jahren" mußte daher für ihn kein besonderer Anlaß sein, am aufrechten Bestehen der Lenkerberechtigung zu zweifeln. Selbst wenn man dem Kläger aber als Fahrlässigkeit anlastet, daß er sich angesichts der längeren Zeit, während der er keinen Kontakt zu Gabriele S***** hatte, und deren zumindest in früheren Jahren vorhandenen Suchtgiftproblemen nicht auf zielführende Weise um die Frage der Lenkerberechtigung gekümmert hat, tritt dieses Verhalten gegenüber dem gravierenden Verschulden der Gabriele S***** am Unfall - Abkommen von der Fahrbahn infolge überhöhter Geschwindigkeit - so weit in den Hintergrund, daß es zu vernachlässigen ist. Eine Kürzung der Ersatzansprüche des Klägers um eine Mitverschuldensquote in seiner Eigenschaft als Beifahrer ist daher hier nicht angezeigt.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz konnte aus dem Urteil des Erstgerichtes übernommen werden, weil der Kläger nur mit einem im Verhältnis zu seinen Gesamtansprüchen geringfügigen Teil (S 30.000,-- bei der Verunstaltungsentschädigung) im Rechtsmittelverfahren obsiegt hat, der überdies ermessensabhängig war. Dieselben Erwägungen führen zu einer Kostenaufhebung im Berufungsverfahren gemäß § 43 Abs 1 ZPO, weil beide Berufungen bei annähernd gleich hohem Berufungsinteresse im wesentlichen erfolglos blieben. Im Revisionsverfahren ist der Kläger jedoch zur Gänze mit seinem noch aufrecht erhaltenen Begehren durchgedrungen, sodaß ihm hiefür seine richtig verzeichneten Kosten gemäß §§ 41 und 50 ZPO zuzuerkennen waren.
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