OGH 7Ob273/98t

OGH7Ob273/98t11.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang V*****, vertreten durch Dr. Wolf-Georg Schärf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mag. Edith V*****, vertreten durch Dr. Paul Appiano und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen S 87.365,30 sA (Revisionsinteresse S 77.777,78), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. April 1998, GZ 37 R 245/98y-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 5. Jänner 1998, GZ 40 C 1543/97b-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.086,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.014,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 2. 2. 1994 verstorbene Erblasser hat die Beklagte, seine Ehefrau, als Universalerbin eingesetzt und seine drei Kinder, darunter den Kläger, auf den Pflichtteil beschränkt. Die bedingte Erbserklärung der Beklagten wurde vom Verlassenschaftsgericht am 4. 5. 1995 angenommen; weiters wurde ihr die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen. Mit Einantwortungsurkunde vom 20. 12. 1996 wurde der Beklagten der Nachlaß zur Gänze eingeantwortet. Der Nachlaß laut Inventar vom 10. 10. 1996 hatte - ohne Hinzurechnung des strittigen Aktivums von S 700.000 - S 113.935,89 betragen. Die Beklagte hatte bereits während des Verlassenschaftsverfahrens bestritten, daß diese S 700.000 zum Nachlaßvermögen gehören.

Die Beklagte hatte mit dem Erblasser bis zu dessen Tod in der Wohnung Wien 18, Schopenhauerstraße 14/6, im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Vermieter kündigte der Verlasssenschaft diese Wohnung ua mit der Begründung auf, daß eintrittsberechtigte Personen nach dem Tod des Mieters nicht vorhanden seien. Die Beklagte wurde zur Verlassenschaftskuratorin bestellt, um die Verlassenschaft in dem Kündigungsverfahren zu vertreten. Im Verfahren über die Aufkündigung schlossen die Verlassenschaft und der Vermieter (und dessen beigetretener Nebenintervenient) einen Vergleich, wonach sich die Verlassenschaft verpflichtete, die aufgekündigte Wohnung bis 30. 6. 1995 zu räumen, der Hauseigentümer und sein Nebenintervenient hingegen, der Verlassenschaft S 700.000 auf ein Konto der Beklagten nach Erfüllung der Räumungsverpflichtung der Verlassenschaft zu zahlen und der Beklagten darüber hinaus bis 30. 6. 1997 eine Ersatzunterkunft unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Es konnte nicht festgestellt werden, ob dieser Vergleich lediglich aus verfahrenstechnischen oder gebührenrechtlichen Gründen zwischen der Verlassenschaft und dem Vermieter abgeschlossen wurde. Am 2. 7. 1997 mietete die Beklagte eine andere Wohnung in Wien 18. Für die Übersiedlung und verschiedene Renovierungsarbeiten wendete sie S 100.000 auf.

Der Kläger begehrt von der Beklagten einen Pflichtteil in der Höhe von S 87.365,30. Ein Teil der Verlassenschaft, welche die Beklagte erhalten habe, sei auch die aufgekündigte Wohnung gewesen. Die Zahlung des Vermieters von S 700.000 auf das Konto der Beklagten sei dem reinen Nachlaß zuzurechnen, so daß dieser insgesamt S 786.287,69 betrage. Der Kläger habe als Pflichtteilsberechtigter Anspruch auf 1/9 dieses Betrages. Die Verlassenschaft werde bis zur wirklichen Zuteilung in Ansehung des Gewinnes und der Nachteile als ein zwischen den Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut betrachtet. Das Verlassenschaftsverfahren sei erst mit 20. 12. 1996 mit Einantwortung geschlossen worden.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Wohnung sei nicht in die Verlassenschaft gefallen, weil sie darin mit dem Erblasser im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Sie sei daher mit dem Tod des Erblassers in Sonderrechtsnachfolge in die Mietrechte eingetreten. Die Verlassenschaft hätte den Kündigungsprozeß gewonnen; bloß aus verfahrenstechnischen und gebührenrechtlichen Gründen sei der Vergleich zwischen dem Vermieter einerseits und der Verlassenschaft andererseits abgeschlossen worden, wobei die Verlassenschaft durch die Beklagte vertreten gewesen sei. Die Zahlung habe laut dem Vergleich ausdrücklich nicht an den Nachlaß, sondern auf das Privatkonto der Beklagten geleistet werden müssen. Diese Zahlung sei ein Äquivalent für die Ehewohnung der Beklagten gewesen. Auf diese Ehewohnung hätte der Kläger keinen Anspruch gehabt. Die Ablösezahlung dafür sei daher nicht dem Nachlaß zuzuschlagen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach dem Inhalt des Räumungsvergleiches sei der Betrag von S 700.000 der Verlassenschaft zugekommen, der Vergleich sei noch vor der Zuteilung des Pflichtteils abgeschlossen worden. Ob die Beklagte gemäß § 14 Abs 2 MRG in die Mietrechte des Erblassers eingetreten sei, könne dahingestellt bleiben, weil der Räumungsvergleich mit der Verlassenschaft und nicht mit der Beklagten als eingetretener Mieterin abgeschlossen worden sei. Daß dieser ein Scheingeschäft sei, könne die Beklagte dem Kläger nicht entgegensetzen. Der Pflichtteil des Klägers sei daher auch nach dieser Ablösezahlung zu berechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte den Zuspruch eines Betrages von S 9.587,52 sA und änderte hinsichtlich eines Betrages von S 77.777,78 sA das Urteil des Erstgerichts im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Aufgrund des im Kündigungsverfahren abgeschlossenen Vergleichs sei die Ablösezahlung an die Verlassenschaft zu erbringen gewesen. Sie habe lediglich mit schuldbefreiender Wirkung auf das Konto der Verlassenschaftskuratorin geleistet werden können. Die Beklagte habe sich im Vergleich nicht persönlich zur Räumung der Wohnung verpflichtet. Als Eintrittsberechtigte hätte sie trotz eines gegen die Verlassenschaft erlangten Räumungstitels das gemäß § 14 Abs 2 und 3 MRG erworbene Mietrecht mit einer Klage nach § 37 EO geltend machen können. Da die Beklagte im Kündigungsstreit nicht als Nebenintervenientin aufgetreten sei, sei der gegen die Verlassenschaft bestehende Räumungstitel gegenüber nicht vollstreckbar gewesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob im Kündigungsverfahren aufgrund des Vergleiches wirklich höhere Gerichtsgebühren aufgelaufen wären, hätte sich der Vermieter zur Zahlung der Ablöse nicht an die Verlassenschaft, sondern an die eintrittsberechtigte Beklagte verpflichtet. Daß die Parteien solcherart Gerichtsgebühren hätten sparen können, besage auch noch nicht, daß sie tatsächlich anstelle der im Vergleich klar zum Ausdruck gebrachten Begünstigung der Verlassenschaft in Wahrheit die Beklagte hätte begünstigen wollen. Gemäß § 784 ABGB sei der Pflichtteil unter Zugrundelegung der Nachlaßaktiva, das sei das frei vererbliche Vermögen des Erblassers, und der Passiva, das seien alle vererblichen Verbindlichkeiten des Erblassers sowie die Verbindlichkeiten, die mit dem Tod des Erblassers entstehen, zu berechnen. Das Vorausvermächtnis sei nicht als Passivum abzuziehen. Bei der Schätzung des Nachlasses sei auf den Todestag des Erblassers abzustellen, das Ergebnis dieser Schätzung sei der Ausgangspunkt für die Berechnung der Nachlaßpflichtteile. Allerdings nehme der Pflichtteilsberechtigte nach § 786 Satz 2 ABGB auch an der günstigen oder ungünstigen Entwicklung des Nachlasses zwischen Erbanfall und wirklicher Zuteilung teil. Unter Gewinn im Sinn des § 786 Satz 2 ABGB sei das Vermögen, das nach Abzug der Kosten und erlittenen Nachteile über den Hauptstamm zurückbleibe, zu verstehen. Der Pflichtteilsberechtigte sei an den wertmäßigen Änderungen der Verlassenschaftsmasse beteiligt, nicht aber an einzelnen Vermögensobjekten. Voraussetzung dieser Beteiligung am Gewinn sei aber, daß das Vermögen, um dessen Weiterentwicklung es gehe, im Nachlaß am Todestag vorhanden gewesen sei. Ein Mietrecht sei zwar grundsätzlich vererblich. Es stehe aber außer Streit, daß die Beklagte gemäß § 14 Abs 2 und Abs 3 MRG in den Hauptmietvertrag eingetreten sei. Damit sei eine unter Ausschluß der allgemeinen Erbfolge eintretende Sonderrechtsnachfolge in das Hauptmietverhältnis über die Wohnung des Erblassers von Todes wegen verbunden, und zwar auch ohne Willen der Begünstigten, lediglich auflösend bedingten durch eine binnen 14 Tagen abzugebende Erklärung des zum Eintritt Berufenen, das Mietverhältnis nicht fortsetzen zu wollen. Nach dem zwischen Vermieter und Verlassenschaft abgeschlossenen Vergleich sei der Verlassenschaft zwar eine Zahlung von S 700.000 zugekommen. Gehörten zum Nachlaß, von welchem ausgehend der Pflichtteil auszumessen sei, nur Forderungen, über welche der Erblasser frei zu vererben befugt gewesen sei, dann gehöre ein Mietrecht, das - allenfalls auch gegen den Willen des Verstorbenen - unter Ausschluß der allgemeinen Erbfolge automatisch mit dem Tod des Mieters auf den Eintrittsberechtigten übergehe, nicht zum Nachlaß im Sinne des § 784 ABGB. Zahlungen, die der Vermieter zur Abgeltung dieses Mietrechts an die Verlassenschaft erbringe, stellten dann keine Entwicklung bereits im Nachlaß vorhandenen Vermögens im Sinne des § 786 ABGB dar und seien bei der Pflichtteilsberechnung nicht zu berücksichtigen.

Die gegen den abändernden Teil dieses Urteils erhobene Revision des Klägers ist - entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung - zulässig im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehlt, wie Mietrechte des Erblassers an Bestandobjekten, die dem MRG unterliegen, bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen sind. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger vertritt in seiner Revision die Auffassung, daß die Ablösezahlung des Vermieters zufolge der Vererblichkeit des Mietrechts materiell den Wert der Verlassenschaft erhöht habe. Hier komme es maßgebend darauf an, daß die Beklagte auf ihr Mietrecht noch vor der wirklichen Zuteilung, nämlich der endgültigen Festsetzung des Pflichtteils, verzichtet habe. Bis dahin sei die Verlassenschaft in Ansehung des Gewinns und der Nachteile als ein zwischen dem Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut zu betrachten, so daß der Noterbe schuldrechtlich im Verhältnis seines Wertanspruchs an dieser Entwicklung des Nachlasses teilnehme. Dem kann nicht gefolgt werden:

Gemäß § 784 ABGB sind für die Pflichtteilsbemessung alle zur Verlassenschaft gehörenden beweglichen und unbeweglichen Sachen, alle Rechte und Forderungen, welche der Erblasser auf seine Nachfolger frei zu vererben befugt war, zu ermitteln; Schulden und andere Lasten, welche schon bei Lebzeiten des Erblassers auf dem Vermögen hafteten, werden von der Masse abgerechnet. Abzuziehen davon sind alle Lasten, die der Noterbe bei gesetzlicher Erbfolge tragen hätte müssen, also alle vererblichen Verbindlichkeiten des Erblassers (Erblasserschulden) und jene Verbindlichkeiten, die mit dem Tod des Erblassers entstehen (Erbfallsschulden), mit Ausnahme der dem letzten Willen entspringenden (Welser in Rummel, ABGB2 Rz 5 zu § 784). Nicht abzuziehen sind daher vor allem Vermächtnisse, davon vor allem das Vorausvermächtnis (§ 786 Satz 1 ABGB; Welser aaO Rz 8 zu § 784). Bis zur wirklichen Zuteilung ist die Verlassenschaft in Ansehung des Gewinns und der Nachteile als ein zwischen dem Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut zu betrachten (§ 786 Satz 2 ABGB). Kommt das gesetzliche Vorausvermächtnis der Ehewohnung nicht zum Tragen, wenn der überlebende Ehegatte das Wohnrecht schon auf andere Weise, zB als Erbe erwirbt, entfällt eine Schätzung dieses Rechts zum Zweck der Pflichtteilsbemessung (SZ 65/67). Das gesetzliche Vorausvermächtnis greift auch dann nicht ein, wenn der überlebende Ehegatte das Recht auf Benützung der Ehewohnung durch andere erbrechtliche Sonderregelungen (MRG, WEG, WGG) erwirbt (SZ 69/13).

§ 14 Abs 2 und 3 MRG sieht - wie schon zuvor § 19 Abs 2 Z 11 MG - eine kraft Gesetzes, also auch ohne Willen der Beteiligten eintretende Sonderrechtsnachfolge in das Hauptmietverhältnis über eine Wohnung mit dem Tod des Hauptmieters vor, sofern die Begünstigten nicht rechtzeitig erklärten, nicht eintreten zu wollen; es bedarf daher nicht zum Eintritt, sondern zu dessen Ausschluß einer Willenserklärung der Berufenen; durch den Eintritt werden die nach der allgemeinen Erbfolge Berufenen (sofern sie nicht zufällig eintrittsberechtigt sind) von der Rechtsnachfolge ausgeschlossen (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 9 zu § 14 MRG). Ist damit Noterben mangels der gesetzlichen Voraussetzungen des § 14 Abs 3 MRG der Einttitt in das Mietrecht verwehrt und erwerben Erben nicht kraft Einantwortung, sondern kraft mietrechtsgesetzlicher Sonderrechtsnachfolge die Mietrechte des Erblassers, dann zählt das dem MRG unterliegende Mietrecht nicht zu den frei vererblichen Rechten des § 784 ABGB, die der Bemessung des Pflichtteils als Aktivum zugrundezulegen sind.

Aber auch daraus, daß im vorliegenden Fall eine Ablöse für die Aufgabe der Mietrechte in einem gegen die Verlassenschaft geführten Kündigungsverfahren gezahlt wurde, ergibt sich nichts anderes. Behauptet der Vermieter, der den Tod des Mieters als Kündigungsgrund geltend macht, daß keine eintrittsberechtigten Personen vorhanden sind, dann kann er die Aufkündigung nur gegen die Verlassenschaft (nach der Einantwortung gegen die eingeantworteten Erben) richten; stellt sich im Prozeß heraus, daß dennoch eintrittsberechtigte Personen im Sinne des § 14 Abs 3 MRG vorhanden sind, dann ist diese Aufkündigung wegen mangelnder Passivlegitimation aufzuheben (Würth/Zingher aaO Rz 8 zu § 14 MRG). Der Eintrittsberechtigte kann die Vollstreckung einer gegen die Verlassenschaft dennoch rechtskräftig gewordenen Aufkündigung gegen sich durch eine Klage gemäß § 37 EO abwehren, wenn die gekündigte Verlassenschaft dieses Eintrittsrecht nicht geltend gemacht hat. Den Einwand der mangelnden Passivlegitimation hat die aufgekündigte Verlassenschaft im vorausgegangenen Kündigungsverfahren erhoben. Das Eintrittsrecht der Beklagten in die Mietrechte des Erblassers war demnach Gegenstand dieses Verfahrens. Da dieses Eintrittsrecht nach den vorliegenden Feststellungen aber auch tatsächlich gegeben war, konnte der Räumungsvergleich nur mit Zustimmung der Beklagten, die die Verlassenschaft in diesem Verfahren vertreten hat, durchgesetzt werden. Materiell wurde mit der vom Vermieter geleisteten Ablöse ein Anspruch der in das Mietrecht des Erblassers eingetretenen Beklagten abgegolten, was auch durch die Klausel dokumentiert wurde, daß schuldenbefreiende Zahlungen auf das Konto der Beklagten zu leisten sind. Eine Zuwendung dieser Zahlung an die Verlassenschaft ist damit nicht verbunden. Die Ablösezahlung hat daher bei der Bemessung des Pflichtteils des Klägers außer Betracht zu bleiben.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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