Normen
AKIB Art11 A I lit1d
AKIB Art11 A I lit1d
Spruch:
Wenn das Verhalten des Haarwildes Ursache für einen Verkehrsunfall war und eine Berührung des Fahrzeuges mit dem Wild stattgefunden hat, deckt die Wildschadenklausel der Kaskoversicherung alle Schäden am Kraftfahrzeug
OGH 11. Juni 1981, 7 Ob 25/81 (OLG Linz 2 R 27/81; LG Salzburg 11 Cg 439/79)
Text
Der Kläger stieß am 12. August 1978 mit seinem bei der Beklagten teilkaskoversicherten PKW gegen ein am linken Fahrbahnrand der N-Landesstraße befindliches Brückengeländer, wodurch an seinem Wagen Totalschaden entstand. Nach Art. 11 A I lit. 1 d der dem Versicherungsvertrag zugrunde gelegten Allgemeinen Bedingungen für die Kasko- und Insassen-Unfallversicherung von Kraftfahrzeugen und Anhängern (AKIB) umfaßt die Teilkaskoversicherung die Beschädigung oder die Zerstörung des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges aus der Berührung mit Haarwild auf einer öffentlichen Straße. Die Beklagte lehnte ihre Deckungspflicht aus der Teilkaskoversicherung für den vorgenannten Schadensfall ab.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, daß sein Anspruch aus der Teilkaskoversicherung gegenüber der Beklagten zu Recht bestehe. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß eine Berührung des Fahrzeuges des Klägers mit einem Haarwild (Reh) nicht stattgefunden habe. Für die durch das Ausweichmanöver des Klägers entstandenen Schäden mit Ausnahme der Bruchschäden an der Verglasung des Fahrzeuges bestehe keine Deckung durch die Teilkaskoversicherung.
Das Erstgericht wies die Klage ab und traf folgende für seine Entscheidung wesentliche Feststellungen:
Vor dem Unfall fuhr der Kläger mit seinem PKW mit Fernlicht mit einer Geschwindigkeit von zirka 80 km/h. Zirka 95 m vor dem vorgenannten Brückengeländer sah er in einer langgezogenen, leichten Rechtskurve ein von rechts aus einem einmundenden Weg schräg auf die Fahrbahn wechselndes Reh. Auf das plötzliche Auftauchen des Tieres reagierte der Kläger mit einem Verreißen seines PKW nach links. Dennoch prallte das Reh schräg gegen die rechte Seite seines PKW. Der Anprall verursachte jedoch keine Schäden an dem PKW des Klägers und hinterließ auch weder am Fahrzeug noch auf der Fahrbahn bzw. in deren Umgebung irgendwelche Spuren. Der Anstoß des Tieres gegen die rechte Seite des PKW des Klägers verursachte weder eine Beeinträchtigung der Fahrlinie noch eine Richtungsänderung noch ein Schleudern des Fahrzeuges. Nach dem Verreißen des Lenkrades, das schon vor dem Aufprall des Rehes erfolgte, gelang es dem Kläger nicht mehr, sein Fahrzeug nach rechts zu lenken. Er stieß daher in der Folge gegen das am linken Fahrbahnrand befindliche Brückengeländer.
Nach Ansicht des Erstgerichtes seien wohl Folgeschäden aus einem Unfall mit Haarwild vom Versicherungsschutz der Teilkaskoversicherung mitumfaßt. Die Berührung des Kraftfahrzeuges mit dem Haarwild müsse aber für den Schaden kausal sein. Der Anprall des PKW an das Brückengeländer sei jedoch auf ein vom Kläger schon vor der Berührung seines Fahrzeuges mit dem Reh stattgefundenes Ausweichmanöver zurückzuführen. Die Berührung des Fahrzeuges mit dem Tier sei daher für den Unfallsablauf ohne Bedeutung und damit nicht kausal gewesen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 60 000 S übersteigt. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Leistungspflicht des Versicherers aus der Wildschadenklausel des Art. 11 A I lit. 1 d AKIB nur dann bestehe, wenn die Berührung des Haarwildes mit dem Kraftfahrzeug und nicht etwa ein anderes Fahrmanöver den Schaden verursacht habe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und änderte das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Mit Recht bekämpft der Revisionswerber die Auslegung des Art. 11 A I lit. 1 d AKIB durch das Berufungsgericht. Richtig ist, daß die Gefahr der Vortäuschung von Wildunfällen besteht. Eine Begrenzung des vom Versicherer übernommenen Risikos tritt aber schon dadurch ein, daß der Versicherungsnehmer für den Eintritt des Versicherungsfalles beweispflichtig ist und sich hinsichtlich des Nachweises der Berührung des Haarwildes mit seinem Fahrzeug vielfach in einer sehr ungünstigen Beweissituation befinden wird (Brill, Die Wildschadenklausel in der Teilkaskoversicherung und ihre Probleme, VersR 1975, 307 ff.). Die Auslegung des Art. 11 A I lit. 1 d AKIB durch das Berufungsgericht würde zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, daß ein Großteil der Wildschäden, obwohl eine Berührung des Haarwildes mit dem Fahrzeug stattgefunden und dessen Verhalten auch Ursache für eine Reaktionshandlung des Kraftfahrzeuglenkers gewesen ist, nicht unter das Risiko der Fahrzeugteilversicherung fallen würde. Es hat daher nicht eine bloß wörtliche Auslegung der Wildschadenklausel, sondern eine aus deren Zweck orientierte Interpretation zu erfolgen, die eine möglichst gerechte Entscheidung im Einzelfall gewährleistet (Bruck - Möller - Johannsen, Komm. zum Versicherungsvertragsgesetz[8] V, Lieferung 2, F 100, zu der ähnlich lautenden Bestimmung des § 12 Abs. 11 lit. d AKB). Bei dieser Auslegung ist davon auszugehen, daß durch die Wildschadenklausel das versicherte Risiko der Fahrzeugteilversicherung um die bisher nur unter die Vollkaskoversicherung fallenden Wildschäden erweitert wurde (Bruck - Möller - Johannsen V, Lieferung 2, F 99). Die Worte "Beschädigung oder Zerstörung des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges aus der Berührung mit Haarwild" sind daher so zu verstehen, daß der Versicherungsschutz bereits dann besteht, wenn das Verhalten des Haarwildes Ursache für einen Verkehrsunfall gewesen ist und zugleich eine Berührung bzw. ein Zusammenstoß des Fahrzeuges mit dem Wild stattgefunden hat. Nur wenn eine solche Berührung nicht erfolgt ist, fällt der eingetretene Schaden nicht unter das versicherte Risiko der Fahrzeugteilversicherung. Ist daher eine solche Berührung des Haarwildes mit dem in Fahrt befindlichen Kraftfahrzeug objektiv erwiesen, so ist nicht mehr zu prüfen, ob sich der Unfall im Hinblick auf das bereits vorher eingeleitete Fahr- oder Bremsmanöver des Kraftfahrzeuglenkers auch ohne Kollision mit dem Wild ereignet hätte (Stiefel - Hofmann, Kraftfahrtversicherung [11], 542 f.; Bruck - Möller - Johannsen V, Lieferung 2, F 100).
Im vorliegenden Fall reagierte der Revisionswerber auf das plötzliche Auftauchen des Rehes von rechts mit dem Verreißen des PKW nach links. Da es auch zu einer Kollision seines Fahrzeuges mit dem Reh kam, fallen die an seinem PKW durch den nachfolgenden Anprall an das Brückengeländer entstandenen Schäden unter das versicherte Risiko seiner mit der Beklagten abgeschlossenen Fahrzeugteilversicherung.
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