Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 64.806,50 samt 4 % Zinsen seit 10.September 1986 binnen 14 Tagen zu bezahlen, in eventu, es werde festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei im Rahmen der Krankenzusatzversicherung laut Polizze-Nr. 077 8008 für die Bezahlung der Rechnung vom 9.September 1986 im Betrage von S 64.806,50 hafte, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 42.615,80 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 9.000 Barauslagen und S 4.116,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen."
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat mit der beklagten Partei eine Krankenversicherung mit Versicherungsbeginn 1.September 1985 abgeschlossen. Der Versicherung liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenund Krankenhaustagegeldversicherung (AVB) zugrunde, nach deren § 6 Abs 3 für Krankheiten, die während der Wartezeit (3 Monate) erstmalig behandelt worden sind, bis zur Beendigung des Versicherungsfalles, längstens bis 5 Jahre nach Abschluß, Abänderung oder Wiederinkraftsetzung des Versicherungsvertrages kein Versicherungsschutz besteht.
Die Klägerin begehrt mit Hauptbegehren die Behandlungskosten im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in der Kranken- und Entbindungsanstalt Goldenes Kreuz vom 2.Dezember 1985 bis 3. Dezember 1985 und vom 15.Jänner 1986 bis 22.Jänner 1986 von S 64.806,50 und mit Eventualbegehren die Feststellung, daß die beklagte Partei für diese Kosten hafte.
Die beklagte Partei beruft sich unter anderem auf die Ausschlußklausel des § 6 Abs 3 AVB. Die Krankheit der Klägerin sei während der Wartezeit, und zwar am 26.November 1985, erstmalig behandelt worden.
Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab und gab dem Eventualbegehren statt.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es dem Hauptbegehren stattgab.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen begab sich die Klägerin am 26.November 1985 zum Gynäkologen Dr.Werner G*** zu einer Routineuntersuchung. Bis dahin hatte die Klägerin weder Beschwerden noch einen Hinweis darauf, daß "bei ihr etwas gynäkologisch nicht in Ordnung wäre". Die Untersuchung am 26.November 1985 ließ sie machen, weil sie ein Baby und deshalb kontrollieren lassen wollte, ob bei ihr alles in Ordnung ist. Bei der Untersuchung am 26.November 1985 tastete Dr.Werner G*** einen unklaren Befund im Adnexbereich. Zur Abklärung des Befundes schlug er der Klägerin eine Bauchspiegelung vor. Die Klägerin begab sich am 3.Dezember 1985 in die Krankenanstalt und ließ eine Laparoskopie und Blauprobe durchführen. Hiebei handelt es sich um operative Diagnosemethoden zur Klärung, ob die Eileiter durchgängig oder verschlossen sind. Das Ergebnis dieser Untersuchung ergab einen beiderseitigen intramuralen Tubenverschluß. Hierauf kam es am 15.Jänner 1986 zur Operation. Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei die Untersuchung der Klägerin am 26.November 1985 noch nicht als Behandlungsbeginn anzusehen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.
Wie schon das Berufungsgericht eingehend dargelegt hat, umfaßt nach Rechtsprechung und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland der Begriff der Behandlung einer Krankheit nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abzielt, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilbehandlungen begonnen worden ist. Die Heilbehandlung beginnt somit mit der ersten Inanspruchnahme der ärztlichen Tätigkeit. Diese Auffassung, die in den Behandlungsbegriff schon alle diagnostischen Bemühungen einbezieht, beruft sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch, die Interessenabwägung und den Zweck der Wartezeitklausel. Indem für den Eintritt des Versicherungsfalls auf die erste Einschaltung des Arztes abgestellt wird, wird einmal im Interesse einer praktikablen und sicheren Rechtsanwendung ein genau und leicht feststellbarer Zeitpunkt gewählt, zum anderen auch dem Streben des Versicherungsnehmers nach möglichst effektivem Versicherungsschutz Genüge getan, weil dann schon die erste (medizinisch notwendige) Konsultation des Arztes unter Versicherungsschutz steht. Die allgemeine Wartezeit stellt einen Risikoausschluß dar, mit dem die Krankenversicherer zwei Zwecke verfolgen: Zum einen wollen sie das subjektive Risiko eindämmen. Zum anderen haben die Wartezeitklauseln die Funktion der früher in fast allen Versicherungsbedingungen der Krankenversicherer enthaltenen Klauseln übernommen, die die vorvertraglichen Krankheiten (alte Leiden) von den Versicherungsleistungen ausschlossen. Die Wartezeitklauseln dienen dazu, solche Krankheiten aus dem Versicherungsschutz auszuklammern, die medizinisch schon vor Vertragsschluß entstanden waren, damals möglicherweise noch unentdeckt waren, aber in einer erfahrungsgemäß erheblichen Anzahl von Fällen dann vor Ablauf der Wartezeit behandlungsbedürftig werden (VersR 1978, 271; VersR 1956, 186; Prölss-Martin, VVG24 1227 und 1235; Bach-Moser, Privatkrankenversicherung 59). Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes könne dieser weiten Auslegung des Begriffs Heilbehandlung schon wegen der bestehenden Unterschiede in den Versicherungsbedingungen nicht gefolgt werden. Vor allem könnten aber nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unter Heilbehandlung nicht auch diagnostische Maßnahmen verstanden werden.
Eine dem § 6 Abs 3 AVB entsprechende Bestimmung fehlt in den (deutschen) MBKK und in den AVK. Übereinstimmung besteht jedoch in der Definition des Versicherungsfalles nach § 1 Abs 2 MBKK und § 1 Abs 1 AVB und in der Wartezeit (§ 3 MBKK und § 4 AVB). Die Wartezeit bezieht sich auf den Versicherungsfall. Dieser beginnt im Sinne der
in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Ansicht schon mit der ersten Untersuchung (Prölss-Martin aaO 1235). Unabhängig von der in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen Ansicht kann aber dem Berufungsgericht in der Auslegung des § 6 Abs 3 AVB nicht gefolgt werden. Unerörtert bleiben kann hiebei die Frage, ob Versicherungsbedingungen wie Gesetze oder wie Verträge auszulegen sind, weil beide Methoden zum gleichen Ergebnis führen. Nach § 6 Abs 3 AVB besteht kein Versicherungsschutz für Krankheiten, die während der Wartezeit von 3 Monaten (nach § 4 AVB) erstmalig behandelt worden sind. Die Krankheitsbehandlung setzt eine möglichst sichere Diagnose voraus, die auf Grund der Krankheitsanzeichen erstellt wird. Diagnostik und Therapie sind aber häufig nicht zu trennen. Vielfach setzen therapeutische Maßnahmen unmittelbar nach der Diagnose ein. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird zwischen Diagnostik und Therapie kaum scharf unterschieden und unter Krankheitsbehandlung regelmäßig auch schon die ärztliche Untersuchung zur medizinischen Einordnung des Krankheitsbildes verstanden. Berücksichtigt man den schon oben dargelegten Zweck der Wartezeitklausel, kann es nicht zweifelhaft sein, daß unter die erstmalige Behandlung einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs 3 AVB auch schon die erste ärztliche Untersuchung fällt, die auf Erkennung eines Leidens abzielt und zwar unabhängig davon, ob sofort oder erst nach einer weiteren Untersuchung eine endgültige Diagnose erstellt wurde.
Nichts anderes ergibt eine Beurteilung der Ausschlußklausel nach der einem redlichen Erklärungsempfänger erkennbaren Absicht des Erklärenden (vgl. Koziol-Welser8 I 87). Aus der Festlegung einer Wartezeit muß dem Versicherungsnehmer klar sein, daß der Versicherer erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zur Risikotragung bereit ist und der Versicherungsschutz für schon bestehende Krankheiten beschränkt sein soll. Gemessen am Horizont eines redlichen Versicherungsnehmers kann dann aber § 6 Abs 3 AVB nicht anders verstanden werden, als daß auch bereits die erste ärztliche Untersuchung als erstmalige Behandlung zu werten ist, wenn sie zur Feststellung einer Krankheit und - wenn auch erst in weiterer Folge - zu therapeutischen Maßnahmen führt. Für diese Auslegung spricht letztlich auch die eingangs dargestellte deutsche Rechtsprechung und Lehre. Abweichungen in den Versicherungsbedingungen fallen hier deshalb nicht ins Gewicht, weil es sich im Ergebnis um dasselbe Problem, wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten (dort Beginn des Versicherungsfalles in der Wartezeit, hier Ausschlußklausel) handelt. Da im vorliegenden Fall die Krankheit der Klägerin im Sinne der obigen Darlegungen erstmals bereits während der Wartezeit behandelt wurde, besteht kein Anspruch auf Versicherungsschutz.
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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