OGH 7Ob23/85

OGH7Ob23/8530.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte Prof. Dr. Friedl, Dr. Wurz und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann A, Angestellter, Linz, Melissenweg 20, vertreten durch Dr. Alfred Eichler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei B Allgemeine Versicherungs-AG, Wien 1., Schottenring 15, vertreten durch Dr. Robert Eichmann, Rechtsanwalt in Linz, wegen 66.613,22 S s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 20. Februar 1985, GZ. 2 R 299/84-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 17. August 1984, GZ. 9 Cg 73/83-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.597,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.200 S Barauslagen und 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19. Juni 1982 verursachte der Kläger mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten PKW einen Verkehrsunfall, bezüglich dessen er von der Beklagten auf Grund des bestehenden Kaskoversicherungsvertrages den der Höhe nach nicht bestrittenen Betrag von 66.613,22 S begehrt. Die Beklagte macht Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles geltend. Der Kläger habe nämlich in einem durch Alkoholgenuß beeinträchtigten Zustand trotz Erkennbarkeit des Gegenverkehrs mehrere Fahrzeuge zu überholen versucht und hiedurch den Unfall verschuldet.

Während das Erstgericht dem Kläger den begehrten Betrag zusprach, wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab. Es erklärte die Revision für zulässig.

Die Vorinstanzen sind von folgendem wesentlichen Sachverhalt ausgegangen:

Der Kläger wies zum Unfallszeitpunkt einen mindestmöglichen Blutalkoholspiegel von 0,57 %o und einen höchstmöglichen von 0,79 %o auf. Die Menge seines tatsächlichen Alkoholkonsums läßt sich nicht feststellen.

Der Kläger versuchte mit seinem PKW auf der weit übersichtlichen Steyregger Brücke einen vor ihm fahrenden PKW und einen Traktor zu überholen.

Der hinter dem Kläger fahrende PKW wollte ebenfalls einen überholvorgang vornehmen, unterließ dies jedoch im Hinblick auf den Gegenverkehr. Der Kläger scherte jedoch, um zu überholen, nach links aus, obwohl ein entgegenkommendes Fahrzeug etwa 150 m entfernt war. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers betrug etwa 48 bis 49 km/h, die des entgegenkommenden Fahrzeuges etwa 67 bis 70 km/h. Etwa auf der Höhe des Traktors stießen die beiden PKWs froneal zusammen. Der Unfall ist in seinem Ablauf in die Kategorie der sogenannten typischen Alkoholunfälle einzureihen, wobei dieser Begriff nur als statistischer Wert angesehen werden kann. Bei nahezu 60 bis 65 % der Lenker, die in vergleichbare Unfälle verwickelt waren, ergeben sich Blutalkoholwerte von 0,8 %o oder mehr.

Rechtlich vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, im Hinblick auf seine nicht zu unterschätzende Alkoholisierung hätte der Kläger besondere Vorsicht an den Tag legen müssen. Gerade in diesem Zustand hätte er ein überholmanöver nur unter genauer Beobachtung des Gegenverkehrs einleiten dürfen, zumal auch der vor ihm fahrende PKW-Lenker ein solches Manöver unterlassen hatte. In seiner Gesamtheit könne das Verhalten des Klägers nur als grob fahrlässig beurteilt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wußte oder wissen mußte, daß es geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern (JBl. 1979, 657, VersR 1984, 48, ZVR 1979/28 u.a.). Es kommt nicht auf die Zahl, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes an (ZVR 1979/104 u.a.).

An sich darf schon ein Sorgfaltsverstoß, der darin gelegen ist, daß ein Kraftfahrer eine Fahrt antritt, obwohl ihm bewußt sein muß, daß auf Grund der von ihm konsumierten Alkoholmenge bei ihm eine verminderte Reaktionsfähigkeit möglich ist, nicht unterschätzt werden. Mag dieser Umstand für sich allein noch nicht unbedingt grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 61 VersVG begründen, so wird dieser Vorwurf im Regelfall dann gerechtfertigt sein, wenn zu dem Sorgfaltsverstoß noch andere schwerwiegende Verstöße kommen. Inwieweit eine bloße überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für sich allein als solcher schwerwiegender Verstoß anzusehen ist, muß hier nicht erörtert werden. Die bloße überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit darf nämlich nicht mit der Vornahme eines riskanten überholmanövers trotz erkennbarem Gegenverkehr gleichgesetzt werden. Im vorliegenden Fall kommt noch dazu, daß nicht nur ein überholmanöver trotz erkennbarem Gegenverkehr begonnen wurde, sondern daß dieses überholmanöver noch insoferne riskanter als im Normalfall war, weil nicht nur ein Fahrzeug, sondern zwei Fahrzeuge zu überholen waren und sich demnach die erhebliche Gefahrenstrecke wesentlich vergrößert hatte. Geht man also davon aus, daß der Kläger im vorliegenden Fall ein außergewöhnlich riskantes überholmanöver begonnen hat, wobei er nicht mehr nur den Gegenverkehr, sondern auch seine durch Alkohol beeinträchtigte Reaktionsfähigkeit außer Betracht ließ, so erweist sich der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit als gerechtfertigt. Dagegen spricht auch nicht die in der Revision zitierte Entscheidung (ZVR 225/75), weil dieser nicht ein überholmanöver zugrundelag, also nicht die Gefahr einer Begegnungskollision, die in der Regel schwerwiegendere Folgen mit sich bringt, als ein Unfall auf einer Straße ohne Gegenverkehr.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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