OGH 7Ob231/18y

OGH7Ob231/18y30.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** L*****, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei H***** AG *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.103,64 EUR sA, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. August 2018, GZ 60 R 62/18z‑12, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 28. März 2018, GZ 13 C 709/17k‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00231.18Y.0130.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 231/18y wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua , unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin unterfertigte am 12. August 2010 bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung. Im Antrag wurde sie schriftlich wie folgt auf ihr Rücktrittsrecht hingewiesen:

Rücktrittsrecht (…)

Rücktrittsrecht nach § 5b VersVG: Sie können binnen zweier Wochen schriftlich vom Vertrag zurücktreten, wenn Ihnen nicht (...)

Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG: Sie können binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages zurücktreten.“

In der Folge kam es zur Polizzierung der Lebensversicherung zu Versicherungsschein-Nummer ***** mit dem Versicherungsbeginn 1. Dezember 2010 und dem Vertragsende 1. Dezember 2037; der (undatierte) Versicherungsschein enthielt folgende

Wichtige Hinweise

1. Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG:

Wenn Sie als Antragsteller Ihre Vertragserklärung weder in unseren für geschäftliche Zwecke dauernd benützten Räumen noch bei einem Stand abgegeben haben, so können Sie vom Vertragsantrag oder vom Vertrag schriftlich zurücktreten. (…)

2. Rücktrittsrecht nach § 3a KSchG:

Sie können binnen einer Woche schriftlich vom Antrag oder vom Vertrag zurücktreten, wenn (…).

3. Rücktrittsrecht nach § 5b VersVG:

Sie können binnen zweier Wochen schriftlich vom Vertrag zurücktreten, wenn (…). Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheines einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.

4. Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:

Sie können binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages zurücktreten.

Sie können den Rücktritt auch bereits vor Fristbeginn erklären.

Zur Wahrung der Rücktrittsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Rücktritts. Der Rücktritt ist unserer Gesellschaft gegenüber schriftlich zu erklären und zu richten an: (...)“

Die Klägerin kündigte am 10. Juni 2016 den Versicherungsvertrag und erhielt in der Folge den Rückkaufswert ausbezahlt.

Die Klägerin begehrte die von ihr gezahlten und mit 4 % pa seit 1. Dezember 2010 zu verzinsenden Prämien abzüglich des Rückkaufswerts. Sie stützt sich auf mehrere Rechtsgründe; davon sind im Revisionsverfahren noch relevant Vertragsanfechtung infolge Arglist sowie zeitlich unbefristeter Rücktritt infolge falscher Belehrung über das– richtigerweise formfrei zustehende – Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG.

Die Beklagte wandte ein, das Vorbringen zu Arglist sei unschlüssig. Die Belehrung sei zutreffend sowie gesetzes- und richtlinienkonform vor Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgt. Auch in der Polizze sei keine Schriftlichkeit gefordert. Die 30‑tägige Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei abgelaufen, das Rücktrittsrecht sei verjährt und werde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht. Im Falle des Rücktritts stünde nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu. Keinesfalls stehe der Klägerin die Rückzahlung der Versicherungssteuer, der Risikokosten für den gewährten Versicherungsschutz oder eine pauschale 4%‑ige Verzinsung der Prämien zu; mehr als drei Jahre rückwirkend wären Bereicherungszinsen zudem verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu, weil es sich im Hinblick auf die Anwendung des § 176 VersVG in Widerspruch zu 7 Ob 107/15h gesetzt habe.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt.

Die Beklagte regt in ihrer Revisionsbeantwortung die Unterbrechung des Verfahrens im Hinblick auf bereits eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren an und beantragt in der Sache, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen :

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua ):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung dieser Fragen – abgesehen von Frage 2. – ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich, in dem die Auslegung der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden (vgl 7 Ob 107/15h) Bestimmungen des Art 35 Abs 1 iVm Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG im Zusammenhalt mit den nationalen Regelungen des § 5b VersVG (idF BGBl I 2004/131), der §§ 165a und 176 VersVG (jeweils idF BGBl I 2006/95) sowie des § 9a VAG (idF BGBl 1996/447) und des § 18b VAG (idF BGBl I 2006/95) geboten ist.

Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).

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