OGH 7Ob214/71

OGH7Ob214/7115.12.1971

 

Spruch:

Die Ersitzung des Eigentumsrechtes setzt Alleinbesitz voraus

OGH 15. 12. 1971, 7 Ob 214, 215/71 (LG Feldkirch R 255/71; BG Feldkirch C 655/69 )

 

Im Folgenden werden Josefine W und Erich A als Kläger, die Marktgemeinde R, Josef und Friedrich K als Beklagte bezeichnet.

Die Erstklägerin ist Eigentümerin der Grundstücke Nr 1319. 1320 der EZ 596 und des Grundstücks Nr 1321 der EZ 344 je KG R, der Zweitkläger ist Eigentümer des Grundstücks Nr 1323 der EZ 1614 KG R. Der Zweit- und der Drittbeklagte sind Miteigentümer der Grundstücke Nr 1269 der EZ 2392 und Nr 1270 der EZ 2448 beide KG R. Nach Ansicht der Kläger nahe dem Ostrand ihrer Grundstücke, nach Ansicht der Beklagten zwischen den den Klägern einerseits und dem Zweit- und Drittbeklagten anderseits gehörigen Grundstücken verläuft der Weg Nr 6512/1 (EZ 2063 KG R), der öffentliches Gut ist. Die Kläger beantragen aus Anlaß der Notwendigkeit der Errichtung von Leitungsmasten die Feststellung, daß die Grenze ihrer Grundstücke ein Meter östlich der ostseitigen Fluchtlinie der Wegeparzelle Nr 6512/1 verläuft und daß der öffentliche Weg in ihrem Eigentum steht. Die Beklagten beantragten Abweisung dieses Klagebegehrens. Die Erstbeklagte brachte jedoch ihrerseits gegen die beiden Kläger eine Klage auf Feststellung ein, daß sich die Westgrenze des öffentlichen Guts aus den Grenzen und Marken nach dem Teilungsplan des Dipl-Ing M ergebe und daß die Wegparzelle öffentliches Gut sei. Diese beiden Klagen wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren der Kläger sowie das Klagebegehren der Beklagten auf Feststellung, daß der angeführte Weg öffentliches Gut sei, ab, gab jedoch dem weiteren Klagebegehren der Beklagten auf Feststellung, daß die Westgrenze der Wegparzelle Nr 6512/1 wie im Teilungsplan des Dipl-Ing M verzeichnet verläuft, statt. Dieses Urteil blieb in seinem das Klagebegehren der Beklagten zum Teil abweisenden Teil unangefochten, sodaß auf die diesbezüglichen Ausführungen des Erstrichters nicht einzugehen ist. Im übrigen bejahte der Erstrichter das Feststellungsinteresse beider Teile und traf folgende Feststellungen:

Die Wegparzelle Nr 6512/1 besteht aus einem zirka 3 m breiten, beschotterten Weg, der von dem "Sch-Weg" etwa in einem rechten Winkel abzweigt und nach Norden führt. Östlich des Weges liegen die Grundstücke des Zweit- und des Drittbeklagten, westlich des Weges die Grundstücke der Kläger. Sowohl nördlich der Liegenschaft des Zweitklägers - die gegen den Weg durch einen festen Zaun abgegrenzt ist - als auch östlich des Weges grenzen die Grundstücke der Streitteile ohne Übergang als Wiesengrund an den umstrittenen Weg. Die Erstklägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 26. 5. 1952 die Grundstücke Nr 1319 und 1320 von August F. Vor Verkauf dieser beiden Grundstücke an die Erstklägerin hatte August F an Dipl-Ing M zwecks Grundstücksteilung den Auftrag zur Verfassung eines Teilungsplanes erteilt. Der in diesem Teilungsplan vom 12. 12. 1951 (GZl 1114) eingezeichnete Markstein Nr 2 (an der südöstlichen Ecke des Grundstücks Nr 1318/2 und dem Westrand des Weges) ist noch in Natur feststellbar. Die weiteren in diesem Teilungsplan angeführten P 1, 13, I und 8 sind heute in der Natur nicht mehr festzustellen. Dieser Teilungsplan wurde grundbücherlich nicht durchgeführt, wohl aber ein späterer Teilungsplan des gleichen Verfassers (20. 7. 1964, GZl 3216), in dem gleichfalls die P 2, 1, 13 und I aufscheinen. August F leistete als Verkäufer keine Gewähr für Flächenmaß; die Übergabe und die Übernahme der Liegenschaft erfolgte in jenen Grenzen und Marken, wie sie der Vorbesitzer erworben, besessen und benützt hatte.

Auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dipl-Ing Doktor Rudolf Z stellte der Erstrichter fest, daß das Weggrundstück Nr 6512/1 in seinem heutigen Naturzustand gegenüber der Mappendarstellung etwas nach Osten verschoben erscheint, demnach in Richtung der Grundstücke des Zweit- und des Drittbeklagten. Jedenfalls verläßt der Weg heute nicht weiter westlich, als dies bei den Vermessungen des Dipl-Ing M im Jahre 1951 der Fall war. Der Erstrichter führt weiter aus, daß er auf Grund der durchgeführten Beweise nicht zu einer "exakten" Feststellung über Grasnutzung durch die Kläger und ihre Rechtsvorgänger und über den früheren Grenzverlauf gelangen konnte. Rechtlich führt der Erstrichter aus, daß die Ostgrenze der Liegenschaft der Kläger spätestens im Jahre 1951 fixiert wurde. Die Voreigentümer der Erstklägerin widersprachen nicht der Grenzsetzung im Teilungsplan GZl 1114. Aus der Tatsache, daß die Kläger offensichtlich durch Jahre hindurch das auf dem öffentlichen Weg wachsende Gras für sich verwerteten, läßt sich nicht der Erwerb des Eigentums durch die Kläger ableiten. Diese Grasnutzung wurde den Klägern schlüssig überlassen, weil die Gemeinde für die Erhaltung des Weges nicht aufkam.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es verneinte das Vorliegen einer Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens und übernahm die erstrichterlichen Feststellungen als unbedenklich. Der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sei nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, da die Kläger nicht von dem vom Erstrichter festgestellten Sachverhalt ausgegangen seien. Zusätzlich verweist das Berufungsgericht jedoch darauf, es sei unbestritten, daß das Wegegrundstück Nr 6512/1 als öffentliches Gut im Grundbuch eingetragen sei. Den Ausführungen der Kläger sei zu entnehmen, daß sie Ersitzung des Wegegrundstückes behaupten. Durch die Eintragung des Wegegrundstückes in das Verzeichnis über das öffentliche Gut sei das Eigentum der Gemeinde bewiesen. Die Kläger hätten nicht behauptet, daß dieser Weg von der Öffentlichkeit nicht habe benützt werden können. Die Benützung des Weges durch die Öffentlichkeit sei auch den Berufungswerbern bekannt gewesen. Die Ersitzung des Eigentumsrechts durch die Kläger hätte eine Verjährung des Eigentumsrechts der Beklagten zur Voraussetzung. Diese Verjährung konnte aber nur durch Nichtausübung eintreten. Zufolge der Benützung des Weges durch die Allgemeinheit könne von einem Nichtgebrauch nicht die Rede sein. Eine Ersitzung wäre nur dann möglich, wenn der Besitz seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hätte. Die Ersitzung des Eigentumsrechtes setze daher Alleinbesitz voraus. Die Kläger hätten diesen öffentlichen Weg nicht allein besessen. Selbst dann, wenn die Kläger oder ihre Rechtsvorgänger das Gras während der letzten vierzig Jahre abgemäht haben sollten, könnte dies ihnen nicht das Eigentum verschaffen, solange der Weg noch von der Öffentlichkeit benutzt wurde. Aus diesem Gründe seien einwandfreie Feststellungen darüber, ob die Kläger und ihre Rechtsvorgänger während der letzten vierzig Jahre das Gras auf dem Weg gemäht hätten, nicht erforderlich gewesen, weil dadurch nicht das Eigentumsrecht hätte ersessen werden können. Das Klagebegehren gegenüber dem Zweit- und dem Drittbeklagten sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil das von den Klägern benutzte Grundstück nicht diesen Beklagten gehöre.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit sehen die Kläger darin, daß das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung oder Verfahrensergänzung davon ausgegangen ist, die Kläger hätten nicht bestritten, daß der gegenständliche Weg während der gesamten Ersitzungszeit als öffentlicher Weg benutzt wurde, und auch nicht behauptet, der Weg habe als öffentlicher Weg nicht benutzt werden können. Zu einem derartigen Vorbringen habe keine Veranlassung bestanden, weil das Gegenteil von den Beklagten nicht behauptet worden sei. Im üblichen gehe aus der Aussage des Zeugen Franz Josef F hervor, daß unter den Anrainern eine Benützungsregelung vereinbart worden sei, da diese der Ansicht waren, der Weg gehöre zu den einzelnen Liegenschaften. Da es sich bei dem gegenständlichen Weg um eine Sackgasse handle, sei seine Benützung auf die Anrainer beschränkt, sodaß nicht von einem Gemeingebrauch gesprochen werden könne.

Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor. Soweit die Kläger das von ihnen behauptete Eigentumsrecht auf den Rechtsgrund der Ersitzung stützen, hatten sie zu behaupten und zu beweisen, daß die Voraussetzungen für eine Ersitzung nach §§ 1460 ff ABGB gegeben waren. Dazu gehört auch die Behauptung, das angestrebte Recht wirklich besessen zu haben. Es ist daher der Einwand der Kläger unzutreffend, sie hätten keinen Anlaß zur Behauptung ihres Alleinbesitzes gehabt, weil von der Gegenseite diesbezüglich nichts vorgebracht worden sei. Die Aussage des Zeugen Franz Josef F vermag das fehlende Prozeßvorbringen der Kläger nicht zu ersetzen, da die Darlegungen eines Zeugen nicht als Parteivorbringen zu werten sind. Dazu kommt, daß die diesbezügliche Schilderung des Zeugen Franz Josef F nicht den Schluß auf ein den Gemeingebrauch hinderndes Vorgehen der Anrainer, insbesondere der Kläger, zuläßt. Der Umstand, daß der gegenständliche Weg keine Verbindung zu einem anderen öffentlichen Weg herstellt, daher als "Sackgasse" zu bezeichnen ist, hindert nicht den Gemeingebrauch, da auch Sackgassen von der Allgemeinheit benützt werden können.

Das Berufungsgericht hat daher den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens nicht verletzt, der von den Klägern gerügte Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

Zutreffend und von den Parteien unbekämpft, haben die Vorinstanzen das rechtliche Interesse beider Parteien an den von ihnen begehrten Feststellungen bejaht. Das rechtliche Interesse der Kläger an der alsbaldigen Feststellung, daß der gegenständliche Weg in ihrem Eigentum steht, ist schon deshalb gegeben, weil die Gemeinde den gegenteiligen Standpunkt vertritt und die Frage des Eigentumsrechts durch die Notwendigkeit der Errichtung von Leitungsmasten akut geworden ist. Es ist aber auch das Feststellungsinteresse der Erstbeklagten zu bejahen, da das Feststellungsbegehren der Erstbeklagten über jenes der Kläger hinausgeht, wird doch von ihr die Feststellung der Westgrenze des Wegegrundstückes begehrt.

In Ausführung ihrer Rechtsrüge wiederholen die Kläger ihre Rechtsansicht, sie hätten dadurch das Eigentum an dem Wegegrundstück und an einem östlich des Wegegrundstückes gelegenen 1 m breiten Streifen ersessen, daß sie und ihre Rechtsvorgänger vierzig Jahre hindurch ungestört das Gras dieses Grundstückstreifens gemäht haben. Eine andere Nutzung dieses landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Weges sei gar nicht möglich gewesen. Die Frage des Gebrauchs des Weges durch die Allgemeinheit und damit die Frage der Öffentlichkeit sei vom Berufungsgericht nicht erschöpfend erörtert worden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Zur Ersitzung des Eigentumsrechtes an dem fraglichen Grundstreifen wäre dessen rechtlicher Besitz durch die Kläger während der Ersitzungszeit erforderlich gewesen. Dieser Besitz muß seinem Inhalt nach dem des zu erwerbenden Rechts entsprechen, weshalb die Ersitzung des Eigentumsrechtes Alleinbesitz voraussetzt (Klang[2] VI 577; GlUNF 5319 und 5920). Daß die Kläger einen derartigen Alleinbesitz ausgeübt haben, wurde von ihnen nicht behauptet. Das Abmähen des Grases einer Wegparzelle genügt jedenfalls nicht für die Annahme eines Alleinbesitzes. Ein Prozeßvorbringen in der Richtung, daß die Kläger und ihre Rechtsvorgänger während der gesamten Ersitzungszeit den Weg erhalten und allfällige andere Benützer des Weges von der Benützung ausgeschlossen, kurz, sich als Eigentümer geriert hätten, fehlt. Das Berufungsgericht hat daher schon aus diesen Erwägungen mit Recht eine Ersitzung des Eigentumsrechtes durch die Kläger an dem gegenständlichen Weg und dem östlich anschließenden 1 m breiten Grundstreifen verneint.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

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