Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherin des dem Beklagten gehörenden PKWs der Marke Audi 80 mit dem pol. Kennzeichen T *****. Der Beklagte hat mit diesem Fahrzeug am 15.11.1991 (gegen 19 Uhr 40) im Ortsgebiet von H***** auf der Ö***** Straße vor dem Haus Nr.5 einen Verkehrsunfall verschuldet, bei dem der PKW des entgegenkommenden Bernhard M***** total beschädigt und der genannte Lenker verletzt wurde. Die Klägerin hat dessen Schaden mit S 151.638,-- beglichen. Der Beklagte wurde wegen dieses Unfalls mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88/1 StGB zu einer bedingten Geldstrafe von S 8.000,-- verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde als erschwerend eine "Alkoholbeeinträchtigung" des Beklagten festgestellt.
Durch den Zusammenstoß schlug der Beklagte mit seiner Stirn gegen die Windschutzscheibe und war ca. 8 bis 15 Minuten bewußtlos. Danach begann er wieder ihm bekannte Personen mit deren Namen anzusprechen und sich mit ihnen zu unterhalten. Der Beklagte roch nach Alkohol, war unsicher auf den Beinen und hatte gerötete Bindehäute. Der Beklagte weigerte sich, der Aufforderung des Rettungsarztes, in die Klinik zu fahren, nachzukommen. Er fuhr in der Folge mit dem intervenierenden Gendarmeriebeamten und dem Rettungsarzt zum Gendarmerieposten und erklärte dort, mit dem Unfall nichts zu tun zu haben, sein Fahrzeug nicht gelenkt zu haben, nicht zu wissen, was geschehen sei und auch nicht zu wissen, woher er seine Verletzungen habe. Er lehnte nach 30 bis 45minütiger Belehrung durch den Gendarmeriebeamten einen Alkoholtest ab. Der Beklagte begab sich erst am Folgetag um 14,30 Uhr zur Untersuchung in die Innsbrucker Universitätsklinik.
Der Beklagte hat durch den Unfall eine Gehirnerschütterung mittelschweren Grades und in unmittelbarer Folge eine anterograde Amnesie erlitten. Der Beklagte war durch seine beim Unfall erlittene Schädel-Hirnverletzung in einer Verfassung, die durch eine Beeinträchtigung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit gekennzeichnet war. Eine Aufhebung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit kann nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von S 100.000,-- und warf ihm vor, den Unfall alkoholisiert verschuldet zu haben und nach dem Unfall durch Verweigerung des Alkotestes seine Aufklärungspflicht verletzt zu haben.
Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung und bestreitet eine Alkoholbeeinträchtigung. Er habe ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und sei nach dem Unfall längere Zeit unzurechnungsfähig gewesen, sodaß er die Verweigerung des Alkotestes nicht zu verantworten habe.
Das Erstgericht wies das Klagebgehren ab. Der Beklagte sei durch die erlittene Schädel-Hirnverletzung in einer Verfassung gewesen, durch die seine Dispositions- und Diskretionsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei und die es auch nicht ausschließen lasse, daß diese aufgehoben gewesen sei. Dies schließe eine vorsätzliche oder grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzung aus.
Das Berufungsgericht änderte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil in eine Klagsstattgebung ab. Im Rahmen der Behandlung der Beweisrüge kam es ohne Durchführung einer Beweiswiederholung zum Ergebnis (= von den Feststellungen des Erstgerichtes abweichende Feststellung), daß keine Beweisergebnisse vorlägen, die, wie vom Beklagten gewünscht, eine konkrete Feststellung zuließen, die Beeinträchtigung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Beklagten habe über eine halbe Stunde nach dem Unfall hinaus noch angedauert. Der Beklagte habe daher nicht den Beweis erbracht, daß er im Zeitpunkt der Verweigerung des Alkotestes um 20,30 Uhr dispositions- bzw. zurechnungsunfähig gewesen sei. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß der klagenden Partei mit der Feststellung, daß der Beklagte, auf dem der konkrete Verdacht der Alkoholisierung lastete, die Vornahme eines Alkotestes verweigert habe, der Nachweis einer Obliegenheitsverletzung gelungen sei. Demgegenüber sei dem Beklagten nicht der ihn treffende Beweis gelungen, die Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen zu haben, da von keiner länger als eine halbe Stunde dauernden Zurechnungsunfähigkeit des Beklagten ausgegangen werden dürfe. Nach § 8 Abs.2 der AKHB 1988 stehe einem Versicherungsnehmer auch bei vorsätzlich begangener Obliegenheitsverletzung ein Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 6 Abs.3 zweiter Satz VersVG zu. Dieser Beweis hätte vom Beklagten in die Richtung geführt werden müssen, daß er mit Sicherheit nicht infolge von Alkoholeinwirkung im Unfallszeitpunkt fahruntüchtig gewesen sei. Diesen Kausalitätsgegenbeweis habe der dafür beweispflichtige Beklagte nicht erbracht.
Die gegen diese Entscheidung erhobene ao. Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht hat zwar nicht die Dauer der Zurechnungsunfähigkeit (die Dauer der Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit) des Beklagten nach dem Unfall festgestellt, ist aber zweifelsfrei davon ausgegangen, daß sich der Beklagte durch die erlittene Schädel-Hirnverletzung bei Aufforderung durch den Gendarmeriebeamten, sich einem Alkotest zu unterziehen, in einer Verfassung befand, die durch eine Beeinträchtigung der Dispositons- und Diskretionsfähigkeit gekennzeichnet war und es auch nicht auszuschließen ist, daß eine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit aufgehoben war. Daran knüpfte das Erstgericht die rechtliche Folgerung, daß dem Beklagten bei seiner Weigerung, sich einem Alkoholtest zu unterziehen, weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit angelastet werden könne. Demgegenüber kam das Berufungsgericht bei Behandlung der Beweisrüge zum Ergebnis, daß keine länger als eine halbe Stunde nach dem Unfall andauernde Zurechnungsunfähigkeit des Beklagten vorlag und der Beklagte demgemäß nicht habe beweisen können, daß er im Zeitpunkt der Aufforderung durch den Gendarmeriebeamten, sich einem Alkotest zu unterziehen, noch zurechnungsunfähig gewesen sei.
Die Verweigerung des Alkotestes durch einen im Verdacht der Alkoholisierung stehenden Versicherungsnehmer stellt eine Obliegenheitsverletzung dar. Er ist gegenüber dem Versicherer so zu behandeln, als ob pflichtgemäßes Verhalten für ihn das ungünstigste Ergebnis gebracht hätte (vgl. ZVR 1978/267 mit Anm. von Migsch).
Durch die Feststellung allein, daß nicht (mit Sicherheit) ausgeschlossen werden kann, daß der Beklagte zum Zeitpunkt seiner Weigerung, sich einem Alkotest zu unterziehen, zurechnungsunfähig war (wenngleich seine Dispositions- und Diskretionsfähigkeit beeinträchtigt war), hat der Beklagte den ihm obliegenden Beweis, daß ihm aufgrund der erlittenen Verletzung die Tragweite seiner Weigerung nicht bewußt war, zwar noch nicht erbracht, weil bei wie hier vom Versicherer nachgewiesener Obliegenheitsverletzung Zweifel zu Lasten des beklagten Versicherungsnehmers gehen (vgl. ZVR 1985/94). Das Revisionsgericht teilt aber die Ansicht des Erstgerichtes, daß die festgestellte Beeinträchtigung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Beklagten Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließt; leichte Fahrlässigkeit aber reicht zur Annahme einer Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 6 Abs 3 VersVG nicht hin.
Nun ist aber das Berufungsgericht von der Feststellung des Erstgerichtes, daß der Beklagte zur Zeit seiner Weigerung, einen Alkotest durchführen zu lassen, in seiner Dispositions- und Diskretionsfähigkeit eingeschränkt war, insoweit abgegangen, als es zum Ergebnis gekommen ist, es lägen keine Beweisergebnisse vor, die die Feststellung zuließen, die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit (gemeint wohl -unfähigkeit) habe über eine Stunde hinaus tatsächlich noch angedauert (wobei es auf die vom Erstgericht angenommene und diesem wesentlich erscheinende Einschränkung und Beeinträchtigung nicht eingegangen ist). Teilt man aber die Ansicht, daß die festgestellte Beeinträchtigung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließt, hat das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes ohne Beweiswiederholung in einem wesentlichen Punkt verändert.
Die Revision rügt daher zu Recht, daß das Berufungsgericht eine Änderung der Feststellungsgrundlage des Erstgerichtes ohne Beweiswiederholung vorgenommen hat. Will das Berufungsgericht eine streitentscheidende Feststellung in einer anderen Form treffen, so kann dies nur im Wege einer Beweiswiederholung erfolgen (vgl. 7 Ob 570, 571/92 = SZ 65/116). Der aufgezeigte Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens ist auch rechtlich relevant. Wertet man, wie zuvor dargelegt, die Feststellung des Erstgerichtes dahin, daß die unfallsbedingte Beeinträchtigung des Beklagten im Zeitpunkt der Aufforderung, sich dem Alkotest zu unterziehen, so weit ging, daß er nicht in der Lage war, die Folgen seiner Weigerung abzuschätzen, so wäre dem Beklagten damit der Beweis gelungen, den Alkotest weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verweigert zu haben, nach der vom Berufungsgericht allerdings mangelbehaftet geschaffenen Feststellungsgrundlage dagegen nicht. Das Berufungsgericht wird sich daher im fortgesetzten Verfahren bei Behandlung der Beweisrüge der Klägerin zu entscheiden haben, ob es die erwähnte bekämpfte Feststellung für bedenklich erachtet; sollte dies der Fall sein, wird es im Rahmen einer Beweiswiederholung an ihrer Stelle eine andere Feststellung zu treffen haben.
Mit der in den Entscheidungsgründen des Strafurteiles bei der Strafzumessung erwähnten Alkoholbeeinträchtigung hat die klagende Versicherung noch nicht den Beweis für die Fahruntüchtigkeit des Beklagten im Unfallszeitpunkt erbracht (vgl MGA Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung3, § 6 AKHB 1988/79 ff).
Es war daher der Revision Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
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