Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Parteien haben am 25. 5. 1991 vor dem Standesamt St. Pölten miteinander die Ehe geschlossen.
Der Kläger begehrt mit der am 14. 3. 2002 beim Erstgericht eingebrachten Klage die Ehescheidung aus dem Alleinverschulden der Beklagten, die im Juli 2000 aus der ehelichen Wohnung in St. Pölten ausgezogen sei und seither in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft in Gilten, Deutschland wohne. Die Beklagte habe ihrerseits am 25. 1. 2001, eingelangt spätestens am 1. 2. 2001, beim Amtsgericht Walsrode in Deutschland ein Scheidungsverfahren eingeleitet. Er, der Kläger (dort Beklagter), habe die Unzuständigkeit dieses Gerichtes eingewendet, worüber noch nicht entschieden worden sei.
Das Erstgericht setzte das Verfahren über die Scheidungsklage gemäß Art 11 der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (im Folgenden kurz Brüssel II-Verordnung) von Amts wegen bis zur Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Amtsgerichtes aus. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Anders als die vorliegende Scheidungsklage, sei das Verfahren vor dem Amtsgericht Walsrode durch die Beklagte schon vor dem Inkrafttreten der Brüssel II-Verordnung am 1. 3. 2001 eingeleitet worden. Für die Anwendbarkeit des Art 11 der Brüssel II-Verordnung müssten aber nicht beide Verfahren nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung eingeleitet worden sein. Der EuGH habe im Verfahren C-163/95 (von Horn/Cinnamond) mit Bezug auf den - Art 11 Abs 1 und 3 der Brüssel II-Verordnung vergleichbaren - Art 21 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (hier im weiteren EuGVÜ, vom EuGH und vom Rekursgericht stets Brüsseler Übereinkommen genannt) ausgesprochen, dass das Gericht, bei dem (später) ein Verfahren anhängig gemacht werde, für das das EuGVÜ bereits gelte, ausnahmsweise sein Verfahren auch dann (zumindest vorläufig) auszusetzen habe, wenn über denselben Anspruch in einem Mitgliedstaat ein Verfahren anhängig sei, das vor Inkrafttreten des EuGVÜ eingeleitet worden sei. Miteinander unvereinbare, in beiden Staaten vollstreckbare, Entscheidungen müssten vermieden werden. Dies könne dadurch gewährleistet werden, dass nur ein Verfahren unter der Voraussetzung fortgeführt werde, dass die Entscheidung im anderen Mitgliedstaat anerkannt werden könne. Dies sei wiederum der Fall, wenn entweder die Zuständigkeitsregeln des EuGVÜ selbst oder die eines Abkommens eingehalten würden, das zum Zeitpunkt der Erhebung der früheren Klage zwischen den beiden Staaten gegolten habe. Es komme daher darauf an, auf welche Zuständigkeitsregeln das "Gericht des früheren Verfahrens" seine Zuständigkeit stütze. Solange diese Frage nicht geklärt sei (also das "Gericht des früheren Verfahrens" über seine Zuständigkeit nicht entschieden habe), müsse das später angerufene Gericht Art 21 EuGVÜ vorläufig anwenden. Zutreffend führe der Kläger aus, dass das Verfahren vor dem später angerufenen Gericht nicht ausgesetzt werden dürfe, wenn das zuerst angerufene Gericht auf Grund von Vorschriften zuständig sei oder zuständig gewesen sei, die nicht mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der Brüssel II-Verordnung oder mit zum Zeitpunkt der Klagseinbringung im früheren Verfahren zwischen den Staaten geltenden Regeln im Einklang stünden, da dann die Entscheidung dieses Gerichtes nicht im Vertragsstaat des später angerufenen Gerichtes anerkannt werde. Im vorliegenden Fall habe jedoch das Amtsgericht Walsrode noch nicht über seine Zuständigkeit bzw den Unzuständigkeitseinwand des Klägers entschieden. Nach der zitierten Entscheidung des EuGH habe in einem solchen Fall das später angerufene Gericht sein Verfahren jedenfalls (vorläufig) auszusetzen.
Da zur Frage der Anwendbarkeit der Brüssel II-Verordnung in der gegenständlichen Fallkonstellation dem Rekursgericht zwar die zitierte Judikatur des Europäischen Gerichtshofs betreffend EuGVÜ, nicht jedoch eine solche des Obersten Gerichtshofes (vor allem auch zur Anwendung der zum EuGVÜ entwickelten Grundsätze auf die Brüssel II-Verordnung) bekannt sei, sei die Zulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses auszusprechen gewesen.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die erstinstanzliche Entscheidung ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen werde; in eventu möge der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Rekursgericht oder an das Erstgericht zurückverwiesen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zwar zulässig, aber nicht berechtigt.
Da der erkennende Senat die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, die damit bekämpfte Begründung des angefochtenen Beschlusses hingegen für zutreffend erachtet, reicht es aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen und sie - bezugnehmend auf die Ausführungen des Revisionsrekurses - wie folgt zu ergänzen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO):
Das Rekursgericht hat insbesondere zutreffend erkannt, dass die Art 21 EuGVÜ betreffenden Ausführungen der zitierten Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-163/95 auch auf die nach Wortlaut und Zielsetzung ganz vergleichbare Bestimmung des Art 11 der Brüssel II-Verordnung anwendbar sind. Da dies klar auf der Hand liegt, besteht kein Anlass, zur vorliegend notwendigen Auslegung der Art 42 und Art 11 der Brüssel II-Verordnung ein Ersuchen zur Vorabentscheidung an den EuGH zu stellen.
Der Kläger widerspricht im Revisionsrekurs den in allen Punkten der genannten Entscheidung des EuGH folgenden Ausführungen des Rekursgerichtes nur mehr insoweit, als er sich gegen die Auffassung wendet, zunächst habe das Amtsgericht Walsrode seine Zuständigkeit zu beurteilen. Der Revisionsrekurswerber vertritt dagegen die Ansicht, die Voraussetzungen, ob die Brüssel II-Verordnung auf ein später eingeleitetes Verfahren anzuwenden sei, seien von dem jeweils angerufenen Gericht selbstständig zu beurteilen, da nur so sichergestellt werden könne, dass es nicht zu einer Verweigerung der Gewährung von Rechtsschutz komme. Von der Anwendung der Brüssel II-Verordnung sei abzusehen, wenn das zuerst angerufene Gericht (nur) auf Grund von Vorschriften zuständig sei, die mit Kapitel II der Brüssel II-Verordnung oder mit zwischenstaatlich geltenden Regeln nicht in Einklang stünden, da dann die Entscheidung dieses Gerichtes nicht im Vertragsstaat des später angerufenen Gerichtes anerkannt werde. Das Amtsgericht Walsrode wäre aber weder nach den Bestimmungen der Brüssel II-Verordnung, noch nach den Zuständigkeitsbestimmungen des österreichischen Rechtes, noch nach deutschem Recht, noch nach einem zwischenstaatlichen Übereinkommen zwischen Deutschland und Österreich zuständig.
Richtig an dieser Argumentation ist lediglich, dass - wie aus Art 42 der Verordnung Brüssel II herzuleiten ist - das später angerufene Gericht Art 11 der Verordnung Brüssel II nicht anwenden darf, wenn das zuerst angerufene Gericht sich auf Grund einer Vorschrift für zuständig erklärt hat, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II der Verordnung Brüssel II oder eines Abkommens, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens zwischen den beiden Staaten in Kraft war, nicht übereinstimmt (vgl EuGH C-163/95 R n 20 f). Um beurteilen zu können, ob die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes im Sinne dieser Voraussetzungen bejaht werden kann, ist es allerdings notwendig, die Gründe, auf die das zuerst angerufene Gericht allenfalls seine Zuständigkeit stützt, zu kennen. Folgerichtig hat der EuGH daher in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung formuliert, dass dann, wenn das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit noch nicht entschieden hat, das später angerufene Gericht Art 21 EuGVÜ (hier also Art 11 der Brüssel II-Verordnung) vorläufig anzuwenden hat.
Da im vorliegenden Fall eine Entscheidung des Amtsgerichtes Walsrode über die Einrede der Unzuständigkeit durch den Kläger noch nicht vorliegt, hat das Erstgericht das Verfahren über die gegenständliche Scheidungsklage zu Recht von Amts wegen bis zur Klärung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Amtsgerichtes ausgesetzt. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO.
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