Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.348,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 724,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Rechtsnachfolger seines am 8.April 1988 verstorbenen Vaters, des Rechtsanwaltes Dr.Winfried M*****. Dr.Winfried M***** hatte bei der Beklagten eine Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden mit einer Versicherungssumme von S 300.000,-- abgeschlossen. Dieser Vertrag wurde zum 30.Mai 1988 aufgekündigt. Über die oberösterreichische Rechtsanwaltskammer bestand ferner zugunsten Dris M***** eine weitere Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden bis zu einer Versicherungssumme von S 2 Mio pro Versicherungsfall, und zwar nach einer Mindestbasisdeckung von S 300.000,--. Bezüglich dieser S 300.000,-- bestand ein Selbstbehalt. Beide Vermögensschadenshaftpflichtversicherungen erstrecken sich auf die mit der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verbundenen Tätigkeit. Ihnen lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV) zugrunde. Nach Art 5 Z 1 dieser Versicherungsbedingungen ist Versicherungsfall der Verstoß, der Haftpflichtansprüche gegen den Versicherungsnehmer zur Folge haben könnte. Art 2 Abs 2 lautet: "Wird ein Schaden durch Unterlassung gestiftet, so gilt im Zweifel der Verstoß als an dem Tag begangen, an welchem die versäumte Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen, um den Eintritt des Schadens abzuwenden."
Dr.Winfried M***** hatte zu 8 Cg 188/83 des Landesgerichtes Linz Brunhilde K***** in einem Ehescheidungsverfahren vertreten. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 4.April 1987 wurde diese Ehe geschieden, wobei die Rechtskraft des Scheidungsausspruches am 2.Juni 1987 eingetreten ist. Dr.Winfried M***** hat die einjährige Frist des § 95 EheG für das Aufteilungsverfahren nach den §§ 81 ff EheG nicht im Kanzleifristvormerkkalender vorgemerkt. Ein solcher Antrag ist in der Folge auch nicht rechtzeitig gestellt worden. Dr.Winfried M***** wußte nicht, daß die Frist des § 95 EheG mit Rechtskraft der Scheidung und nicht erst mit Rechtskraft des Verschuldensausspruches in Gang gesetzt wird.
Mangels fristgerechten Antrages nach § 95 EheG mußte Brunhilde K***** aufgrund einer Räumungsklage ihres geschiedenen Ehegatten die Ehewohnung räumen, obwohl ihr diese Wohnung im Falle fristgerechter Antragstellung zugewiesen worden wäre. Sie brachte deshalb zu 23 C 1315/90 des Bezirksgerichtes Linz eine Schadenersatzklage gegen Dr.Werner M*****, dem Rechtsnachfolger des Dr.Winfried M*****, ein, wobei in allen drei Instanzen festgestellt wurde, daß die beklagte Partei für alle nachteiligen Folgen, die der Klägerin aus der Versäumung der Frist des § 95 EheG im Anschluß an das Verfahren 8 Cg 188/83 des Landesgerichtes entstanden sind und entstehen werden, haftet.
Mit der vorliegenden Klage verlangt Dr.Werner M***** die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus den beiden genannten Versicherungen für die Schadenersatzforderung der Brunhilde K*****.
Beide Vorinstanzen bejahten die Frage, ob das Versäumnis Dris Winfried M***** grundsätzlich als Versicherungsfall zu werten wäre. Das Erstgericht wies jedoch die Deckungsklage mit der Begründung ab, infolge Art 2 der AVBV sei der Verstoß Dris M***** erst mit Ablauf der für die Antragstellung nach § 95 EheG vorgesehenen Frist anzunehmen. Dieser Zeitpunkt liege nach Beendigung der Versicherung, so daß der Verstoß durch die Versicherung nicht gedeckt sei.
Das Berufungsgericht gab der Deckungsklage statt und erklärte die Revision für nicht zulässig. Es vertrat die Rechtsansicht, infolge seines Todes hätte Dr.Winfried M***** ab dem 8.April 1988 nicht mehr die Möglichkeit gehabt, sein Versäumnis zu beheben. Demnach sei der Verstoß mit dem erwähnten Zeitpunkt anzunehmen. Dieser Tag liege aber noch innerhalb der Gültigkeit der beiden Versicherungen.
Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist zulässig aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat die Nichtzulassung der Revision damit begründet, daß bezüglich der Beurteilung der Unterlassung Dris M***** eine bindende Entscheidung vorliege. In diesem Punkte haben die Vorinstanzen die Rechtssache tatsächlich richtig beurteilt, weshalb hier auf ihre Entscheidung verwiesen werden kann. Zu dieser Frage wäre eine Revision tatsächlich nicht zuzulassen gewesen.
Was dagegen die Frage anlangt, ob der Verstoß Dris M***** durch die beiden Versicherungsverträge gedeckt ist oder nicht, kommt es auf eine Auslegung des Art 2 Abs 2 der AVBV an. Zu dieser Frage gibt es in Österreich weder Literatur noch Judikatur. Hier handelt es sich nicht um einen Sachverhalt, der über den Einzelfall hinaus ohne Bedeutung wäre. Vielmehr ist die Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage erforderlich. Dies führt im Gegensatz zu der Annahme des Berufungsgerichtes zur Zulässigkeit der Revision.
Richtig ist, daß die Nichtvormerkung einer Frist für die Antragstellung nach § 95 EheG und die Nichtaufklärung der Klientin über die Notwendigkeit einer solchen Antragstellung bei der gegebenen Sachlage rechtlich nicht zu vertreten war und daß demnach darin ein Verstoß des Anwaltes gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht lag. Hiebei handelt es sich um eine Unterlassung, die letzten Endes zur Schadenszufügung geführt hat. Allerdings wäre diese Unterlassung folgenlos geblieben, wäre innerhalb der Jahresfrist, also bis zum 2. Juni 1989, eine Antragstellung erfolgt. Erst die endgültige Unterlassung der Antragstellung hat den Schadenseintritt bewirkt. Nun setzt Art 2 Abs 2 der AVBV fest, daß bei Unterlassungen im Zweifel der Verstoß als an dem Tag begangen gilt, an welchem die versäumte Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen, um den Eintritt des Schadens abzuwenden. Vor diesem Zeitpunkt ist also ein Verstoß im Sinne der AVBV überhaupt nicht anzunehmen. Nach Art 5 Z 1. dieser Versicherungsbedingungen ist aber erst der Verstoß Versicherungsfall, wobei der Versicherer nur dann haftet, wenn der Verstoß während der Wirksamkeit des Versicherungsschutzes begangen wird (Art 2 Abs 1 AVBV). Das Berufungsgericht hat diese Bestimmung subjektiv dahin ausgelegt, daß der Versicherungsnehmer selbst in der Lage gewesen sein müßte, den Schadenseintritt abzuwenden. Dagegen steht die Auslegung durch das Erstgericht, derzufolge die Abwendung des Schadens objektiv möglich gewesen hätte sein müssen.
Anders als bei der vorliegenden Versicherung für Vermögensschäden wird in den Bedingungen über die allgemeine Privathaftpflichtversicherung (AHVB) als Versicherungsfall nicht der Verstoß, sondern das Schadensereignis definiert. Der Unterschied besteht darin, daß Verstoß das Kausalereignis, also das haftungsrelevante Verhalten des Versicherungsnehmers, das den Schaden verursacht hat, ist, Schadensereignis dagegen der "äußerer Vorgang", der die Schädigung des Dritten und damit die Haftpflicht des Versicherungsnehmers unmittelbar herbeiführt. Schadensereignis ist also das Folgeereignis, das mit dem Eintritt des realen Verletzungszustandes gleichgesetzt wird (vgl Prölss-Martin VVG24, 623). Die Regelung der AHVB muß aber nicht der Auslegung der Regelung der ABVB dienen. Prinzipielle Quelle der Haftpflichtversicherung ist im allgemeinen die Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers. Fallen ohne besondere Regelung durch Versicherungsbedingungen Ursache und Schadensereignis zeitlich unterscheidbar auseinander, so ist mit Rücksicht auf die primär hervorzuhebende Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für die Ursächlichkeit des Geschehens grundsätzlich auf den Verstoß abzustellen (Bruck-Möller-Johansen VVG8 IV, 52). Demnach hat für den Bereich der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung die Bestimmung des Art 5 Z 1 AVBV ohnehin nur deklaratorische Bedeutung (Bruck-Möller-Johansen aaO, 59). Für die AVBV wird bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis in den Deckungszeitraum der Versicherung fällt, anders als bei der Privathaftpflichtversicherung, nur auf die Ursache abgestellt (Bruck-Möller-Johansen aaO, 145). Dieser Umstand hat entscheidende Bedeutung für die Auslegung des Art 2 Abs 2 ABVB. Der Ausdruck "Verstoß" hebt die subjektive Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers deutlich hervor. Unter einem Verstoß versteht der allgemeine Sprachgebrauch ein (zumindest objektiv) regelwidriges Verhalten. Daran ändert die Verstoßdefinition des Art 2 Abs 2 AVBV nichts. Sie trägt nur der Erwägung Rechnung, daß eine Unterlassung meist nicht unmittelbar einen Schaden bewirkt, das Versäumnis vielmehr oft erst nach längerem Untätigbleiben zu irreparablen Folgen führt. Der Verstoß ist also erst mit der Unwiderruflichkeit der Folgen vollendet. Im Hinblick darauf, daß Grundlage der Haftpflicht ein Verhalten des Versicherungsnehmers ist, muß aber auch die Unwiderruflichkeit in den persönlichen Einflußbereich des Versicherungsnehmers fallen. Bei Fahrlässigkeit des Unterlassens ist also hypothetisch festzustellen, wann der Versicherungsnehmer spätestens den Schaden noch hätte abwenden können, wenn er nun endlich gehandelt hätte (Prölss-Martin aaO, 1010). Natürlich trägt das Risiko der Vergeblichkeit von Sanierungsversuchen der Versicherungsnehmer. Werden diese Versuche durch hinzugetretene Umstände vereitelt (etwa der Rechtsanwalt kann einen ehemaligen Klienten nach Vollmachtskündigung nicht mehr erreichen), so kommt dies dem Versicherungsnehmer nicht zugute. Hat der Versicherungsnehmer aber selbst abstrakt keine Möglichkeit mehr, die versäumte Handlung nachzuholen, was bei Eintritt seines Todes der Fall ist, so bewirkt dieser Umstand die Vollendung des Verstoßes im Sinne des Art 2 Abs 2 AVBV.
Im vorliegenden Fall ist der Versicherungsnehmer noch während der Wirksamkeit des Versicherungsschutzes verstorben. Ab diesem Zeitpunkt hatte er also auch abstrakt keine Möglichkeit mehr, die versäumte Handlung nachzuholen. Dem Berufungsgericht ist daher dahin beizupflichten, daß die begehrte Deckung gewährt werden muß.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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