OGH 7Ob16/91

OGH7Ob16/9111.7.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Ltd., ***** vertreten durch Dr. Egon Sattler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Werner Masser ua Rechtsanwälte in Wien, wegen US-Dollar 62.825,-- s.A. (= öS 722.487,50) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 22. Juni 1990, GZ 3 R 51/90-37, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10. Dezember 1989, GZ 18 Cg 107/87-33, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei hat von ihr in Österreich gekaufte Chemikalien für den Land- und Seetransport nach Zypern vom Transporteur S***** aufgrund einer bestehenden Generalpolizze versichern lassen. Dieser Versicherung wurden daher die der Generalpolizze angeschlossenen Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen, und die Allgemeinen Österreichischen Seetransport-Versicherungsbedingungen AÖS 1975 zugrunde gelegt. Nach § 6 Abs. 2 a der AÖS 1975 sind vom Versicherungsschutz Schäden die "durch die natürliche oder mangelhafte Beschaffenheit der Güter, durch inneren Verderb, Schwund, Austrocknen, Verstreuen, Untermaß, Untergewicht, Manko, Selbstentzündung, Temperatureinflüsse und Luftfeuchtigkeit" verursacht werden, ausgeschlossen. § 6 Abs. 4 der AÖS 1975 lautet: "Konnte nach den Umständen des Falles ein Schaden aus einer oder mehreren der in Abs. 1 bis 3 bezeichneten Ursachen entstehen, so wird bis zum Nachweis des Gegenteils durch den Versicherungsnehmer oder Versicherten vermutet, daß der Schaden daraus entstanden ist."

Ampicillin-Trihydrat ist ein für die Verwendung in der Humanmedizin bestimmtes Produkt. Es ist ein weißes kristallines Pulver und soll in gut verschlossenen Behältern bei einer Temperatur gelagert werden, die 25 Grad Celsius nicht überschreitet. Die bei einer Verladung der Ware auf das Schiff Pelti im Hafen Porto Nogaro am 3. Dezember 1986 ausgestellte "Bill of lading" weist den Vermerk "Clean" "goods on bord" auf, die Ware war daher im guten Zustand. Bei der Ankunft in Limassol am 12. Jänner 1987 waren nur mehr 5 der 40 Fässer intakt, alle, auch die fünf intakten, waren mit schwarzem Staub bedeckt. 20 Behälter waren stark deformiert und aufgebrochen, bei weiteren 5 Behältern war die doppelte Nylonverpackung zerrissen und ihr Inhalt (offenbar im Verpackungsmaterial, teilweise) verstreut, 10 Behälter wiesen sehr starke Risse auf und waren auch geöffnet worden. Das Ampicillin-Trihydrat war durch Staub verunreinigt. Proben der Waren aus sämtlichen Behältern wiesen eine gelbe Färbung mit weißen Flecken auf. Diese Gelbfärbung wird nicht durch die Verunreinigung, sondern ausschließlich durch Hitzeeinwirkung verursacht und tritt bei einer Temperatur von 60 Grad Celsius erst nach 30 Tagen, einer solchen von 70 Grad bereits nach 6 Tagen und bei einer solchen von 95 Grad schon nach 4 Stunden auf. Im Zeitraum vom 3. Dezember 1986 bis 12. Jänner 1987 traten im gesamten Mittelmeerraum keine (witterungsbedingten) Temperaturen von 30 Grad Celsius oder darüber auf.

Die Klägerin begehrt unter Berufung auf ein in ihrem Besitz befindliches Originalversicherungszertifikat den Zuspruch von US-Dollar 62.825,--. Mit der Übernahme der Ware an Bord des Schiffes "Pelti" sei die Gefahr auf sie als Käuferin übergegangen. Auf der Überfahrt nach Limassol sei das Frachtschiff in schwere Unwetter geraten. Die Container mit der Ware hätten grüne Aufkleber mit der Aufschrift getragen, laut welcher die Container gut geschlossen und bei einer 25 Grad Celsius nicht übersteigenden Temperatur gelagert werden sollen. Sollte das verkaufte Gut Temperaturen von mindestens 60 Grad ausgesetzt worden sein, so sei dies grob fahrlässig gewesen. Die Unbrauchbarkeit der Ware ergebe sich sowohl aus der Gelbverfärbung, wie auch aus ihrer Verschmutzung.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung. Sie wendete ein, der Schaden bestehe allein in der Gelbverfärbung des Produktes, die allein auf Hitzeeinwirkung zurückzuführen sei. Damit handle es sich aber um einen Schaden, für den die beklagte Partei gemäß § 6 Abs. 2 AÖS nicht aufzukommen habe. Soweit die Klägerin den Standpunkt einnehme, die Unbrauchbarkeit sei nicht nur auf die Gelbverfärbung, sondern auch auf die Beschädigung und Verschmutzung zurückzuführen, so sei ihr Verhalten arglistig, weshalb gemäß § 18 Abs. 1 AÖS Leistungsfreiheit eintrete. Es sei ausgeschlossen, daß das Transportgut während der versicherten Reise, sei es auf See, sei es beim Landtransport, den den Schaden verursachenden hohen Temperaturen ausgesetzt worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte, die Gelbverfärbung der Ware sei ausschließlich auf Temperatureinflüsse zurückzuführen. Es greife daher der Ausschluß nach § 6 Abs. 2 lit. a der AÖS 1975 Platz. Dieser Ausschluß sei nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht auf witterungsbedingte Temperatureinflüsse beschränkt. Es sei unerheblich, ob und in welchem Ausmaß auch die während des Seetransportes erfolgten Beschädigungen der Warenbehälter jedenfalls für sich allein eine Unbrauchbarkeit der darin verpackten Ware bewirkt hätten. Ob die Gelbverfärbung während des Seetransportes oder bereits vorher oder während des ebenfalls bei der Beklagten versicherten Landtransportes von Villach nach Triest oder aber noch vor diesem Transport erfolgt sei, sei ebenfalls unerheblich, weil in jedem dieser Fälle die beklagte Partei leistungsfrei sei.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit der angefochtenen Entscheidung auf. Es ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Es folgerte rechtlich, die Regelung des § 6 Abs. 2 der AÖS

1975 gehe auf § 821 HGB zurück. Gemäß Z 3 leg. cit. erster Halbsatz falle dem Versicherer der Schaden nicht zur Last, welcher durch die natürliche Beschaffenheit der Güter, nämlich durch ihren inneren Verderb, Schwinden, gewöhnliche Leckage udgl. oder auch durch mangelhafte Verpackung der Güter entstehe oder an diesen durch Ratten oder Mäuse verursacht werde. Daraus werde deutlich, daß mit solchen Bestimmungen nur Schäden ausgeschlossen werden sollten, für die andere Umstände als die versicherte Gefahr ursächlich seien. Demnach sollten nicht alle auf Temperatureinflüsse zurückzuführende Schäden, sondern nur solche von der Versicherung ausgeschlossen sein, die auf den normalen Verlauf des Transportes auftretende Temperaturschwankungen zurückzuführen seien. Sei der auf einen Temperatureinfluß zurückzuführende Schaden durch eine von außen auf die versicherte Ware einwirkende unvorhergesehene Gefahr zurückzuführen, wäre die Versicherung leistungspflichtig. Der Vermerk "Clean on bord" auf der bill of lading allein schließe noch nicht aus, daß die Gelbfärbung schon vor der Verladung aufgetreten sei. Allerdings sei hiefür die beklagte Versicherung beweispflichtig. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben, welche Deckungsform dem vorliegenden Versicherungsvertrag zugrundeliege. Es werde sich auch mit der aktiven Klagslegitimation auseinanderzusetzen und Feststellungen über die behauptete Abtretung aller gegen die Versicherung aus dem Schadensfall bestehenden Ansprüche zu treffen haben. Weiters müßten Feststellungen über die behauptete arglistige Darlegung der Klägerin, die ganze Sendung wäre infolge Gelbverfärbung des Produktes unbrauchbar geworden, getroffen werden.

Der von der beklagten Partei gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Rechtsmittels ist allein die Auslegung des Begriffes "Ausschluß von Schäden, verursacht durch ... Temperatureinflüsse ..." im § 6 Abs. 2 lit. a AÖS. Nach objektivem Gesichtspunkt als unklar aufzufassenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen müssen so ausgelegt werden, wie dies der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen mußte, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gehen. Zu berücksichtigen ist in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Prölss-Martin VVG24, 24 f, EvBl. 1982/94, zuletzt VersRdSch 1990, 57 mwN).

Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die dem vorliegenden Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AÖS lt. § 3 leg. cit. die Abdeckung verschiedener Deckungsformen je nach Vereinbarung vorsehen und zwar frei von Beschädigung (VPA), einschließlich von Beschädigung (WA) und "gegen alle Risken" (all risks). Wenn es sich, wie sich aus der unbestrittenen, in englischer Sprache verfaßten Beilage D (Rückseite Punkt 5 der conditions) ergibt um eine all risks-Versicherung handelt, so ist der Ausschluß laut dem Klauselkatalog des § 6 AÖS anzuwenden (§ 3 Abs. 5 AÖS). Allein die Gegenüberstellung in § 6 AÖS von nicht versicherten "Gefahren" (Abs. 1) und von "Schäden" (Abs. 2) die allesamt nicht auf gewaltsam einwirkende Umwelteinflüsse zurückzuführen sind, zeigt die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes. Demnach sind Schäden, die auf eine Gefahr, die der Beförderung auf See oder zu Lande eigentümlich ist, zurückzuführen sind, sehrwohl Gegenstand der Transportsicherung. Der Begriff Gefahr setzt voraus, daß der Eintritt des Ereignisses ungewiß und unvorhersehbar ist. Demgegenüber kann der Schaden auf eine versicherte Gefahr, eine unversicherte Gefahr oder aber auch darauf zurückzuführen sein, daß der versicherte Gegenstand den Einflüssen nicht standhalten konnte, die während des vesicherten Zeitraumes im normalen Verlauf auf ihn einwirkten oder aus ihm selbst wirkten (vgl. Enge, Seetransportversicherung2, 50). Der Rekurswerberin ist zuzugestehen, daß die ADS 1973, auf die sich der Literaturhinweis bezog, nur einen Ausschluß von Schäden aus "gewöhnlichen Temperaturschwankungen" vorsehen, während die AÖS 1975 nur von "Temperatureinflüssen" sprechen. Aus der zitierten Zweiteilung der Ausschlußklausel des § 6 AÖS und der beschriebenen Gemeinsamkeit aller in Abs. 2 aufgezählten "Schäden" ist jedoch die Interpretation des Wortes "Temperatureinflüsse" nur im Zusammenhalt mit den anderen Schadensursachen möglich. Da alle diese Schadensursachen nicht auf eine Gefahr zurückgehen, kommt man daher zur Auslegung, daß unter Schäden aus "Temperatureinflüssen" nur solche Ursachen zu verstehen sind, die darauf zurückzuführen sind, daß der versicherte Gegenstand den "normalen" Einflüssen, die im normalen Verlauf auf ihn einwirkten oder aus ihm selbst wirkten, nicht standhalten konnte. Der Unterschied zwischen den deutschen und österreichischen Versicherungsbedingungen in diesem Punkte könnte nur darin liegen, daß nach der deutschen Bestimmung nicht auf eine Gefahr zurückzuführende Schäden aufgrund von außergewöhnlichen Temperaturschwankungen mitversichert wären, nach der österreichischen jedoch nicht. Der Zweck der Ausschlußklausel des § 6 Abs. 2 AÖS und im speziellen des Ausschlusses von Schäden aufgrund von Temperatureinflüssen ist daher darin zu erblicken, daß der Versicherungsnehmer dazu gebracht wird, nur einwandfreies und ohne besonderes Risiko transportfähiges Gut in ordnungsgemäßer Verpackung mit sämtlichen ordnungsgemäß ausgestellten Dokumenten zu versenden (vgl. VR 1987, 165). Diese Rechtsansicht ergibt sich auch, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, aus der Auslegung des § 821 Z 3 HGB, dem Prototyp der Seetransportversicherungen, wonach mit derartigen Klauseln nur Schäden ausgeschlossen werden sollen, für die andere Umstände, als die versicherte Gefahr ursächlich sind (vgl. Enge aaO 190). Damit ist aber, entgegen der Rechtsansicht der Rekurswerberin, nicht jeder auf Temperatureinflüsse zurückzuführende Schaden von der Versicherung ausgeschlossen. Abgesehen von § 6 Abs. 4 AÖS beinhalten diese Bedingungen zur erörternden Frage keine Beweislastregelung. Das Berufungsgericht ging offenbar davon aus, durch die Feststellung, daß während des Seetransportes keine Wettertemperaturen von mehr als 30 Grad Celsius aufgetreten sind, habe die Klägerin bereits den Nachweis erbracht, daß die Gelbverfärbung der Chemikalien auf den Eintritt einer Gefahr zurückzuführen ist. Damit habe sie ihrer Beweispflicht entsprochen. Einerseits wird im Rekurs gegen diese abschließende Beurteilung der Beweisfrage nichts vorgebracht, andererseits erweist sich die Beurteilung der Frage, ob ein Beweis erbracht worden ist, als nicht revisibel. Durch die Aufhebung des Ersturteiles bedingt, könnte es aber im fortgesetzten Verfahren zu anderen als der zitierten Feststellung kommen. In diesem Fall wäre zu beachten, daß solange Zweifel bestehen, ob und inwieweit der Schaden durch die Gelbverfärbung auf witterungsbedingte Temperaturen zurückzuführen ist, die Klägerin dafür beweispflichtig wäre, daß diese Schadensursache auszuscheiden hat; hat sie diesen Beweis erbracht, so ist für die weitere Beurteilung die normale Beweislastverteilung maßgeblich.

Gegenüber dem Nachweis, daß die Güter vollständig unversehrt abgeladen worden sind, kann der Versicherer den Gegenbeweis führen, daß die Beschädigung auf der Reise nicht eingetreten ist oder eingetreten sein kann (vgl. Enge aaO, 56). Es sind daher, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, zunächst Feststellungen über die abgeschlossene Versicherungsart und sodann über die Behauptung zu treffen, ob die Gelbverfärbung der Ware schon vor der Verladung in Porto Nogaro eingetreten ist.

Die von der Rekurswerberin nicht bekämpften Rechtsansichten des Berufungsgerichtes im Rahmen seines Aufhebungsantrages sind zu teilen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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