Spruch:
Die Sorgfaltspflicht des Erwerbers nach § 1409 ABGB besteht in der Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, in der Befragung des Veräußerers über den Stand der Passiven, über die letzterer dem Erwerber nach der Übung des redlichen Verkehrs ein lückenloses Verzeichnis auszuhändigen hat, und in der genauen Prüfung der auf diese Weise hervorgekommenen oder sonst bekannten Schulden
OGH 20. Juni 1974, 7 Ob 118/74 (OLG Wien 1 R 26/74; HG Wien 31 Cg 16/73)
Text
Die Aufhebung des im ersten Rechtsgange erflossenen erstgerichtlichen Urteils erfolgte zur Feststellung des Zeitpunktes einer vom Beklagten behaupteten privaten Übernahme einer gegenüber der Volksbank S bestehenden Schuld der Hildegard G durch den Beklagten. Nur für den Fall einer vor Klagszustellung erfolgten Schuldübernahme im Sinne des § 1405 ABGB würde namlich die Abweisung des auf den § 1409 ABGB gestützten Klagebegehrens aus dem Gründe des § 1409 Abs. 1 letzter Satz ABGB gerechtfertigt sein, weil dann der Beklagte unter Bedachtnahme auf andere Zahlungen mehr an Schulden berichtigt hätte, als der Wert des übernommenen Vermögens beträgt.
Das Erstgericht hat im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren neuerlich abgewiesen. Es wiederholte alle im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen und traf im wesentlichen folgende zusätzliche Feststellungen:
Bei Abschluß des Kaufvertrages zwischen Hildegard G und dem Beklagten war die vertragsgegenständliche Liegenschaft mit einer Hypothek der Volksbank S über 400.000 S zur Sicherstellung einer Darlehensforderung dieser Bank gegen Hildegard G in gleicher Höhe belastet. Am Tage des Kaufvertragsabschlusses oder am folgenden Tag wandte sich der Beklagtenvertreter telefonisch an die Volksbank mit der Frage, ob der Übernahme der Darlehensschuld durch den Beklagten zugestimmt werde. Der Beklagte habe sich im Kaufvertrag der Hildegard G gegenüber zur Abdeckung dieser Verbindlichkeit verpflichtet. Im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse des Beklagten war der Gesprächspartner des Beklagtenvertreters mit einer solchen Schuldübernahme sofort einverstanden. Am 21. August 1968 zahlte der Beklagte 150.000 S (gemeint: an die Volksbank). Hinsichtlich des restlichen Darlehensbetrages von 250.000 S erklärte sich der Beklagte mit dem von der Volksbank formulierten Offert vom selben Tag zur Rückzahlung bis 31. Dezember 1971 bereit, wobei die auf den der Hildegard G gehörenden 3/4-Anteil an der kaufvertragsgegenständlichen Liegenschaft einverleibte Höchstbetragshypothek im Betrage von 400.000 S und alle Kreditbedingungen (mit Ausnahme der Verpflichtung zur Ratenzahlung) aufrecht bleiben sollten. Der Beklagte schlug der Volksbank damit seinen Eintritt in das Darlehensverhältnis als Hauptschuldner vor. Nach Genehmigung dieses Vorschlages durch den Vorstand nahm dieser das Offert des Beklagten mit Schreiben vom 2. September 1968 an. Nur zur Präzisierung und Absicherung der Volksbank hat der Beklagte auf deren Ersuchen in einem von der Bank formulierten Schreiben vom 26. November 1968 für das Darlehen nochmals seine persönliche Haftung angeboten. Mit dem Eintritt des Beklagten in das Darlehensverhältnis als Schuldner wurden die ursprüngliche Hauptschuldnerin Hildegard G sowie ihr Sohn Reinhard G von der Volksbank aus der Haftung nicht entlassen. Der Beklagte hat die übernommene Darlehensschuld am 23. März 1970 getilgt. Der Wert des vom Beklagten übernommenen Vermögens der Hildegard G beträgt 936.700 S.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß der Beklagte als Übernehmer des Vermögens die klagsgegenständliche Schuld weder kannte, noch - im Hinblick auf die Befragung der Übergeber und die Einholung einer Auskunft des Steuerberaters - kennen mußte. Aber selbst wenn man annehmen sollte, daß er die Schulden kennen mußte, wäre für die klagende Partei nichts gewonnen, weil der Beklagte vor Zustellung der Klage mehr an Schulden berichtigt, bzw. übernommen habe als das übernommene Vermögen wert gewesen sei. Einem Vermögenswert von 936.700 S seien Schuldentilgungen in der Höhe von 756.010.75 S gegenüber gestanden. Als Schuldtilgung vor Klagszustellung sei auch die Schuldübernahme hinsichtlich der Darlehensforderung der Volksbank S im Betrage von 250.000 S per 2. September 1968 zu werten. Diese Vereinbarung sie deshalb eine Schuldübernahme im Sinne des § 1405 ABGB, weil der Beklagte das Darlehen nach dem Willen aller Beteiligten zurückzuzahlen verpflichtet gewesen sei und weil darin die Tilgung eines Teiles der Kaufpreisschuld vereinbarungsgemäß zu erblicken sei. Der Umstand, daß sich die Volksbank dennoch der Haftung der Hildegard G versichert habe, könne nur als ein Bürgschaftsvertrag im Sinne des § 1357 ABGB betrachtet werden.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es teilte nicht die Auffassung des Erstgerichtes über die Schuldübernahme, weil sich nach den Feststellungen durch den Schuldbeitritt des Beklagten an der Haftung der Hildegard G nichts geändert habe. Der von der klagenden Partei herangezogene Rechtsgrund des § 1409 ABGB versage jedoch trotzdem, weil der Beklagte die klagsgegenständliche Schuld nicht habe kennen müssen. Wenn sich auch der Beklagte mit der negativen Auskunft des Sohnes der Hildegard G nicht habe zufriedengeben dürfen, so habe er seiner Sorgfaltspflicht durch die Befragung des Steuerberaters der Hildegard G, bei dem sich die diesbezüglichen Kontoblätter befunden haben, genüge geleistet. Der Steuerberater habe jedoch die Frage nach weiteren Schulden ausdrücklich verneint. Die Einsichtnahme in die Geschäftsbücher der Hildegard G sei im Hinblick auf die Auskunft des Steuerberaters nicht notwendig gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision Folge.
Die Urteile der Untergerichte werden dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, an die klagende Partei einen Betrag von 73.715.75 S samt 8% Zinsen seit 6. März 1969 aus 61.615 S, ferner 4% Zinsen seit 6. März 1969 zu zahlen, sowie der klagenden Partei die mit 44.184.69 S bestimmten Prozeßkosten (darin sind 7.554 S an Barauslagen und 2.112.69 S an Umsatzsteuer enthalten) zu ersetzen, dies alles binnen 14 Tagen bei Exekution."
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Übernehmer eines Vermögens oder eines Unternehmens haftet gemäß dem § 1409 Abs. 1 ABGB für jene zum Vermögen oder Unternehmen gehörenden Schulden, die er bei der Übergabe kannte oder kennen mußte. Da der Beklagte nach den Feststellungen der Untergerichte die klagsgegenständliche Schuld nicht kannte, muß geprüft werden, ob er sie kennen mußte. Eine solche Kenntnis muß der Übernehmer dann gegen sich gelten lassen, wenn er bei gehöriger, allgemein üblicher Sorgfaltsanwendung von der Schuld hätte erfahren müssen. Hiebei ist jene Sorgfalt zugrundezulegen, die (gemäß dem § 1297 ABGB) bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann und darüber hinaus (gemäß dem § 1299 ABGB) jene besondere Sorgfalt, die gerade ein Unternehmensübergang erfordert (Wellacher, Die Schuldenhaftung des Übernehmers beim Übergang von Vermögen und Unternehmungen, ÖJZ 1950, 537; 5 Ob 329/64). Die so verstandene Sorgfalt in der Einsichtnahme in die Geschäftsbücher, in der Befragung des Veräußerers über den Stand der Passiven, über die er dem Erwerber nach der Übung des redlichen Verkehrs ein lückenloses Verzeichnis auszuhändigen hat, und in der genauen Prüfung der auf diese Weise hervorgekommenen oder sonst bekannten Gläubiger über Art und Höhe der Schuld. Die Auskunft des Veräußerers allein befreit den Erwerber nicht von der Pflicht, in die Geschäftsbücher Einsicht zu nehmen; andernfalls handelt er auf eigene Gefahr (Wellacher, Schuldenhaftung, sowie in ÖJZ 1957, 449; Gschnitzer, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 106; SZ 10/364; 3 Ob 455/60; 5 Ob 329/64).
Nach den Feststellungen der Untergerichte hat der Beklagte weder in die Bücher Einsicht genommen, noch hat er eine (im Prozeß gar nicht behauptete) Aufstellung der Passiven erhalten. Er hat sich mit den Auskünften der Veräußerin Hildegard G und deren Sohnes sowie mit einer telefonischen Anfrage des Beklagtenvertreters an den Steuerberater der Veräußerin des Inhaltes begnügt, ob diesem noch andere als die grundbürgerlichen Verbindlichkeiten bekannt seien. Aus den bei dem Steuerberater befindlichen Kontoblättern und der Anlageliste wäre jedoch die offene Restschuld zu ersehen gewesen. Der Beklagtenvertreter hat sich mit der telephonischen Verneinung der an den Steuerberater gerichteten Frage begnügt. Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß diese Anfrage und die Auskunftserteilung einer Einsichtnahme in die Bücher gleichzusetzen sei, kann jedoch nicht beigetreten werden. Abgesehen davon, daß eine telefonische Anfrage nicht einmal eine jeden Zweifel ausschließende Gewähr dafür bietet, mit dem gewünschten Gesprächspartner tatsächlich zu sprechen, fehlt jede Möglichkeit zu erkennen, ob die Auskunft auf die Erinnerung des Partners oder auf Quellen und bejahendenfalls auf welchen Quellen beruht. Es fehlt somit jede Möglichkeit zur Beurteilung der Richtigkeit und Verläßlichkeit der Auskunft. Die von dem Steuerberater nach den Feststellungen der Untergerichte gegebene Auskunft, es seien ihm derartige Schulden nicht bekannt, könnte auch bedeuten, daß ihm gerade keine erinnerlich seien. Im übrigen mußte dem Beklagten die objektive Unrichtigkeit dieser Auskunft angesichts des von ihm nach den Feststellungen der Untergerichte der Hildegard G übergebenen, für die Bezahlung von Geschäftsschulden bestimmten Kaufpreisteilbetrages von 100.000 S bekannt sein. Hildegard G hat dem Beklagtenvertreter gegenüber in diesem Zusammenhang Steuer- und Wechselschulden erwähnt und ihm als dringlich bezeichnete Rechnungen gezeigt. Das Erstgericht hat ferner festgestellt, daß dem Beklagten und seinem Rechtsvertreter über die grundbücherlichen Schulden hinaus noch weitere mit dem übergebenen Betrieb im Zusammenhang stehende Verbindlichkeiten der Hildegard G bekannt gewesen seien und daß der vorerwähnte Teilbetrag im Hinblick darauf übergeben worden sei. Dazu kommt, daß dem Beklagten die schlechte finanzielle Lage der Hildegard G schon deshalb bekannt war, weil diese die ihr vom Beklagten gewährten Darlehen nicht zurückzahlen konnte. All diese Umstände hätten ihn zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen. Das Vertrauen des Beklagten auf die Richtigkeit der telefonischen Auskunft des Steuerberaters und die Unterlassung der Bucheinsicht sowie des Begehrens nach Ausfolgung einer Liste aller Passiven verstieß somit in geradezu auffallender Weise gegen die oben dargelegte Sorgfaltspflicht. Daraus folgt, daß der Beklagte die Kenntnis der klagsgegenständlichen Schulden gegen sich gelten lassen muß, weil er sie bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt kennen hätte müssen.
Hingegen ist dem Berufungsgericht hinsichtlich der Beurteilung der zwischen der Volksbank S und dem Beklagten über die Zahlung der Hypothekarschuld der Hildegard G getroffenen Vereinbarung zu folgen. Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde die Hauptschuldnerin Hildegard G von der Volksbank aus der Haftung nicht entlassen. Die in die Form einer Feststellung gekleidete rechtliche Schlußfolgerung des Erstgerichts, der Beklagte habe mit seinem Offert vom 21. August 1968 der Volksbank seinen Eintritt als Hauptschuldner vorgeschlagen und dieser Vorschlag sei mit Schreiben der Volksbank vom 2. September 1968 von dieser angenommen worden, ist verfehlt. Der Beklagte hat sich, wie festgestellt, lediglich bereit erklärt, den restlichen Darlehensbetrag von 250.000 S unter bestimmten Zahlungsmodalitäten sowie unter Aufrechterhaltung der übrigen Sicherungen zurückzuzahlen und diesen Vorschlag hat die Volksbank mit dem Beifügen angenommen, daß dadurch an den für das Darlehen bestellten Sicherheiten keine Änderung eintrete. In diesen Rahmen fügt sich auch die vom Beklagten separat abgegebene schriftliche Haftungserklärung vom 26. November 1968, der keineswegs nur eine präzisierende und der Absicherung dienende Bedeutung zukommt. Da somit der Beklagte nur der Schuld der Hildegard G beigetreten ist, keineswegs jedoch ein Schuldnerwechsel vereinbart wurde, liegen die Voraussetzungen des § 1405 ABGB, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht vor. Diesem Schuldbeitritt kommt in Ansehung des genannten Restbetrages keine schuldtilgende Wirkung im Sinne des § 1409 Abs. 1 letzter Satz ABGB zu. Das gleiche gilt für die am 23. März 1970 vorgenommene Zahlung dieses Restbetrages, weil der für die Tilgungswirkung maßgebliche Zeitpunkt der Klagszustellung (31. Mai 1969) vor diesem Datum liegt. Da aus den dargelegten Gründen eine Haftungsbefreiung des Beklagten nicht eingetreten ist, waren die Urteile der Untergerichte auf der Grundlage der von ihnen über die Höhe des Klagsanspruches getroffenen Feststellungen im klagsstattgebenden Sinne abzuändern.
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