European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070NC00008.16K.0425.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 24. März 2016, GZ 41 Ps 69/16s (41 Ps 64/16f)‑7, gemäß § 111 JN ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Liesing wird genehmigt.
Begründung
Die zweijährige Tochter befindet sich in Obsorge beider Elternteile, die bis zum 3. 3. 2016 (in Lebensgemeinschaft) im gemeinsamen Haushalt lebten und seitdem getrennt sind. Sie wohnt seit diesem Zeitpunkt im Haushalt der Mutter. Die Mutter beantragte, ihr die überwiegende Betreuung für die Tochter zuzuteilen und ein Kontaktrecht des Vaters festzusetzen. Der Vater beantragte (unter anderem) die Festlegung der (vorläufigen) hauptsächlichen Betreuung seiner Tochter in seinem Haushalt und die vorläufige Regelung der persönlichen Kontakte zu ihr. Die Anträge der Eltern sind bislang unerledigt. An Beweisaufnahmen liegt dazu nur ein Situationsbericht des Wiener Kinder‑ und Jugendhilfeträgers vor.
Das Bezirksgericht Salzburg übertrug mit dem im Spruch genannten, den Parteien zugestellten und unbekämpft gebliebenen Beschluss die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Liesing mit der wesentlichen Begründung, dass die Mutter mit der Tochter nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Liesing wohne und die durchzuführenden Erhebungen rascher und einfacher durch dieses Gericht bewerkstelligt werden könnten.
Das Bezirksgericht Liesing lehnte die Übernahme des Akts mit der zusammengefassten Begründung ab, dass kein stabiler Aufenthaltsort des Kindes in seinem Sprengel gegeben sei, der Vater nach wie vor seinen Wohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Salzburg habe und sowohl in Salzburg als auch in Wien Erhebungen durchzuführen seien, wo der zukünftige Hauptaufenthalt des Kindes sein solle und wo das Kindeswohl besser gewahrt werde, sodass eine Zuständigkeitsübertragung nicht sinnvoll sei.
Die Mutter verwies darauf, dass sie in Wien arbeite und die von ihr mit der Tochter bezogene Wohnung seit 17. 3. 2016 der „ordentliche Wohnsitz“ (gemeint: Hauptwohnsitz) sei. Der Vater gab bekannt, dass ihm sowohl die Zuständigkeit in Salzburg wie auch vor dem Bezirksgericht Liesing Recht sei.
Das Bezirksgericht Salzburg legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist zu genehmigen.
1. Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht nach § 111 JN setzt voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. § 111 JN nimmt dabei unter anderem darauf Bedacht, dass ein (örtliches) Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0049144 [T5]). Es ist daher in der Regel das Gericht am Besten zur Führung der Pflegschaftssache geeignet, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS‑Justiz RS0047300).
Der Wohnsitz der zweijährigen Tochter liegt nach der Trennung seiner Eltern seit Mitte März 2016 im Sprengel des Bezirksgerichts Liesing. Sie besucht seitdem dort auch den Kindergarten. Ihre Mutter ist in Wien beschäftigt. Mag auch der Wohnsitz in Wien erst seit Kurzem begründet worden sein, liegt nunmehr der Mittelpunkt der Lebensführung der Zweijährigen im Sprengel des Bezirksgerichts Liesing.
2. Offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (vgl RIS‑Justiz RS0046929 [T3]). Es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine bessere Sachkenntnis zu (RIS‑Justiz RS0047032). Letzteres trifft im vorliegenden Fall nicht zu, weil das übertragende Gericht bislang keine unmittelbaren Beweisaufnahmen durchgeführt hat (7 Nc 5/16v mwN). Schließlich können durch die Zuständigkeitsübertragung auch die aktuellen Lebens‑ und Wohnverhältnisse des Kindes bei den anstehenden Entscheidungen besser berücksichtigt werden.
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