OGH 7Nc21/10p

OGH7Nc21/10p22.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*****, vertreten durch Hengstschläger Lindner und Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. M*****, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwältin in Berndorf, wegen 1.040.000 EUR sA, über den Antrag der klagenden Partei nach § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Als zuständiges Gericht wird das Landesgericht Linz bestimmt.

Text

Begründung

Der Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz im Inland. Die Rechtsverfolgung im Ausland ist seiner Meinung nach im konkreten Fall unzumutbar (iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN), weil die Klage - bei völlig anderer Rechtslage - in Dubai (wo auch eine Vollstreckung stattzufinden hätte) eingebracht werden müsste, auf die strittige Abtretungsvereinbarung österreichisches Recht anzuwenden sei und der Vertragserrichter (= Nebenintervenient), der Kläger sowie sämtliche Zeugen aus Österreich zu allfälligen Gerichtsverhandlungen nach Dubai anreisen müssten, was eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung darstelle. Da das angerufene Gericht bereits mit der Materie befasst sei, erscheine eine Betrauung des Landesgerichts Linz mit der Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig und sinnvoll (ON 12, Seite 6 = AS 44).

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung des von ihm bezahlten Kaufpreises von 1.040.000 EUR für ihm abgetretene Anteile an der E***** LLC und der E***** Dubai LLC (beide registriert in den Vereinigten Arabischen Emiraten [VAE]), ua wegen laesio enormis, Irrtum und List.

Das vom Kläger angerufene Landesgericht Linz wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der Beklagte habe seinen ständigen Wohnsitz seit 1999 in Dubai. Nach Österreich komme er alle zwei bis drei Monate für jeweils eine Woche oder zehn Tage und im Sommer für drei Wochen. Er halte sich dann bei seiner Lebensgefährtin auf, der er seine Liegenschaft in Amstetten - unter Begründung eines Wohnungsgebrauchsrechts zu seinen eigenen Gunsten - übergeben habe.

Über Rekurs des Klägers wurde der Zurückweisungsbeschluss dahin abgeändert, dass das Rekursgericht mit Beschluss vom 21. 7. 2010 (ON 43) aussprach, das Landesgericht Linz sei örtlich unzuständig (Punkt 1), der Antrag des Klägers, die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht St. Pölten zu überweisen, werde abgewiesen (Punkt 2) und der Akt werde dem Obersten Gerichtshof zur Ordination vorgelegt (Punkt 3). Eine Zurückweisung der Klage habe erst zu erfolgen, wenn der Oberste Gerichtshof den Ordinationsantrag ablehne. Das Erstgericht hätte daher zunächst seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen, in der Folge den Überweisungsantrag an das Landesgericht St. Pölten abweisen und letztlich die Rechtssache dem Obersten Gerichtshof zur Ordination vorlegen müssen.

Nach Rechtskraft dieses Beschlusses legte das Erstgericht den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Ordination vor.

Rechtliche Beurteilung

Die für eine Ordination nach § 28 Abs 1 JN unter anderem erforderliche Voraussetzung, dass zwar die inländische Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit) gegeben, ein österreichisches Gericht jedoch nicht örtlich zuständig ist (RIS-Justiz RS0108569, RS0118239; 7 Nc 10/09v), liegt hier vor.

Die begehrte Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN setzt außerdem voraus, dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland „nicht möglich oder unzumutbar wäre“. Gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 oder 3 zu behaupten und zu bescheinigen.

§ 28 Abs 1 Z 2 JN soll die Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist (Matscher in Fasching² I § 28 JN Rz 40).

Der Kläger erfüllt die erste der beiden von § 28 Abs 1 Z 2 JN aufgestellten Voraussetzungen (Naheverhältnis zum Inland) im Hinblick auf seine Staatsangehörigkeit und seinen Wohnsitz in Österreich (Matscher aaO Rz 46).

Was die zweite Voraussetzung (nämlich die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im konkurrierenden Ausland „im Einzelfall“) betrifft, ist zunächst die ständige Rechtsprechung zu berücksichtigen, wonach etwa eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein für eine Ordination nicht ausreichen kann (RIS-Justiz RS0117751; 10 Nc 19/05h mwN). Insbesondere darf die Ordination nicht dazu dienen, dass der Antragsteller einer bestimmten materiellen Rechtslage „zu entrinnen“ vermag, die er subjektiv als Härte oder als ungerecht empfindet (RIS-Justiz RS0117751 [T1] = 10 Nc 19/05h; Burgstaller/Neumayr, Beobachtungen zu Grenzfragen der internationalen Zuständigkeit: Von forum non conveniens bis Notzuständigkeit, FS Peter Schlosser [2005] 119 [132]). Keinesfalls soll daher durch die Ordinationsmöglichkeit ein genereller inländischer Klägergerichtsstand eingeführt werden (Matscher aaO Rz 44; 10 Nc 19/06h).

Unzumutbarkeit wird von der Rechtsprechung jedoch dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde; unter der weiteren Voraussetzung, dass eine Exekutionsführung im Inland überhaupt geplant ist (RIS-Justiz RS0046148 [T10] = 8 Nc 25/06b). Das vom Kläger offenbar ins Treffen geführte Prozesskostenargument ist nach der bisherigen Rechtsprechung hingegen nur in Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen: Die Kostenfrage stellt sich nämlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (RIS-Justiz RS0046420 [T1, T2, T6, T8 und T11]; jüngst: 5 Nc 21/09x und 8 Nc 27/09a).

Was nun den Ordinationsantrag des Klägers betrifft, sprechen neben den bereits darin aufgezeigten besonderen Umständen dieses Einzelfalls auch noch folgende allgemeine Überlegungen dafür, ausnahmsweise inländischen Rechtsschutz zu gewähren:

§ 28 Abs 1 Z 2 JN wurde mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 (BGBl I 1997/140) leicht verändert. Ziel der Neuformulierung war nach den Gesetzesmaterialien (RV 898 BlgNR 20. GP 33 f) unter anderem eine Lockerung des von der Rechtsprechung gelegentlich zu restriktiv gehandhabten Erfordernisses der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung im Ausland durch die Einfügung der Wendung „im Einzelfall“, durch welche die Rechtsprechung auf eine größere Bedachtnahme auf die Einzelfallgerechtigkeit hingewiesen wurde. Außerdem sollte auch die Kostspieligkeit einer Prozessführung im Ausland noch stärker berücksichtigt werden als zuvor (10 Ob 19/05h; Matscher in Fasching² I § 28 JN Rz 41 und 67).

Nach diesen (neuen) Grundsätzen muss die zweifellos sehr kostspielige Rechtsverfolgung im weit entfernten Wohnsitzstaat des Beklagten (Dubai, VAE) für den Kläger als unzumutbar angesehen werden. Ausgehend von den regelmäßigen Aufenthalten des Beklagten am Wohnsitz seiner Lebensgefährtin und vom Streitwert ist daher das - bereits bisher befasste - Landesgericht Linz zu ordinieren.

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