OGH 6Ob92/07h

OGH6Ob92/07h25.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Salzburg zu FN ***** eingetragenen B***** reg.Gen.m.b.H. mit dem Sitz in S***** und der Geschäftsanschrift *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Genossenschaft, vertreten durch Dr. Georg Zehetmayer, öffentlicher Notar in Hallein, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 21. März 2007, GZ 6 R 31/07g-10, womit der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. Jänner 2007, GZ 24 Fr 6425/06b-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen den Antrag auf Eintragung der Änderung der Satzung der Genossenschaft in § 20 Abs 2 bis 4 und § 31 lit c aufgrund des Generalversammlungsbeschlusses vom 23. 8. 2006, welche eine Bestellung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat der Genossenschaft vorsehen, ab. Im Hinblick auf die Formulierung „aus der Zahl der Genossenschafter zu wählenden" in § 15 Abs 1 GenG, die Verwendung des Begriffes „Art der Wahl" in § 5 Z 7 GenG, die ausdrückliche Kompetenz des Aufsichtsrates zur vorläufigen Bestellung von Vorstandsmitgliedern im § 24 Abs 4 GenG und unter Bedachtnahme auf das Weisungsrecht der Generalversammlung in Geschäftsführungsangelegenheiten (§ 34 Abs 1 GenG) sei der Ansicht Keinerts (Genossenschaftsrecht Rz 321 ff) zu folgen, wonach die Kompetenz zur Bestellung der Vorstandsmitglieder - ebenso wie die Bestellung des Geschäftsführers bei der GmbH - der Generalversammlung als höchstem Organ der Genossenschaft zustehe und nicht durch Satzung dem Aufsichtsrat übertragen werden könne.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser Rechtsfrage nicht aufgefunden werden konnte.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Im - teilweise allerdings bereits älteren - Schrifttum wird überwiegend die ausschließliche Zuständigkeit der Generalversammlung zur Wahl des Vorstandes vertreten (Stroß, Das österreichische Genossenschaftsrecht [1887] 193 f; Randa, Österreichisches Handelsrecht² II [1911] 175, 178; Pramer in Pramer/Pfaffenzeller, Die Genossenschaft in Recht und Steuer [1976] 11; Österreichischer Raiffeisenverband [Hrsg], Genossenschaftsrecht² [1989] 57; Zahn, Handbuch für Genossenschaften² [1963] 42; Keinert, Genossenschaftsrecht [1988] Rz 320 ff; Hämmerle/Wünsch, Handelsrecht I1 796; Neudörfer, Handbuch der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften² [1926] 30).

1.2. Dies leiteten Pramer (aaO) und Zahn (aaO 175) ohne weitere Begründung aus der Verwendung des Wortes „Wahl" in § 15 Abs 1 GenG ab. Randa stellt offenbar auf die Stellung der Generalversammlung als maßgebendes oberstes Organ des Willens der Genossenschaft ab. Dem gegenüber beruft sich Stroß (aaO 193 f) auf § 24 Abs 1 GenG.

1.3. Nach Keinert (aaO Rz 321, 328 ff) bezieht sich § 5 Z 7 GenG, wonach die Satzung die „Art der Wahl" des Vorstands regle, nur auf die Wahlmodalitäten, nicht die Festlegung eines von der Generalversammlung abweichenden Wahlorganes. Allerdings sei im Zweifel stets die Generalversammlung zuständig. Dies ergebe sich aus ihrer Rolle als oberstes Organ der Genossenschaft. Außerdem sei § 24 Abs 4 GenG zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit Selbstverständlichkeit von der zwingenden Abberufungskompetenz der Generalversammlung ausgehe. Da aber Bestellung und Abberufung des Geschäftsführerorganes sinnvollerweise stets in derselben Hand lägen, bleibe nur die Kompetenz der Generalversammlung auch für die Bestellung des Vorstands.

1.4. Gegen diese Auffassung sind in neuerer Zeit im Schrifttum Einwendungen erhoben worden. Mehrere Autoren sehen ausdrücklich als zulässig an, die Bestellung des Vorstands dem Aufsichtsrat oder anderen Gremien zu übertragen (Ostheim, Zur Bestellung und Abberufung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der Genossenschaft, GesRZ 1994, 249; Kastner in Patera, Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens [1986] 148, 178; Astl/Pfalz/Steinböck in Dellinger, Genossenschaftsgesetz [2005 § 5 Rz 69; Hämmerle/Wünsch II³ 483; Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss5 [1990] 460; Dittrich, Zur Bestellung des Vorstandes von Genossenschaften, NZ 2003, 233).

1.5. Nach § 14 Abs 2 des Entwurfs eines Genossenschaftsgesetzes des Ludwig Boltzmann-Institutes für Rechtsvorsorge und Urkundenwesen (Dellinger/Oberhammer, Entwurf eines Genossenschaftsgesetzes [1996] 101 ff) waren die Vorstandsmitglieder aus dem Kreis der Mitglieder der Genossenschaft von der Generalversammlung zu wählen; der Genossenschaftsvertrag konnte jedoch die Bestellung durch den Aufsichtsrat oder, wenn die Genossenschaft verschiedene Mitgliedergruppen hat, durch solche vorsehen. Dazu hielten die Erläuternden Bemerkungen (Dellinger/Oberhammer aaO 104) fest, dass dadurch ausdrücklich die in ihrer Zulässigkeit bisher umstrittene Bestellung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat ermöglicht werden sollte.

1.6. Anknüpfend daran sah ein - in der Folge nicht weiter verfolgter - Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Justiz (Genossenschaftsgesetz 2000) im § 15 Abs 2 Satz 2 eine ausdrückliche Regelung vor, wonach der Genossenschaftsvertrag die Bestellung durch den Aufsichtsrat vorsehen kann, ohne dass dies jedoch näher begründet wurde (Dittrich, NZ 2003, 235).

2. Die deutsche Rechtslage ist insoweit nicht ergiebig, weil nach § 24 Abs 2 des deutschen Genossenschaftsgesetzes die Satzung ausdrücklich auch eine andere Art der Bestellung bestimmen kann, worunter nach der Literatur auch die Wahl durch den Aufsichtsrat fällt (vgl nur Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz35 § 24 Rz 38; Müller, Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften § 24 Rz 27).

3.1. Für die Richtigkeit der Ansicht Keinerts und der älteren Literatur sprechen zunächst historische Argumente: Das Genossenschaftsgesetz wurde weitgehend dem preußischen Gesetz „betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaften" vom 27. 3. 1867 nachgebildet (Ostheim, GesRZ 1994, 249 [252]). Der Wortlaut des § 5 Z 7 GenG lehnt sich eng an § 3 Z 7 des preußischen Genossenschaftsgesetzes an. Vorbild für letztere Bestimmung war Art 209 ADHGB, wo allerdings nicht von einer „Wahl", sondern von der „Bestellung" des Vorstands die Rede ist. Nach damals herrschender Auffassung war bei Aktiengesellschaften die Bestellung des Vorstands durch einen Aufsichtsrat möglich (Anschütz/Völderndorff, Kommentar zum ADHGB II/2² [1885] 713 f). Durch die abweichende Formulierung und Verwendung des Wortes „Wahl" anstelle von „Bestellung" wollte der historische Gesetzgeber des preußischen ebenso wie des österreichischen Genossenschaftsgesetzes diese Möglichkeit für die Genossenschaften nicht übernehmen und die Wahl des Vorstandes der Generalversammlung vorbehalten (Ostheim aaO). Vor diesem Hintergrund sind auch jene Stimmen der älteren Lehre verständlich, die die Kompetenz der Generalversammlung zur Bestellung des Vorstandes aus dem Begriff der „Wahl" in § 5 Z 7 und § 15 GenG ableiten (Pramer in Pramer/Pfaffenzeller, Die Genossenschaft in Recht und Steuer [1976] 11; Zahn, Handbuch für Genossenschaften² 42; Anschütz-Völderndorff, ADHGB II/1 [1870] 68).

3.2. Die Bestellung des Vorstands durch die Generalversammlung entspricht auch der Funktion der Generalversammlung als oberstem Organ. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Parallele zum GmbH-Gesetz zu verweisen. Nach § 15 GmbHG sind die Geschäftsführer zwingend von den Gesellschaftern zu bestellen; die Übertragung dieser Kompetenz auf ein anderes Gesellschaftsorgan wird von der ganz überwiegenden Lehre für unzulässig angesehen (Reich-Rohrwig, GmbHG² I Rz 2/68; Koppensteiner, GmbHG² § 15 Rz 14; Kastner/Doralt/Nowotny 370; Gellis/Feil, GmbHG Rz 4; Kostner/Umfahrer, GmbHG Rz 181 uva; aA Koppensteiner, GmbHG² § 15 Rz 14). Gegen diese Parallele lässt sich auch nicht einwenden, dass wegen der typischerweise größeren Anzahl von Genossenschaftern die Grundsätze des GmbHG nicht für die Genossenschaft passen. Aus dieser (rechtspolitischen) Erwägung sieht zwar das Gesetz bei der Aktiengesellschaft (uzw nach geltendem Recht ausschließlich) eine Bestellung des Vorstands durch den Aufsichtsrat vor (§ 75 AktG); diese Möglichkeit hat der historische Gesetzgeber jedoch für die Genossenschaft nach dem Gesagten bewusst nicht eröffnet.

3.3. Die gegen diese Rechtsansicht ins Treffen geführten Praktikabilitätserwägungen sind nicht stichhaltig. Die Argumentation, die Mitglieder würden einander bei großen Genossenschaften nicht kennen und es fehle ihnen die nötige Sachkenntnis, um die fachliche Qualifikation der Vorstandsmitglieder beurteilen zu können, stellt letztlich die demokratische Ausrichtung der Genossenschaft insgesamt in Frage. Warum hier nicht durch entsprechende Beratung, Aufklärung und Information, allenfalls im Zusammenhalt mit konkreten Wahlvorschlägen, Abhilfe geschaffen werden kann, ist nicht zu ersehen. Auch dem Verweis auf die „Elastizität" des geltenden Genossenschaftsrechts kommt kein ausreichendes Gewicht zu, die Bestellung des Vorstandes durch ein anderes Genossenschaftsorgan zu rechtfertigen. Sollte die gesetzliche Regelung tatsächlich in der Praxis zu unüberwindbaren Schwierigkeiten führen (vgl den Hinweis bei Dittrich, NZ 2003, 233 [234]), so wäre es Sache des Gesetzgebers, hier Abhilfe zu schaffen. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen im Wege der Rechtsfortbildung zu korrigieren (6 Ob 2325/96x; 5 Ob 70/06i; 6 Ob 77/07b; RIS-Justiz RS0075803, RS0008831, RS0008880, RS0009099).

Damit erweist sich aber der angefochtene Beschluss als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.

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