European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00086.17S.0707.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit 1.573,65 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 1.888,20 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger begehrt Schadenersatz von 61.536,04 EUR sA. Dazu bringt er im Wesentlichen vor, er habe am 18. 9. 2015 Aktien der Beklagten weit über dem wahren Börsenpreis erworben, weil die Beklagte als Emittentin fundamentale Informationen zur Preisbildung verschwiegen habe. Sie habe bereits 2009 begonnen, die Software der von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge vorsätzlich zu manipulieren und damit die Kunden über die Einhaltung der gesetzlichen Abgasnormen getäuscht. Trotz dieser für den Börsenkurs maßgeblichen Risiken habe sie das Anlegerpublikum über diese Umstände nicht zeitgerecht informiert, was einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Ad‑hoc‑Publizität gemäß § 15 Abs 1 dWpHG darstelle. Der Schaden des Klägers ergebe sich daraus, dass er bei Kenntnis der von der Beklagten verschwiegenen Umstände alternativ in andere deutsche Industrieaktien investiert hätte.
Zur internationalen Zuständigkeit brachte der Kläger vor, die Beklagte habe ihren Sitz in Deutschland, weshalb die Vorschriften der EuGVVO anzuwenden seien. Sein Anspruch sei deliktischer Natur, entspringe aber einer vertraglichen Beziehung. Der Schaden sei unmittelbar auf seinem Konto, somit an seinem Wohnsitz eingetreten, sodass gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO das Landesgericht Korneuburg zuständig sei. Die Verletzung von Publizitätsvorschriften durch den Emittenten eines Finanzinstruments bzw Wertpapiers stelle eine „unerlaubte Handlung“ iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO dar. Die von der Beklagten eingewendete Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam, weil eine Verbrauchersache nach Art 17 Abs 1 EuGVVO vorliege. Sie sei zudem sittenwidrig nach § 879 ABGB und § 138 BGB und damit materiell nichtig, weil sie insbesondere die Neuaktionäre aus dem Ausland unsachlich und missbräuchlich benachteilige. Abgesehen davon seien Vorsatztaten im Zweifel nicht von Gerichtsstandsvereinbarungen erfasst.
Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit und bestritt das Klagebegehren inhaltlich. In ihrer Satzung sei eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, die für Ansprüche aus unterlassener Kapitalmarktinformation den ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft vorsehe. Ein Verbrauchervertrag liege nicht vor. Der Handlungsort liege in Deutschland; auf den behaupteten Schaden am Bankkonto, der nur einen Folgeschaden darstelle, komme es nicht an.
Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Ein Verbrauchervertrag liege nicht vor, sodass die festgestellte Gerichtsstandsvereinbarung wirksam sei. Diese sei auch weder sittenwidrig noch nichtig. Die Rechtsposition des Klägers sei durch die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen ausreichend gewahrt. Selbst wenn die Gerichtsstandvereinbarung unwirksam wäre, wäre das Erstgericht nach Art 7 Abs 2 EuGVVO nur wegen des Sitzes der Depotbank noch nicht zuständig. Würde davon abweichend doch von einem Schadenseintritt am Konto des Klägers ausgegangen, wäre dieser am Sitz der kontoführenden Bank in Wien erfolgt, sodass das angerufene Gericht jedenfalls örtlich unzuständig wäre.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Einrede der mangelnden internationalen und örtlichen Zuständigkeit verwarf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.
Eine in der Satzung enthaltene Gerichtsstandsklausel stelle nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung iSd Art 17 EuGVÜ dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei davon auszugehen, dass der Kläger der in der Satzung enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung durch den Erwerb der Aktien zugestimmt habe. Allerdings sei der vorliegende Fall als Verbrauchervertrag zu qualifizieren; die Beklagte habe ihre Tätigkeit durch umfangreiche Werbemaßnahmen zum Vertrieb ihrer Aktien auch in Österreich entfaltet. Daher stehe dem Kläger der inländische Gerichtsstand offen.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil bereits mehrere gleichgelagerte Parallelverfahren anhängig seien, weitere zu erwarten seien und noch keine höchstgerichtliche Judikatur zu der Rechtsfrage existiere, ob die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte trotz der hier in Rede stehenden, in der Satzung einer AG enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung wegen des Vorliegens einer Verbrauchersache iSd Art 17 ff EuGVVO 2012 gegeben sei.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom heutigen Tag (6 Ob 18/17s) in einem Parallelverfahren mit denselben Parteienvertretern mit eingehender Begründung dargelegt, dass im vorliegenden Fall die internationale Zuständigkeit fehlt. Auf diese Entscheidung wird verwiesen.
Dem Revisionsrekurs war daher spruchgemäß Folge zu geben.
Aufgrund der Abänderung war auch die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens neu zu fassen. Diese gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.
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