OGH 6Ob81/13z

OGH6Ob81/13z8.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach E***** E*****, geboren am 2. März 1919, verstorben am 31. Mai 2011, zuletzt wohnhaft *****, über den Revisionsrekurs der erblasserischen Witwe S***** E*****, vertreten durch Dr. Katharina Sedlazeck‑Gschaider, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 6. Februar 2013, GZ 21 R 414/12x‑25, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom 28. September 2012, GZ 4 A 92/11a‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Begründung

Der Erblasser starb am 31. 5. 2011 in Salzburg. Er war Schweizer Staatsbürger; seinen letzten Wohnsitz hatte er in S*****. Er war in zweiter Ehe mit der Revisionsrekurswerberin verheiratet und hatte zwei (volljährige) Kinder.

Nach einer vom Erstgericht eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Justiz ist auf den vorliegenden Fall aufgrund einer Rückverweisung des Schweizer Rechts österreichisches Sachrecht anzuwenden.

Die Revisionsrekurswerberin teilt diese Rechtsansicht nicht, sondern gab ausdrücklich auf Schweizer Recht gestützt eine bedingte Erbantrittserklärung zur Hälfte des Nachlasses ab; die beiden Töchter des Erblassers gaben ‑ gestützt auf österreichisches Recht ‑ zu je einem Drittel des Nachlasses bedingte Erbantrittserklärungen ab.

Das Erstgericht wies die auf Schweizer Recht gestützte bedingte Erbantrittserklärung der Witwe ab und nahm die Erbantrittserklärungen der Töchter des Erblassers an.

Rechtlich erwog das Erstgericht, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen gemäß § 28 Abs 1 IPRG nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes, somit hier nach Schweizer Recht zu beurteilen sei. Art 91 des Schweizer IPRG sei jedoch eine Rückverweisungsnorm, die über § 5 Abs 2 IPRG zur Anwendung österreichischen Erbrechts führe. Demnach sei für den Schweizer Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich österreichisches Erbrecht anzuwenden und die auf Schweizer Recht gestützte Erbantrittserklärung der Witwe abzuweisen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die in § 28 Abs 1 IPRG enthaltene Verweisung auf Schweizer Recht führe über Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG zu einer Rückverweisung auf österreichisches Recht, welche gemäß § 5 Abs 2 IPRG ‑ ungeachtet ihrer Qualität als Gesamtverweisung ‑ abzubrechen sei. Damit finde aus Sicht des österreichischen internationalen Privatrechts jedenfalls österreichisches materielles Erbrecht Anwendung.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, ein Teil der Schweizer Lehre vertrete die Auffassung, dass der ausländische Rechtsanwender, der im Rahmen einer Gesamtverweisung auf Schweizer Recht verwiesen werde, keine an ihn gerichtete Kollisionsnorm vorfinde und daher Schweizer Recht anzuwenden habe.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1. Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist im Ergebnis berechtigt.

2. Nach § 3 IPRG ist fremdes Recht wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden. Es kommt in erster Linie auf die dort von der Rechtsprechung geprägte Anwendungspraxis an (vgl RIS‑Justiz RS0113594). Ist die Praxis im Ursprungsland nicht einhellig oder nicht einmal von einer Meinung deutlich dominiert, so sind subsidiär die herrschende (überwiegende) Lehrmeinung des betreffenden Staates und erst in letzter Linie der Gesetzeswortlaut im Lichte der Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze der betroffenen Rechtsordnung heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0109415).

3.1. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass sich die internationale Zuständigkeit für das vorliegende Verlassenschaftsverfahren nach § 106 JN richtet und demnach die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist. Unstrittig ist auch, dass das anwendbare Recht nach dem IPRG zu ermitteln ist. Das mit der Schweiz bestehende Abkommen (Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 16. 12. 1960, BGBl Nr 125/1962) enthält weder Regeln über die Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens noch zum auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Recht (vgl Nademleinsky , Das internationale Erbrecht Österreichs, EF‑Z 2012/35).

3.2. Nach § 28 Abs 1 IPRG ist die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu beurteilen. Die Anknüpfung an das Erbstatut (§ 28 Abs 1 IPRG) beinhaltet gemäß § 5 IPRG nicht nur eine Sachnormverweisung, sondern eine Gesamtverweisung (RIS‑Justiz RS0076673). Demnach ist zu untersuchen, ob das fremde Recht diese Verweisung „annimmt“, ob es zurück‑ oder weiterverweist ( Nademleinsky aaO).

4.1. Nach Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG untersteht der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz im Ausland dem Recht, auf welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist.

4.2. Zu dieser Bestimmung liegt ‑ soweit ersichtlich ‑ keine Rechtsprechung Schweizer Gerichte vor. Die Auffassung der Lehre ist nicht einhellig. Einerseits wird vertreten, dass Art 91 Schweizer IPRG bei einer Gesamtverweisung auf das Recht der Schweiz nicht direkt zum Tragen komme, weil diese Bestimmung für Schweizer Verfahren konzipiert sei. Dennoch wäre es gerechtfertigt, Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG als Bezugsnorm für ausländische Behörden aufzufassen, die signalisiere, dass die Schweiz eine Verweisung auf Schweizer Sachrecht akzeptieren könne. Es solle jedoch den ausländischen Behörden überlassen bleiben, ob sie den „Renvoi“ in der Schweiz abbrechen und Schweizer Erbrecht anwenden oder ob sie Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG als Rückverweisung auf ausländisches Sachrecht interpretieren (vgl Schnyder/Liatowisch in Basler Kommentar ‑ Internationales Privatrecht² Art 91 IPRG Rz 18 f).

4.3. Andererseits wird in der Schweiz auch die Meinung vertreten, deutsche Gerichte hätten den Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG aufgrund des deutschen Art 4 Abs 1 Satz 2 EGBGB als Rückverweisung aufzufassen, die letztlich zur Anwendung deutschen Sachrechts führe (vgl Siehr , Das internationale Privatrecht der Schweiz 165; Schweizerisches Privatrecht XI/1, 201 f).

4.4. In Deutschland herrscht aber ‑ entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung ‑ mit Art 25 Abs 1 und Art 4 Abs 1 Satz 2 EGBGB eine den §§ 28 Abs 1 und 5 Abs 2 österreichisches IPRG vergleichbare Rechtslage, weshalb sich im Fall eines Schweizer Erblassers mit Wohnsitz in Deutschland dasselbe Problem wie im vorliegenden Fall stellt. Auch in der deutschen Literatur wird darauf hingewiesen, dass die dogmatische Einstufung des Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG in der dortigen Lehre strittig ist (vgl Fröhler , Die erbrechtliche Stellung des längstlebenden Ehegatten in deutsch‑schweizerischen Erbfällen, BWNotZ 2008, 38 [44]; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum BGB Art 4 EGBGB Rz 57). In der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird aus deutscher Sicht jene Auffassung als herrschend bezeichnet, die Art 91 Abs 1 Schweizer IPRG als Gesamtverweisung begreift und gemäß Art 4 EGBGB in Deutschland abbricht (vgl Fröhler aaO; LG Kempten ZEV 2003, 165 mwN; Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann , Internationales Erbrecht, Länderteil Schweiz 24 A).

4.5. Damit ist der vorliegende Fall ‑ wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben ‑ nach österreichischem Recht zu beurteilen. Der Revisionsrekurs vermag im Übrigen für seinen gegenteiligen Standpunkt keinerlei Belegstellen anzuführen.

5. Dies führt allerdings nicht zur Zurückweisung der Erbantrittserklärung der Revisionsrekurswerberin. Die Heranziehung einer unrichtigen, weil nach internationalem Privatrecht in Wahrheit nicht zur Anwendung berufenen Rechtsordnung stellt keinen Zurückweisungsgrund dar. Die Vorgangsweise des Erstgerichts führte demgegenüber dazu, dass die Revisionsrekurswerberin behandelt würde, als hätte sie überhaupt keine Erbantrittserklärung abgegeben. Vielmehr ist die Erbantrittserklärung der Revisionsrekurswerberin verfahrensrechtlich wirksam. Da diese teilweise in Widerspruch zur Erbantrittserklärung der erblasserischen Töchter steht, wird das Erstgericht nach § 161 Abs 1 AußStrG über das Erbrecht zu entscheiden haben. Eine Wiederholung der bereits stattgefundenen Tagsatzung (vgl § 162 AußStrG) ist hingegen nicht erforderlich. Dabei wird im Sinne der vorstehenden Ausführungen der gesamte Sachverhalt nach österreichischem Recht zu beurteilen sein. Diese Beurteilung wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben. Aus diesem Grund war die durch die Vorinstanzen ausgesprochene Abweisung der Erbantrittserklärung der Revisionsrekurswerberin ebenso aufzuheben wie die ‑ im Gesetz nicht mehr vorgesehene ‑ ausdrückliche Annahme der Erbantrittserklärung der erblasserischen Töchter.

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