OGH 6Ob80/00h

OGH6Ob80/00h13.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Burgl F*****, geboren am 16. Dezember 1946, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. Friedrich Wilhelm F*****, geboren am 3. April 1937, ***** vertreten durch Dr. Gerda Schildberger, Rechtsanwältin in Bruck an der Mur, wegen Ehescheidung, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 23. November 1999, GZ 2 R 394/99m-34, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Judenburg vom 31. Mai 1999, GZ 1 C 153/98i-26, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Rekurse werden zurückgewiesen.

Klagende und beklagte Partei haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt die Ehescheidung wegen Alleinverschuldens des Beklagten, der bereits in den 70er-Jahren wegen Unzufriedenheit mit seiner beruflichen Tätigkeit Streitigkeiten provoziert und die Klägerin erniedrigt habe. Er habe im sexuellen Bereich Handlungen verlangt, die sie abgelehnt habe, seinen Willen jedoch mehrfach, notfalls mit Gewalt durchgesetzt. Bei Anwendung derartiger Praktiken habe er sie auch verletzt. Auch gegenüber den gemeinsamen Kindern habe er sich immer häufiger lieblos und ohne Verständnis für ihre Probleme gezeigt und ihnen wie auch der Klägerin seine Vorstellungen aufgedrängt. Auf Widerspruch habe er teils mit wörtlicher Konfrontation und Handgreiflichkeiten, bei denen es auch zu Verletzungen der Klägerin gekommen sei, teils mit beharrlichem Schweigen reagiert. Vor allem in den letzten Jahren habe er häufig anderen Frauen nachgestellt, darunter auch einer mj Pflegetochter, die im ehelichen Haushalt gelebt habe. Die Klägerin habe die eheliche Wohnung im Zuge einer Auseinandersetzung verlassen. Die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft sei aufgrund seines Verhaltens nicht möglich.

Der Beklagte bestritt diese Vorwürfe und beantragt Klageabweisung; hilfsweise begehrt er die Feststellung, dass das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe von der Klägerin zu verantworten sei. Er sei bestrebt gewesen, seinen Beruf möglichst nahe bei der Familie ausüben zu können. Die vorgeworfenen Damenbekanntschaften habe es nie gegeben, hingegen habe die Klägerin die Ehe gebrochen. Einem solchen Ehebruch entstamme die jüngste, 1970 geborene Tochter. Während eines 1973 allein verbrachten Urlaubes habe die Klägerin mit einem italienischen Fischer geschlechtlich verkehrt und sich nach ihrer Rückkehr einer Abtreibung unterzogen. Im Übrigen habe sie die gesamte Freizeit bei den etwa 15 Pferden verbracht und den Haushalt gänzlich vernachlässigt. Sie habe auch häufig am Beklagten herumgenörgelt und finanzielle Transaktionen (wie die Auflösung von Bausparverträgen und Pfandbriefen über rund 300.000 S, Verkauf gemeinsamer Pferde, Übertragung des Eigentums an einer Wohnung in Wien und Entzug des Nutzungsrechts an einem Zubau in Fohnsdorf) ohne Wissen des Beklagten und ohne seine Zustimmung vorgenommen, wobei der Verbleib des Erlöses ungeklärt sei. Sie habe den Beklagten auch nicht unterstützt, als dieser nach einem Schiunfall in der Beweglichkeit seines Armes eingeschränkt gewesen sei. Allfällige Eheverfehlungen des Beklagten habe sie verziehen. Sie sei grundlos aus der Ehewohnung ausgezogen.

Das Erstgericht schied die Ehe wegen gleichteiligen Verschuldens beider Ehegatten, wobei es von nachstehenden Feststellungen ausging:

Anlässlich eines längeren Aufenthaltes in der Türkei 1969 kam es zu einem Ehebruch der Klägerin, aus dem die 1970 geborene Tochter hervorging. Der Beklagte erfuhr erst etwa 1985 bis 1987, dass diese Tochter nicht sein leibliches Kind ist. Einen weiteren Ehebruch hat es nicht gegeben. Die Klägerin hatte 1980 ihren Beruf als Lehrerin wieder aufgenommen. Sie führte den Haushalt weiter und übernahm die gesamte finanzielle Verwaltungstätigkeit für die Familie, vernachlässigte jedoch den Haushalt im Zuge ihrer Berufstätigkeit und der Intensität ihrer Freizeitgestaltung immer mehr. 1978 oder 1980 hatte der Beklagte zunächst der Klägerin, dann auch den beiden Mädchen Pferde geschenkt. 1994 pachtete die Klägerin gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter einen Stall, in dem sie zuletzt 15 Pferde unterbrachten. Die Klägerin widmete ihre Freizeit primär den Pferden, während der Beklagte andere Freizeitaktivitäten wie Bergtouren und Segeln vornahm. Die getrennte Freizeitgestaltung erfolgte mit gegenseitigem Einverständnis. Es kam jedoch zu Spannungen, wobei der Beklagte der Klägerin vorwarf, zu wenig Zeit für ihn zu haben. Auch die unterschiedliche Erziehungsweise ergab immer wieder Streitpunkte. Der Beklagte bevorzugte einen autoritären Erziehungsstil und brachte kein Verständnis für die Probeleme der Kinder auf; er war daneben auch egozentrisch, rechthaberisch, jähzörnig und manchmal auch aggressiv. Demgegenüber brachte die durchaus auch strenge Klägerin mehr Einfühlungsvermögen für die Kinder auf. Auseinandersetzungen gab es vor allem auch immer wieder zwischen dem Beklagten und der 1970 geborenen Tochter der Klägerin, die sich dem vom Beklagten vorgegebenen Lebensstil nicht unterordnen wollte. Der Beklagte verwies sie schließlich 1989 oder 1990 der Wohnung. Die Klägerin empfand dies als bewusstes Zerstören der Familie, die für sie primäres Lebensziel war.

Seit etwa 1980 wünschte der Beklagte häufiger sexuellen Kontakt, als die Klägerin wollte. Er verlangte auch ihr widerstrebende sexuelle Praktiken, die die Klägerin verweigerte; zum Teil stimmte sie widerstrebend zu. Verweigerungen führten entweder zu lautstarken Auseinandersetzungen - auch vor den Kindern - bei denen der Beklagte auch aggressiv wurde oder zu tagelangem beharrlichen Schweigen des Beklagten. 1985 verlor die Klägerin durch einen Schlag des Beklagten im Zuge einer derartigen Auseinandersetzung das Bewusstsein; ein anderes Mal trug sie ein blaues Auge davon. Der Beklagte warb immer wieder um andere Frauen, so um eine Arbeitskollegin der Klägerin, an die er Liebesbriefe verfasste. Zu einem sexuellen Kontakt mit ihr kam es nicht. Er umwarb auch ein 1980 geborenes, in der Familie der Streitteile lebendes Pflegekind und versuchte wiederholt, mit ihr in körperlichen Kontakt zu kommen.

Nach der Pensionierung des Beklagten kam es zu vermehrten Auseinandersetzungen; nach einer derartigen Auseinandersetzung zog die Klägerin im Jänner 1998 erstmals aus der Ehewohnung aus, kehrte jedoch nach drei Tagen und Beteuerungen des Beklagten, er werde sich bessern, zurück. Im Zuge einer neuerlichen über die sexuellen Wünsche des Beklagten entstandenen Auseinandersetzung verließ sie am 1. 4. 1998 endgültig die eheliche Wohnung und zog zu ihrem Sohn.

Das Erstgericht bejahte eine tiefgreifende Zerrüttung der Ehe, an der zunächst den Beklagten ein Verschulden treffe. Er habe die Klägerin entgegen ihrem Willen und ohne Rücksicht und Einfühlungsvermögen zu stark geschlechtlich beansprucht und sich aus Anlass der daraus entstehenden Auseinandersetzungen lieblos und feindselig verhalten. Die festgestellten Verletzungshandlungen an der Klägerin wie auch das Umwerben anderer Frauen liege jedoch außerhalb der Klagefrist des § 57 Abs 1 EheG. Eheverfehlungen seien jedoch auch der Klägerin anzulasten. So habe sie den Haushalt grob vernachlässigt und den Beklagten nach einer Operation nicht versorgt. Ihr Ehebruch im Jahr 1969 falle zwar nicht mehr in die Klagefrist (und sei überdies vom Beklagten stillschweigend verziehen), bei Beurteilung des gegenseitigen Verhaltens im Zuge der Verschuldensabwägung habe er - genauso wie die vom Beklagten gesetzten Tätlichkeiten - dennoch Gewicht. Die Gesamtbeurteilung ergebe ein gleichteiliges Verschulden beider Streitteile an der Zerrüttung der Ehe.

In ihrer Berufung strebte die Klägerin den Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Beklagten, der Beklagte die Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin an.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es übernahm dessen Feststellungen mit Ausnahme jener, wonach der Beklagte die Klägerin sexuell überfordert habe, und erachtete weitere konkrete Feststellungen über die Häufigkeit des sexuellen Verkehrs erforderlich, um beurteilen zu können, ob ein derartiges Verhalten als Eheverfehlung in Betracht komme. Eine weitere Verfahrensergänzung sei auch deshalb erforderlich, weil sich das Erstgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob die Klägerin dem Beklagten die Eheverfehlung verziehen habe, wofür der regelmäßige Geschlechtsverkehr der Streitteile bis zum Auszug der Klägerin sprechen könnte. Bejahe man jedoch (nicht verjährte) Eheverfehlungen des Beklagten, würden auch schon verjährte oder verziehene Eheverfehlungen der Klägerin für die Verschuldensabwägung bedeutsam. Dabei sei das Erstgericht auf verschiedene Vorwürfe des Beklagten nicht eingegangen; so den Vorwurf des Ehebruchs mit einem italienischen Fischer und einer nachfolgenden Abtreibung, die die Klägerin leugne. Sollte sie ihre Weigerung, von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, aufrechterhalten, werde das Erstgericht ihre Haltung bei der Beweisfrage entsprechend zu würdigen haben. Das Erstgericht habe auch den Vorwurf des Beklagten, die Klägerin habe erhebliche gemeinsame finanzielle Mittel ohne sein Wissen und seine Zustimmung an die Kinder weitergegeben, nicht näher überprüft und auch keine Feststellungen über die näheren Umstände ihres Auszugs Anfang April 1998 getroffen, die der Klägerin gerade zu dieser Zeit das Aufrechterhalten der Haushaltsgemeinschaft unzumutbar gemacht hätten. Ein gerechtfertigter Grund für das Verlassen der Ehewohnung sei derzeit nicht festgestellt. Das Erstgericht werde daher nach entsprechender Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage zu beurteilen haben, ob das Klagebegehren wegen aktueller Eheverfehlungen des Beklagten berechtigt sei; bejahendenfalls werde es das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe neu abzuwägen haben.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil es denkbar erscheine, dass die Feststellungen des Erstgerichts so ausgelegt würden, dass sich daraus bloß verjährte Eheverfehlungen des Beklagten ableiten ließen.

Mit ihrem Rekurs gegen diesen Aufhebungsbeschluss strebt die Klägerin seine Aufhebung und die Abänderung des erstgerichtlichen Urteils dahingehend an, dass die Ehe aus dem alleinigen oder überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden werde; in eventu die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles oder die Aufhebung des berufungsgerichtlichen Beschlusses und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung oder die Scheidung der Ehe unter Vorbehalt des Verschuldensausspruches. Der Rekurs des Beklagten strebt die Abweisung des Scheidungsbegehrens an.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse beider Streitteile sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat ergänzende Sachverhaltsfeststellungen zur Beurteilung der Frage aufgetragen, ob der Beklagte noch nicht verjährte Eheverfehlungen (insbesondere im Bereich sexueller Überforderung) gesetzt hat. Sein Aufhebungsbeschluss steht mit Lehre und Rechtsprechung in Einklang, wonach fortgesetztes ehewidriges Verhalten eine Einheit bildet, sodass über den Fristbeginn des § 57 Abs 1 EheG erst die letzte Verfehlung entscheidet (Gruber in Schwimann, ABGB2 Rz 7 zu § 57 EheG; Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 57 EheG; EFSlg 57.199; EFSlg 63.436). Die dem Beklagten vorgeworfenen - auf einen jähzornigen und manchmal auch aggressiven Charakter zurückgehenden - Verhaltensweisen reichen bis zur Auflösung der ehelichen Gemeinschaft, sodass - Ehewidrigkeit vorausgesetzt - von einer Verjährung keine Rede sein kann.

Die Verzeihung ist nach ständiger Rechtsprechung ein innerer Vorgang, dessen Feststellung auf Schlüssen beruht, die nach freier richterlicher Beweiswürdigung aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten durch den Richter zu ziehen sind; in erster Linie ist daher die Frage, ob Eheverfehlungen verziehen wurden, eine Frage der Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043961), zu der die Vorinstanzen bisher jedoch nicht Stellung genommen haben.

Nach § 59 Abs 2 können auch Eheverfehlungen, auf die eine Scheidungsklage nicht mehr gegründet werden kann, nach Ablauf der Fristen des § 57 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden (RIS-Justiz RS0056907). Auch in die Verschuldensabwägung können verjährte und verziehene Eherverfehlungen einbezogen werden (RIS-Justiz RS0043434 und RS0057209), sodass sich die zu behaupteten früheren Eheverfehlungen der Streitteile erteilten Aufträge zur Verfahrensergänzung als erforderlich erweisen.

Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der gegen den Aufhebungsbeschluss erhobenen Rekurse beider Streitteile.

Der Ausspruch über die Kosten der Rekursbeantwortungen beruht auf §§ 41, 40 ZPO. Keine der Parteien hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Prozessgegners hingewiesen, sodass die Rechtsmittelbeantwortungen nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienten.

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