OGH 6Ob726/83

OGH6Ob726/8319.1.1984

SZ 57/11

Normen

ABGB §762
ABGB §784
ABGB §804
AußStrG §114
AußStrG §129
ABGB §762
ABGB §784
ABGB §804
AußStrG §114
AußStrG §129

 

Spruch:

Der Verlassenschaftskurator im Verlassenschaftsverfahren nach einem nachverstorbenen Pflichtteilsberechtigten kann zumindest dann, wenn die Passiven die Aktiven übersteigen, den Pflichtteilsanspruch unabhängig davon geltend machen, ob der Nachlaß des Pflichtteilsberechtigten erbenlos ist oder ob es zu einer kridamäßigen Nachlaßverteilung oder zu einem Verlassenschaftskonkurs kommen wird

OGH 19. 1. 1984, 6 Ob 726/83 (LGZ Wien 43 R 1220/82; BG Hernals 2 A 617/81)

Text

Wilhelm P ist am 3. 8. 1981 verstorben. Der erblasserische Stiefsohn Heinrich M hat auf Grund eines mündlichen Testamentes vom 23. 3. 1977 eine bedingte Erbserklärung abgegeben, die mit Beschluß des Erstgerichtes vom 2. 4. 1982 zu Gericht angenommen wurde. In der Folge wandelte er seine Erbserklärung in eine unbedingte um.

Die Mutter des Erblassers, Wilhelmine P, ist am 12. 9. 1981 nachverstorben. Die Verlassenschaft nach ihr wird zu 7 A 714/81 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien geführt. In dieser Verlassenschaft ist Dr. Diethard S zum Verlassenschaftskurator bestellt worden. Die einzige nach Wilhelmine P bisher bekannte erbberechtigte Person, ihre Nichte Adelheid E, hat sich ihres Erbrechtes entschlagen. Das Ediktalverfahren gemäß den §§ 128 und 133 AußStrG wurde eingeleitet. Die nachverstorbene Mutter Wilhelmine P hatte vor ihrem Ableben keinen Pflichtteilsanspruch gegenüber der Verlassenschaft nach Wilhelm P geltend gemacht. Der im Verlassenschaftsverfahren nach Wilhelmine P bestellte Verlassenschaftskurator Dr. Diethart S machte "namens und für die Verlassenschaft nach Wilhelmine P den Pflichtteilsanspruch in der Höhe von einem Drittel des gesetzlichen Erbteiles der erblasserischen Mutter geltend". Zugleich regte er die Schätzung der in die Verlassenschaft nach Wilhelm P fallenden 92/3 885 Anteile an der EZ 2129 KG A, mit welchen das Wohnungseigentum an der Wohnung Nr. 19 im Hause S-Gasse 11 verbunden ist, an. Am 1. 10. 1982 stellte er einen diesbezüglichen Antrag.

Das Erstgericht gab diesem Antrag mit Beschluß vom 20. 12. 1982 mit der Begründung statt, daß im gegenwärtigen Stadium noch keinerlei Rückschlüsse auf das Ergebnis des Verlassenschaftsverfahrens nach der nachverstorbenen Mutter des Erblassers möglich seien.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des erbserklärten Erben Folge, hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es führte aus, der Anspruch auf den Pflichtteil sei auch dann vererblich und Gegenstand der Abhandlung und in das Nachlaßinventar einzubeziehen, wenn er vom Erblasser vor seinem Tode nicht gerichtlich geltend gemacht worden sei. Da im gegenständlichen Falle die Frist des eingeleiteten Ediktalverfahrens in der Verlassenschaft nach Wilhelmine P noch nicht abgelaufen sei, könne derzeit noch nicht gesagt werden, ob sich Erben nach Wilhelmine P melden würden oder ob das Heimfallsverfahren einzuleiten sein werde. Nur im Falle, daß das Heimfallsrecht zum Tragen käme, welches mit einem Erbrecht nicht wesensgleich sei, könnten die Pflichtteilsrechte nicht mehr geltend gemacht werden, die in der Person des Erblassers entstanden seien. Es könne daher derzeit noch nicht beurteilt werden, ob die Schätzung der in die Verlassenschaft nach Wilhelm P fallenden erblasserischen Wohnung erforderlich sein werde. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren den Ablauf der Ediktalfrist im Verlassenschaftsverfahren nach Wilhelmine P abzuwarten und nach dem Ergebnis des Ediktalverfahrens eine neuerliche Entscheidung über den Antrag auf Schätzung der erblasserischen Liegenschaft zu treffen haben.

Der Oberste Gerichtshof stellte über Revisionsrekurs des Verlassenschaftskurators den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Bei der Lösung der Frage, ob eine Schätzung der erblasserischen Liegenschaftsanteile anzuordnen ist, ist davon auszugehen, daß der Pflichtteilsberechtigte, dem der Pflichtteil nicht anderweitig letztwillig zugewendet wurde, einen bloß obligatorischen Anspruch auf Geldzahlung besitzt (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[6] II 310; Welser in Rummel, ABGB, Rdz. 3 vor § 762, Rdz. 6 und 7 zu §§ 762 und 764; Ehrenzweig, System[2] II/2, 578; Kralik, Erbrecht 309; Weiß in Klang[2] III 825 f.; SZ 44/137; SZ 45/36 ua.). Nach herrschender Auffassung (Welser in Rummel, ABGB, Rdz. 4 vor § 762; Kralik aaO 314; EvBl. 1967/235; EvBl. 1972/317; ua.; aM Weiß aaO 836; Wohlmuth in NZ 1956, 42) entsteht der Pflichtteilsanspruch bereits mit dem Tode des Erblassers und nicht erst mit der Geltendmachung durch den Pflichtteilsberechtigten, weshalb er auch sofort vererblich ist (Koziol-Welser aaO; Ehrenzweig aaO 581; Kralik aaO; EvBl. 1972/317; ua.; aM Weiß aaO 836 f.). Als Forderungsrecht folgt der Pflichtteilsanspruch den schuldrechtlichen Regeln (Welser aaO, Rdz. 7 zu §§ 762 bis 764 ABGB mwN; vgl. auch BGB-RGRK[12] Rdn. 5 zu § 2317; Münchener Kommentar RdNr. 4 zu § 2317 BGB), woraus sich ua. auch ergibt, daß er wie andere Forderungsrechte geltend gemacht werden kann (vgl. BGB-RGRK aaO). Für den vorliegenden Fall, in welchem für den Nachlaß der nachverstorbenen pflichtteilsberechtigten Wilhelmine P ein Verlassenschaftskurator bestellt wurde, bedeutet dies, daß dieser den Pflichtteilsanspruch geltend machen kann, weil er gemäß § 129 AußStrG die Eintreibung der Aktivforderungen zu besorgen hat, und es sich bei der Pflichtteilsforderung - wie oben ausgeführt - um eine solche Aktivforderung handelt. Wie die Geltendmachung anderer Aktivforderungen kann auch die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches die Voraussetzung dafür bilden, daß der Verlassenschaftskurator seiner ebenfalls im § 129 AußStrG normierten Pflicht, die Erbschaftsgläubiger zu befriedigen, sobald dies mit Sicherheit geschehen kann, nachkommen kann. Bei gegenteiliger Auffassung würde der den Gläubigern des nachverstorbenen Pflichtteilsberechtigten zur Verfügung stehende Deckungsfonds um den Pflichtteilsanspruch verringert und die Stellung der Verlassenschaftsgläubiger im Vergleich zu jenen Fällen, in denen zum Nachlaß des Pflichtteilsberechtigten Erbserklärungen abgegeben werden, verschlechtert. Für eine solche unterschiedliche Behandlung besteht kein Grund. Um diese zu verhindern, muß zumindest dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - nach der Aktenlage die im Verfahren nach der nachverstorbenen Pflichtteilsberechtigten angemeldeten Forderungen die Aktiven übersteigen und daher jedenfalls nicht feststeht, daß die Gläubiger ohne Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches voll befriedigt würden, der Verlassenschaftskurator auch den Pflichtteilsanspruch geltend machen können. Dieses Recht besteht unabhängig davon, ob der Nachlaß des Pflichtteilsberechtigten erbenlos ist und ob es zu einer kridamäßigen Nachlaßverteilung oder zu einem Verlassenschaftskonkurs kommen wird. Ob es anders ist, wenn bei einem erbenlosen Nachlaß des Pflichtteilsberechtigten feststeht, daß die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches ausschließlich zur Vergrößerung des im Wege des Heimfalles auf den Staat übergehenden Reinnachlasses führt und ob der Pflichtteilsanspruch im Wege der Kaduzität auf den Staat übergeht (vgl. zu letzterem Krasnopolski, Erbrecht 208 FN 4;

Stubenrauch, Commentar[8] 1, 928 Anm. 1; Pfaff-Hofmann II 794;

Welser aaO Rdz. 8 zu § 537 und Rdz. 3 zu § 760 ABGB; Kralik aaO 85;

GlU 2473), braucht hier nicht geprüft werden.

Zum Zwecke der nach den obigen Ausführungen dem Verlassenschaftskurator zustehenden Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches müssen dem Verlassenschaftskurator aber auch die in den §§ 784, 804 ABGB genannten Rechte zustehen, weshalb er die Schätzung der erblasserischen Liegenschaftsanteile beantragen konnte.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte