Spruch:
Die Bestimmungen des § 94 Abs. 2 erster und zweiter Satz ABGB haben das Ziel, dem den Haushalt führenden Ehegatten, der seinen Unterhalt nicht durch die Erträgnisse einer eigenen Berufstätigkeit sichern kann, einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten bei bestehender häuslicher Gemeinschaft und auch nach ihrer Auflösung - ausgenommen den Fall des Rechtsmißbrauches - zu gewähren
Beim Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB ist zu prüfen, ob der den Unterhalt fordernde Ehegatte seinen Beitrag im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB zu leisten vermag. Aus der den Ehegatten zustehenden Gestaltungsbefugnis nach § 91 ABGB ergibt sich, daß für die Zukunft ein Verzicht bezüglich einzelner Unterhaltsleistungen und von Teilen von Unterhaltsleistungen möglich ist
OGH 6. Oktober 1977, 6 Ob 722/77 (KG Wels R 261/77; BG Wels 2 C 1039/76.
Text
Die Klägerin begehrte vom Beklagten ab 3. Juli 1976 einen monatlichen Unterhalt von 2 000 S. Sie brachte vor, daß die Ehe zwischen den Streitteilen zwar noch aufrecht sei, sie jedoch auf Grund häufiger und grundloser Beschimpfungen und Mißhandlungen durch den Beklagten seit November 1974 von diesem getrennt lebe. Sie habe auf Grund einer Vereinbarung mit dem Beklagten vom 7. November 1972 in der Folge einen Hausbesorgerposten übernommen und verdiene insgesamt 4 056.42 S monatlich. Dagegen betrage das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten zirka 10 000 S, so daß der begehrte Unterhalt angemessen sei.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grund und der Höhe nach und wendete ein, die Klägerin habe die eheliche Gemeinschaft grundlos verlassen und beziehe ein eigenes angemessenes Einkommen von etwa 5 300 S monatlich, nebst freier Wohnung. Bei der freiwilligen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei zwischen den Streitteilen vereinbart worden, daß die Klägerin so lange keinen Unterhalt vom Beklagten verlangen werde, als ihr der anzutretende Hausbesorgerposten als Erwerbsmöglichkeit zur Verfügung stehe oder sie aus einer anderen Erwerbsmöglichkeit wenigstens einen Verdienst in dieser Höhe erziele. Der Beklagte habe außer für seinen ehelichen Sohn noch für ein außereheliches Kind zu sorgen und müsse von seinem Verdienst als Hausbesorger auch noch eine Reinigungsfrau bezahlen, weil er die umfangreichen Arbeiten allein nicht mehr verrichten könne. Auf Grund der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft sei der beklagte gezwungen, regelmäßig sein Essen in einem Gastlokal einzunehmen, die Wäsche und Kleider zur Reinigung in eine Putzerei zu geben und eine Reinigungsfrau, welche die Wohnung versorge, zu bezahlen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Die Streitteile leben seit 1972 getrennt, nachdem es zuvor wegen der ehewidrigen Beziehungen des Beklagten zu einer anderen Frau zu Streitigkeiten gekommen war, welche auch in Tätlichkeiten ausgeartet waren. Der Beklagte wurde deshalb am 23. November 1972 rechtskräftig wegen Übertretung nach § 419 StG verurteilt. Am 7. November 1972 trafen die Streitteile vor dem Rechtsanwalt Dr. R in Wels eine Unterhaltsregelung sowie eine Regelung der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung für den Fall der Scheidung. Diese Vereinbarung hatte jedoch ausdrücklich eine Scheidung als Geschäftsgrundlage, weshalb ihr Inhalt nicht näher erörtert zu werden brauche. Der Beklagte leistet für den 1967 geborenen ehelichen Sohn einen monatlichen Unterhalt von 1300 S und für ein 1974 geborenes außereheliches Kind monatlich 1000 S. Die Klägerin ist seit 1972 Hausbesorgerin und hat neben freier Wohnung ein monatliches Durchschnittseinkommen von etwa 4300+S. Bis Dezember 1976 verrichtete sie zusätzliche Reinigungsarbeiten, wodurch sie ein monatliches Mehreinkommen von 300 S hatte. Eine Feststellung darüber, ob ihr auf Grund ihres Gesundheitszustandes die Erzielung eines Mehreinkommens zumutbar ist, brauche aus rechtlichen Erwägungen nicht getroffen zu werden. Der Beklagte ist Hausmeister, hat eine freie Dienstwohnung und erzielt unter Berücksichtigung seiner Aufwendungen für eine Hilfskraft ein monatliches Durchschnittseinkommen von 10 000 S.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die Klägerin abzüglich der Familienbeihilfe über monatlich 4000 S, der Beklagte nach Abzug seiner Unterhaltsleistungen für die beiden Kinder über monatlich 7700 S verfüge. Bei dieser Einkommensrelation stehe der Klägerin kein Unterhaltsanspruch mehr zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es der Klägerin einen monatlichen Unterhalt von 1000 S zusprach und das Mehrbegehren abwies. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, welche seiner Ansicht nach auf Grund eines mangelfreien Verfahrens getroffen worden seien, und vertrat die Ansicht, aus dem beiderseitigen Vorbringen ergebe sich, daß die Klägerin bis zur Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft den Haushalt geführt habe. Ihr auch nach diesem Zeitpunkt gemäß § 94 Abs. 2 ABGB ein Anspruch auf Unterhalt gegen den Beklagten zu. Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Einkünfte sei ein Unterhalt von 1000 S angemessen, um eine Gleichstellung der Klägerin mit dem Beklagten zu erzielen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge, hob die Urteile der Untergerichte im Umfange der Anfechtung zur Verfahrensergänzung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Revision ist zulässig, da der Beklagte den Unterhaltsanspruch der Klägerin dem Gründe nach bekämpft. Sie ist auch gerechtfertigt.
Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit rügt der Beklagte die Tatsache, daß das Berufungsgericht ohne eine ausdrückliche Feststellung des Erstgerichtes auf Grund des beiderseitigen Vorbringens davon ausgegangen ist, daß die Klägerin vor der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft den Haushalt geführt habe. Diese Frage ist jedoch im vorliegenden Fall für die Entscheidung nicht von Bedeutung. Die gesetzliche Regelung des Unterhaltsanspruches der Ehegatten gemäß § 94 Abs. 2 ABGB unterscheidet drei Fälle: Den Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten (§ 94 Abs. 2 erster Satz ABGB), den Unterhaltsanspruch des Ehegatten, der den gemeinsamen Haushalt geführt hat, nach Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes (§ 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB) und den Unterhaltsanspruch des bedürftigen Ehegatten (§ 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB; vgl. Ent - Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkung der Ehe, 53).
Das Berufungsgericht hat nun den Unterhaltsanspruch der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB geprüft. Der erkennende Senat vermag jedoch den auch schon in der Entscheidung 7 Ob 810/76 vertretenen Standpunkt, ein Ehegatte habe - abgesehen von einer zulässigen anderslautenden Vereinbarung - nach Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch im Sinne des § 94 Abs. 2 ABGB nur dann, wenn er vorher den gemeinsamen Haushalt geführt habe, nicht zu folgen. Denn damit wird die ausdrückliche Bestimmung des § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB vernachlässigt. Die Bestimmungen des § 94 Abs. 2 erster und Satz ABGB haben das Ziel, dem den Haushalt führenden Ehegatten, der, von geringfügigen Nebenerwerbstätigkeiten abgesehen, seinen Unterhalt nicht durch die Erträgnisse einer eigenen Berufstätigkeit sichern kann, einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten bei bestehender häuslicher Gemeinschaft und auch nach ihrer Auflösung - ausgenommen den Fall des Rechtsmißbrauches - zu gewähren. Der vollberufstätige Ehegatte hat, mag er neben seiner beruflichen Tätigkeit auch noch den Haushalt führen oder geführt haben, dagegen keinen Unterhaltsanspruch nach diesen Gesetzesstellen (vgl. Ent - Hopf, a. a. 0., 55, 132). Er bleibt auf den im § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB normierten Unterhaltsanspruch verwiesen und zwar unabhängig davon, ob der gemeinsame Haushalt aufrecht besteht oder nicht (6 Ob 521/77; 6 Ob 679/77).
Ein nach dieser Gesetzesstelle bestehender Unterhaltsanspruch ist freilich nach anderen Gesichtspunkten zu beurteilen als ein solcher nach § 94 Abs. 2 erster und zweiter Satz ABGB. Vor allem fehlt einem solchen Unterhaltsanspruch die Unbedingtheit der Anknüpfung an die - gegenwärtige oder frühere - Haushaltsführung; es ist vielmehr zu prüfen, ob der den Unterhalt fordernde Ehegatte seinen Beitrag im Sinne des § 94 Abs. 1 ABGB zu leisten vermag.
Der Unterhalt des Ehegatten, der seinen Beitrag nicht zu leisten vermag, ist von dem des den Haushalt führenden streng verschieden.
Er ist an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft: Von dem den Unterhalt fordernden Ehegatten muß zunächst verlangt werden, daß er sich nach Kräften bemüht, seinen Beitrag zu leisten (Anspannungstheorie). Auf den Lebenszuschnitt der Ehegatten und auf allfällige über ihre Beiträge getroffenen Absprachen ist Bedacht zu nehmen. Schließlich besteht ein Unterhaltsanspruch eines Ehegatten nach § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB nur insoweit, als ihm die erforderlichen Mittel fehlen. Eigene Einkünfte, gegebenenfalls auch eigenes Vermögen, müssen angemessen berücksichtigt werden. Die in dieser Gesetzesstelle getroffene Regelung entspricht im Ergebnis der des § 66 Abs. 1 EheG. Der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB führt bei wesentlich verschieden hohen Einkommen zweier berufstätiger Ehegatten dazu, daß der Ehegatte mit höherem Einkommen dem Ehegatten mit niedrigerem Einkommen die erforderlichen Mittel zuzuschießen hat, um auch diesem die Deckung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Bedürfnisse zu ermöglichen (vgl. Ent - Hopf, a. a. O., 56 ff.).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann ergibt sich, daß das Vorliegen der im § 94 Abs. 2 zweiter Satz ABGB normierten tatsächlichen Voraussetzungen, nämlich der Haushaltsführung der Klägerin vor Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gar nicht untersucht werden muß, weil der Klägerin jedenfalls im Sinne des § 94 Abs. 2 dritter Satz ABGB dem Gründe nach ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zustunde. Denn die Einkommen der beiden Ehegatten weisen erhebliche Unterschiede auf. Bei einem festgestellten Gesamteinkommen der Streitteile von 12 000 S reicht das Einkommen der Klägerin von 4300 S jedenfalls nicht aus, um ihr die Deckung der den Lebensverhältnissen beider Ehegatten angemessenen Bedürfnisse zu ermöglichen. Das Erstgericht hat allerdings Feststellungen darüber unterlassen, ob der Klägerin im Sinne der Anspannungstheorie ein höherer Beitrag möglich wäre. Schon aus diesem Grund ist das Verfahren mangelhaft geblieben.
Dazu kommt noch, daß sich der Beklagte mit Recht gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes wendet, die Frage eines Unterhaltsverzichtes sei von den Streitteilen im Berufungsverfahren nicht mehr aufgeworfen worden und sei auch im Hinblick auf § 94 Abs. 3 ABGB unerheblich. Nach § 94 Abs. 3 ABGB kann auf den Unterhaltsanspruch an sich im vorhinein nicht verzichtet werden. Die Unterhaltsansprüche des § 94 Abs. 2 ABGB sind demnach für die Zukunft dem Gründe nach unverzichtbar. Hingegen ist für die Zukunft ein Verzicht bezüglich einzelner Unterhaltsleistungen und von Teilen von Unterhaltsleistungen möglich. Dies ergibt sich auch aus der den Ehegatten zustehenden Gestaltungsbefugnis nach § 91 ABGB, die ja im besonderen bei der Regelung der Deckung der Lebensbedürfnisse der Ehegatten wiederholt wird (Ent - Hopf a. a. O., 136). Daß es den Parteien auch nach der neuen Rechtslage frei steht, im Sinne der §§ 91, 94 Abs. 1 ABGB eine Unterhaltsregelung für den Fall der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zu treffen, wurde auch in der Rechtsprechung bereits ausgesprochen (6 Ob 521/77; 6 Ob 679/77). Nichts anderes hat jedoch der Beklagte mit seinem Vorbringen behauptet, zwischen den Streitteilen sei bei Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft vereinbart worden, daß die Klägerin so lange keinen Unterhalt vom Beklagten verlangen werde, als ihr der anzutretende Hausbesorgerposten als Erwerbsmöglichkeit zur Verfügung stehe oder sie aus einer anderen Erwerbsmöglichkeit wenigstens einen Verdienst in dieser Höhe erziele. Das Erstgericht hat dazu die Auffassung vertreten, die Vereinbarung habe ausdrücklich eine Scheidung als Geschäftsgrundlage, weshalb ihr Inhalt nicht näher erörtert zu werden brauche. Da der Beklagte im Verfahren erster Instanz zur Gänze obsiegt hat, war er nicht genötigt, diese Ansicht im Berufungsverfahren zu bekämpfen. Er kann dies vielmehr auch noch im Revisionsverfahren tun. Aus dem Text des Kanzleivermerks Beilage D allein kann nun nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, daß auch die Bestimmung des Punktes 3 a letzter Satz die Scheidung als Geschäftsgrundlage gehabt habe. Die vom Beklagten behauptete Vereinbarung, für die er sich nicht nur auf die Urkunde Beilage D berufen hat, hätte daher näher geprüft werden müssen. Das Erstgericht hat über diese Behauptung auch den Beweis durch Parteienvernehmung beschlossen, dann jedoch keinerlei Feststellungen getroffen und nicht einmal den Inhalt der Urkunde Beilage D wiedergegeben. Da eine solche Vereinbarung, wie ausgeführt, zulässig gewesen wäre, hätten die Untergerichte über ihr Bestehen oder Nichtbestehen Feststellungen treffen müssen.
Die Urteile der Untergerichte waren daher in dem der Klage stattgebenden Teil aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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