European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0060OB00683.840.0123.000
Spruch:
Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, verworfen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.
Die Entscheidung über die Rechtsmittelkosten wird der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin erlitt am 2. August 1978 einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Sie wurde zur Behandlung zunächst in das Landeskrankenhaus Steyr eingeliefert und von dort am 31. August 1978 in die Neurochirurgische Abteilung des Wagner‑Jauregg‑Krankenhauses in Linz überstellt, wo sie bis zum 25. September 1978 verblieb. Die beklagte Partei ist Rechtsträger beider Krankenhäuser.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes in der Höhe von 300.000 S sowie die Feststellung, dass ihr die Beklagte für alle künftigen Schäden aus der Lumbalpunktion, die in der Zeit vom 31. August bis 25. September 1978 im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus an ihr vorgenommen worden sei, im vollen Umfang schadensersatzpflichtig sei. Sie behauptete, die Lumbalpunktion sei ohne ihre Zustimmung und außerdem fehlerhaft durchgeführt worden. Dieser Eingriff habe unabhängig von den Verletzungen aufgrund des Unfalls vom 2. August 1978 zu schweren und dauerhaften Gesundheitsstörungen geführt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein: Ein Kunstfehler sei nicht unterlaufen. Da man die Klägerin schon vorher im Landeskrankenhaus Steyr einer Lumbalpunktion unterzogen und daher ihre Zustimmung eingeholt habe, sei es nicht erforderlich gewesen, vor der Lumbalpunktion im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus nochmals die ausdrückliche Zustimmung der Klägerin einzuholen. Es sei aber auch keine Aufklärungspflicht verletzt worden, da das Risiko derartiger Eingriffe minimal sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im Wesentlichen fest:
Die Klägerin erlitt beim Verkehrsunfall am 2. August 1978 unter anderem eine Schädel‑Hirnverletzung, einen Bruch der vorderen Schädelgrube mit Austritt von Hirnwasser und einen Nasenbeinbruch. Im Landeskrankenhaus Steyr führte man unter anderem eine Lumbalpunktion mit Isotopenuntersuchung mit 12 mC‑Technetium durch. Bei diesem Eingriff wird eine Nadel zwischen zwei Lendenwirbeln in den Körper des Patienten eingeführt und damit einerseits Liquorflüssigkeit abgesaugt, andererseits ein Isotop mit einer Trägersubstanz eingeführt, welches sich in der Rückenmarkflüssigkeit verteilt. Es handelt sich um einen Routineeingriff, wie er vor allem an neurochirurgischen Abteilungen ohne Schwierigkeiten durchgeführt wird und worüber üblicherweise kein eigenes Protokoll geführt wird. Für sich allein betrachtet ist allerdings dieser Eingriff mit einer Operation vergleichbar, weshalb ein Teil der Krankenanstalten die ausdrückliche Zustimmung der Patienten hiezu einzuholen pflegt. Andere Krankenanstalten wiederum begnügen sich mit der allgemeinen Zustimmung des Patienten zu den für seinen Fall notwendigen diagnostischen Verfahren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil das Risiko irgendwelcher Komplikationen dabei sehr gering ist, nämlich mit etwa vier Promille bei weitem unter der 5 %‑Grenze liegt, ab welcher im Allgemeinen eine Aufklärung über Risken als sinnvoll betrachtet wird. Ob man im Krankenhaus Steyr eine ausdrückliche Zustimmung der Klägerin zu dieser Lumbalpunktion eingeholt hat, steht nicht fest; jedenfalls hat man sie nicht näher über deren Wesen aufgeklärt. Man teilte der Klägerin einige Tage später mit, dass man sie nach Linz überstellen müsse, weil das dortige Krankenhaus für solche Untersuchungen besser eingerichtet sei und über die nötigen Apparate verfüge. Was alles im Einzelnen mit der Klägerin geschehen solle, sagte man ihr nicht und sie fragte auch nicht danach. Den Äußerungen der Ärzte hatte sie entnommen, dass im Gehirn ein Riss entstanden und Flüssigkeit ausgetreten sei. Auch im Linzer Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus wurde nichts mit der Klägerin über die im Einzelnen vorzunehmenden Untersuchungen gesprochen. Es lag hier die Krankengeschichte des Krankenhauses Steyr vor, aus welcher sich ergab, dass die Klägerin nach der dort vorgenommenen Lumbalpunktion keine Beschwerden hatte. Man erachtete zur Verbesserung der Diagnose eine Wiederholung dieses Eingriffs für erforderlich. Dieser war grundsätzlich durch die Art der Verletzung indiziert, nämlich zur Aufklärung der Frage, ob eine defekte Stelle vorhanden sei, aus der Gehirnwasser ausgetreten sei. Man führte daher am 2. September 1978 diese Lumbalpunktion nochmals durch, und zwar diesmal mit Einbringung des Isotops Tc 99 m/DTPA. Dass dabei irgendein Kunstfehler unterlaufen wäre, ist nicht erwiesen, ja mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Dennoch stellte sich im Gefolge dieses Eingriffs bei der Klägerin eine Conus‑Cauda‑Schädigung mit schweren und dauernden Folgen ein. Ihre genaue Ursache war nicht feststellbar, am wahrscheinlichsten ist eine chemisch‑toxische Schädigung durch das verwendete Radioisotop. Eine solche Nebenwirkung ist äußerst selten und liegt innerhalb der angegebenen vier Promille‑Risikogrenze bei derartigen Untersuchungen.
Diesen Sachverhalt unterzog das Erstgericht folgender rechtlicher Beurteilung:
Durch die Lumbalpunktion sei eine Körperverletzung der Klägerin im Sinne des § 1325 ABGB herbeigeführt worden, die gemäß § 9 des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes (OÖKAG) dann rechtswidrig sei, wenn sie nicht im Rahmen einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Heilbehandlung erfolge und, wenn es sich um eine besondere Heilbehandlung oder einen operativen Eingriff handle, auch dann, wenn der Patient nicht seine Zustimmung erteilt habe. Da ein ärztlicher Kunstfehler als Ursache der Gesundheitsschäden der Klägerin ausscheide und in Anbetracht der äußerst geringen Gefahrenquote keine Aufklärung über die mit dem Eingriff verbundenen Risken erforderlich gewesen sei, müsse lediglich geprüft werden, ob die Klägerin um ihre spezielle Zustimmung zu diesem Eingriff hätte gefragt werden müssen. Grundsätzlich bedürfe es einer solchen Zustimmung, da die vorgenommene Lumbalpunktion als operativer Eingriff – wenn auch nicht als therapeutischer, sondern diagnostischer – anzusehen sei, bei dem es in erster Linie darauf ankomme, dass der Patient ohne seine Einwilligung irgendwelchen Risken ausgesetzt werden solle. Diagnostische Eingriffe der vorliegenden Art könnten grundsätzlich als Teil der gesamten damit im Zusammenhang stehenden Behandlung verstanden werden und seien daher in der globalen Zustimmung des Patienten zu dieser Behandlung enthalten, sofern sie nicht deutlich aus deren Rahmen fielen, was hier nicht zuträfe. Wenn sich allerdings der Patient nach den Einzelheiten dieser Behandlung erkundige, so müsste ihm die Lumbalpunktion ausdrücklich und in gemeinverständlicher Art kurz dargelegt werden, ohne dass ein damit verbundenes Risiko erwähnt zu werden bräuchte. Die Klägerin habe nicht nach derlei Einzelheiten gefragt, sondern diese den Ärzten überlassen und der diagnostischen Behandlung als Ganzem zugestimmt. Daher sei das Vorgehen der Ärzte des Wagner‑Jauregg‑Krankenhauses nicht rechtswidrig gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, änderte in Form eines Teil- und Zwischenurteils das erstgerichtliche Urteil dahin ab, dass es den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzengeldes dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannte und feststellte, dass die Beklagte der Klägerin für alle künftigen Schäden aus der am 2. September 1978 im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus Linz durchgeführten Lumbalpunktion ersatzpflichtig sei. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden habe, 300.000 S übersteigt.
Das Berufungsgericht legte seiner rechtlichen Beurteilung die Feststellungen des Erstgerichts zugrunde und führte im Wesentlichen aus: Die Zumutung an den durchschnittlichen Patienten, von sich aus Fragen über Art, Bedeutung und Risiko eines Eingriffs zu stellen, welcher im Zuge eines Spitalsaufenthalts von dem gerade nach Einteilung und Turnus ihm gegenübertretenden Arzt an ihm offenbar vorgenommen werden soll, stellte eine an der Realität in den Krankenanstalten vorbeigehende persönliche Überforderung dieses durchschnittlichen Patienten dar. Die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten sei ein wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs. Um dieses persönliche Grundrecht des Patienten, welches die Rechtsmäßigkeit des ärztlichen Handelns bedinge und begrenze, im Sinne einer freien Entscheidungsfähigkeit bei ungebrochenem Selbstwertgefühl zur Entfaltung kommen zu lassen, sei es Sache des Arztes, dem sich der Patient gerade in einem Krankenhaus mehr oder weniger „ausgeliefert“ fühle, dem Patienten darzulegen, dass nunmehr an ihm ein Eingriff vorgenommen werde, inwieweit dieser beabsichtigte Eingriff für die Heilbehandlung zweckmäßig sei oder sogar unbedingt erforderlich erscheine und sofern damit nicht völlig unerhebliche oder über ein zu vernachlässigendes Erfahrungsausmaß hinausreichende Risken verbunden seien, ihn über diese Risken in einer der „Diskretionsfähigkeit“ und Intelligenz des Patienten angepassten Weise aufzuklären. Anschließend werde der Patient zu befragen sein, ob er dem beabsichtigten Eingriff zustimme. Jeder den ethischen Grundwerten seines Berufs verbundene Arzt werde eine Achtung der Persönlichkeitsrechte der ihm anvertrauten Patienten auf eine solche Weise nicht als unzumutbar empfinden. Dass in Einzelfällen bei besonderer Dringlichkeit wegen des jeweiligen Zustands des Patienten – zB nach Unfällen oder plötzlichen Anfällen – die Zustimmung nicht eingeholt werden könne, tue ihrer grundsätzlichen Bedeutung in der Rechtsordnung des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient keinen Abbruch. Dass im vorliegenden Fall die Zustimmung der Klägerin etwa wegen besonderer Dringlichkeit entbehrlich gewesen wäre, habe nicht einmal die Beklagte behaupten können. Auch wenn man den Standpunkt des Erstgerichts übernehme, dass eine Riskenaufklärung nicht geboten sei, so habe der die Klägerin behandelnde Spitalsarzt es nicht einmal der Mühe wert gefunden, der Klägerin mit zwei oder drei Sätzen gemeinverständlich zu sagen, man werde an ihr nochmals eine Lumbalpunktion durchführen, wie eine solche schon einmal in Steyr vorgenommen worden sei, dieser unangenehme Eingriff sei notwendig, um die Diagnose möglichst verlässlich erstellen zu können. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Falle einer solchen Eröffnung nicht ohnehin eine weitere Frage bejaht hätte, ob sie mit einer nochmaligen Lumbalpunktion einverstanden sei. Tatsache sei, dass diese Frage an sie nicht gerichtet worden sei, weshalb als rechtliche Konsequenz der an ihr vorgenommene Eingriff gemäß § 9 lit c OÖKAG rechtswidrig gewesen sei. Dem Einwand der Beklagten, die Einholung einer Zustimmung der Klägerin sei deshalb entbehrlich gewesen, weil sie bereits vorher im Landeskrankenhaus Steyr einem gleichartigen Eingriff zugestimmt habe, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass abgesehen von der gegenteiligen Auffassung des Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. Diemath gar nicht feststehe, dass die Zustimmung der Klägerin zur Lumbalpunktion im Landeskrankenhaus Steyr eingeholt worden sei. Da es die Einwilligung des Patienten sei, welche die Rechtswidrigkeit des Eingriffs in seine körperliche Integrität im Rahmen einer Heilbehandlung aufhebe, sei es nach den Regeln der Beweislastverteilung Sache der Beklagten, die Zustimmung der Klägerin zum Eingriff zu beweisen. Dieser Beweislast trügen die Krankenanstalten in zunehmendem Maße dadurch Rechnung, dass sie sich die Zustimmung des Patienten mit einem schriftlichen Revers bestätigen ließen. Dass im vorliegenden Fall nicht habe festgestellt werden können, ob die Klägerin im Landeskrankenhaus Steyr einer Lumbalpunktion ausdrücklich zugestimmt habe, gehe daher zu Lasten der Beklagten. Wenn entgegen einer gesetzlichen Bestimmung ein ärztlicher Eingriff vorgenommen werde, dann liege eine Schutznormverletzung gemäß § 1311 ABGB vor. In einem solchen Fall könne sich die beklagte Partei nicht durch den Beweis mangelnden Verschuldens ihrer Organe und Erfüllungsgehilfen, sondern nur durch den Beweis entlasten, dass es zu der schweren Gesundheitsschädigung der Klägerin ebenso gekommen, wäre, wenn man die Zustimmung der Klägerin zur Lumbalpunktion eingeholt hätte. Die Beklagte, die stets den prozessualen Standpunkt vertreten habe, die Einholung einer Zustimmung der Klägerin wäre gar nicht erforderlich gewesen, habe es verabsäumt, zu behaupten und zu beweisen, dass der Schaden auch ohne die Verletzung der Vorschrift des § 9 OÖKAG eingetreten wäre. Es könne nicht gesagt werden, dass sich eine solche Beweisführung etwa im Sinne des § 269 ZPO erübrigt habe. Es sei durchaus denkmöglich, dass die Klägerin, „deren Empfindungen und Unlustgefühle anlässlich der Lumbalpunktion in Steyr zumindest in diesem Rechtsstreit von niemandem nachgefragt worden sei“, einer Wiederholung dieses zweifellos unangenehmen Eingriffs nicht zugestimmt hätte, wenn man sie zumindest nicht von der absoluten Notwendigkeit einer solchen Wiederholung überzeugt hätte. Es falle daher auch der unterbliebene Nachweis des Mangels eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs der Beklagten zur Last, sodass entgegen der Ansicht des Erstgerichts ihre Haftung gemäß den §§ 1325, 1313a ABGB für die körperlichen Schäden der Klägerin zufolge der Lumbalpunktion vom 2. September 1978 im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus Linz zu bejahen sei. Nach den bisher sowohl in diesem Verfahren als auch im Schiedsgerichtsverfahren 3 C 242/79 eingeholten medizinischen Gutachten erscheine es auch nicht zweifelhaft, dass zumindest einige Schäden und Dauerfolgen zufolge der Lumbalpunktion von den Verletzungsfolgen auf Grund des Verkehrsunfalls vom 2. August 1978 abgegrenzt werden könnten. Aber auch Schwierigkeiten einer solchen Abgrenzung könnten einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach wegen der Bestimmung des § 1302 ABGB nicht entgegenstehen. Es stehe jetzt schon fest, dass das Conus‑Cauda‑Syndrom eine tiefgreifende Gesundheitsschädigung bewirkt habe und lebenslängliche Dauerfolgen nach sich ziehen werde. Der Feststellungsklage könne daher jedenfalls stattgegeben werden. Hinsichtlich der Schmerzengeldforderung der Klägerin stehe fest, dass diese der Höhe nach zumindest in einer Währungseinheit zu Recht bestehe. Vor einer abschließenden Entscheidung darüber werde jedoch noch ein ergänzendes Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Berufung keine Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil bestätigt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Zur Revision wegen Nichtigkeit:
Die Beklagte erblickt eine Nichtigkeit darin, dass nach ihrer Auffassung das Berufungsgericht gegen die Bestimmung des § 405 ZPO verstoßen habe. Da aber selbst ein tatsächlich vorliegender Verstoß gegen § 405 ZPO nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs lediglich einen Verfahrensmangel darstellt, nicht aber Nichtigkeit begründet, war die Revision, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zu verwerfen.
2. Zur Revision aus den übrigen Gründen:
Die von der Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens und die behauptete Aktenwidrigkeit liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Rechtsausführungen der Beklagten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wesentlich sei, ob die Lumbalpunktion eine besondere Heilbehandlung, insbesondere eine Operation im Sinne des § 9 lit c OÖKAG darstelle. Dies sei zu verneinen, weil unter Heilbehandlung nur eine Therapie, nicht aber eine Diagnose zu verstehen sei. Dies gelte auch für § 110 StGB. Es sei auch darauf zu achten, dass nicht alle Heilbehandlungen, sondern nur „besondere“, also außerordentliche Heilbehandlungen gesondert zustimmungspflichtig seien. Diagnostische Maßnahmen seien nicht besonders zustimmungspflichtig, weil in aller Regel der Patient, der sich zur Untersuchung begebe, schon damit allein sein Einverständnis mit der notwendigen Untersuchungshandlung deutlich zum Ausdruck bringe. Durch die allgemeine Zustimmungspflicht – im Regelfall könne eine Krankenhausbehandlung nur stattfinden, wenn der eigenberechtigte Patient dazu seine Zustimmung gebe oder die Krankenhausbehandlung beantrage – seien alle diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen gedeckt, für welche nicht im Gesetz noch die Einholung einer besonderen Zustimmung gefordert werde. Das „Grundrecht des Patienten auf Entscheidungsfreiheit“ sei dadurch genügend gewährleistet, dass niemand gegen seinen Willen in ein Krankenhaus eingeliefert oder in diesem festgehalten werden dürfe, niemand gegen seinen Willen in die Sonderabteilung aufgenommen oder gegen seinen Willen operiert oder einer besonderen Heilbehandlung unterzogen werden dürfe. Es sei nicht denkmöglich dass sich jemand von Steyr nach Linz verlegen lasse, weil der Verdacht bestehe, durch den Unfall sei „im Gehirn ein Riss entstanden und eine Flüssigkeit ausgetreten“ und weil in Linz bessere Untersuchungseinrichtungen vorhanden seien, dort dann die diesbezüglichen Untersuchungen ablehne, obwohl dieselbe Untersuchung in Steyr keine Beschwerden hinterlassen habe. Im Ablauf hätte sich auch nichts geändert, wenn die Klägerin in Linz nochmals gefragt worden wäre und die Zustimmung gesondert und ausdrücklich erteilt hätte. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin die Zustimmung wirklich verweigert hätte. Daher sei die Frage, ob eine Zustimmung eingeholt worden sei, für den Eintritt der klagsgegenständlichen Schäden nicht kausal. Es werde auch die negative Feststellung des Erstgerichts, die Zustimmung der Klägerin in Steyr habe nicht festgestellt werden können, bekämpft. Die Klägerin habe selbst in ihrer Parteienvernehmung zugegeben, dass ihr die Lumbalpunktion, wenn auch nicht namentlich, angekündigt worden sei. Im Zusammenhang mit dem Zweck der Verlegung der Klägerin von Steyr nach Linz und der Ankündigung vom Vortag sei für die Klägerin zu erwarten gewesen, dass ähnliche Untersuchungen wie in Steyr auch in Linz gemacht würden. Durch ihre offensichtlich gezeigte Bereitschaft zu diesen Untersuchungen habe die Klägerin eindeutig ihre Zustimmung im Sinne des § 863 ABGB erklärt.
Diesen Ausführungen ist Folgendes zu entgegnen:
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht entscheidend, wie die Bestimmung des § 9 lit c OÖKAG auszulegen ist und ob gemäß dieser Auslegung die an der Klägerin vorgenommene Lumbalpunktion eine besondere Heilbehandlung oder eine Operation im Sinne dieser Bestimmung darstellt oder einer Operation gleichzuhalten ist. Denn grundsätzlich ist jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Integrität eines Patienten rechtswidrig, soweit nicht eine wirksame Einwilligung des Patienten vorliegt. Dies gilt nicht nur für den ärztlichen Eingriff zum Zwecke der Heilbehandlung im engeren Sinn, sondern unter anderem auch für jede Einwirkung auf den Körper eines anderen, die darauf abstellt, die Krankheit festzustellen (Foregger‑Serini, StGB3 Anm 1 zu § 110, Leukauf‑Steininger, Kommentar², S 734; 5 Ob 521/82). Die Auffassung der Beklagten, eine gesonderte Zustimmung der Klägerin zur Lumbalpunktion sei (schon deshalb) nicht erforderlich gewesen, weil diese keine Heilbehandlung (Therapie), sondern nur eine Diagnosehandlung dargestellt habe, ist daher verfehlt.
Aber auch die verschiedenen Versuche, aufzuzeigen, die Klägerin habe ohnehin zugestimmt – in Steyr dadurch, dass sie sich zur Untersuchung begeben habe, durch Zustimmung zur Krankenhausbehandlung oder den Antrag hiezu, durch ihre offensichtlich gezeigte Bereitschaft zu dieser Untersuchung im Zusammenhang mit dem Zweck ihrer Verlegung nach Linz – können der Beklagten nicht nützen. Sie übersieht dabei nämlich, dass eine Zustimmung nur wirksam ist, wenn ihr eine ausreichende Aufklärung vorangegangen ist (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II², S 120; 5 Ob 521/82 Jbl 1983, 373 uva). Den Arzt trifft daher grundsätzlich eine Pflicht zur Aufklärung des Patienten. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, hat er eine eigenmächtige Heilbehandlung (§ 110 Abs 1 StGB) zu vertreten und haftet auch bei kunstgerechtem Eingriff für die dadurch eingetretenen Schäden wegen Verletzung dieser Schutznorm (§ 1311 ABGB). Die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Auswirkungen können nicht einheitlich, sondern nach den Gesichtspunkten gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des Krankheitsbildes Rechnung tragend ermittelt werden (RZ 1973/167; S 170). Damit kommt es nicht allein auf die erfahrungsgemäß häufiger zu befürchtenden Komplikationen, sondern auch auf das Gewicht an, das möglicherweise nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende Risken für den Entschluss des Patienten haben können, in den Eingriff einzuwilligen. Deshalb spielt es eine Rolle, ob der Eingriff von vitaler Bedeutung für den Patienten ist oder ob, wenn der Eingriff nicht dringend geboten ist, ein verständiger Patient bei Abwägung der Umstände auch angesichts eines möglicherweise entfernten Risikos von der Durchführung des Eingriffs Abstand nehmen würde (Staudinger, BGB12 Rz 480 zu § 823 mit weiteren Nachweisen). Daher können auch keine Prozentsätze (Promillesätze) dafür abgegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Schädigungen eine Aufklärungspflicht nicht mehr besteht. Es sind vielmehr besonders strenge Anforderungen an das Ausmaß der Aufklärung über mögliche Gefahren gerade dann zu stellen, wenn der Eingriff nicht unmittelbar der Heilung oder Rettung des Patienten, sondern (nur) der Diagnose dient (Staudinger aaO, vgl Laufs/Kern in Anm in (d) JZ 1984, 631; NJW 1979m S 1933/1934).
Bei Anwendung dieser Grundsätze muss im vorliegenden Fall, in welchem einerseits feststeht, dass die Klägerin im Krankenhaus Steyr nicht näher über das Wesen der Lumbalpunktion aufgeklärt und ihr nicht gesagt wurde, was alles im Einzelnen mit ihr (im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus in Linz) geschehen sollte, ihr auch im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus in Linz nichts über die im Einzelnen vorzunehmenden Untersuchungen gesagt wurde, und es sich andererseits um eine Wiederholung einer Diagnosemaßnahme, mag diese auch medizinisch indiziert gewesen sein, gehandelt hat, eine Aufklärung verlangt werden, weil das Risiko einer dauernden Schädigung der Patientin nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit lag und für den Entschluss der Klägerin bezüglich der Diagnosemaßnahme von Bedeutung sein konnte. Da nach den Feststellungen eine Aufklärung nicht gegeben wurde, ist jede Art von Zustimmung wirkungslos. Deshalb bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Klägerin im Krankenhaus Steyr eine Zustimmung abgegeben hat.
Eine ausreichende Aufklärung der Klägerin kann auch mit dem Hinweis auf den durch eine Aufklärungspflicht in diesem Ausmaß nicht mehr vertretbaren Personalaufwand (abgesehen von seiner Richtigkeit) schon deshalb nicht abgelehnt werden, weil dieser Umstand gegenüber den Rechtsgütern der körperlichen Integrität und der freien Entscheidung des Patienten zurücktreten muss.
Bei ihren Ausführungen, an den aufgetretenen Schäden hätte sich nichts geändert, wenn die Klägerin zugestimmt hätte, lässt, die Beklagte neuerlich außer Acht, dass selbst eine ausdrückliche Zustimmung der Klägerin ohne ausreichende Aufklärung unwirksam gewesen wäre, eine solche aber nach den Feststellungen nicht vorgenommen wurde. Den zwar möglichen, aber von der Beklagten nach strengem Maßstab zu erbringenden Beweis, dass die Klägerin im Falle einer ausreichenden Aufklärung ihre Einwilligung zur Lumbalpunktion gegeben hätte, hat die Beklagte ebensowenig angetreten wie den Beweis dafür, der eingetretene Schaden wäre auch bei Unterbleiben der Lumbalpunktion im Wagner‑Jauregg‑Krankenhaus eingetreten.
Aus diesen Erwägungen war der Revision der Erfolg zu versagen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.
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