OGH 6Ob666/88

OGH6Ob666/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Konrad B***, geb. am 1. August 1928 in Wien, Pensionist, Gmündstraße 1/2/2/7, 1210 Wien, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Aloisia B***, geb. am 22. September 1933 in Wien, Hauswart, Schüttelstraße 19/4/2, 1020 Wien, vertreten durch Dr. Heinz Barazon, Dr. Brigitte Birnbaum, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. Mai 1988, GZ 11 R 58/88-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Oktober 1987, GZ 40 Cg 2/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile, die beide österreichische Staatsbürger sind, haben am 10. Juli 1954 die Ehe geschlossen. Sie haben zwei Kinder adoptiert, und zwar den am 27. Mai 1963 geborenen Michael und den am 4. August 1966 geborenen Christian.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Er brachte vor, die Beklagte habe ehewidrige Beziehungen zu Walter ORT aufgenommen, habe das Schloß der Ehewohnung ausgewechselt und den Kläger abgemeldet. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte hilfsweise den Antrag, das überwiegende Mitverschulden des Klägers auszusprechen. Sie führte aus, der Beklagte habe während der Ehe unzählige Frauenbekanntschaften unterhalten, zum Beispiel zu Juliane K***. Er sei aus der Ehewohnung ausgezogen und wohne bei seiner Freundin Inge N***.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Es ging hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Bald nach der Eheschließung wurde die Beklagte schwanger und ließ die Leibesfrucht auf Wunsch des Klägers abtreiben. Da der Schwangerschaftsabbruch Unfruchtbarkeit der Beklagten nach sich zog, adoptierten die Streitteile die beiden Kinder, um deren Pflege und Erziehung sich vorwiegend die Beklagte kümmerte. Der Kläger ließ sich durch die Eheschließung seinen Freiheitsraum in keiner Weise einschränken und kam oft nächtelang nicht nach Hause. Da er auf Überlandfahrten unterwegs war, konnte die Klägerin nicht überprüfen, ob die Abwesenheit beruflich bedingt war oder nicht. Erst die letzten fünf bis acht Jahre hatte der Kläger als Staplerfahrer eine geregelte Dienstzeit, sodaß augenfällig wurde, daß er seine Freizeit nach Belieben außer Haus verbrachte. Vorhalten der Beklagten begegnete er schnippisch und überheblich und gab über seinen Verbleib keine Auskünfte. Der Kläger sieht es als Vorrecht des Mannes an, ehebrecherische Beziehungen zu unterhalten und war auf seine vielen Frauenbekanntschaften stolz. Immer wieder lud er ihm bekannte Damen in die Ehewohnung ein und versuchte, diesen zu imponieren, indem er die Beklagte herabsetzte. Aus Verantwortungsgefühl den Kindern gegenüber harrte die Beklagte in der für sie immer unerträglicher werdenden ehelichen Situation aus. Sie versuchte, sich durch Übernahme von außerhäuslichen Pflichten zu verselbständigen und übernahm 1982 eine Stelle als Ersatzbetriebsrat. Bei dieser Tätigkeit lernte sie den verheirateten Walter ORT kennen. Der Kläger verbrachte in den letzten Jahren mehrwöchige Urlaubsaufenthalte in Ischia, wobei er als Reiseleiter des Naturfreundevereines fungierte und keine Reise- und Aufenthaltskosten anfielen. Bei diesen Aufenthalten sowie jährlichen Kuraufenthalten in Bad Aussee ging der Kläger jeweils ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen ein. So lernte er bei seinem Kuraufenthalt im Jahre 1984 Juliane K*** kennen, die in der Folge auch an Reisen nach Ischia teilnahm. In Gegenwart der Juliane K*** kam das Gespräch der Streitteile auf eine mögliche Teilnahme der Beklagten an einer Reise nach Ischia, bei dem der "Beklagte" (richtig: Kläger) erklärte, die "Klägerin" (richtig: Beklagte) müsse mit dem Bungalow zufrieden sein, den er ihr zuteile, er lasse sich durch sie nicht stören. Der vom November 1985 auf Kuraufenthalt am Toten Meer weilenden Juliane K*** sandte der Kläger ein Schreiben, das mit nachstehenden Worten beginnt bzw. endet: "Liebe Julie!! Die Einsamkeit und die Langeweile ohne dich machen mich fast kaputt, aber ich träume oft mit offenen Augen von dir und somit kann ich es einigermaßen überbrücken.... Ich schließe jetzt die paar Zeilen in sehr großer Liebe und Verehrung mit Kuß Dein Koni". Diese Beziehung wurde auf rein freundschaftlicher Basis fortgesetzt, als sich die eheliche Beziehung der Juliane K*** zu ihrem Gatten besserte. Der Kläger nahm immer wieder ehebrecherische Beziehungen auf, wobei er auch die Ehewohung in Abwesenheit der Beklagten benutzte. Seit 1985 wendete sich die Beklagte immer mehr ihrem Kollegen Walter ORT zu. Dieser verrichtete für sie und ihre Schwester handwerkliche Tätigkeiten, besuchte mit ihr gemeinsam Cafehäuser und Restaurants. Gelegentlich übernachtete er in dem Wochenendhaus der Streitteile in Tulln, das vorwiegend von der Beklagten genutzt wurde. Im November 1985 wurde Walter ORT vom Kläger, der die Beklagte eifersüchtig überwachte und gelegentlich "bewußt überraschend" auftauchte, um sie zu kontrollieren, im Schlafzimmer des Wochenendhauses angetroffen. Das vom Kläger beauftragte Detektivbüro beobachtete, daß Walter ORT die Nacht vom 25. zum 26. Juli 1986 in dem Wochenendhaus verbrachte. An einer von der Gewerkschaft im Juni 1986 organisierten Reise nach Griechenland nahmen Walter ORT und die Beklagte teil. Sie "fuhren auf gemeinsame Einkaufsfahrten nach Ungarn". Im Juni 1986 kam es zu einer Aussprache der Streitteile, bei welcher der Kläger die Beklagte um eine Versöhnung ersuchte. Die Beklagte machte dies von seinem Verhalten während und nach einem unmittelbar bevorstehenden Kuraufenthalt in Bad Aussee abhängig, da sie die Aufnahme weiterer ehewidriger Beziehungen befürchtete. Tatsächlich verließ der Kläger unmittelbar nach seiner Rückkehr unter einem Vorwand die eheliche Wohnung und kehrte nicht mehr in diese zurück. Er übersiedelte in die Wohnung der Inge N***, die er anläßlich des Kuraufenthaltes näher kennengelernt hatte und mit der er eine Lebensgemeinschaft einging. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Ehe sei unheilbar zerrüttet, die Beklagte treffe durch das Eingehen ehewidriger Beziehungen zu Walter ORT ein Verschulden, sodaß dem Klagebegehren auf Scheidung stattzugeben sei. Das Verhalten des Kläger wiege aber weitaus schwerer als das eine natürliche Reaktion darstellende Verhalten der Beklagten. Die ständigen Frauenbekanntschaften des Klägers, die Herabsetzungen der Beklagten, die Anmaßung von der Frau nicht zugestandenen Rechten in der Ehe, das ständig Liebesbeweise fordernde Benehmen des Klägers verbunden mit der Unfähigkeit selbst auf den anderen einzugehen oder für den anderen Leistungen zu erbringen, hätten dazu führen müssen, daß die Beklagte in ihren Gefühlen verletzt worden sei und sich innerlich immer mehr vom Kläger entfernt habe. Daß sie sich an den in seinem Wessen dem Charakter des Klägers völlig entgegengesetzten Walter ORT immer mehr angeschlossen und in dieser Beziehung die Achtung gesucht habe, die ihr vom Kläger verwehrt worden sei, sei eine Folge der ehelichen Situation. Die Aufnahme dieser ehewidrigen Beziehung sei zwar sicherlich ein Grund dafür, daß der Kläger jede Versöhnung entrüstet ablehnen würde, sie sei jedoch nicht die Ursache für die bereits vorher bestandene tiefgehende Ehezerrüttung. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Ersturteiles als unbedenklich und als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und führte zur Rechtsrüge aus, das Verhalten des Klägers gegenüber der Beklagten habe überwiegend zur Zerrüttung der Ehe geführt, in der er die gebotene seelische Gemeinschaft mit der Beklagten gröblichst vernachlässigt habe. Der Kläger habe die Aussage der Beklagten, er habe sie zur Abtreibung veranlaßt, unwidersprochen gelassen. Er habe die Beklagte vielfach herabgesetzt und ihr die notwendige Zuwendung verweigert, sodaß es sich um eine verständliche, wenn auch nicht völlig zu entschuldigende Reaktion der Beklagten gehandelt habe, sich Walter ORT zuzuwenden. Dies gelte auch sinngemäß für die "von der Beklagten zurückgewiesene Versöhnungsbereitschaft". Bei Abwägung der beiderseitigen Verhaltensweise sei dem Erstgericht uneingeschränkt zuzustimmen, daß das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe weitaus überwiege. Wenn die Beklagte sich jahrelang das Verhalten des Klägers wegen der Kinder unwidersprochen habe gefallen lassen und dann, als die Kinder herangewachsen seien, nicht mehr, könne ihr dies nicht als Eheverfehlung angelastet werden. Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das überwiegende Verschulden der Beklagten ausgesprochen werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als Verfahrensmangel rügt der Kläger, daß das Berufungsgericht keine Beweiswiederholung durch Vernehmung der Zeugin Juliane K*** vornahm. Die Frage, ob eine Beweiswiederholung notwendig ist, ist jedoch eine Frage der Beweiswürdigung (vgl. EFSlg 39.262, 46.702), die auch im Ehescheidungsverfahren in dritter Instanz nicht überprüfbar ist (EFSlg 52.241 uva).

Die Ausführungen zur Rechtsrüge, die Zerrüttung der Ehe sei dadurch unheilbar geworden, daß die Beklagte eine Versöhnung abgelehnt habe, sind schon deshalb verfehlt, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen. Nach diesem lehnte die Beklagte eine Versöhnung nicht ab, sondern machte eine solche vom Verhalten des Klägers nach Beendigung seines Kuraufenthaltes abhängig. Unmittelbar nach dem Kuraufenthalt zog der Kläger aber aus der Wohnung aus, zog zu Inge N*** und ging mit dieser eine Lebensgemeinschaft ein. Im übrigen bildet die Ablehnung der Versöhnung mit dem Ehegatten, der schwerwiegende Eheverfehlungen begangen hatte, keinen Scheidungsgrund. Der Umstand, daß die Beklagte keine Scheidungsklage eingebracht hat, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. Wohl hat auch die Beklagte durch ihre ehewidrigen Beziehungen zu Walter ORT schwere Eheverfehlungen begangen, doch ist bei der Verschuldensteilung zu berücksichtigen, daß es der Kläger war, der durch sein Verhalten, insbesondere seine wiederholten ehewidrigen Beziehungen und Ehebrüche mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen und den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung geleistet hat (EFSlg 51.643), dessen Folge Eheverfehlungen der Beklagten waren

(vgl. EFSlg 51.644, 51.645), und daß der Kläger schließlich, als die Beklagte eine Versöhnung bei ehegerechtem Verhalten des Klägers keinesfalls ablehnte, die Ehewohnung verließ und eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau einging. Der im § 60 Abs 2 letzter Satz EheG für den Ausspruch überwiegenden Verschuldens geforderte erhebliche Unterschied im beiderseitigen Verschulden tritt somit offenkundig hervor (EFSlg 51.659 uva). Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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