OGH 6Ob624/77 (6Ob623/77)

OGH6Ob624/77 (6Ob623/77)14.7.1977

SZ 50/107

Normen

ABGB §364a
ABGB §364a
ABGB §364a
ABGB §364a

 

Spruch:

Zur Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit von Lärmeinwirkungen

OGH 14. Juli 1977, 6 Ob 623, 624/77 (KG Korneuburg 5 R 252/76; BG Haugsdorf C 12, 13/75)

Text

Neben einem rechtskräftig entschiedenen und daher nicht weiter darzustellenden Zahlungsbegehren beantragt die Klägerin Verurteilung der Beklagten, d. i. die Stadtgemeinde L, auf dem freien, unverbauten Teil des Burgplatzes in L Veranstaltungen und Schaustellungen, die mit ungewöhnlichem Lärm für das Haus Burgplatz 38 verbunden seien, sowie die Erregung dieses Lärms zu unterlassen.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und stellte fest:

Die Klägerin bewohnt das ihr gehörende Haus am Burgplatz 38 in L. Sie hält sich dort gewöhnlich nur am Wochenende auf. Der nicht verbaute Teil des Burgplatzes steht im Eigentum der Beklagten. Das Grundstück der Klägerin liegt im Bau-Wohngebiet; in geringer Entfernung grenzt eine als Betriebsgebiet gewidmete Fläche an.

Der an einem Wochentag im Jahre 1974 gemessene Grundgeräuschpegel im Wohnzimmer der Klägerin betrug um 18 Uhr bei geöffneten Fenstern 25 Dezibel und um 20 Uhr bei geschlossenen Fenstern 16 Dezibel. Im Jahre 1973 wurde in den Nachtstunden im Wohnzimmer der Klägerin ein Grundgeräuschpegel von 20 Dezibel bei offenen Fenstern gemessen.

Vom 22. bis 26. Mai 1974 wurden auf dem unverbauten Teil des Burgplatzes die "L Festtage" abgehalten. Diese wurden nachmittags eröffnet und es fanden insbesondere in den Abendstunden ständige Veranstaltungen auf dem Burgplatz statt. Gleichzeitig betrieb ein Unternehmen auf dem Burgplatz einen Vergnügungspark, was die Beklagte duldete, obgleich sie imstande und berechtigt gewesen wäre, den Betrieb zu verhindern. Der Vergnügungspark umfaßte ein Karussel, ein Autodrom, eine Schaukel, eine Schießbude und ein Flugkarussel; außerdem waren zwei Vergnügungszelte aufgestellt.

Am 23. Mai 1974 führte ein Beamter der Stadt Wien in der Zeit von 13 bis 23 Uhr Schallpegelmessungen durch. Die vom Vergnügungspark ausgehenden Geräusche ergaben im Wohnzimmer der Klägerin bei offenem Fenster Spitzenwerte von 72 Dezibel und bei geschlossenem Fenster von 52 Dezibel. Bei bloßen Lautsprecherdurchsagen wurden Werte von 66 und 47 Dezibel gemessen, bei Klingelzeichen vom Karussel 68 bzw. 44 Dezibel. Ein Grundgeräuschpegel war nicht meßbar.

Die Lärmeinwirkungen der Veranstaltungen vom 22. bis 26. Mai 1974 dauerten zumeist bis 2 Uhr morgens, und zwar bei einem Lärm, der die erwähnten Spitzenwerte erreichte. Gesundheitliche Schäden bei Personen infolge des Lärms wurden nicht festgestellt, doch traten bei einigen Bewohnern des Burgplatzes Störungen beim Einschlafen und in der Nachtruhe auf.

Vom 11. bis 14. Mai 1974 und vom 7. bis 19. Juni 1974 stellte der Schausteller W gleichfalls unter Duldung der Beklagten Vergnügungseinrichtungen auf dem Burgplatz auf und betrieb vom 11. bis 14. Mai 1974 ein Ringelspiel, eine Schaukel und ein Autodrom, vom 7. bis 19. Juni 1974 vier Karussels, zwei Autodrome, eine Schießbude, einen Schießautomat und zwei Schaukeln. Der Betrieb dauerte zumeist bis etwa gegen Mitternacht. Der Lärmpegel wurde in diesen Zeiträumen, nicht gemessen, doch war der Lärm, der auf das Wohnhaus der Klägerin einwirkte, geringer als bei den "L Festtagen."

Volksbelustigungen verschiedenster Art haben schon seit Generationen auf dem L Burgplatz stattgefunden. Die Anzahl der Tage, an denen es zu solchen Volksbelustigungen auf dem Burgplatz kam, entspricht, auf das Jahr umgelegt, ungefähr der Dauer der Vergnügungsveranstaltungen im Jahre 1974.

Es kann nicht festgestellt werden, wie lange jeweils in der Nacht solche Belustigungen früher gewährt haben; der dabei entfaltete Lärm war wohl geringer als etwa im Jahre 1974, doch dauerten auch frühere Veranstaltungen zum Teil bis Mitternacht.

Die "L Festtage" wurden nahezu jährlich seit 1965 auf dem Burgplatz abgehalten. Auch auf anderen Plätzen in L wurden Bewohner infolge Veranstaltungen (Ferkel- und Jahrmarkt) durch Lärm belästigt. Lärmbelästigungen der Art, wie sie festgestellt wurden, könnten nur bei längerer Dauer psychosomatische oder neurotische Symptome bei früher gesunden und normal reagierenden Personen auslösen. Eine wiederholte Belästigung während weniger aufeinanderfolgender Tage kann nur bei hiezu disponierten Personen längere Gesundheitsstörungen hervorrufen. Der Lärmkonflikt entsteht im einzelnen Fall erst als Summe vielfältiger Umstände. Bei der Klägerin haben die Verärgerungen über die Lärmbelästigungen und die tatsächlichen Lärmbelästigungen "gleichsinnig zusammengewirkt", so daß es zu einer gesundheitsstörenden Aufschaukelung gekommen ist. Durch die Lärmeinwirkungen ist der Klägerin kein wie immer gearteter Schaden erwachsen.

Das Erstgericht begrundete die Abweisung des Klagebegehrens im wesentlichen mit der Ortsüblichkeit der Veranstaltungen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Es führte aus:

Es sei der Klägerin darin beizupflichten, daß sie im Prozeß lediglich ihr Eigentum an der Liegenschaft und die Störungshandlungen als solche zu beweisen habe. Der Beklagten bleibe die Einwendung vorbehalten, daß der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Grenzen nicht überschreite. Dafür sei sie beweispflichtig. Das Erstgericht habe den Eingriff (die Lärmbelästigung) festgestellt. Diese Feststellung werde auch gar nicht bekämpft. Wohl treffe das Erstgericht auch Feststellungen darüber, in welcher Weise die Lärmbelästigungen durch Veranstaltungen in früheren Jahren auf dem Burgplatz die Anlieger betroffen hätten. Diese Feststellungen seien aber nur mangelhaft begrundet.

Das Erstgericht sei auch seiner Prozeßleitungspflicht nach § 182 ZPO nicht nachgekommen. Es wäre bei der gegebenen Verfahrenslage verhalten gewesen, die Beklagte aufzufordern, genauere Behauptungen über die Anzahl der alljährlichen Veranstaltungstage aufzustellen, zumal von der Beklagten "noch am ehesten" habe gewärtigt werden können, daß sie eingehende Aufzeichnungen über die Dauer der in den letzten Jahren abgehaltenen Vergnügungen und Veranstaltungen besitze. Das Erstgericht habe sich auch bei seinen Feststellungen damit begnügt, Festveranstaltungen auf dem Burgplatz in früheren Jahren zur Ermittlung der Ortsüblichkeit der Veranstaltungen im Jahre 1974 heranzuziehen. Es habe aber keine Feststellungen getroffen, ob nicht auch bereits in früheren Jahren - so wie 1974 - außerhalb der offiziellen Veranstaltungen Vergnügungsparks privater Unternehmer auf dem Burgplatz eingerichtet gewesen seien und dabei gleichfalls störender Lärm entfaltet worden sei.

Das Erstgericht habe aber auch keine ausreichenden Feststellungen darüber getroffen, welche Steigerungsrate die Volksbelustigungen auf dem Burgplatz in den letzten Jahren genommen hätten. Das sei für die Frage der ortsüblichen Benützung des Grundstückes der Klägerin von ausschlaggebender Bedeutung, weil auch durch die progressive Ausdehnung solcher regelmäßig wiederkehrender Veranstaltungen über viele Jahre hinweg die Ortsüblichkeit der Lärmbelästigung unter Umständen wegfallen könnte. Das Erstgericht habe sich in diesem Zusammenhang im wesentlichen auf die Ermittlung der Dauer der Veranstaltungen in den Jahren 1973 und 1974 beschränkt.

Die für die Ortsüblichkeit von der Lärmeinwirkung infolge öffentlicher Veranstaltungen relevante Vergleichsgrundlage dürfe sich jedoch keineswegs auf einen solch kurzen Zeitraum erstrecken, zumal dem Begriff der Ortsüblichkeit jedenfalls der Vergleich über eine längerwährende Zeitstrecke immanent sei. Nur dann, wenn festgestellt werden könne, daß diese Lärmeinwirkungen geradezu schon zur Gewohnheit geworden seien, könne von ortsüblichen Lärmeinwirkungen im Sinne des § 364 ABGB gesprochen werden.

Zu Recht rüge die Berufungswerberin auch die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Ortsüblichkeit einer Lärmeinwirkung unter Einbeziehung des gesamten Stadtgebietes zu prüfen sei, weil L eine kleinere Stadt sei und der Burgplatz eine besonders ruhige Wohnlage darstelle. Nach ständiger Rechtsprechung sei die Frage des ortsüblichen Ausmaßes von Immissionen nicht immer im Sinne der politischen Gemeinde zu prüfen. Ob nämlich die vom Nachbargrund einwirkende Belästigung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteige, sei stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen; dabei sei der Ausdruck "örtlich" nicht in dem Sinne zu verstehen, daß es auf die Verhältnisse innerhalb der gesamten politischen Gemeinde ankomme. Maßgebend sei vielmehr die Lage des Grundstückes, von dem die Störung ausgehe, und die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften. Dabei komme es nicht nur auf die Intensität, sondern auch auf die Art der Einwirkungen und den Grad ihrer Störungseignung an.

Der Hinweis des Erstgerichtes auf wöchentliche und vierteljährliche Märkte auf anderen Plätzen sei schon deshalb verfehlt, weil sich diese nicht in der unmittelbaren Umgebung des Burgplatzes befänden. Außerdem seien diese Veranstaltungen Lärmquellen, die sich von einem Vergnügungsbetrieb und dem damit verbundenen Lärm ganz wesentlich unterschieden. Die Störungseignung der Veranstaltungen auf dem Burgplatz sei erfahrungsgemäß nicht bloß ihrer Intensität nach größer, sondern sie seien darüber hinaus auch noch Abendveranstaltungen, bei denen selbst spät in der Nacht Lärm erregt werde. Märkte und der vom Erstgericht gleichfalls zum Vergleich herangezogene Straßen- und Industrielärm seien qualitativ ganz anders zu beurteilen als die Lärmbelästigungen auf dem Burgplatz. Auch handle es sich dabei um Veranstaltungen, Vorgänge und Betriebe, die unmittelbar mit der Funktion von L als Wirtschafts- und Handelsort verbunden seien, während Volksbelustigungen und Festveranstaltungen zwar wohl auch im öffentlichen Interesse abgehalten würden, aber doch von der Beklagten in solchen Grenzen gehalten werden könnten, daß sie den Anliegern des Burgplatzes zumutbar seien, ohne daß die Veranstaltungen gleich gänzlich untersagt werden müßten.

Der Oberste Gerichtshof gab den von beiden Parteien erhobenen Rekursen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wenn das Berufungsgericht den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht noch nicht für genügend klargestellt beurteilt und dem Erstgericht Ergänzungsaufträge erteilt, so kann der OGH, der selbst nicht Tatsacheninstanz ist, dem unter der Voraussetzung richtiger rechtlicher Beurteilung nicht entgegentreten. Ein Rechtsirrtum kann aber dem Berufungsgericht nicht vorgeworfen werden.

Um einen Anspruch auf Immissionsabwehr im Sinne des § 364 Abs. 2 ABGB - hier in der Form eines Unterlassungsanspruches - zu begrunden, muß die vom Grundstück der Beklagten ausgehende Einwirkung nach Art und Umfang so sein, daß sie die ortsübliche Benützung des Grundstückes der Klägerin wesentlich beeinträchtigt. Schon nach den bisher vorliegenden Feststellungen muß gesagt werden, daß die Lärmeinwirkungen in den Jahren 1973 und 1974 so waren, daß die Beeinträchtigung der Klägerin keineswegs unwesentlich genannt werden kann. Damit verlagert sich der Schwerpunkt der rechtlichen Beurteilung auf die Frage, ob die Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritt. Gerade in diesem Belang hat das Berufungsgericht den Sachverhalt als nicht genügend klargestellt beurteilt. Zutreffend hat es ausgesprochen, daß diese Frage nicht nach dem Gebiet der politischen Gemeinde beurteilt werden darf, sondern nach der Lage des beeinträchtigenden Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, und nach den Verhältnissen in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften (EvBl. 1973/26; EvBl. 1975/236 u. v. a.).

Daß die Ortsüblichkeit nur unter Bedacht auf die Benützung der Liegenschaft der Beklagten innerhalb größerer Zeiträume beurteilt werden kann, liegt auf der Hand. Das Erstgericht hat wohl in sehr allgemeiner Form von Gewohnheiten seit Generationen gesprochen, doch sind die vom Berufungsgericht aufgetragenen Ergänzungen diesbezüglich zur Gewinnung einer ausreichenden Tatsachengrundlage für die rechtliche Beurteilung der Ortsüblichkeit notwendig.

Was die Frage der Steigerungsrate betrifft, so kann der Gedanke des Berufungsgerichtes, wonach durch die progressive Ausdehnung regelmäßig wiederkehrender Veranstaltungen über viele Jahre hinweg die Ortsüblichkeit der Lärmbelästigung unter Umständen wegfallen könnte, nicht unrichtig genannt werden, weil eine plötzliche und krasse Steigerung des Lärms nicht durch die Ortsüblichkeit anderer Einwirkungen von geringerem Grade gedeckt wäre. Anderseits muß die Möglichkeit im Auge behalten werden, daß mit einer allmählichen Vermehrung der Lärmquellen und der von Jahr zu Jahr zunehmenden Intensität der Lärmeinwirkung auch der Umfang des Ortsüblichen wachsen könnte. Der Frage, welcher dieser Fälle hier anzunehmen ist, wird erst nach Vorliegen der aufgetragenen ergänzenden Feststellungen näher getreten werden können.

Richtig ist auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß öffentliche und solche private Veranstaltungen in die rechtliche Erwägungen einzubeziehen sind, die mit Genehmigung oder Duldung der Beklagten stattfinden.

Das Berufungsgericht hat auch den Begriff der Zumutbarkeit der Lärmeinwirkung für die Anlieger des Burgplatzes herangezogen und angedeutet, daß die Veranstaltungen nicht gleich gänzlich untersagt werden müßten. Auch die Klägerin greift in ihrem Rekurs diesen Gedanken auf und erklärt, es ginge darum, die Einwirkungen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Sollte das fortgesetzte Verfahren etwa zu dem Ergebnis führen, daß die Klägerin über das Maß des Ortsüblichen hinaus nicht zumutbaren Lärmeinwirkungen ausgesetzt ist (zum Begriff der Zumutbarkeit vgl. Koziol - Welser[3] II, 35; SZ 28/222; 25/221) und sollte sich dann rechtlich ergeben, daß die Beklagte nur das zu unterlassen schuldig ist, was über "das erträgliche Maß" hinausgeht, dann wird der Frage einer Präzisierung im Urteilsbegehren und im Urteilsspruch unter dem Gesichtspunkt Aufmerksamkeit zu widmen sein, daß die Exekutionsfähigkeit im Sinne des § 355 EO gesichert ist. Dabei ist nicht nur an zeitliche Beschränkungen, sondern auch an die Fixierung einer Lärmintensitätsgrenze (EvBl. 1975/236) u. a. zu denken.

Alles in allem ergibt sich, daß die Sache noch nicht spruchreif ist, weshalb der angefochtene Aufhebungsbeschluß zu bestätigen war.

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