OGH 6Ob623/85

OGH6Ob623/8530.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Ottilie A, geb. 7. Juli 1910, derzeit Hüttendorf 174, 2130 Mistelbach, infolge Amtsrekurses des Erstrichters gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 23. April 1985, GZ 44 R 78/85-53, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 25. März 1985, GZ 2 SW 151/84-48, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

In dem gegen Ottilie A, geboren am 7. Juli 1910, mit Rücksicht auf einen fortschreitenden geistigen Abbau eingeleiteten Entmündigungsverfahren wurde nach dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes Rechtsanwalt Dr. Ingrid B gemäß § 238 Abs. 1 und 2 AußStrG zur einstweiligen Sachwalterin für das Verfahren sowie zur Besorgung dringender Angelegenheiten bestellt. Dieser Beschluß wurde der Betroffenen durch Ersatzzustellung an eine Mitbewohnerin an der Abgabestelle zugestellt. Der Sachverständige führte im Verfahren zur Frage der Zustellung eines allfälligen Sachwalterbestellungsbeschlusses aus, die Betroffene verstünde überhaupt nicht, worum es bei der Gerichtsentscheidung ginge. Sie verstünde auch weder die auszulösenden rechtlichen Folgen, noch die durch die Zustellung ausgelösten Konsequenzen, wie den Beginn des Laufes der Rechtsmittelfrist.

Mit Beschluß vom 28. Jänner 1985 wurde die Bestellung eines Sachwalters für Ottilie A für alle Angelegenheiten gemäß § 273 Abs. 3 Z 3 ABGB vorgenommen und der Beschluß damit begründet, daß die Betroffene lediglich ihren Vornamen wisse und im übrigen desorientiert sei. Sie erfasse ihre Lebenssituation in dem Heim, wo sie sich derzeit befinde, nicht mehr und sei nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten, insbesondere die Verwaltung ihrer Person und die Vertretung gegenüber der Heimleitung, ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen. In Anwendung des § 246 Abs. 2 AußStrG ersuchte das Erstgericht sodann das Bezirksgericht Mistelbach, in dessen Sprengel die Betroffene sich aufhält, dieser den Beschluß auf Bestellung eines Sachwalters sowohl zuzustellen, als auch den Inhalt und die Rechtsfolgen zu erläutern. Nach dem Amtsvermerk vom 21. Februar 1985 des Bezirksgerichtes Mistelbach suchte der Richter mit der zufällig dort anwesenden einstweiligen Sachwalterin Dr. Ingrid B die Betroffene in ihrer Wohnung auf und versuchte, ihrem Geisteszustand entsprechend, ihr die Bedeutung des Gerichtsbeschlusses zu erläutern samt dessen Rechtsfolgen sowie der Auslösung der Rechtsmittelfrist durch die Zustellung. Dabei gelangte der Richter zu der überzeugung, daß die Betroffene nicht in der Lage war, den Vorgang in irgend einer Richtung zu erfassen. Der vorbereitete Zustellschein wurde letztlich nicht unterfertigt, da Ottilie A auf die Aufforderung, den Rückschein zu unterschreiben, meinte, 'ich weiß nicht, ob ihr das recht ist'. Sie war zwar nicht in der Lage, diese Äußerung näher zu erläutern, der Richter nahm jedoch deshalb von der Unterfertigung des Rückscheines Abstand, händigte der Betroffenen allerdings den Beschluß des Erstgerichtes aus. Am 6. März 1985 stellte die einstweilige Sachwalterin den Antrag, ihr nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eine mit der Bestätigung der Rechtskraft versehene Beschlußausfertigung zuzustellen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab (Punkt 1. des Beschlusses) und stellte darüber hinaus fest (Punkt 2. des Beschlusses), daß es nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht möglich ist, für Ottilie A einen Sachwalter gemäß § 273 ABGB wirksam zu bestellen. Es vertrat die Ansicht, die Zustellung zu eigenen Handen, wie sie § 246 Abs. 1 AußStrG verlange, sei in den §§ 21 ZustG und 106 ZPO geregelt. Hiezu sei erforderlich, daß der Empfänger sich des Zustellvorganges bewußt sei und seine Tragweite erkennen könne. Die Zustellung an Personen, die sich im Zustand der Sinnesverwirrung, der Berauschung oder der geistigen Absenz befänden, sei auch bei Einhaltung der formellen Vorschriften über die eigenhändige Zustellung ungültig. Für Personen mit einem höhergradigen geistigen Abbau könne daher ein Sachwalter gemäß § 273 AußStrG nicht wirksam bestellt werden. Dies bedeute für die Betroffene keinen Nachteil, weil sie ohnedies den Schutz des § 865 ABGB genieße, durch die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für ihre Bedürfnisse genügend vorgesorgt sei und sie sogar den Vorteil habe, daß sie nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sei.

über Rekurs der einstweiligen Sachwalterin hob das Rekursgericht den Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses ersatzlos und den Punkt 1. mit dem Auftrag auf, das Verfahren im Sinne des Antrages der einstweiligen Sachwalterin unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund weiterzuführen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Amtsrekurs des Erstrichters mit den Anträgen, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen oder den Beschluß des Rekursgerichtes aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Amtsrekurs ist unzulässig.

Rechtsmittel und Rechtsmittelbefugnis sind zwar im Sachwalterbestellungsverfahren gegenüber der allgemeinen Verfahrensbestimmung des § 9 AußStrG in den §§ 249 und 251 AußStrG gesondert geregelt (4 Ob 526/84), doch wird damit das Rechtsmittelverfahren in Sachwalterschaftssachen nicht abschließend geregelt, sondern es werden nur einzelne in Sachwalterschaftssachen geltende Ausnahmen von der allgemeinen Regelung des Rechtsmittelverfahrens in den Bestimmungen der §§ 9 bis 16 AußStrG normiert, welche Vorschriften jedoch im übrigen unberührt bleiben. Auch in Sachwalterschaftssachen kann daher im Sinne des § 15 Abs. 1 AußStrG der Erstrichter gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes den Rekurs ergreifen, wenn er von dieser Entscheidung für Personen, die sich selbst zu vertreten unfähig sind, unwiederbringlichen Nachteil besorgt (8 Ob 543/85). Die Rekurslegitimation fehlt jedoch, wenn die im Amtsrekurs geltend gemachten Umstände gar nicht die Eignung haben, einen unwiederbringlichen Nachteil für die Person zu bewirken, die sich selbst zu vertreten unfähig ist (SZ 43/48 u.a.).

Im vorliegenden Fall bezweifelt der Erstrichter die Notwendigkeit, für die Betroffene einen Sachwalter für alle Angelegenheiten zu bestellen, gar nicht, und hat auch selbst einen diesbezüglichen Beschluß gefaßt. Strittig ist allein die Frage, ob die gemäß § 246 Abs. 1 AußStrG vorzunehmende Zustellung dieses Beschlusses zu eigenen Handen der Betroffenen wegen ihres Geisteszustandes wirkungslos war und für sie daher kein Sachwalter gemäß § 273 Abs. 1 ABGB wirksam bestellt werden könnte. Wenn das Rekursgericht die Ansicht vertrat, die Zustellung sei wirksam gewesen und die auch vom Erstrichter für erforderlich gehaltene rechtskräftige Bestellung eines Sachwalters daher möglich, kann der Betroffenen aus der vom Erstrichter bekämpften Rechtsansicht des Rekursgerichtes kein unwiederbringlicher Nachteil erwachsen. Auch die Bestimmung des § 24 der Nationalratswahlordnung 1971, BGBl. Nr. 391/1970, ist nicht geeignet, für die Betroffene einen unwiederbringlichen Nachteil zu bewirken. Wohl wurde unter Hinweis auf diese Bestimmung in der Entscheidung 8 Ob 543/85 ohne nähere Begründung die Zulässigkeit des Amtsrekurses bejaht. Diese Ansicht kann jedoch nicht geteilt werden. Der Ausschluß vom Wahlrecht kann dann keinen unwiederbringlichen Nachteil für einen Betroffenen bewirken, wenn - wie hier - nach dem Sachverhalt klar ist, daß der Betroffene wegen seines Geisteszustandes dieses Recht nie ausüben kann. Ebensowenig kann gesagt werden, die Betroffene erlange durch die nicht wirksame Bestellung eines Sachwalters Vorteile, weil sie ohnehin durch den einstweiligen Sachwalter vor Nachteilen geschützt sei und im übrigen den Schutz des § 865 ABGB genieße. Abgesehen davon, daß der einstweilige Sachwalter gemäß § 238 Abs. 2 AußStrG nur für die Dauer des Verfahrens zu bestellen ist, erstreckt sich sein Aufgabenbereich nur auf die Erledigung dringender Angelegenheiten (Maurer, Sachwalterrecht in der Praxis 121 f.). Da somit aus der Entscheidung des Rekursgerichtes ein unwiederbringlicher Nachteil für die Betroffene objektiv nicht zu besorgen ist, war der Amtsrekurs zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte