OGH 6Ob623/83

OGH6Ob623/8330.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Enteignungsentschädigungssache der Antragstellerin R*** Ö*** als Bundesstraßenverwalterin, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die Antragsgegner 1.) Valerie M***, Pensionistin, Wien 18., Weimarerstraße 51/1/3, 2.) Dr. Fritz M***, Facharzt, Graz, Einödhofweg 26, 3.) Mag. Hartmut M***, Mittelschulprofessor, Graz-Mantscha 78, und 4.) Ilse F***-S***, Geschäftsfrau, Graz, Rebengasse 26, die erste Antragsgegnerin vertreten durch Dr. Klaus Griensteidl, Rechtsanwalt in Wien, die übrigen Antragsgegner vertreten durch Dr. Werner Klement, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung der Enteignungsentschädigung gemäß § 20 BStG 1971 und §§ 22 ff EisbEG, infolge Revisionsrekurses der zweit- bis viertgenannten Antragsgegner gegen den Beschluß des Kreisgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 15.Dezember 1982, GZ R 327/82-33, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 3. März 1982, GZ 1 Nc 112/79-24, teils bestätigt und teils zur Verfahrensergänzung aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise stattgegeben. Der angefochtene Beschluß, der in seinem ersten Punkt als unangefochten unberührt bleibt, wird in seinem dritten Punkt bestätigt, in seinem zweiten Punkt aber in Ansehung des zweiten bis vierten Antragsgegners aufgehoben. In diesem Umfang wird auch die Entscheidung der ersten Instanz aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der in der Folge verstorbene Ehemann der ersten Antragsgegnerin, als dessen Alleinerbin diese sich am Verfahren beteiligte, war Eigentümer eines Hälfteanteiles, die drei weiteren Antragsgegner waren Eigentümer je eines Sechstelanteiles an der Liegenschaft EZ 737 KG Tulln. Zum Gutsbestand dieser Liegenschaft gehörten unter anderem die 86 m 2 große Baufläche Grundstück Nr.1.988, die 115 m 2 große Baufläche Grundstück Nr.1.989, der 6.385 m 2 große Garten Grundstück Nr.1.987/1 und der 50 m 2 große Garten Grundstück Nr.1.994/2. Diese Grundstücke bildeten in der Natur eine geschlossene Fläche im verbauten Stadtgebiet.

Auf Antrag der Antragstellerin wurden mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 19.Mai 1978 (idF des Berichtigungsbescheides vom 14.Juli 1978), Zl.II/2-478/5-1978 unter anderem eine 3.473 m 2 große Teilfläche des Grundstückes Nr.1.987/1 und eine 5 m 2 große Teilfläche des Grundstückes Nr.1.988 für Zwecke des Ausbaues der Bundesstraße B 213, Tullnerfeldstraße, enteignet. Dabei betimmte die Enteignungsbehörde die Höhe der Entschädigungssumme für die Eigentümergemeinschaft an der Liegenschaft EZ 737 KG Tulln mit insgesamt 3,468.754 S. Dieser behördlich bestimmte Entschädigungsbetrag setzte sich nach den Gründen des Enteignungsbescheides dem Sachverständigengutachten entsprechend aus folgenden Berechnungselementen zusammen:

2,643.280 S als Wert der enteigneten Flächen bei einem zugrunde gelegten Quadratmeterpreis von 760 S; 798.974 S (im erstgerichtlichen Beschluß offenbar irrig: 798.945) als Ersatz für die Entwertung der 3.158 m 2 großen Restflächen um ein Drittel des oben genannten Verkehrswertes; 26.500 S als Entschädigung für Umbauarbeiten an einem auf dem Grundstück Nr.1988 stehenden Gewächshaus.

Nach der Niederschrift über die vor der Enteignungsbehörde am 25. April 1978 stattgefundene Verhandlung erklärte der Vertreter der Enteignungswerberin, das Verhandlungsergebnis zur Kenntnis zu nehmen, während die Antragsgegner das Verhandlungsergebnis "zustimmend" zur Kenntnis nahmen und Konten bekanntgaben, auf die sie die Entschädigungsbeträge zu überweisen ersuchten. Dementsprechend trug die Enteignungsbehörde der Enteignungswerberin "gemäß § 20 Abs2cd s Bundesstraßengesetzes 1971 in Verbindung mit § 59 Abs2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950-AVG 1950" bescheidmäßig auf, die festgesetzten Entschädigungsbeträge binnen vier Wochen nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides auf die von den Enteignungsgegnern benannten Konten zu überweisen. Der Enteignungsbescheid in der berichtigten Fassung wurde der Enteignungswerberin am 21.Juli 1978 zugestellt. Er blieb sowohl seitens der Enteignungswerberin als auch der Eigentümer der EZ 737 KG Tulln unangefochten.

Die Enteignungswerberin begehrte mit ihrem am 5.März 1979 bei Gericht eingelangten Antrag die gerichtliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung. Sie erachtete zunächst jede 400 S/m 2 übersteigende Entschädigung für die enteigneten Flächen als unangemessen, bestritt eine abzugeltende Entwertung der Restflächen, anerkannte aber ausdrücklich den Teilbetrag von 26.500 S als Ersatz für die Kosten der Umbauarbeiten am Gewächshaus.

Die nunmehrigen Rechtsmittelwerber machten geltend, nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien sei in der am 25.April 1978 vor der Enteignungsbehörde stattgefundenen Verhandlung ein jede behördliche Entscheidung ausschließendes Übreinkommen über die Höhe der Enteignungsentschädigung zustande gekommen; die Antragstellerin habe die vereinbarte Entschädigung auch ausbezahlt und die enteigneten Grundflächen übernommen. Die Enteignungsgegner begehrten daher die Zurückweisung des Antrages auf gerichtliche Bestimmung der Enteignungsentschädigung. Im übrigen erachteten sie die von der Antragstellerin zur Auszahlung gebrachte Entschädigung in allen Belangen als angemessen.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Enteignungswerberin - noch vor ihrer gerichtlichen Antragstellung - den im Enteignungsbescheid bestimmten Entschädigungsbetrag an die Antragsgegner bezahlt hat. In rechtlicher Beurteilung erachtete das Erstgericht eine Einigung der Parteien über die Höhe der Enteignungsentschädigung, wie sie von den Enteigneten behauptet wurde, als unerheblich. Es folgte der in der Entscheidung SZ 47/66 unter Berufung auf Krzizek,

Das öffentliche Wegerecht, dargelegten Ansicht, daß im Falle einer - nicht rechtzeitig im Verwaltungswege

beseitigten - bescheidmäßigen Festsetzung der Enteignungsentschädigung im Enteignungsbescheid die Anrufung des Gerichtes zur Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht unzulässig sei und das Gericht an die von der Enteignungsbehörde mit der Festsetzung denknotwendig getroffene Beurteilung über das Fehlen einer wirksamen Parteieneinigung gebunden wäre. Infolgedessen unterließ das Erstgericht Erhebungen und Feststellungen zu den von den Antragsgegnern behaupteten Erklärungen der Parteien zur Bestimmung der Entschädigung in dem vom Sachverständigen ermittelten Ausmaß. Das Erstgericht traf vielmehr Feststellungen zu den von ihm für erheblich angesehenen Wertbestimmungsfaktoren und setzte dann die Enteignungsentschädigung im Gesamtbetrag von 2,086.800 S fest. Dabei legte es einen Wert der enteigneten Grundflächen im Gesamtausmaß von 3.478 m 2 von 600 S je Quadratmeter zugrunde und verneinte eine zu entschädigende Entwertung der Restflächen sowie einen die Antragsgegner treffenden Aufwand für einen Umbau des Gewächshauses.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Enteignungswerberin, die eine Herabsetzung der Entschädigung unter Zugrundelegung eines Quadratmeterpreises von 400 S anstrebte, nicht statt (Punkt 1). Es gab auch dem Rekurs der Antragsgegner insoweit nicht statt, als diese eine Bemessung der Entschädigung unter Zugrundelegung eines Quadratmeterpreises von 760 S für die enteigneten Flächen begehrten (Punkt 2). In Stattgebung des Rekuses der Antragsgegner faßte das Rekursgericht aber in Ansehung der Entwertung der Restflächen und des Aufwandes für Umbauarbeiten am Gewächshaus einen Aufhebungsbeschluß (Punkt 3).

Das Rekursgericht legte seiner Entscheidung die Ansicht zugrunde, daß aus einer - von den Antragsgegnern

behaupteten - übereinstimmenden Erklärung beider Parteien im Verwaltungsverfahren, mit der vom Sachverständigen ermittelten Höhe der Entschädigung einverstanden zu sein, kein Verzicht auf die Anrufung des Gerichtes ableitbar wäre, daß aber auch in der Zahlung der im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigung und deren Annahme durch die Enteigneten keine Willenskundgebungen zu erblicken seien, sich auf die gezahlte Summe als Enteignungsentschädigung zu einigen. Das Rekursgericht billigte deshalb die erstrichterliche Ansicht, daß der Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung nicht unzulässig sein könne und das Gericht daher die Höhe der Entschädigung zu bestimmen habe.

Die drei Sechsteleigentümer fechten die Rekursentscheidung in ihrem aufhebenden Teil wegen Mangelhaftigkeit des rekursgerichtlichen Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, den bestätigenden Teil, soweit ihrem Rekursbegehren nicht stattgegeben wurde, wegen einer als offenbare Gesetzwidrigkeit zu qualifizierenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem auf Zurückweisung des Neufestsetzungsantrages, hilfsweise Festsetzung der Entschädigung in der im verwaltungsbehördlichen Bescheid bestimmten Höhe gerichteten Abänderungsantrag sowie einem Eventualaufhebungsantrag an.

Die Revisionsrekursgegnerin strebt die Zurückweisung des erwähnten Rechtsmittels, hilfsweise die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im vollen Umfang zulässig, er ist sachlich auch zur Gänze, formell allerdings nur insoweit, soweit er sich gegen den zweiten Punkt der Rekursentscheidung wendet, berechtigt. Die Enteignungsgegner behaupteten eine als Einigung über die Höhe der Enteignungsentschädigung zu wertende Abrede der Parteien, die allerdings von der Enteignungsbehörde in ihrem Enteignungsbescheid zu Unrecht übergangen worden sei. Der im Schrifttum ausgetragene Meinungsstreit über die Rechtslage bei Festsetzung der Enteignungsentschädigung ungeachtet eines vorangegangenen wirksamen Parteienübereinkommens wurde bereits in der Entscheidung SZ 56/167 umfassend dargestellt.

Erfolgte eine verwaltungsbehördliche Festsetzung der Enteignungsentschädigung im Enteignungsbescheid, ist die Anrufung des Gerichtes gemäß § 20 Abs3 BStG 1971 zulässig, wenn nicht schon nach den Tatsachenbehauptungen der antragstellenden Partei dieser ein Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Bestimmung der Entschädigung abzusprechen wäre.

Mit einer - in diesem Sinne zulässigen - Anrufung des Gerichtes tritt gemäß § 20 Abs3 BStG 1971 die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung außer Kraft. Damit wird die nachfolgende Zuständigkeit des Gerichtes zur Entscheidung über die Höhe der Enteignungsentschädigung ohne jede Einschränkung durch die vorangegangene verwaltungsbehördliche Entscheidung wirksam. Das Gericht hat daher ohne jede Rücksicht auf eine ausdrückliche oder gar nur implizit erfolgte verwaltungsbehördliche Beurteilung der Frage, ob ein wirksames Parteienübereinkommen der behördlichen Entschädigungsfestsetzung entgegenstehe, zu entscheiden. In der bereits zitierten Vorentscheidung SZ 56/167 ist deutlich hervorgehoben worden, daß in dieser Hinsicht ein Vorfragenproblem vorliegt. Entgegen der der Entscheidung SZ 47/66 zugrunde gelegten Auffassung kann die Beurteilung des Zustandekommens und der Wirksamkeit eines Parteienübereinkommens durch die Verwaltungsbehörde für das Gericht nicht wirksam sein, weil die Vorfragenbeurteilung einer als Hauptfrage der gerichtlichen Kognition unterworfenen Frage durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht bindend erfolgt und umsoweniger die Bindung an eine Vorfragenlösung in einer bereits außer Kraft getretenen Entscheidung denkbar ist.

Das gemäß § 20 Abs3 BStG 1971 angerufene Gericht hat daher die für jede behördliche Feststellung der Enteignungsentschädigung normierte Negativvoraussetzung des Fehlens einer (sei es vor oder nach Fällung des Enteignungsbescheides) wirksam zustande gekommenen Parteienübereinkunft nach § 22 Abs1 EisbEG zu prüfen. Eine derartige Einigung kann gemäß § 863 Abs1 ABGB grundsätzlich auch schlüssig zustande kommen (vgl. SZ 56/167). Die Erfüllung des verwaltungsbehördlichen Leistungsbefehles, um die Enteignungswirkungen sachenrechtlich sicherzustellen, ist mangels Hinzutritt besonderer Umstände für sich allein auch bei vorbehaltsloser Zahlung der Entschädigungssumme nicht als Rechtsgeschäftserklärung zum Abschluß eines Übereinkommens über die Höhe der Entschädigung zu werten (JBl.1985, 429 samt Glosse von Rummel, u.a.).

Nach dem Vorbringen der drei Sechsteleigentümer soll es bereits in der Verhandlung vor der Verwaltungsbehörde zu einer Vereinbarung über die Höhe der zu leistenden Entschädigung gekommen sein. Ein derartiges Übereinkommen könnte nach seinem genau festzustellenden Inhalt, Abschlußvollmacht der handelnden Personen vorausgesetzt, im Sinne der hier in Übereinstimmung mit der Vorentscheidung SZ 56/167 vertretenen Ansicht für die Zulässigkeit einer behördlichen Festsetzung der Enteignungsentschädigung erheblich sein. Es liegen Feststellungsmängel vor, die, soweit die rekursgerichtliche Entscheidung von den drei Sechsteleigentümern angefochten wurde, eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz erforderlich machen: Es werden die von den Parteien und ihren Vertretern in der am 25.April 1978 vor dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung durchgeführten Verhandlung gewechselten Erklärungen zur Höhe der Enteignungsentschädigung auch insoweit zu erheben sein, als diese Erklärungen nicht in die Verhandlungsschrift Aufnahme gefunden haben. Gegebenenfalls wird die Befugnis der für die Parteien einschreitenden Personen zum Abschluß eines Übereinkommens über die Höhe der Enteignungsentschädigung oder zumindest zu einem Verzicht auf die Anrufung des Gerichtes zu erörtern und der diesbezügliche Sachverhalt zu erheben sein. In Stattgebung des Revisionsrekurses der drei Sechsteleigentümer waren die vorinstanzlichen Entscheidungen auch insoweit aufzuheben, als damit in Ansehung des zweiten bis vierten Antragsgegners über die Berechtigung einer 600 S je Quadratmeter übersteigenden Entschädigung für die enteigneten Grundflächen abgesprochen wurde; zu Punkt 3) der angefochtenen Entscheidung war der Verfahrensergänzungsauftrag entsprechend zu erweitern. Die Rechtssache war daher nicht nur im Umfang des Punktes 3, sondern auch im Umfang des Punktes 2 der rekursgerichtlichen Entscheidung zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

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