Spruch:
In dem den Bestand der Gegenforderung bejahenden Endurteil ist auch auszusprechen, daß und in welchem Umfang die mit Teilurteil zugesprochene Klagsforderung bereits getilgt war, wenn die Gegenforderung bereits im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung über die Klagsforderung aufrechenbar war
OGH 20. Oktober 1977, 6 Ob 617/77 (OLG Wien 1 R 6/77; HG Wien 24 Cg 1058/75)
Text
Die Klägerin begehrte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Betrages von 41 960 S samt Zinsen seit 28. Dezember 1973 als restlich aushaftendes Entgelt für die Lieferung von 40 Stück Gitterboxen.
Die Beklagte wendete bis zur Höhe der Klagsforderung eine nicht konnexe Gegenforderung im Betrage von 86 590 S aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes im Zusammenhang mit der im Jahr 1971 erfolgten Lieferung einer Maschinenanlage und dem in der Zeit vom 1. März 1973 bis 30. April 1975 wegen Funktionsmängel derselben entstandenen zusätzlichen Arbeitsaufwandes ein.
Über die Klagsforderung wurde rechtskräftig im Sinne des Klagebegehrens entschieden und diese erfüllt. Im fortgesetzten Verfahren schränkte die Klägerin ihr Begehren wegen Bezahlung von Kapital und Zinsen im Sinne des über die Klagsforderung ergangenen Teilurteils auf Kostenersatz ein. Die Beklagte gab die Bezahlung als richtig zu und hielt ausdrücklich die aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung aufrecht.
Das Erstgericht wies mit Endurteil die Einwendung einer Gegenforderung durch die Beklagte ab und entschied über die Kosten des Verfahrens. Es stützte sich dabei auf die Entscheidung des OGH EvBl. 1976/38.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Endurteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte aus, es komme lediglich darauf an, ob das Erstgericht wegen Tilgung der Klagsforderung nach Rechtskraft des darüber ergangenen Teilurteils zu Recht einen Ausspruch über den Bestand der Gegenforderung abgelehnt und die Kompensationseinwendung abgewiesen habe. Das Berufungsgericht lehnte ausdrücklich ab, der vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung EvBl. 1976/38 zu folgen. Es gab einen Überblick über den Stand der Literatur zu der hier entscheidenden Frage und teilte die literarischen Meinungsäußerungen in vier Gruppen ein.
Nach der ersten Gruppe solle im Falle der Bezahlung der mit Teilurteil zugesprochenen Klagsforderung das Endurteil nicht nur das Bestehen der Gegenforderung aussprechen, sondern sogar eine Rückzahlungsverpflichtung. In diese Gruppe ordnete das Berufungsgericht die Autoren Pollak und Neumann ein.
Nach der zweiten Gruppe solle zwar über die Gegenforderung entschieden, aber keine Rückzahlungsverpflichtung ausgesprochen werden. In diese Gruppe ordnete das Berufungsgericht die Autoren Fasching, Holzhammer, Petschek - Stagel, Gschnitzer und "wohl auch" Sperl ein.
Nach der dritten Gruppe sei zwar die Kompensationseinrede abzuweisen, aber im Endurteil trotzdem über den Bestand der Gegenforderung zu erkennen. In diese Gruppe ordnete das Berufungsgericht die Autoren Klein, Melichar und Kropiunig ein.
Als vierte Meinung nannte das Berufungsgericht den Autor Novak, dessen Ansicht die mehrfach zitierte Entscheidung herangezogen habe. Nach dieser Ansicht soll das nach einer Teilurteilsfällung gemäß § 391 Abs. 3 ZPO fortgesetzte Verfahren für eine sich über den Bestand oder Nichtbestand eingewendeten Gegenforderung aussprechende Entscheidung nur insoweit Gelegenheit bieten, als ein Aufrechnungsvollzug im Urteil noch möglich sei. Die Aufrechnungseinrede sei daher ohne Prüfung der Gegenforderung abzuweisen, sobald die Klagsforderung nach dem Teilurteil getilgt worden sei.
Nach kritischer Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Lehrmeinungen und insbesondere mit der Entscheidung EvBl. 1976/38 gelangte das Berufungsgericht in Anlehnung an die Autorengruppe 2 zu dem Ergebnis, daß die Tilgung der mit Teilurteil dem Kläger zuerkannten Teilforderung in dem vorliegenden Verfahren nicht mehr zu berücksichtigen sei. Das Erstgericht werde die geltend gemachte Gegenforderung zu prüfen und über diese abzusprechen haben. Sollte sie bis zur Höhe der mit Teilurteil zuerkannten Forderung zu Recht bestehen, wäre auszusprechen, daß die mit Teilurteil zuerkannte Klagsforderung insoweit getilgt sei.
Zur hilfsweisen Begründung dieses prozeßrechtlichen Ergebnisses zog das Berufungsgericht eine weitere Überlegung heran. Im Extremfall hänge die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung von Zufälligkeiten ab. Werde nämlich eine Forderung mit kurzer Verjährungszeit nur im Kompensationsweg geltend gemacht, so habe der Beklagte keine rechtliche Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, daß der Richter, nachdem er zunächst über Forderung und Gegenforderung gemeinsam verhandelt habe, nach Ablauf der Verjährungsfrist der Gegenforderung - wenn ihm die Klagsforderung spruchreif erscheine - über diese mit Teilurteil entscheide; die Fällung eines solchen Teilurteiles sei zweifellos zulässig, die Frage der Zweckmäßigkeit jedoch in das unüberprüfbare Ermessen des Erstrichters gestellt. Werde nun die Klagsforderung während des fortgesetzten Verfahrens eingetrieben, und werde nun im Sinne des in EvBl. 1976/38 vertretenen Standpunktes die Kompensationseinrede abgewiesen, ohne über die Gegenforderung zu entscheiden, so sei die Forderung verjährt, da ja durch die bloße Kompensationseinwendung die Verjährung nicht unterbrochen worden sei; die Gegenforderung könne auch selbständig nicht mehr geltend gemacht werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Vorauszuschicken ist, daß die Bestimmung des § 391 Abs. 3 ZPO seit dem Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung nicht geändert wurde, da sich Art. VI Z. 16 der ersten Gerichtsentlastungsnovelle nur auf § 391 Abs. 1 ZPO bezogen hat. Sämtliche Lehrmeinungen gehen daher vom gleichen Gesetzestext aus. Diese Bestimmung legt nun eindeutig fest, daß dann, wenn über den Klagsanspruch durch Teilurteil erkannt wurde, die Verhandlung über die Gegenforderung ohne Unterbrechung fortzusetzen ist. Gleichzeitig bestimmt § 392 Abs. 1 ZPO, daß jedes Teilurteil, was die Rechtsmittel und die Exekution betrifft, als ein selbständiges Urteil zu betrachten ist. Deshalb hat bereits die Fragebeantwortung zu § 391 ZPO darauf verwiesen, daß zwar in das Teilurteil ein Vorbehalt bezüglich der noch ausstehenden Entscheidung über die Gegenforderung aufzunehmen sei, keineswegs aber die Vollstreckbarkeit des Teilurteiles von letzterer Entscheidung abhängig gemacht werden dürfe, sondern sich das Endurteil unter Bezugnahme auf das Teilurteil auf das Erkenntnis über die Gegenforderung zu beschränken habe und, sofern diese als zu Recht bestehend anerkannt werde, auszusprechen habe, ob und in welchem Maße der mittels Teilurteil zuerkannte Anspruch dadurch getilgt sei. Auch wird darauf verwiesen, daß der Verpflichtete, gegen den auf Grund eines solchen Teilurteiles Exekution geführt wurde, mit der Erlassung des Endurteiles die Möglichkeit einer Klage flach § 35 EO oder eines Einstellungsgesuches nach § 40 EO habe und auch eine Aufschiebung der Exekution nach § 42 Z. 3 und Z. 5 EO möglich sei. Der Gesetzgeber war sich daher darüber im klaren, daß bei Erlassung eines Teilurteiles nach § 391 Abs. 3 ZPO das Endurteil - wenn überhaupt Vermögen vorhanden war - in der Regel erst dann gefällt werden konnte, wenn die Exekution bereits zum Ziel geführt hatte. Denn die Fällung eines Teilurteiles nach § 391 Abs. 3 ZPO ist nur dann zielführend und zweckmäßig, wenn das Verfahren über die Gegenforderung noch längere Zeit in Anspruch nimmt. Wenn der Gesetzgeber dennoch im § 391 Abs. 3 ZPO die Fortsetzung der Verhandlung über die Gegenforderung anordnete, dann kann dies nur so ausgelegt werden, daß es auf die Zahlung der Hauptforderung nach Rechtskraft des Teilurteiles nicht ankommen sollte. Anderenfalls wäre auch der oft sehr erhebliche Prozeßaufwand zur Klärung der Gegenforderung bis zum Zeitpunkt der Zahlung der Hauptforderung verloren. Dies aber würde dem die Zivilprozeßordnung beherrschenden Grundsatz der Prozeßökonomie widersprechen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob auf Grund einer eingeleiteten Exekution oder freiwillig bezahlt wurde. Liegt ein rechtskräftiges und vollstreckbares Urteil vor, dann kann wohl in der Regel aus der freiwilligen Zahlung nicht abgeleitet werden, daß damit auf die Kompensationseinrede verzichtet wurde, bloß weil es der Schuldner nicht auf eine Exekution ankommen ließ. In der Entscheidung GlUNF 3191, welche anscheinend eine andere Meinung vertritt, ist der Anlaß insofern anders gelagert, als dort die Zahlung der Hauptforderung freiwillig und noch vor der Entscheidung über den Hauptanspruch erfolgt ist. Darin wurde mit Recht ein Verhalten des Beklagten erblickt, welches zeige, daß er nicht kompensieren wolle.
Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, daß § 1439 ABGB das Erfordernis der Liquidität aufgestellt hat. Auf die lückenlose Judikatur (vgl. dazu MGA, ABGB[30], ENr. 1 zu § 1439 ABGB), wonach Liquidität allgemein nicht mehr Voraussetzung der Aufrechnung sei, braucht nicht näher eingegangen zu werden. Auch die neuere Lehre (Fasching III, 582), verweist darauf, daß das Erfordernis der Liquidität jedenfalls in den Fällen weggefallen ist, in denen das Gesetz die Fällung eines Teilurteiles ermöglicht. Gerade das ist hier der Fall.
Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber trotz Zahlung der Hauptforderung die Fortsetzung des Verfahrens über die Gegenforderung wünschte - anderenfalls wäre die Bestimmung des § 391 Abs. 3 ZPO letzter Satz unverständlich - dann muß geprüft werden, wie das Verfahren in einem solchen Fall formell zu beenden ist.
Diesbezüglich gibt das Berufungsgericht einen erschöpfenden Überblick über die Lehre, wobei allerdings auf einige Ungenauigkeiten verwiesen werden soll. So soll das Gschnitzer-Zitat richtig heißen: "Klang[2] VI (statt V), 503 f.". Die Hauptstützen für die Ansicht der zweiten Autorengruppe, nämlich Fasching III, 583
f. und Holzhammer[2], 285 wurden inhaltlich nicht präzise zitiert. Beide sagen nämlich keineswegs so eindeutig, wie dies die Entscheidung darstellt, daß im Endurteil zwar über die Gegenforderung zu entscheiden, jedoch keine Rückzahlungsverpflichtung auszusprechen sei. Fasching sagt auf S. 583 zunächst, daß dem Teilurteil ein Endurteil folgen müsse. Er setzt aber fort, daß ausnahmsweise ein solches zu unterbleiben habe, so unter anderem, wenn die Entscheidung über die Aufrechnungseinrede durch deren Rückziehung oder durch andere Umstände ausgeschlossen wäre und gleichzeitig eine Entscheidung über die Verfahrenskosten entfalle. Auf S. 584 behandelt er aber nur den Fall, daß die Gegenforderung nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung über die Hauptforderung befriedigt wurde, und sagt, daß dies im Endurteil über die Hauptforderung nicht berücksichtigt werden könne. Dies ließe allenfalls auf eine Meinung schließen, in einem solchen Falle müsse, da der Schluß der Verhandlung über die Hauptforderung maßgeblich sei, über die Gegenforderung dennoch entschieden werden. Er setzt jedoch fort, daß diese Tatsachen Oppositionsgrunde gegen das Teilurteil bildeten oder eine Feststellungsklage rechtfertigten. Nun kann die Bezahlung der Gegenforderung einen Oppositionsgrund gegen die Hauptforderung darstellen, wenn man unterstellt, daß sich daraus ergebe, die Kompensationseinrede sei mit Recht erhoben worden und die Exekutionsführung wegen der zurückwirkenden Aufrechnung unzulässig gewesen. Abgesehen davon, daß sich dann sofort die Frage ergibt, wie in einem solchen Fall der Kläger zu seiner Forderung gelangen soll, (die die Hauptforderung ausschließende Gegenforderung wurde ja bezahlt), ist völlig unerklärlich, was Fasching mit der Feststellungsklage meint. Tatsächlich räumt Fasching in der Folge ein, daß in den meisten Fällen der Beklagte die Aufrechnungseinrede zurückziehen werde. Fasching sagt aber an keiner Stelle ausdrücklich, daß bei Bezahlung der Hauptforderung über die Aufrechnungseinrede dennoch zu entscheiden sei. Gleiches gilt für das Zitat von Holzhammer[2], 285. Dieser Autor sagt nur, daß der Beklagte, wenn er mit dem, Oppositionsgesuch (auf Grund des Endurteils) zu spät kommt, mit einem materiellrechtlichen Schadenersatz oder einem Bereicherungsanspruch vorlieb nehmen müsse. Ob aber überhaupt ein Endurteil über die Gegenforderung zu fällen ist, wenn der Hauptanspruch bereits bezahlt wurde, ist damit nicht eindeutig gesagt.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist dennoch richtig. Die Ansicht der ersten Autorengruppe, wonach das Endurteil aufzuheben und der Kläger zur Zahlung zu verurteilen sei, ist abzulehnen, weil mit der Einrede einer Gegenforderung niemals eine tatsächliche Zahlung verlangt, sondern nur die Abwehr des Klagebegehrens angestrebt wird. Eine Möglichkeit, dem Kläger im Endurteil die Rückerstattung des Empfangenen aufzutragen, besteht nicht (§ 405 ZPO). Der Beklagte wird erforderlichenfalls einen neuen Prozeß gegen den Kläger mit allerdings sehr beschränktem Thema zu führen haben.
Nach herrschender Lehre und einheitlicher Rechtsprechung (Gschnitzer in Klang[2] VI, 499; Entscheidung MA, ABGB[30], § 1438/1) wird die Wirkung der Aufrechnungserklärung (auch bei einer prozessualen Aufrechnungseinrede) auf den Zeitpunkt zurückbezogen, in welchem die Forderungen einander aufrechenbar gegenübertraten.
Folgt man dem, dann wird die Lehrmeinung Novaks, auf welcher die Entscheidung EvBl. 1976/38 beruht, unhaltbar. Denn dann ist - bei Bejahung der Gegenforderung - die Klagsforderung nicht erst durch die Zahlung getilgt, sondern schon dadurch, daß Klagsforderung und Gegenforderung einander schon früher aufrechenbar gegenüberstanden. Deshalb läßt sich nicht argumentieren, daß gegen eine durch Zahlung nach Fällung eines Teilurteiles nach § 391 Abs. 3 ZPO getilgte Klagsforderung nicht mehr aufgerechnet werden könne. Erweist sich in einem solchen Fall die Gegenforderung als berechtigt und stand sie bereits vor Zahlung der Klagsforderung dieser aufrechenbar gegenüber, dann ist dieser Zeitpunkt maßgebend für die Tilgungswirkung der Aufrechnung. Dann muß in dem den Bestand der Gegenforderung bejahenden Endurteil aber auch ausgesprochen werden, daß und in welchem Umfang die mit Teilurteil zugesprochene Klagsforderung durch Aufrechnung bereits getilgt war. Wenn die Gegenforderung bereits im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung über die Klagsforderung aufrechenbar war. Wie zu entscheiden ist, wenn die Gegenforderung erst nach diesem Zeitpunkt - sei es vor oder nach einer Berichtigung der mit Teilurteil zugesprochenen Klagsforderung fällig wurde, braucht hier nicht erörtert zu werden. Damit wäre auch gleichzeitig klargestellt, daß der Rechtsgrund für den Kläger, die ihm auf Grund des Teilurteiles geleistete Zahlung einer in Wahrheit bereits früher durch Kompensation getilgten Schuld zu behalten, weggefallen ist (§ 1435 ABGB).
In diesem Sinne ist daher das Verfahren über die Gegenforderung durchzuführen und über diese zu entscheiden.
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