OGH 6Ob580/88

OGH6Ob580/887.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Norbert Z***, geboren am 30. September 1983, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Andreas Z***, Polizeibeamter, Lorenz-Steiner-Gasse 23, 2201 Gerasdorf, vertreten durch Dr. Robert Mack, Dr. Erhard Mack, Rechtsanwälte in Korneuburg, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 24. Februar 1988, GZ 44 R 3013/88-22, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 19. November 1987, GZ 8 P 840/87-15, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Eltern des Minderjährigen schlossen am 28. August 1986 anläßlich der Scheidung ihrer Ehe gemäß § 55 a EheG einen Vergleich, nach welchem die elterlichen Rechte und Pflichten der Mutter zustehen und der Vater verpflichtet ist, dem Minderjährigen ab 1. September 1986 einen Unterhaltsbetrag von S 1.500,-- monatlich zu bezahlen. Vergleichsgrundlage war ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von ca. S 8.000,-- 14mal jährlich. Der Vergleich wurde vom Pflegschaftsgericht genehmigt.

In einem am 3. September 1987 beim Erstgericht eingelangten Antrag brachte die Mutter vor, der Vater beziehe ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens S 12.000,-- 14mal jährlich, vermutlich aber mehr. Die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung seien daher gegeben und zwar rückwirkend ab 1. September 1986. Beantragt wurde eine Unterhaltserhöhung vom 1. September 1986 bis 31. Dezember 1986 um S 700,--, und ab 1. Jänner 1987 um S 900,-- monatlich. Der Vater stimmte einer Unterhaltserhöhung auf insgesamt S 2.000,-- monatlich ab Antragstellung zu, sprach sich aber gegen eine darüber hinausgehende Erhöhung sowie eine rückwirkende Unterhaltserhöhung aus.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater ab 3. September 1987 zu einer zusätzlichen Unterhaltsleistung von S 700,--, insgesamt daher S 2.200,-- monatlich und wies das Mehrbegehren ab.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß, der in seinem stattgebenden Teil sowie hinsichtlich der Abweisung einer Unterhaltserhöhung auf insgesamt S 2.400,-- monatlich unangefochten geblieben war, dahin ab, daß die Unterhaltserhöhung um S 700,-- auf S 2.200,-- monatlich auch für den Zeitraum vom 1. September 1986 bis 2. September 1987 stattzufinden habe. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, aus der Gehaltsauskunft ergebe sich ein monatliches Durchschnittseinkommen von S 13.680,--, bei einer Berechnung für den Zeitraum 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1987 sogar ein solches von S 14.000,--. Da das Einkommen eines Polizeibeamten nur unwesentlich geschwankt habe, habe der Vater auch im Jahre 1986 ein Einkommen in dieser Größenordnung bezogen, sodaß das im Scheidungsvergleich genannte Einkommen von S 8.000,-- 14mal jährlich, somit monatlich durchschnittlich rund S 10.000,--, unrichtig gewesen sei. Es liege somit für den Zeitpunkt der Antragstellung auf Unterhaltserhöhung kein objektiv geänderter Sachverhalt vor, wohl aber ein anderer, als der, welcher dem Vergleich zugrundegelegt worden sei. Da dem Unterhaltspflichtigen seine Einkommensverhältnisse bekannt gewesen sein müßten, sei ihm dieses Abweichen von der Realität zuzurechnen. Dem unterhaltsberechtigten Kind müsse zugestanden werden, dies geltend zu machen. Dies wäre allerdings ohne Bedeutung, wenn eine rückwirkende Unterhaltsfestsetzung unzulässig wäre, doch schließe sich der Rekurssenat der neuen Lehre und der Entscheidung "43 R 3111/86" (richtig: 43 R 2111/86) des Rekursgerichtes (EFSlg Band XXIII/12) an, wonach Unterhalt auch für die Vergangenheit gefordert werden könne.

Der Vater bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und führt aus, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei Unterhalt für den Zeitraum vor der Antragstellung nicht zuzusprechen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Richtig ist, daß der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung - ebenso wie die ältere Lehre - die Ansicht vertrat, Unterhalt könne nicht für die Vergangenheit gefordert werden. Mit der Entscheidung vom 9. Juni 1988, 6 Ob 544/87, ging ein gemäß § 8 Abs 1 Z 1 OGHG verstärkter Senat jedoch davon ab und gelangte zu dem Ergebnis, im österreichischen Recht fehle eine gesetzliche Regelung, nach der ein auf Grund des Gesetzes beruhender Anspruch auf Unterhaltsleistung in Geld für Zeiten vor der gerichtlichen Geltendmachung nicht mehr eingefordert werden dürfe, Unterhaltsansprüche könnten daher grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden. Voraussetzung sei allerdings, daß der Unterhaltsanspruch noch nicht erloschen sei. Habe ein Dritter den gesetzlichen Unterhalt in der Erwartung des Ersatzes vom Unterhaltsschuldner geleistet, sei die Unterhaltsverpflichtung dadurch im Umfang der erbrachten Leistung erloschen. Dem Leistenden stehe - außer bei Schenkungsabsicht - der Anspruch nach § 1042 ABGB gegen den Unterhaltspflichtigen zu (Josef Pichler, ÖJZ 1964, 63; vgl. auch Koziol, JBl 1978, 631 und Koziol-Welser, Grundriß8, II, 247). Dem Unterhaltsschuldner obliege die Behauptung, daß ein Dritter durch seinen Aufwand den Anspruch getilgt habe. Spräche bereits ein erster Anschein für das Zutreffen einer derartigen Einwendung, wäre es Sache des Unterhaltsberechtigten, ihn zu entkräften. Davon abgesehen werde der Unterhaltsschuldner vielfach mangels Einsicht in die Versorgungsverhältnisse des Unterhaltsberechtigten nicht in der Lage sein, Ausmaß und nähere Umstände von Drittleistungen aufzudecken, sodaß ein Unterbleiben diesbezüglicher Behauptungen und Beweisanbote zu Lasten des Unterhaltsberechtigten zu veranschlagen wäre. Der verstärkte Senat des Obersten Gerichtshofes gelangte daher zu einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen, weil den Parteien nach der grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung Gelegenheit zu geben sei, ihr Vorbringen und gegebenenfalls ihre Beweisanträge zu ergänzen.

Im vorliegenden Fall ist eine Aufhebung jedoch nicht erforderlich. Im Fall der Entscheidung des verstärkten Senates hatte der Unterhaltsschuldner überhaupt noch keinen Unterhalt bezahlt, was dafür sprach, daß der Unterhaltsberechtigte Leistungen eines Dritten erhalten hat. Im vorliegenden Fall hat der Minderjährige hingegen Unterhalt von seinem unterhaltspflichtigen Vater entsprechend dem pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vergleich erhalten, diese Unterhaltsleistungen entsprachen lediglich der Höhe nach nicht dem Einkommen, das der Vater tatsächlich erzielte. Die Unterhaltserhöhung erfolgte also nicht, weil die erbrachten Unterhaltsleistungen zur Deckung der Bedürfnisse des Minderjährigen nicht ausreichten (in diesem Fall wäre anzunehmen, daß ein Dritter das Fehlende beigetragen hat), sondern weil der Vater nicht einen der Höhe nach seinen Kräften (§ 140 Abs 1 ABGB) angemessenen Beitrag leistete. Eine Erörterung der Frage, ob die Unterhaltsschuld des Vaters nicht von jemanden anderen getilgt wurde, ist daher nicht erforderlich.

Da auch die Ansicht des Rekursgerichtes zu teilen ist, ein in einem Unterhaltsvergleich festgesetzter Unterhaltsbetrag könne nicht nur bei geänderten Verhältnissen sondern auch dann erhöht werden, wenn der Unterhaltspflichtige ein höheres Einkommen bezieht als das, welches dem Vergleich zugrunde gelegt wurde (vgl. zur Frage der Änderung von Entscheidungen im außerstreitigen Verfahren bei Hervorkommen von Tatsachen, die schon vor der seinerzeitigen Beschlußfassung vorhanden, dem Gericht aber unbekannt waren, die Entscheidungen EFSlg 7997, 14.702, 19.613, 25.959 u.a.), war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

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