OGH 6Ob574/88

OGH6Ob574/8819.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter im Verfahren über den Devolutionsantrag der klagenden Partei in dem beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zur AZ 51 Cg 134/85 anhängigen Rechtsstreit der klagenden Partei Dr. Friedrich Wilhelm K***, ehemals Richter, derzeit Strafhäftling in der Justizanstalt Mittersteig, Wien 5., Mittersteig 25, vertreten durch Dr. Gustav Neufeldt-Schoeller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heinrich S***, Pensionist, Wien 7., Kirchengasse 7, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleiches (Streitwert S 130.333,10), das erstinstanzliche Verfahren über die Klage wegen unangemessener Verfahrensverzögerung vor dem Oberlandesgericht Wien als dem im Instanzenzug übergeordneten Gerichtshof durchzuführen, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. Februar 1988, GZ 14 Nc 45/87-4, womit der Devolutionsantrag zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht stattgegeben.

Text

Begründung

Der Kläger hat mit der am 17. Juni 1985 bei dem nach dem Streitwert sachlich zuständigen Gerichtshof erster Instanz eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleiches wegen fehlender Geschäftsfähigkeit im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses angebracht und sich zum Beweis des von ihm behaupteten Mangels seiner vollen Geschäftsfähigkeit unter anderem auf eine Reihe von Sachverständigengutachten in ihn betreffenden Verfahren sowie auf ein im anhängig gemachten Rechtsstreit einzuholendes Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fach der Psychiatrie berufen.

Der Beklagte erstattete am 23. September 1985 eine schriftliche Klagebeantwortung.

Das Prozeßgericht bemühte sich längere Zeit erfolglos, zur Vorbereitung der Verhandlung sämtliche Akten mit den in der Klage erwähnten Gutachten beizuschaffen. Auf einen formellen Antrag des Klägers (ON 14 und 15) ordnete das Prozeßgericht zwar für 27. August 1986 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung an, widerrief diese aber im Hinblick auf einen inzwischen in der Person des Klägers eingetretenen Vertretungsmangel und einen in diesem Zusammenhang gestellten Antrag auf Beigabe eines Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe.

In der Folge setzte das Prozeßgericht seine erfolglos gebliebenen Bemühungen um Aktenbeischaffung fort.

Ein am 22. Juni 1987 überreichter neuerlicher formeller Antrag des Klägers auf Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung fand keine beschlußmäßige Erledigung. Das Prozeßgericht bemühte sich aber weiter, die in der Klage bezeichneten Akten oder doch wenigstens die in der Klage erwähnten Gutachten beizuschaffen.

Auch ein weiterer, am 14. Oktober 1987 eingebrachter formeller Antrag auf Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung blieb unerledigt.

Hierauf richtete der Kläger an den dem Prozeßgericht im Instanzenzug übergeordneten Gerichtshof einen Devolutionsantrag. Dieser Antrag langte am 30. Dezember 1987 beim Oberlandesgericht ein. Der Kläger begründete diesen Antrag mit einer gegen Art. 6 Abs 1 MRK verstoßenden Verfahrensverzögerung, gegen die im Sinne des Art. 13 MRK eine Beschwerdemöglichkeit vorzusehen wäre, in der geltenden österreichischen Prozeßordnung zwar nicht positiv-rechtlich normiert sei, aber in der Art des § 73 AVG oder vergleichbarer Verfahrensregelungen angeordnet werden müßte. Das Fehlen einer entsprechenden Verfahrensbestimmung in der Jurisdiktionsnorm oder der Zivilprozeßordnung verletze Art. 13 MRK und begründe deshalb eine Verfassungswidrigkeit.

Der Gerichtshof zweiter Instanz hat den Devolutionsantrag wegen Fehlens seiner funktionellen Zuständigkeit im Sinne des § 4 JN zurückgewiesen.

Der Kläger ficht diese Entscheidung mit einem auf Stattgebung des Devolutionsantrages zielenden Abänderungantrag an.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Dem österreichischen Verfahrensrecht ist ein Übergang der funktionellen Zuständigkeit zur Entscheidung über ein in einer bürgerlichen Rechtssache bei Gericht gestelltes Rechtsschutzbegehren von dem nach der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung berufenen Gericht auf ein übergeordnetes Gericht - außerhalb eines Rechtsmittelverfahrens - fremd. Das hat nicht nur das Oberlandesgericht zutreffend erkannt, sondern davon geht auch der Rechtsmittelwerber selbst aus.

Der Rechtsmittelwerber erblickt aber im Fehlen eines solchen Rechtsbehelfes eine Säumnis des Verfahrensgesetzgebers, die die gesamte Zivilverfahrensordnung in dieser Hinsicht verfassungswidrig erscheinen lasse, weil nach der innerstaatlich im Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art. 13 MRK zur Geltendmachung der Verletzung von Konventionsrechten eine wirksame Beschwerdemöglichkeit vor einer innerstaatlichen Instanz offenstehen müsse, der Anspruch auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht innerhalb einer angemessenen Frist nach Art. 6 Abs 1 MRK aber als Konventionsanspruch normiert sei. Jede Partei eines zivilgerichtlichen Verfahrens hat im Sinne des Art. 6 Abs 1 MRK Anspruch auf Entscheidung in angemessener Frist. Die Einhaltung der sich daraus ergebenden Erledigungspflicht obliegt der jeweils in der Sache befaßten Gerichtsbehörde. Damit ist die Einhaltung der Erledigungspflicht nach der österreichischen Gerichtsverfassung und Zivilverfahrensrechtsordnung in die Verantwortung der richterlichen Organträger des im Instanzenzug jeweils befaßten Gerichtes gelegt. Gegen eine allfällige Verletzung der Erledigungspflicht steht der Prozeßpartei nach der österreichischen Zivilverfahrensrechtsordnung kein unmittelbarer Rechtsbehelf offen. Darin vermag der Oberste Gerichtshof entgegen den Ausführungen des Rechtsmittelwerbers auch keinen Verdacht der Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf Art. 13 MRK zu erkennen. Die Rechtsschutzmöglichkeit durch Zugang zu einem der Konvention Genüge leistenden Gericht im Sinne des Art. 6 Abs 1 MRK ist grundsätzlich auch dann gewahrt, wenn allgemein oder im Einzelfall die Überprüfung des Verfahrens und der Entscheidung des Gerichtes im Rechtsmittelweg ausgeschlossen bleibt. Soweit nach einer nicht diskriminierenden Verfahrensvorschrift gegen einen Vorgang oder eine Entscheidung eines der Konvention entsprechenden Gerichtes keine Rechtsmittelmöglichkeit vorgesehen ist, verantwortet das Gericht, bei dem die Rechtssache anhängig ist, als Grenzorgan die Wahrung der Konventionsansprüche aller Verfahrensbeteiligten, also etwa auch den Anspruch auf Erledigung in angemessener Frist. Aus Art. 13 MRK kann nicht abgeleitet werden, daß zur Prüfung behaupteter Amtspflichtsverletzungen einer der Konvention entsprechenden Gerichtsbehörde, und handelte es sich auch um angebliche Verstöße gegen Konventionsansprüche, eine innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit vorgesehen werden müsse.

Jede Rechtsordnung steht bei der Gestaltung ihrer Rechtsschutzeinrichtungen vor dem Problem, das sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit von Fehlern im Verfahren oder bei der Entscheidung der im Instanzenzug letzten, obersten Behörde ergibt. Der anzustrebende Rechtsfriede erfordert grundsätzlich ein Ende des Rechtszuges. Zur tunlichsten Hintanhaltung von Fehlern des Grenzorganes können zwar disziplinäre und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Organe indirekt beitragen, ein unmittelbarer Eingriff in das Gerichtsverfahren zur Behebung einer allgemein rechtswidrigen oder auch im besonderen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung durch das nach der Verfahrensordnung oberste Gerichtsorgan wäre denkgesetzwidrig.

Im Falle der österreichischen Zivilverfahrensordnung ist das jeweils instanzenmäßig mit der Sache berufene Gericht zur Wahrung des Anspruches der Beteiligten auf Verfahrenserledigung in angemessener Frist im erwähnten Zusammenhang oberste und letzte Instanz.

Eine solche Verfahrensgestaltung steht nicht im Verdacht der Konventions- und damit der Verfassungswidrigkeit.

Dem Rekurs war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

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