Spruch:
Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die nunmehr im 21.Lebensjahr stehende Patientin wurde während ihres 18. Lebensjahres aus einer Heimbetreuung in das Landes-Nervenkrankenhaus aufgenommen, in dem sie schon in den beiden vorangegangenen Jahren vorübergehend stationär behandelt worden war. Die Patientin befindet sich derzeit im dritten Jahr eines ununterbrochenen Krankenhausaufenthaltes.
Sie leidet - vermutlich als Folge einer geburtstraumatischen oder frühkindlichen Schädigung - an schwersten Ausfallserscheinungen in allen Funktionsbereichen des zentralen Nervensystems. Ihr Zustand erfüllt das Bild einer erethischen Idiotie. Die Kranke besitzt nur eine geringe Sprachfähigkeit. Bei ihr treten spastische Lähmungen an Armen und Beinen auf, ihr fehlt ein Bewegungsgefühl. Sie neigt dazu, alles für sie Erreichbare in den Mund zu stecken, auch Erde, Gummi, Windelhosen, Papier und Kot. Sie steigt auf Tische und springt herunter; damit setzt sie sich einer Bruchgefahr aus.
Der Abteilungsleiter ordnete zur Vermeidung unmittelbar drohender Gefahren für die Patientin aus dem Kauen unhygienischer Stoffe und dem Besteigen von Tischen an, daß die in einer offenen Station betreute Patientin täglich mehrere Stunden mittels Gürtels im Sitzwagen und nachts mittels Gürtels oder Schutzjacke in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt werden dürfe.
Auf Antrag der Patientenantwältin leitete das Gericht ein Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz ein. Mit Beschluß vom 24.April 1992 erkannte es die ärztlich angeordneten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen für die Zeit bis 18.Juni 1992 für zulässig. Es wertete die in Form einer erethischen Idiotie vorliegende schwere geistige Behinderung der Patientin wegen der mit dem Zustand verbundenen Begleiterscheinungen auch als psychische Erkrankung, zu deren zielführender Behandlung die Unterbringungsmaßnahmen unerläßlich seien.
Das Rekursgericht sprach in Stattgebung eines Rekurses der Patientenanwältin nach Einholung eines weiteren fachärztlichen Gutachtens aus, daß die Unterbringung nicht zulässig und sofort aufzuheben sei. Dazu sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht ging davon aus, daß bei der geistig schwerst behinderten Patientin keine als solche behandelbare psychische Erkrankung vorliege. Das Rekursgericht erachtete die zu prüfenden freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nur unter den Voraussetzungen des Unterbringungsgesetzes als zulässig, das aber lediglich auf psychisch Kranke anwendbar sei und auf geistig Behinderte auch analog nicht angewendet werden dürfe. Dazu zitierte das Rekursgericht höchstrichterliche Entscheidungen, die aufgrund von Unterbringungsmaßnahmen in dem Krankenhaus beruhten, in das auch die Patientin dieses Verfahrens aufgenommen wurde.
Die Krankenanstalt teilte dem Gericht mit, daß die nach der erstrichterlichen Entscheidung bis 18.Juni 1992 für zulässig erklärte, nach der Rekursentscheidung vom 10.Juni 1992 aber als unzulässig erkannte Unterbringung seit 10.Juni 1992 aufgehoben ist.
Rechtliche Beurteilung
Ungeachtet dessen erhob der Anstaltsleiter am 24.Juni 1992 gegen die abändernde Rekursentscheidung Revisionsrekurs. Dieses Rechtsmittel ist unzulässig:
Zum einen entspricht die vom Rechtsmittelwerber mit dem Hinweis auf die praktischen therapeutischen Folgerungen bekämpfte Rechtsansicht des Rekursgerichtes der von ihm zitierten - auch dem Revisionsrekurswerber bekannten - Auslegung des Obersten Gerichtshofes, daß nach der aus den Gesetzesmaterialien eindeutig hevorgehenden Absicht des Gesetzgebers (siehe vor allem die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 464 Beil.NR XVII., 14 zur "Eingrenzung des Gesetzesvorhabens") bewußt ausschließlich die Stellung psychisch Kranker geregelt werden sollte und sich deshalb für den Rechtsanwender eine erweiternde Auslegung des Gesetzes auf Fälle geistiger Behinderung verbiete (4 Ob 541/91, 4 Ob 592/91, 8 Ob 587/91, 8 Ob 593/91, 7 Ob 590/91).
Zu dieser Auslegungsfrage bringt der Rechtsmittelwerber keine neuen juristischen Gesichtspunkte vor.
Die vom Rekursgericht angenommenen Voraussetzungen eines ordentlichen Revisionsrekurses nach § 14 Abs 1 AußStrG liege nicht vor.
Zum anderen gebricht es dem Abteilungsleiter nach Aufhebung der strittigen Unterbringungsmaßnahmen und Ablauf der Frist, für die die strittigen Maßnahmen als zulässig erklärt worden waren, an einer aufrechten Beschwer durch die die Unterbringungsmaßnahmen für nicht zulässig erklärenden Rekursentscheidung.
Es ist ein allgemeines Rechtsmittelerfordernis, daß auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel eine Beschwer des Rechtsmittelwerbers durch die angefochtene Entscheidung vorliegen müsse. Aufgrund der besonderen Interessenlage wurde diese Beschwer auch noch nach Aufhebung freiheitsbeschränkender Maßnahmen für den Betroffenen anerkannt, weil ein rechtliches Interesse des Betroffenen auch daran zu bejahen sei, daß eine bereits aufgehobene freiheitsbeschränkende Maßnahme ungerechtfertigt gewesen sei (SZ 39/83 und ÖA 1988, 109 zur Rechtslage vor dem UbG, 1 Ob 549/91 uva zum UbG).
Dieser Gedanke gilt aber nicht spiegelbildlich auch für den Abteilungsleiter. Über dessen Rechte ist im gerichtlichen Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz nicht zu entscheiden. Für ihn oder den Krankenhausträger könnte eine nachträgliche feststellende Entscheidung über die Zulässigkeit inzwischen bereits wieder aufgehobener Unterbringungsmaßnahmen nur Reflexwirkungen auslösen. Nach richtigem Verständnis der Stellung und Aufgaben des Abteilungsleiters im Verfahren nach dem Unterbringungsgesetz hat dieser ebenso wie der Patientenanwalt ausschließlich die Interessen des Kranken wahrzunehmen, die gleichzeitig auf wirksame ärztliche Behandlung und auf tunlichste Wahrung der persönlichen Freiheit gerichtet sind und einander insofern widersprechen können. In dieser für psychisch kranke Patienten typischen Lage weist der Gesetzgeber die Wahrung der aufgespalteten Interessen des Patienten im gerichtlichen Verfahren einerseits dem Abteilungsleiter und andererseits dem Patientenanwalt zu. Das ändert aber nichts daran, daß beide im Verfahren nur die Interessen des Patienten wahrzunehmen haben, der Abteilungsleiter also nicht etwa auch die des Krankenhauses oder der behandelnden Ärzte.
Der Oberste Gerichtshof hat daher in vergleichbaren Fällen auch bereits das Rechtsschutzinteresse des Abteilungsleiters verneint (2 Ob 550/91; vgl auch 5 Ob 505/92).
Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters war aus diesen Erwägungen als unzulässig zurückzuweisen.
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