OGH 6Ob550/77

OGH6Ob550/7716.6.1977

SZ 50/91

Normen

ABGB §326
ABGB §337
ABGB §1017
ABGB §1463
ABGB §1477
ABGB §326
ABGB §337
ABGB §1017
ABGB §1463
ABGB §1477

 

Spruch:

Zur Ersitzung der Dienstbarkeit der Schiabfahrt zugunsten einer Gemeinde ist der gute Glaube ihrer Machthaber (§ 337 ABGB) während der gesamten Ersitzungszeit erforderlich

OGH 16. Juni 1977, 6 Ob 550/77 (OLG Innsbruck 2 R 265/76; LG Innsbruck 14 Cg 167/76. Auf die unter Nr. 53 veröffentlichte Entscheidung 7 Ob 549, 550/77 wird verwiesen.)

Text

Die Klägerin ist Hälfteeigentümerin der Grundparzelle 6692/2 der EZ 1021/II KG S mit einer Fläche von 6960 m2. Dieses Grundstück wurde von der Erstbeklagten mit Kaufvertrag vom 22. Juni 1937 an Rudolf und Ruth G verkauft. Ein Hälfteanteil dieser Liegenschaft wurde in der Folge an Hermann G übertragen. Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin des Hermann G. Ruth G, die Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin, ist Eigentümerin der anderen Liegenschaftshälfte.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß die Erstbeklagte diese Grundparzelle nicht als Schiabfahrt ersessen und die Zweitbeklagte es zu unterlassen habe, die Grundparzelle mit motorisch betriebenen Pistengeräten jeglicher Art zu befahren und zu präparieren. Sie brachte vor, im Kaufvertrag vom 22. Juni 1937 sei von der Erstbeklagten gegenüber den Käufern der Liegenschaft die Gewähr übernommen worden, daß die Grundparzelle ein Baugrund sei und auf dieser ein Hotel errichtet werden könne. Wegen des mittlerweile errichteten Liftes sei es im Jahr 1966 zu Verhandlungen zwischen der Erstbeklagten und den damaligen Gründeigentümern, vertreten durch Hermann G, gekommen, wobei die Absicht bestanden habe, den Eigentümern ein Ersatzgrundstück zur Verfügung zu stellen, weil die Grundparzelle für die neu geschaffene Schiabfahrt benötigt worden sei. Zu einer Vereinbarung sei es jedoch nicht gekommen. Die Erstbeklagte vertrete nunmehr zu Unrecht den Standpunkt, daß sie das Recht der Dienstbarkeit der Schiabfahrt auf der Grundparzelle ersessen habe. Die Erstbeklagte habe sich jedoch - im Gegensatz zu ihrem nunmehrigen Vorbringen noch im Schreiben vom 25. Feber 1966 zur Erfüllung des seinerzeitigen Kaufvertrages bekannt. Das Grundstück sei auch frei von der Dienstbarkeit der Schiabfahrt erworben worden. Die Zweitbeklagte benütze das Grundstück ohne jeden Titel zur maschinellen Präparierung der Piste.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Erstbeklagte die Dienstbarkeit des Schifahrens auf dem Grundstück ersessen habe. Denn die Liegenschaft sei auch nach dem Kaufvertrag als Schiabfahrt benützt worden. Die Ersitzungszeit sei 1967 abgelaufen gewesen. Zur Ersitzung für die Gemeinde genüge die Besitzausübung durch das schifahrende Publikum. Die Verhandlungen im Jahr 1966 hätten die Ersitzung nicht unterbrochen, da damals auch Hermann G eingesehen habe, daß das Grundstück nicht mehr als Baugrund verwendbar sei und die Schiabfahrt nicht verfegt werden könne. Hermann G und dessen Rechtsnachfolger hätten auch in der Folge nichts gegen das Befahren des Grundstückes unternommen und erst geklagt, als die Ersitzungszeit längst verstrichen gewesen sei. Durch den Gemeinderatsbeschluß vom 27. Feber 1975 sei der Besitzwille der Erstbeklagten rückwirkend statuiert worden. Für die Annahme, daß das Grundstück nur auf einem räumlich beschränkten Teil für Zwecke der Schiabfahrt benützt worden sei, biete das Beweisverfahren keinen Anhaltspunkt. Auch das Unterlassungsbegehren gegen die Zweitbeklagte sei nicht berechtigt. Ein Gründeigentümer, dessen Grundstück mit der Dienstbarkeit des Schifahrens belastet sei, müsse es hinnehmen, daß neuzeitliche Pistenbearbeitungsgeräte verwendet würden. Von einer unzumutbaren Belastung des Grundstückes durch das Walzen der Piste könne nicht gesprochen werden. Es sei unerheblich, ob die Beklagte die Bearbeitung selbst vornehme oder durch die Zweitbeklagte, deren Gesellschafterin sie sei und deren Geschäftsführer der Bürgermeister der Erstbeklagten sei, durchführen lasse.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Klägerin und der Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, vertrat jedoch die Rechtsansicht, daß für die mit der Dienstbarkeit einer Schiabfahrt belastete Liegenschaft die Frage des Ausmaßes von grundsätzlicher Bedeutung sei.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen der beiden Parteien und der Nebenintervenientin Folge, hob den berufungsgerichtlichen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsprechung (SZ 34/59 = JBl. 1962, 148; JBl. 1969, 606; SZ

45/39 = JBl. 1973, 143; SZ 46/92 u. a.; zuletzt 7 Ob 549, 550/77)

und ein Teil der Lehre (Gschnitzer in einer Glosse zur Entscheidung,

JBl. 1962, 148; Koziol - Welser, Grundriß[3] II, 64 und 127; Sprung

- König, Zum Recht des Schifahrens in Tirol, in RiZ 1974, 53 f.)

lassen die Ersitzung der unregelmäßigen Dienstbarkeit der

Schiabfahrt - ähnlich jener eines Touristenweges - zugunsten einer

Gemeinde zu. Nach der Rechtsprechung erwirbt dabei die Gemeinde die

Servitut durch die Besitzausübung seitens der Gemeindeangehörigen

und des Touristenpublikums, welches als Gast in die Gemeinde kommt

sowie durch die Genehmigung dieser Besitzerwerbshandlungen seitens

der Gemeinde, wobei der Gemeinderatsbeschluß auch erst nach der

Bestreitung des Besitzes durch den Gründeigentümer gefaßt werden

kann. Gegen diese Rechtsansicht sind in der Lehre Reindl ("Zur

Ersitzung von Schiabfahrten" in JBl. 1969, 592 f. und in der Glosse

zur Entscheidung JBl. 1973, 143) und Mayer - Maly ("Ersitzung von

Schiabfahrten?" in Der Staatsbürger 1969, Heft 11 und 12 und "Die

Schiabfahrt als Rechtsproblem" in Der Staatsbürger 1970, Heft 9)

aufgetreten. Einer Auseinandersetzung mit den von Reindl und Mayer -

Maly gegen die Judikatur vorgebrachten Argumenten bedarf es jedoch

im vorliegenden Fall nicht, weil eine Ersitzung durch die beklagten

Parteien schon mangels Gutgläubigkeit nicht erfolgen konnte.

Gemäß §§ 1460, 1463 ABGB wird zur Ersitzung u. a. gefordert, daß der Besitz redlich ist und durch die ganze vom Gesetz bestimmte Zeit fortgesetzt wird. Die erwiesene Unredlichkeit des Besitzes schließt gemäß § 1477 ABGB auch bei einem Zeitraum von dreißig oder vierzig Jahren die Ersitzung aus. Das Berufungsgericht vertritt nun entgegen der Ansicht von Reindl (in JBl. 1969, 592) unter Berufung auf die Entscheidungen JBl. 1962, 148 und JBl. 1969, 606 die Auffassung, es komme nicht darauf an, ob die Machthaber der Gemeinde während der Ersitzungszeit redlich gewesen seien. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Keine der beiden vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen beschäftigt sich ausdrücklich mit der Frage, ob der gute Glaube der Benützer zur Ersitzung ausreichend ist oder ob Schlechtgläubigkeit der "Machthaber der Gemeinde" (verbum legale aus § 337 ABGB) schadet. Die Entscheidung 8 Ob 220/68 (JBl. 1969, 606) streift nur kurz die Frage der Gutgläubigkeit der Benützer und sagt für diesen Fall ganz allgemein, es könne nicht gesagt werden, den Schifahrern sei bekannt, daß das Befahren des Geländes von den Gründeigentümern nur prekaristisch geduldet werde. Sie verweist dann noch darauf, daß der Umstand, daß im Winter Zäune für die geduldete Durchfahrt geöffnet wurden, auch so ausgelegt werden konnte (offenbar von den Benützern), daß die Gründeigentümer dazu seitens der Gemeinde verpflichtet worden seien. Der Entscheidung ist daher zu entnehmen, daß die Gutgläubigkeit der Benützer gefordert wird, während über die Gutgläubigkeit der Machthaber der Gemeinde ausdrücklich nichts gesagt wird. Allerdings hält diese Entscheidung daran fest, daß der Besitzerwerb auch nachträglich durch die Gemeindevertretung genehmigt werden kann. Die Entscheidung JBl. 1962, 148 wiederum behandelt das Problem der Gutgläubigkeit der Gemeinde nur insofern, als sie ausführt, der Umstand, daß der Beschluß des Gemeinderates erst zu einem Zeitpunkt gefaßt worden sei, als der Besitz von der Liegenschaftseigentümerin bestritten wurde, hindere nicht den früheren Besitzerwerb. Die Entscheidung läßt also die Frage offen, ob Gutgläubigkeit der Machthaber der Gemeinde während der Ersitzungszeit erforderlich ist. Beiden Entscheidungen ist aber jedenfalls gemeinsam, daß Bösgläubigkeit im Zeitpunkt des nachträglichen Gemeinderatsbeschlusses nicht schade. Es kann nun für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die von Reindl gegen diese Auffassung vorgebrachten Argumente durchschlagend sind. In dem hier zu entscheidenden Fall waren nämlich die Machthaber der Gemeinde auch während des Laufes der Ersitzungszeit nicht gutgläubig. Ihre Gutgläubigkeit ist jedoch jedenfalls innerhalb des Ersitzungszeitraumes erforderlich.

Geht man nämlich von der Rechtsprechung aus, dann erwirbt die Gemeinde die Servitut der Schiabfahrt durch deren Ausübung seitens der Gemeindeangehörigen und des Touristenpublikums. Gleichgültig, ob es sich bei diesen Personen um Stellvertreter oder Gehilfen oder aber um sogenannte Besitzmittler handelt (vgl. dazu Schey - Klang in Klang[2] II, 81), immer ist es erforderlich, daß die Machthaber der Gemeinde redlich waren. Das Erfordernis der Redlichkeit desjenigen, zu dessen Gunsten ersessen wird, gilt sowohl für den Fall der Stellvertretung (Schey - Klang a. a. O., 94; Klang in Klang[2] VI, 582; Ehrenzweig, System[2] I/2, 198) oder des Gehilfen als auch für den Erwerb durch Besitzmittler (Schey - Klang a. a. O., 94 und 101; Reindl, JBl. 1969, 592). Der OGH hat dazu in jüngster Zeit in seiner Entscheidung 7 Ob 549, 550/77 ausgesprochen, zur Ersitzung einer Servitut der Schiabfahrt sei auch erforderlich, daß die Benützer und die Organe der Gemeinde die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung gutgläubig angenommen haben. Da im dort entschiedenen Fall jedoch Schlechtgläubigkeit eines von ihnen nicht in Betracht kam, unterblieben weitere Erörterungen, welche Folgen die Schlechtgläubigkeit eines der beiden nach sich ziehen könnte. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob dann, wenn die Benützer der Schiabfahrt nicht als Stellvertreter, sondern als Besitzmittler anzusehen sind sowohl das Schipublikum als auch die Machthaber der Gemeinde gutgläubig sein müßten. In diesem Falle verneinen Schey - Klang, a. a. O. einen Einfluß des guten Glaubens der Besitzmittler. In jedem Falle ist aber, wie dargetan, der gute Glaube desjenigen erforderlich, für den ersessen werden soll, im vorliegenden Fall also der Erstbeklagten. Jede andere Auslegung würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß ein Schlechtgläubiger Rechte durch Ersitzung erwerben könnte. Gemäß § 337 ABGB wird der Besitz einer Gemeinde nach der Redlichkeit oder Unredlichkeit der im Namen der Mitglieder handelnden Machthaber beurteilt. Die Ersitzung erfordert, daß der gute Glaube während der ganzen Ersitzungszeit besteht (SZ 27/284; EvBl. 1964/320, 466 u. a.).

Es ist nun von den Feststellungen auszugehen, daß die Erstbeklagte seinerzeit Eigentümerin des Grundstückes war und dieses am 22. Jänner 1937 u. a. auch an den Rechtsvorgänger der Klägerin als Baugrund zur Errichtung eines Alpenhotels verkauft hat. Im Kaufvertrag erhielten die Käufer u. a. das Recht, den von ihnen gekauften Grund einzuzäunen. Daraus ergibt sich im Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Vertrages (die Rechtswirksamkeit des Vertrages war von der Bedingung abhängig, daß die Liegenschaft vollständig frei von allen den beabsichtigten Gebrauch beeinträchtigenden Lasten war), daß sich die Erstbeklagte beim Verkauf keinerlei Rechte der Schiabfahrt über das Grundstück vorbehalten hatte. Eine allfällige Ersitzung solcher Rechte konnte aber erst ab 22. Jänner 1937 zu laufen beginnen, die dreißigjährige Frist für die Ersitzung der Servitut daher frühestens am 22. Jänner 1967 enden. Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube fällt aber weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, daß sein Besitz nicht rechtmäßig ist oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlaß geben (SZ 27/284; EvBl. 1962/265, 323 u. a.). Abgesehen davon, daß die Organe der Erstbeklagten schon auf Grund des Inhaltes des Kaufvertrages nicht gutgläubig sein konnten, haben die Untergerichte noch festgestellt, daß Notar Dr. L als Vertreter der Erstbeklagten am 25. Feber 1966, also jedenfalls vor Ablauf der Ersitzungszeit, an den Rechtsfreund des Rechtsvorgängers der Klägerin ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem er u. a. erklärte, daß sich die Erstbeklagte ihrer Verpflichtungen aus dem seinerzeitigen Kaufvertrag vom 22. Juni 1937 voll bewußt und sie auch bereit sei, zu diesen Verpflichtungen zu stehen. Wenn auch in dem Schreiben auf die seither geänderten Verhältnisse hingewiesen und Vergleichsvorschläge gemacht wurden, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß damit ein allfälliger guter Glaube hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung der Servitut ausgeschlossen war. Die Erstbeklagte muß dieses Wissen ihres Rechtsvertreters gegen sich gelten lassen, zumal Notar Dr. L ausdrücklich darauf verweist, daß er dies nach Rücksprache mit dem Bürgermeister der Erstbeklagten bekanntgibt. Damit steht jedoch fest, daß die Machthaber der Erstbeklagten nicht während der gesamten Ersitzungszeit gutgläubig waren, womit die für die Ersitzung gemäß §§ 1460, 1463, 1467 ABGB erforderliche Voraussetzung des redlichen Besitzes nicht gegeben ist. Das Klagebegehren gegen die Erstbeklagte ist daher gerechtfertigt.

Hat jedoch die Erstbeklagte die Schiabfahrt nicht ersessen, dann steht auch der Zweitbeklagten, welche ihre Rechte von der Erstbeklagten ableitet, kein Recht zu, das Grundstück mit Pistengeräten zu befahren und zu präparieren. Ob die Klägerin oder ihre Rechtsvorgänger gegen die Liftanlage der Zweitbeklagten Einspruch erhoben, ist für die Frage der Ersitzung bedeutungslos, weil diese Liftanlage nicht über das Grundstück führt. Dieses Schweigen kann daher auch nicht als schlüssige Einräumung einer derartigen Dienstbarkeit gewertet werden.

Die Rechtssache ist daher auf Grund des festgestellten Sachverhaltes spruchreif im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens.

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