Spruch:
Der Revisionsrekurs sowie die weitere als "RekursRevision" bezeichnete Eingabe des Vaters werden zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die am 23.April 1966 geschlossene Ehe des Gerhard und der Anna F*** wurde am 25.September 1986 geschieden. Der Ehe entstammen der am 5.Juni 1967 geborene Andreas, der am 18. Jänner 1969 geborene Markus, der am 19.November 1971 geborene Michael und der am 20.Mai 1979 geborene Christian.
Die Mutter beantragte, ihr die elterlichen Rechte und Pflichten in bezug auf Christian zuzuweisen. Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus und beantragte seinerseits die Zuweisung der elterlichen Rechte in Ansehung von Markus, Michael und Christian. Die Bezirkshauptmannschaft Melk befürwortete den Antrag der Mutter ebenso wie der Kinder- und Jugendpsychologische Beratungsdienst beim Amt der NÖ. Landesregierung.
Am 16.Juni 1987 trafen die Eltern eine (pflegschaftsgerichtlich noch nicht genehmigte) Vereinbarung, wonach die elterlichen Rechte bezüglich Markus und Michael dem Vater zukommen sollten. Das Erstgericht wies die elterlichen Rechte und Pflichten in bezug auf Christian der Mutter zu. Es führte aus, Christian befinde sich wie seine älteren Brüder Markus und Michael seit der Trennung der Eltern im Juli 1986 in Pflege und Erziehung des Vaters und dessen Mutter Leopoldine F***. Die familiäre und finanzielle Situation des Vaters sei für die gedeihliche Entwicklung des achtjährigen Kindes nicht günstig. Das Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Geborgenheit werde vom Vater nicht befriedigt. Dieser sei äußerst aggressiv und zeige selbst vor Behörden wenig Hemmungen. Er sei schon seit längerem beschäftigungslos, verbringe seine Zeit großteils außer Haus und spreche dem Alkohol zu. Seine 72-jährige Mutter beziehe den Hilflosenzuschuß und könne der Haushaltsführung nicht mehr einwandfrei nachkommen, weshalb das Kind sich weitgehend allein überlassen sei, was sich unter anderem auch im schlechten Schulerfolg zeige. Wenn auch der Vater an seinem Sohn sehr hänge, bleibe er ihm doch die nötige Zuwendung schuldig. Häufig müsse er von dem Kind nach übermäßigem Alkoholgenuß nach Hause geleitet, mit Essen versorgt und zu Bett gebracht werden. Dadurch werde das Kind zum Teil sogar mit der Obsorge für seinen Vater belastet und sei damit letztenendes der Gefahr der Verwahrlosung preisgegeben. Überdies sei die Art und Weise, wie der Vater vor dem Kind über dessen Mutter spreche, für diesen demütigend und verletzend. Christian habe zu seiner in Wien wohnenden Mutter nur sporadischen Kontakt, was vor allem auf Einschüchterungen seitens des Vaters zurückzuführen sei. Bei den wenigen Zusammenkünften mit seiner Mutter habe ein ausnehmend guter emotionaler Kontakt wahrgenommen werden können. Dem Wunsch nach engerer Bindung an die Mutter wage Christian aus Angst vor dem Vater nicht deutlich auszudrücken, doch sei der Wunsch zweifellos sehr stark vorhanden.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß. Es stellte nach unangekündigten Besuchen des Berichterstatters beim Vater und bei der Mutter ergänzend fest, die im Eigentum der Großmutter väterlicherseits stehende Liegenschaft in Melk, Wiener Straße 104, ein Wohnhaus mit einem etwa 1600 m2 großen Garten, mache einen sehr ungepflegten Eindruck. Der Garten wirke eher wie ein Abstellplatz, auf dem Baumaterial, zwei abgewrackte Fahrzeuge und verschiedenes Gerümpel lagerten. Der Zustand des aus einem Altbau und einem vor etwa vier Jahren errichteten Zubau bestehenden Wohngebäudes sei desolat. Ein mit einem Doppelbett eingerichtetes Schlafzimmer werde vom Vater gemeinsam mit Christian, zwei weitere Zimmer würden von Michael bzw. Markus benützt. Außerdem befänden sich in dem vom Vater und seinen Söhnen bewohnten Teil des Hauses - der Rest werde allein von der Großmutter väterlicherseits bewohnt - eine Küche, ein Bad und ein Vorraum sowie ein weiterer nur von außen zugänglicher Raum, der derzeit als Werkstätte benützt werde. Die Räume seien durchwegs nicht aufgeräumt. Küche und Bad seien zwar funktionsfähig, jedoch nicht zur Gänze fertiggestellt. Ein Teil des Neubaues sei nur provisorisch eingedeckt, in diesem Teil des Hauses seien daher auch Wasserspuren auf der Decke zu sehen. Der älteste Sohn Andreas wohne nicht mehr im Haus, der zweitälteste Sohn Markus habe im Sommer 1987 die Lehre als Gas-, Wasser- und Heizungsinstallateur abgeschlossen, arbeite derzeit in Wien und pendle täglich. Michael habe am 31. August 1987 gleichfalls die Lehre als Gas-, Wasser- und Heizungsinstallateur begonnen. Christian sei aufgeweckt, zutraulich, zugänglich und sehr kontaktfreudig; er zeige keinerlei Scheu vor dem Besucher. Er erzähle diesem, daß ihm sein Vater gewöhnlich das Frühstück bereite; zu Mittag gebe es stets warmes Essen, am Abend dagegen nur kaltes. Die Situation bei seiner Mutter in Wien sei dem Kind bekannt, es finde ihre Wohnung nicht schlecht, es sei auch ein großer Hof vorhanden, wo es mit seinem BMX-Rad fahren könne. Die Frage, wie er sich dazu stelle, sollte er künftig bei seiner Mutter leben müssen, beantwortete Christian spontan damit, dann fahre er einfach zu ihr. Unmittelbar danach habe er spontan die Hand des Besuchers ergriffen und, nachdem er sich vorher versichert habe, nicht beim Vater verraten zu werden, erklärt, er möchte gern zu seiner Mutter. Die nunmehr wiederverehelichte Mutter Christa S*** bewohne mit ihrem 1928 geborenen Ehegatten Kurt S*** eine kleine Wohnung in 1160 Wien, Wurlitzergasse 62. Diese bestehe aus Küche und Kabinett. Die Küche sei ordnungsgemäß eingerichtet und weise eine Duschecke auf; die Toilette befinde sich im Gang. Das Kabinett sei mit einer Sitzgarnitur, einer ausziehbaren Couch, einem Kasten und einem Hochbett eingerichtet, das für Christian vorgesehen sei. Die Wohnung sei in gutem Pflegezustand. Die Mutter sei halbtags als Verkäuferin, wöchentlich abwechselnd vor- und nachmittags, tätig. Ihr Ehegatte beziehe Pensionsvorschüsse. In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht zweiter Instanz aus, bei der Entscheidung gemäß § 177 Abs 2 ABGB stehe immer das Wohl des Kindes im Vordergrund. Maßgebliche Bedeutung komme dabei dem Moment der Stetigkeit und Dauer zu. Bei erstmals zu treffender Entscheidung über den Verbleib des Kindes nach der Ehescheidung solle es aber nicht von dem mehr oder weniger zufälligen Umstand abhängen, welcher Elternteil im Zeitpunkt der faktischen Trennung das Kind gerade bei sich habe. Bei solchen Entscheidungen solle ein Elternteil nicht allein deshalb ausscheiden, weil mit der Zuteilung an ihn ein Wechsel im Aufenthalt und in den Pflegeverhältnissen verbunden wäre. Der andere Elternteil hätte es sonst in der Hand, unter Berufung auf das Erfordernis einer ruhigen und stetigen Erziehung stets eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Bei der Entscheidung über die erstmalige Zuweisung müsse das Gericht die beiderseitigen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit gegenüberstellen. Dabei habe es die Persönlichkeit des Kindes und seiner Eltern sowie deren künftigen Lebensverhältnisse einer eingehenden Würdigung zu unterziehen. So müßten die Möglichkeit der Unterbringung und Betreuung, die emotionalen Bindungen, die Persönlichkeit, die Eignung der Eltern zur Erziehung sowie deren Bereitschaft, Verantwortung für die Kinder zu tragen, geprüft werden. Das Gericht habe sodann, da eine einvernehmliche Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern wegen der Scheidung nicht mehr erreicht werden könne, sorgfältig alles Für und Wider abzuwägen. Nach diesen Grundsätzen müßten die elterlichen Rechte der Mutter künftig allein zugewiesen werden. Dem Umstand, daß Christian in diesem Fall von seinen Geschwistern getrennt werden würde, könne keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Sein ältester Bruder lebe ohnedies nicht mehr im Haushalt des Vaters, der zweitälteste Bruder arbeite tagsüber in Wien und pendle täglich zwischen Wien und Melk, sodaß sich Kontakte auf das Wochenende beschränken müßten. Lediglich Michael lebe noch im Haushalt des Vaters und arbeite in Melk. Michael sei aber um acht Jahre älter als Christian. Angesichts des Altersunterschiedes und der durch die Berufsausübung des älteren Bruders eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten sei zu erwarten, daß Christian Freundschaften mit Gleichaltrigen vorziehen werde. Entscheidend erscheine aber vor allem die positive emotionale Einstellung Christians seiner Mutter gegenüber und sein Wunsch, bei ihr zu leben. Seine spontanen Äußerungen dem Berichterstatter des Rekursgerichtes gegenüber würden auch durch die Stellungnahme des Kinder- und Jugendpsychologischen Beratungsdienstes beim Amt der NÖ. Landesregierung gestützt, wonach Christian den Verlust der Mutter emotional nicht verkraftet habe und unter ihrer Anwesenheit (richtig: Abwesenheit) leide. Es sei auch offenkundig, daß Christian Angst habe, dies seinem Vater einzugestehen. Vergleiche man die Unterbringungsmöglichkeiten bei den Eltern, so sei jenen beim Vater keineswegs der Vorzug zu geben. Zwar stehe Christian in Melk ein großer Garten zur Verfügung, doch sei vor allem der mangelnde Pflegezustand des Hauses ein Umstand, der zugunsten der Mutter spreche. Ihre Wohnung sei zwar relativ klein, doch gewinne man in dieser Wohnung den Eindruck einer ordnenden Hand, die für eine positive Entwicklung des Kindes eher Sorge tragen könne als der Vater. Die desolaten Verhältnisse des Hauses und des Gartens in Melk reflektierten ganz offenbar die persönliche Situation des Vaters. Er habe den Beruf eines Tischlers erlernt, sodaß es nicht einzusehen sei, weshalb sich das Haus in einem derart verwahrlosten Zustand befinde. Gerade die jahrelange Arbeitslosigkeit hätte den Vater durchaus in die Lage versetzt, verschiedene Verbesserungen im Haus vorzunehmen, die keinen großen finanziellen Aufwand erfordert hätten. Sicherlich habe auch die Mutter den Zustand des ehemals gemeinsam benützten Hauses zum Teil mit zu verantworten, weil es gar nicht denkbar sei, daß sich der Zustand innerhalb eines Jahres derart verschlechtert haben könne. Sie scheine jedoch in der Beziehung zu ihrem nunmehrigen Ehegatten einen gewissen Halt gefunden zu haben, der sich auch durchaus positiv auf Christian auswirken könne. Die Beaufsichtigung des Kindes sei bei der Mutter deshalb gewährleistet, weil das Kind während jener Wochen, in welchen die Mutter nachmittags arbeite, von ihrem Ehegatten beaufsichtigt werden könne. Dagegen sei eine ausreichende Beaufsichtigung des Kindes in Melk infolge der häufigen Abwesenheit des Vaters nicht gewährleistet. Sollte seinen Bemühungen um einen Arbeitsplatz Erfolg beschieden sein, müßte das Kind nachmittags durch die väterliche Großmutter beaufsichtigt werden, die dazu zweifellos nicht imstande sei. Auch die Ausführungen über den Schulerfolg des Kindes überzeugten nicht. Es dürfe nicht übersehen werden, daß sich die Eltern Mitte Juni 1986, also gerade gegen Ende des ersten Schuljahres, getrennt hätten, sodaß die damit verbundenen Spannungen zwischen den Eltern die Schulleistungen Christians gewiß negativ beeinflußt hätten.
Rechtliche Beurteilung
Der Vater hat gegen den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz durch seinen ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Revisionsrekurs erhoben, darüber hinaus, selbst nach Ablauf der Rekursfrist eine als "Rekurs-Revision" bezeichnete Eingabe eingebracht. Nach ständiger Rechtsprechung steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift zu. Nach deren Einbringung (hier durch den ausgewiesenen Vertreter) ist das Rechtsmittelrecht somit verbraucht (JBl 1979, 373 uva). Der Grundsatz der Einmaligkeit der Rechtsmittelhandlung gilt auch für das Verfahren außer Streitsachen (NZ 1973, 77 ua). Ob und inwieweit die Zivilverfahrens-Novelle 1983 diesen Grundsatz geändert hat und für das Verfahren außer Streitsachen insoweit Analogie geboten ist, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen, weil selbst bei Bejahung der Zulässigkeit von Rechtsmittelnachträgen die ursprüngliche Rechtsmittelfrist jedenfalls zu wahren ist (vgl Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1693). Andernfalls könnte diese Frist jederzeit umgangen werden. Der zweitinstanzliche Beschluß wurde dem ausgewiesenen Vertreter des Vaters am 5.Februar 1988 zugestellt. Die Eingabe hat der Vater hingegen erst am 26.Februar 1988 - somit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist (§ 11 Abs 1 AußStrG) - zur Post gegeben. Dem Obersten Gerichtshof wäre eine Bedachtnahme auf die selbstverfaßte Eingabe auch schon deshalb verwehrt, weil die zweitinstanzliche Entscheidung nicht mehr ohne Nachteil für die Mutter abgeändert werden könnte (§ 11 Abs 2 AußStrG).
Aber auch der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Das Rechtsmittel gegen eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes ist im Verfahren außer Streitsachen soweit zulässig, als es sich auf die im § 16 Abs 1 AußStrG genannten Anfechtungsgründe stützen kann. Der Vater beruft sich auch auf offenbare Gesetzwidrigkeit des zweitinstanzlichen Beschlusses, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes einseitig gefärbt sei und das allein maßgebliche Kindeswohl nicht gebührend berücksichtigt habe. Nach der Rechtsprechung (ÖA 1985, 77; RZ 1973/194 uva) ist es zwar offenbar gesetzwidrig, wenn bei der Entscheidung über die unter Zuteilung der elterlichen Rechte nicht alle nach dem Gesetz zwingend vorgeschriebenen Kriterien in die Ermessensentscheidung des Gerichtes miteinbezogen und insbesondere Erwägungen über die Persönlichkeit und die Eigenschaften der Eltern nicht angestellt werden. Gerade die für die Entscheidung nach § 177 Abs 2 ABGB ausschlaggebenden Umstände hat aber das Rekursgericht - ausgehend von den umfangreichen Feststellungen, die es auf Grund des Augenscheines seines Berichterstatters sowie der Befragung der Beteiligten durch diesen in unmittelbarer Beweisaufnahme getroffen hat - eingehend gewürdigt und vor allem hervorgehoben, daß die Verhältnisse bei der Mutter für die Pflege und Erziehung des achtjährigen Christian besser geeignet seien als jene beim Vater. Soweit es der Revisionsrekurswerber für erforderlich erachtet, auf die vom Rekursgericht getroffene Feststellung hinzuweisen, wonach Christian unter der "Anwesenheit" der Mutter leide, genügt der Hinweis, daß es sich hiebei bloß um einen Schreibfehler handelt, der jederzeit berichtigt werden kann.
Der Revisionsrekurs war daher als unzulässig zurückzuweisen.
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