Spruch:
Auf eine natürliche Vertiefung entlang der Grenze zweier Grundstücke findet die gesetzliche Vermutung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 854 ABGB) Anwendung
Hat die Fläche eines ehemaligen Grenzgrabens jahrzehntelang der Sammlung und Ableitung der Niederschlagswässer zum Nutzen der beiderseits anliegenden Liegenschaften gedient, sind auf die beiderseitigen Rechte und Pflichten die Regelungen über die Grunddienstbarkeiten anzuwenden
OGH 17. 5. 1984, 6 Ob 542/83 (KG Krems an der Donau 1 a R 313/82; BG Schrems C 135/81 )
Text
Die Klägerinnen sind zu je einem ideellen Hälfteanteil Eigentümer der Liegenschaft EZ 24 KG N mit den Grundstücken 128 Baufläche samt Haus Nr. 43 und 129 Wiese und Wirtschaftsgebäude. Die Beklagten sind zu je einem ideellen Hälfteanteil Eigentümer der Liegenschaft EZ 43 KG N mit den Grundstücken 134 Baufläche samt Haus Nr. 42, 133 Baufläche und 132 Wiese und Wirtschaftsgebäude. Der Gutsbestand der Klägerinnen bildet in der Natur eine in West-Ost-Richtung langgestreckte Fläche, die mit ihrem westlichen Rand an die Landesstraße grenzt. In gleicher Weise bildet auch der Gutsbestand der Beklagten eine in West-Ost-Richtung langgestreckte Flächeneinheit, die im Westen an die Landesstraße stößt. An der Landesstraße sind jeweils die Wohnhäuser errichtet, in den östlich anschließenden Bereichen jeweils die Wirtschaftsgebäude. Der nördliche Rand des Gründes der Beklagten bildet mit dem südlichen Rand des Gründes der Klägerinnen eine gemeinsame Grenze.
Entlang dieser Grenze des Grundbesitzes der Streitteile verläuft in der Natur zwischen den beiderseitigen Baulichkeiten von der Landesstraße Richtung Osten ansteigend ein etwa 30 cm breiter Graben. Nördlich dieses Grenzgrabens steht auf dem Grund der Klägerinnen ein bereits vor dem Jahre 1930 errichtetes Stallgebäude. Die parallel zur Grundgrenze errichtete Südwand dieses Gebäudes ist 9 m lang. Diesem gegenüber stand auf dem Grund der Beklagten bis zum Jahre 1948 ebenfalls ein Stallgebäude. Zwischen diesen beiden Baulichkeiten an der Grenze verlief ein etwa 35 cm breiter und 50 cm tiefer Wassergraben. Dieser Grundstreifen wurde weder durch die einen noch durch die anderen Grundnachbarn genutzt. Das Stallgebäude auf dem Grund der Beklagten wurde im Jahre 1948 entfernt. Auf seinem Sockel errichteten die Beklagten einen Schuppen. Durch ständige Nässeeinwirkung verwitterten dessen Pfosten. Die Beklagten entfernten den Schuppen deshalb zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem Jahre 1978. Seither reicht ein grasbewachsener Hofraum auf dem Grund der Beklagten bis zur Grenze im Bereich der Wand des Stallgebäudes der Klägerinnen. Der erwähnte Hofraum der Beklagten wird an der straßenfernen Seite im Osten durch ein Stallgebäude begrenzt, das die Beklagten im Jahre 1949 aufbauten und etwa 1.4 m über die gedachte Verlängerung der südlichen Wand des Gebäudes der Klägerinnen nach Norden ragt. Dabei beträgt der Abstand zwischen der Ostwand des Gebäudes der Klägerinnen und der Westwand des Gebäudes der Beklagten 95 cm. Nach dem Um- und Neubau auf dem Grund der Beklagten in den Jahren 1948/49 stellte sich öfter heraus, daß der Graben zwischen den benachbarten Baulichkeiten durch herabfallende Steine verlegt wurde und daß sich deshalb dort Wasser staute. Um das Jahr 1967 leiteten die Beklagten deshalb das im Graben abfließende Wasser durch Rohre quer durch ihren Hof und auf diese Weise zum Hauptkanal im Bereich der Landesstraße. Im Jahre 1979 verlegten die Beklagten entlang der 9 m langen Front des Gebäudes der Klägerinnen und im Bereich des östlich anschließenden oben erwähnten 95 cm breiten Zwischenraumes zwischen der Ostwand des Gebäudes der Klägerinnen und der Westwand des Gebäudes der Beklagten im Grenzgraben Rohre und schütteten den Graben auf das Niveau ihres Hofraumes auf. Auf dem 95 cm langen Grenzstück befindet sich nunmehr eine etwa 50 cm hohe mauerartige Aufschüttung, die mit der Höhenlage des Hofraumes der Beklagten abschließt und in deren Grund ein Rohr eingebettet liegt. Nördlich an diese Aufschüttung ist eine grabenartige Vertiefung ausgebildet, deren Talsohle etwa 35 cm niedriger liegt als der nördlich anschließende Grund der Klägerinnen. Diese Veränderungen nahmen die Beklagten vor, weil der Graben ständig mit Unkraut verwachsen war. Sie suchten vor der Durchführung ihrer Maßnahmen das Einvernehmen mit den Klägerinnen nicht. Diese erklärten im nachhinein, man hätte mit ihnen über die Veränderungen reden können, wären sie nur gefragt worden. Die Klägerinnen bemerkten die Verlegung des Rohres erst im Jahre 1980. Sie stellten bisher nicht fest, daß sich infolge der von den Beklagten gesetzten Maßnahmen Wasser aufgestaut hätte. Sie begehrten aber die Entfernung der von den Beklagten verlegten Rohre und der von ihnen vorgenommenen Aufschüttung, weil sie die Beklagten vor der Bewirkung dieser Veränderungen nicht gefragt haben und weil sie den Sockel ihres Gebäudes sanieren wollten.
Die Klägerinnen begehrten die Verurteilung der Beklagten dazu, die an der Grenze zwischen den Grundstücken Nr. 128 und 129 KG N einerseits und 134 und 133 KG N andererseits im Grenzgraben auf einer Länge von 10 m, das ist vom Beginn zwischen dem Stallgebäude der Klägerinnen und dem der Beklagten aus gemessen die dort verlegten Kanalrohre, die errichtete Aufschüttung in einer Breite von 40 cm und einer Tiefe von 50 cm sowie die am Beginn der Verrohrung errichtete 50 cm hohe und 1 m breite Steinmauer zwecks Wiederherstellung des früheren Zustandes zu entfernen. Zur Begründung ihres Beseitigungsbegehrens behaupteten die Klägerinnen, die beanstandeten Maßnahmen der Rohrverlegung, Aufschüttung und Sockelmauererrichtung reichten über die halbe Ausdehnung (des Grenzgrabens) und stellten daher Eingriffe in ihr Eigentumsrecht dar, denen sie nicht zugestimmt hätten; von den beanstandeten Veränderungen gingen auch schädliche Einwirkungen auf den Grund der Klägerinnen aus.
Die Beklagten wendeten ein, der gesamte Grenzgraben, ein sogenannter "Reiher", stunde in ihrem (Allein-)Eigentum. Sie hätten vor mehr als 15 Jahren die Rohrverlegung durch ihren Hof vorgenommen, um die vom Grund der Klägerinnen auf ihren Grund abfließenden Niederschlagswässer kontrolliert abzuleiten, die Rohrverlegung im letzten (östlichen) 3 m langen Teilstück des Grabens sei im Juni 1980 erfolgt. Die Maßnahmen zum Wasserabzug bedeuteten auch für die Klägerinnen nur Vorteile.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, daß die für das gemeinschaftliche Eigentum an dem vormals bestandenen Grenzgraben streitende Vermutung des § 854 ABGB nicht widerlegt worden sei. Die Beklagten hätten sich deshalb vor der Durchführung der Rohrverlegung um die Zustimmung der Klägerinnen bemühen und im Weigerungsfall die Entscheidung des Richters im Außerstreitverfahren einholen müssen. Das Begehren der Klägerinnen auf Beseitigung der auch für sie offenkundig nur vorteilhaften Veränderungen stelle jedoch einen Rechtsmißbrauch dar. Die Vornahme von Baumaßnahmen am eigenen Stallgebäude werde durch die Grabenaufschüttung nicht behindert, weil die Regelungen der Bauordnung die Interessen der Klägerinnen in dieser Hinsicht ausreichend sicherten.
Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Es teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes zur Vermutung des § 854 ABGB und folgerte daraus, daß die Beklagten ohne Zustimmung keine erheblichen Veränderungen vornehmen hätten dürfen. Die von den Beklagten veranlaßte Grabenzuschüttung bewirke, daß in diesem Bereich das Sockelmauerwerk des Stallgebäudes der Klägerinnen für Instandsetzungsarbeiten nicht mehr frei zugänglich sei. Daran ändere auch die Vorschrift des § 25 Nö. Bauordnung nichts. Eine sittenwidrige Scheinrechtsausübung sei daher - im Gegensatz zur erstrichterlichen Ansicht - nicht anzunehmen.
Der Oberste Gerichtshof hob über Revision der Beklagten die Urteile der Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Eine natürliche Vertiefung längs der Linie, an der zwei Nachbargrunde aneinanderstoßen, ist, wenn sie zum Abfluß der Niederschlagswässer beiderseits aufrechterhalten wird, ebenso wie eine zum selben Zweck entlang der Grenzlinie künstlich errichtete Vertiefung eine Grenzeinrichtung, auf die die gesetzliche Vermutung
des § 854 ABGB Anwendung findet (arg. "... Erdfurchen, ... Kanäle ... und andere dergleichen Scheidewände ..."). Die Fläche des
ehemaligen Grenzgrabens steht mangels erwiesener Umstände, die für das Alleineigentum eines der beiden Nachbarn sprächen, im gemeinschaftlichen Eigentum der Streitteile. Diese Grenzfläche diente und dient weiterhin der Sammlung und Abführung der Niederschlagswässer. Daraus folgt aber, daß der konkreten Grenzeinrichtung zwischen den Gründen der Streitteile nicht bloß die Funktion einer wechselseitigen "Abscheidung", sondern vor allem eine - dem Nutzen der beiderseits anliegenden Gründe dienende - Sammlung und Ableitung der Niederschlagswässer zukommt. In der diesbezüglich festgestellten jahrzehntelangen Verwendung ist eine Widmung durch die jeweiligen Gründeigentümer zu erblicken. Eine solche (schlüssige) Widmung des im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Grenzstreifens zur Sammlung und Ableitung der Niederschlagswässer bedingt die Anwendung der sachenrechtlichen Regelungen über die Grunddienstbarkeiten. Soweit daher die Beklagten mit ihren Maßnahmen einen nach § 491 ABGB zu ziehenden Rahmen nicht überschritten, waren sie zur Vornahme der entsprechenden Veränderungen berechtigt. Freilich hatten sie sich nicht nur innerhalb der durch die im Sinne des § 484 ABGB gezogenen Grenzen zu halten, sondern auch die gleichartigen Interessen der Klägerinnen zu beachten. Den Klägerinnen kann ein Beseitigungsanspruch nur in dem Umfang zustehen, als die Beklagten die hier aufgezeigten Interessen verletzt haben sollten. Solches haben die Klägerinnen konkret in Ansehung der Zugangsmöglichkeit zu den Grundmauern des auf ihrem Grund stehenden Stallgebäudes behauptet. Selbst wenn anerkennenswerte Interessen der Klägerinnen einer Aufrechterhaltung der durch die Beklagten veränderten Wasserableitung entgegenstehen sollten, müßte geprüft werden, wie weit eine Veränderung oder völlige Beseitigung der von den Beklagten zur Verbesserung der Wasserableitung vorgenommenen Maßnahmen unbedingt notwendig wäre, um den berechtigten Interessen der Klägerinnen zu genügen.
Unter diesen mit den Parteien bisher noch nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkten ist die Rechtssache noch nicht entscheidungsreif. Es bedarf daher offenbar einer Ergänzung der Verhandlung in erster Instanz.
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