OGH 6Ob5/17d

OGH6Ob5/17d28.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*****gesellschaft ***** mbH & Co KG, *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.500 EUR) und Veröffentlichung (Streitwert 5.500 EUR), über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. September 2016, GZ 1 R 186/15b‑27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 3. September 2015, GZ 53 Cg 43/13i‑22, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00005.17D.0328.000

 

Spruch:

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Erfasst die in Artikel 1 Abs 2 lit e des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 („EVÜ“) und in Artikel 1 Abs 2 lit f der Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I-VO“) vorgesehene Ausnahme vom Anwendungsbereich auch Vereinbarungen zwischen einem Treugeber und einem Treuhänder, der eine Gesellschaftsbeteiligung an einer Kommanditgesellschaft für den Treugeber hält, insbesondere wenn eine Verflechtung von Gesellschafts- und Treuhandverträgen vorliegt?

2. Für den Fall der Verneinung der Frage 1.:

Ist Artikel 3 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen („Klausel-Richtlinie“) so auszulegen, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich ist, wenn einziger Zweck des Treuhandvertrags die Verwaltung der Kommanditbeteiligung ist und dem Treugeber die Rechte und Pflichten eines unmittelbaren Gesellschafters zukommen?

3. Für den Fall der Bejahung der Fragen 1. oder 2.:

Ändert sich diese Antwort, wenn sich der Unternehmer zur Erbringung der von ihm geschuldeten Dienstleistungen nicht in den Verbraucherstaat begeben muss, er aber verpflichtet ist, Ausschüttungen sowie sonstige vermögenswerte Vorteile aus der Beteiligung und Informationen über den Geschäftsverlauf der Beteiligung an den Verbraucher weiterzuleiten? Macht es dabei einen Unterschied, ob die Rom I-VO oder das EVÜ anwendbar sind?

4. Für den Fall der Bejahung der Frage 3.:

Hat es bei dieser Antwort zu bleiben, wenn zusätzlich der Zeichnungsantrag des Verbrauchers in seinem Aufenthaltsstaat unterfertigt wurde, der Unternehmer Informationen über die Beteiligung auch im Internet zur Verfügung stellt und eine Zahlstelle im Verbraucherstaat errichtet wurde, auf die der Verbraucher den Beteiligungsbetrag einzuzahlen hat, wenngleich der Unternehmer über dieses Bankkonto nicht verfügungsberechtigt ist? Macht es dabei einen Unterschied, ob die Rom I-VO oder das EVÜ anwendbar sind?

B. Das Verfahren über die Rekurse beider Parteien wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH gemäß § 90a Abs 1 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) ausgesetzt.

 

Begründung:

I. Sachverhalt

Der klagende Verein ist eine gemeinnützige Verbraucherorganisation, die berechtigt ist, Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen einzubringen.

Die Beklagte ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in H*****, die zu HRB ***** des Amtsgerichts Hamburg protokolliert ist. In Österreich hat die Beklagte weder einen Sitz noch eine Niederlassung. Sie ist eine Tochtergesellschaft der M***** AG H***** (kurz: M*****), die geschlossene Fonds strukturiert und vertreibt. Dabei handelt es sich um deutschem Recht unterliegende Kommanditgesellschaften, an denen sich Privatanleger und institutionelle Anleger als Kommanditisten beteiligen können. Zwischen der Beklagten und der Muttergesellschaft bestand bis 19. 12. 2014 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag; die Leitung der Beklagten war damit M***** unterstellt.

Zu den von der M***** Gruppe strukturierten (zahlreichen) Kommanditgesellschaften gehören unter anderem die Dreiundvierzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 43. Fonds), die Einundfünfzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 51. Fonds) und die Zweiundsiebzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 72. Fonds). Diese Fonds waren von Beginn an so konzipiert, dass die Beklagte als Treuhandkommanditistin ermächtigt wurde, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Deren Anwerbung erfolgte nicht durch die Beklagte selbst, sondern über die C***** GmbH i. L. (vormals: M***** Austria AG). Auch diese ist eine 100%-Tochter der M*****. Zwischen diesen Gesellschaften gab es auch mehrere personelle Verflechtungen; so waren Dr. A*****, U***** und U***** zumindest zwischen 2001 und 2010 zeitgleich Vorstände der M*****, Aufsichtsräte der M***** Austria AG und Prokuristen der Beklagten.

Die Beklagte ist als Treuhänderin und Gründungskommanditistin unter anderem am 2003 errichteten 43. Fonds beteiligt. Dieser wurde zwar nicht nur in Österreich vertrieben, allerdings wurde bei einer österreichischen Bank ein Treuhandkonto eröffnet, auf das die Zahlungen im Zusammenhang mit der Beteiligung zu leisten waren. Einige der anderen Fonds der Beklagten wurden ausschließlich in Österreich vertrieben, so etwa der 51. Fonds (errichtet 2004), die Siebenundsechzigste ***** GmbH & Co KG (errichtet 2006) und der 72. Fonds (errichtet 2011). Für den 51. Fonds und für den 72. Fonds wurden von der Beklagten bei einer österreichischen Bank je ein Treuhandkonto eingerichtet.

Nach § 3 Abs 3 des Gesellschaftsvertrags des 43. Fonds ist die Beklagte ermächtigt, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Dies erfolgte in der Weise, dass Anleger der Gesellschaft mittelbar als Treugeber über die Beklagte als Treuhandkommanditistin beitraten. Ihre Beteiligungen werden von der Beklagten auf Grundlage eines Treuhandvertrags verwaltet. Diese Vorgehensweise wurde auch bei den anderen Fonds angewendet.

Die Anteile am 43. Fonds wurden auch in Österreich, jene am 51. und am 72. Fonds ausschließlich in Österreich – mit Wissen und Einverständnis der Beklagten – über die C***** GmbH i. L. an Verbraucher vermittelt. Die Beklagte hatte dabei keinen direkten Kontakt mit den Anlegern und erbrachte auch selbst keine Beratungstätigkeiten.

Die Beklagte hat ihre Dienstleistungen auf den österreichischen Markt ausgerichtet. Einige Fonds wurden ausschließlich in Österreich vertrieben, und die Beklagte betreibt für österreichische Anleger die Website www.t *****‑treuhand.at. Dort gibt es seit 2006 einen Bereich, wo sich Anleger tatsächlich auch anmelden können; seit 2011 können hier Anleger, die dies explizit möchten, ihre Stimme alternativ zur schriftlichen Abgabe online abgeben. Eine Kopie der Schriften, die dem Anleger zugegangen sind, kann er dort einsehen. Die Website ist so konzipiert, dass man auf eine deutsche Website (www.t *****‑treuhand.de) weitergeleitet wird. Domaininhaber ist die M***** Service GmbH; hierbei handelt es sich um ein Unternehmen der M***** Gruppe, das sich zentral um die EDV-Agenden kümmert. Auch die deutsche Homepage wird von diesem Unternehmen verwaltet.

Der Beitritt zur Gesellschaft erfolgte, indem Verbraucher durch Zeichnung einer Beitrittserklärung an die Beklagte ein Angebot auf Abschluss eines Treuhandvertrags richteten. Der Zeichnungsantrag wurde von österreichischen Verbrauchern in allen der Klägerin bekannten Fällen in Österreich unterfertigt. Die Beklagte errichtete auch eine Zahlstelle in Österreich. Der Beteiligungsbetrag war beim 43. Fonds auf das auf die Beklagte lautende Treuhandkonto bei der ***** Bank ***** AG. Für den 51. und den 72. Fonds waren die Treuhandkonten bei einer anderen österreichischen Bank eingerichtet. In keinem Fall waren Beteiligungsbeträge auf ein deutsches Treuhandkonto zu überweisen.

Für die Anleger steht die Beklagte als Anbieterin einer Treuhanddienstleistung zur Verfügung. Sie übernimmt den Kommanditanteil für Rechnung des Anlegers und verwaltet ihn treuhändig, übt im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anlegers seine Rechte aus dem Kommanditanteil aus und leitet Ausschüttungen wie auch jeden sonstigen vermögenswerten Vorteil aus der Beteiligung an den Anleger weiter. Die Beklagte gibt laufend jene Informationen, die sie von Fonds über den Geschäftsverlauf der Beteiligung erhält, an die Anleger weiter. Für diese Leistungen erhält die Beklagte ein pauschales Entgelt von 0,3 % der Einlage des Anlegers pro Jahr.

Der 43., der 51. und der 72. Fonds wurden auf unbestimmte Zeit errichtet. Die Beklagte nimmt auch jetzt noch ihre Verwaltungsaufgaben auf Grundlage der Treuhandverträge wahr.

Die Beklagte verwendete und verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Vertragsformblätter. Dem Abschluss der Treuhandverträge gingen gezielte Angebote und Werbungen an in Österreich wohnhafte Verbraucher voraus. Die Angebote wurden von österreichischen Geschäftsbanken oder gewerblichen Vermögensberatern an österreichische Verbraucher weitergeleitet. Die erforderlichen Rechtshandlungen (Unterfertigung der Beitrittserklärung) wurden von den Verbrauchern in Österreich vorgenommen und von Vertragspartnern der Beklagten beziehungsweise deren Vertragspartnern in Österreich entgegengenommen.

Die Beklagte übt ihre Verwaltung auf Grundlage des Treuhandvertrags aus, womit die beanstandeten Klauseln laufend in Verwendung stehen. In den Treuhandverträgen heißt es unter anderem: „Der Treuhandvertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag sowie über das Zustandekommen dieses Vertrags ist der Sitz der Treuhänderin, soweit dies gesetzlich zulässig vereinbart werden kann.“ Diese Klausel wurde nicht im Einzelfall ausverhandelt, sondern findet sich in den Vertragsformblättern. Ebenso wenig findet sich ein in die Augen fallender Hinweis auf diese Klausel in den Vertragsformblättern.

II. Anträge und Vorbringen der Parteien

Der Kläger begehrt mit seiner seit 6. 9. 2013 gerichtsanhängigen Klage, der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zu Grunde legt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern sechs Klauseln (darunter die Rechtswahlklausel) und (insbesondere acht ausdrücklich genannte) sinngleiche Klauseln zu verwenden sowie sich auf solche Klauseln zu berufen; weiters wird die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung begehrt. Die Klauseln verstießen gegen § 6 Absatz 3 sowie Absatz 1 Ziffer 9 des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) und § 864a des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB); außerdem seien sie gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Absatz 3 ABGB. Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Rechtswahlklausel zugunsten deutschen Rechts sei zudem unionsrechtswidrig; sowohl gemäß Artikel 4 und 6 Rom II‑VO als auch nach § 48 des österreichischen Internationalen Privatrechtsgesetzes (IPRG) sei die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Klauseln nach dem Deliktsstatut und nicht nach dem Vertragsstatut zu beurteilen, somit nach österreichischem Recht. Die Beklagte habe ihre Tätigkeit bewusst auf den österreichischen Markt ausgerichtet, ihr zurechenbare Dienstleistungen seien in Österreich erbracht worden; im Übrigen habe sie in Österreich Treuhandkonten und eine Zahlstelle eingerichtet und durch die Zurverfügungstellung eines passwortgeschützten Internetzugangs den Anlegern Dienstleistungen in Österreich angeboten. Auch nach dem EVÜ und der Rom I‑VO sei österreichisches Sachrecht anwendbar.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Gesetz- oder Sittenwidrigkeit der Treuhandbedingungen seien nicht nach österreichischem, sondern nach deutschem Recht, dem Vertragsstatut zu beurteilen (Artikel 10 Absatz 1 Rom I-VO, Artikel 8 Absatz 1 EVÜ). Im Übrigen seien die Treuhandverträge und die Kommanditgesellschaftsverträge so eng miteinander verzahnt, dass auch der Treuhandvertrag dem auf den Gesellschaftsvertrag anzuwendenden deutschen Recht unterliege. Die Beklagte habe alle vertraglich vereinbarten Dienstleistungen in Deutschland erbracht und in Österreich weder Niederlassung noch Betriebsstätte oder Mitarbeiter.

III. Bisheriges Verfahren

Das Erstgericht wendete österreichisches Recht an.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Es bezog sich auf die Entscheidung des EuGH vom 28. 7. 2016, C‑191/15, EU:C:2016:612 ( VKI/Amazon EU Sárl ). Es vertrat die Auffassung, die Prüfung der Gültigkeit der Rechtswahlklausel habe zwar nach deutschem Recht zu erfolgen, aber auch nach diesem Recht sei eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen missbräuchlich, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur deutsches Recht anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Rom I-VO und EVÜ auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre. Selbst für den Fall der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nach deutschem Recht hätte es zwar grundsätzlich zu einer Prüfung der übrigen Klauseln nach diesem Recht zu kommen, jedoch wäre dann weiters zu prüfen, ob dem Verbraucher Schutz gewährende zwingende Bestimmungen österreichischen Rechts der Anwendung deutschen Rechts bei der Beurteilung der Zulässigkeit der inkriminierten Klauseln entgegenstehen.

Der Oberste Gerichtshof hat über die Rekurse beider Parteien zu entscheiden. Die Beklagte macht zur Frage des anzuwendenden Rechts zum einen geltend, dass nach Artikel 1 Abs 2 lit e EVÜ und Artikel 1 Abs 2 lit f Rom I-VO diese Rechtsakte auf Fragen des Gesellschaftsrechts nicht anwendbar seien. Da die Gesellschafts- und die Treuhandverträge miteinander verzahnt seien, seien die Treugeber als Gesellschafter direkt in das Gesellschaftsverhältnis eingebunden; die Beklagte als Treuhänderin sei zum alleinigen Zweck der leichteren registerrechtlichen Handhabung der Gesellschafterstellung eingeschaltet. Damit sei aber das Gesellschaftsstatut maßgebend, welches sich sowohl nach österreichischem als auch nach deutschem Recht nach dem Sitz der Fonds beziehungsweise der Beklagten richte.

Zum anderen verweist die Beklagte auf Artikel 5 Abs 2 lit b EVÜ und Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I-VO; sie schulde als Treuhänderin die Wahrnehmung der Rechte eines Kommanditisten von deutschem Recht unterliegenden Gesellschaften mit Sitz in Deutschland, erbringe also Dienstleistungen.

Rechtliche Beurteilung

IV. Vorlagefragen

Zu den Fragen 1. und 2.:

1.  Der EuGH hat bereits klargestellt, dass im Verbrauchergeschäft eine nicht im Einzelnen ausgehandelte Rechtswahlklausel, die den Verbraucher nicht über die von Artikel 6 Abs 2 Rom I-VO vorgesehene Weitergeltung der zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen seines Heimatrechts aufklärt, missbräuchlich im Sinn des Artikel 3 Abs 1 Klausel-Richtlinie ist (28. 7. 2016, C‑191/15, EU:C:2016:612 [ VKI/Amazon EU Sárl ] Rz 71). Ob diese Rechtsprechung auch auf die hier verfahrensgegenständliche Rechtswahlklausel anwendbar ist, ist vor dem Hintergrund fraglich, dass Artikel 1 Abs 2 lit f Rom I-VO und der inhaltlich übereinstimmende Artikel 1 Abs 2 lit e EVÜ „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“ vom Anwendungsbereich der Rom I-VO und des EVÜ ausschließen.

Im vorliegenden Verfahren stellt sich deshalb die Frage, ob bei gegebenem Sachverhalt „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“ zu beurteilen sind. Dabei sind zwar nach einer Ansicht „schuldrechtliche Beteiligungen“ an einer Gesellschaft ebenso wie reine Innengesellschaften – etwa stille Gesellschaften – nicht von der Bereichsausnahme für das Gesellschaftsrecht erfasst und nach dem Schuldvertragsstatut zu beurteilen (vgl deutscher Bundesgerichtshof [BGH] II ZR 276/02 NJW 2004, 3706). Für Treuhandverträge soll aber das Gesellschaftsstatut einschlägig sein, wenn der Treugeber durch Gewährung unmittelbar ausübbarer Mitgliedschaftsrechte intensiv in das Gesellschaftsverhältnis eingebunden ist (vgl BGH II ZR 242/09 NZG 2011, 143, wonach bei enger „Verzahnung“ von Gesellschafts- und Treuhandvertrag der Treugeber wie ein unmittelbarer Gesellschafter zu behandeln ist; dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Treugeber – wie im vorliegenden Verfahren – dieselben Rechte und Pflichten wie unmittelbare Gesellschafter haben, die Einlage unmittelbar schulden und ihnen die [etwa steuerlichen] Vorteile eines Gesellschafters unmittelbar zukommen). Unter diesen Voraussetzungen könnte ein einheitliches Rechtsverhältnis vorliegen, dessen kollisionsrechtliche Zergliederung nicht angebracht ist.

Wendet man somit auch im vorliegenden Verfahren für den „eng verzahnten“ Treuhandvertrag das Recht am Gesellschaftssitz (somit deutsches Recht) an, hätte die hier beanstandete Rechtswahlklausel bloß deklarative Wirkung. Daher kann man der Ansicht sein, dass sich die Klausel nicht an den Vorgaben der vom EuGH entschiedenen Rechtssache VKI/Amazon EU Sárl messen lassen müsse. Dem lässt sich einwenden, dass die Rechtswahlklausel zu pauschal ist, weil die Bereichsausnahme der Artikel 1 Abs 2 lit e EVÜ und Artikel 1 Abs 2 lit f Rom I-VO nur Fragen, die „spezifische Probleme des Gesellschaftsrechts zum Gegenstand haben und sinnvollerweise einem einheitlichen Gesellschaftsstatut unterstehen sollten“ (vgl U. Magnus in Staudinger , BGB – EGBGB/IPR [2016] Art 1 Rom I-VO Rz 82). So wird in der Entscheidung des EuGH C-483/14 , EU:C:2016:205 ( KA Finanz AG/Sparkassen Versicherung AG Vienna Insurance Group ) Rz 50 ff, zwischen Gesellschaftsstatut und Schuldvertragsstatut differenziert (zum internationalen Zivilverfahrensrecht vgl EuGH 10. 9. 2015, C‑47/14, EU:C:2015:574 [ Holterman Ferho Exploitatie ua/Spies von Büllesheim ] Rz 50 ff).

Damit sind bereits Fragen aus dem Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und unmittelbarem Gesellschafter differenziert anzuknüpfen. Ist zusätzlich ein Treuhänder eingeschaltet, tritt zum Verhältnis „Gesellschafter-Gesellschaft“ noch das Verhältnis „Gesellschafter-Treuhänder“, das ebenfalls differenziert zu beurteilen sein wird, wenn sich Fragen stellen, die keine „Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht“ sind. Tatsächlich ist nämlich eine Vielzahl unterschiedlicher Ansprüche denkbar, so zunächst genuin gesellschafsrechtliche Fragen (etwa nach der unmittelbaren Außenhaftung des Treugebers [vgl BGH II ZR 242/09 NZG 2011, 1432]), aber auch gesellschaftsrechtlich geprägte Fragen (etwa nach der mittelbaren Haftung des Treugebers wegen seiner Freistellungsverpflichtung aus dem Treuhandvertrag) oder auch sonstige Fragen (etwa nach dem Vergütungsanspruch des Treuhänders oder nach vertraglichen Schadenersatzansprüchen des Treugebers). Gerade für letztere Ansprüche erscheint fraglich, ob der Zweck des Gesellschaftsstatuts, eine kollisionsrechtliche Zergliederung zu verhindern und Gläubiger und Anleger im Vertrauen auf die Schutzvorschriften des Ansässigkeitsstaats zu schützen sowie alle Gesellschafter gleich zu behandeln, auch für das privatautonom gestaltete Treuhandverhältnis greift. Schließlich sind auch Fälle der „Verzahnung“ denkbar, in denen – anders als im vorliegenden Fall – Treugeber und Treuhänder im selben Staat residieren, die Gesellschaft ihren Sitz aber in einem ganz anderen Staat hat.

Es ist daher zu klären, ob einzelne Ansprüche aus dem Treuhandvertrag – trotz dessen enger Verzahnung mit dem Gesellschaftsvertrag – nach dem Verbraucherstatut zu beurteilen sind. Dann würden für einzelne Fragen aus dem Treuhandverhältnis die Bestimmungen des Heimatrechts des Verbrauchers nach Artikel 6 Abs 2 Rom I-VO beziehungsweise Artikel 5 Abs 2 EVÜ weiter gelten. Da die Rechtswahlklausel dann aber mehr als bloß deklarative Wirkung hätte, würde sich die Frage stellen, ob die Klausel missbräuchlich ist, wenn sie den Verbraucher nicht über die Weitergeltung zwingender Normen seines Heimatrechts aufklärt.

Zu den Fragen 3. und 4.:

2.  Ist die unter 1. erörterte Bereichsausnahme im vorliegenden Fall nicht einschlägig oder hält man eine pauschale Rechtswahlklausel für missbräuchlich, weil einzelne Fragen aus dem Treuhandverhältnis am Verbraucherstatut anzuknüpfen sind, muss sich dieses Ergebnis wohl ändern, wenn das Verbraucherstatut gar nicht anwendbar ist. Dies wäre gemäß Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I‑VO beziehungsweise Artikel 5 Abs 4 lit b EVÜ der Fall, wenn die Dienstleistungen des Unternehmers „ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat“. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Dienstleistung auch dann im Verbraucherstaat „erbracht“ werden muss, wenn sich der Dienstleister zur Vertragserfüllung nicht in den Verbraucherstaat begeben muss, der Erfolgsort aber dort liegt.

Im vorliegenden Verfahren trifft den Unternehmer die Pflicht, Informationen über den Geschäftsverlauf an die Verbraucher sowie Ausschüttungen und sonstige Vermögenswerte weiterzuleiten. Da es sich bei letzteren um Geldschulden handelt, sind diese nach österreichischem Recht gemäß § 907a ABGB am Wohnsitz des Gläubigers zu erfüllen. Zwar sehen die verfahrensgegenständlichen Treuhandverträge als Erfüllungsort den Sitz der Treuhänderin vor, „soweit dies gesetzlich zulässig vereinbart werden kann“. Die Formulierung „soweit gesetzlich zulässig“ ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber intransparent, sodass die Klausel unwirksam ist. Daher bleibt Erfolgsort für die Geldschuld der Wohnsitz des Verbrauchers. Auch nach deutschem Recht sind sogenannte „salvatorische Klauseln“, wonach eine Vereinbarung „soweit gesetzlich zulässig“ gelten soll, gemäß § 305 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unzulässig (BGH VIII ZR 295/79 NJW 1981, 867; BGH XI ZR 214/14); selbst wenn man die Wirksamkeit der Klausel nach deutschem Recht beurteilt, ist deshalb gemäß § 270 BGB Erfolgsort bei Geldschulden der Wohnsitz des Gläubigers. Demgegenüber sieht § 270 Abs 4 in Verbindung mit § 269 BGB vor, dass der Leistungsort am Sitz des Geldschuldners liegt. Auch nach § 907a Abs 2 ABGB darf eine Geldleistung per Banküberweisung erfolgen.

Es stellt sich somit die Frage, ob eine Dienstleistung auch dann im Sinn des Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I‑VO beziehungsweise des Artikel 5 Abs 4 lit b EVÜ im Verbraucherstaat „erbracht“ werden muss, wenn sie „aus der Distanz“ zu erbringen ist, wenn also Leistungs- und Erfolgsort auseinanderfallen. Der Wortlaut legt dieses Verständnis nahe (arg „ausschließlich“), sodass die Ausnahmevorschrift der Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I‑VO bzw Artikel 5 Abs 4 lit b EVÜ nicht eingriffe, wenn Dienstleistungen vom Ausland aus in das Inland oder im Internet erbracht werden. Schon die Pflicht zur Überweisung in den Verbraucherstaat könnte genügen.

3. Ist diese Frage zu bejahen, stellt sich die Frage, ob sich dieses Ergebnis wiederum ändert, wenn weitere Leistungen tatsächlich im Verbraucherstaat erbracht werden, obwohl dazu keine Verpflichtung bestand. Es ist nämlich nicht klar, ob es für die Anwendbarkeit der Ausnahmevorschrift auch auf den faktischen Ort der Leistungserbringung oder nur auf die Verpflichtung zur Leistungserbringung ankommt. Im vorliegenden Fall geht es etwa um die Errichtung einer Zahlstelle im Verbraucherstaat und die Entgegennahme von Zeichnungserklärungen.

Fraglich ist dabei weiters, ob auch vorvertragliche Leistungen im Verbraucherstaat – wie das Entgegennehmen der Zeichnungserklärung – der Anwendung der Ausnahmevorschrift der Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I-VO beziehungsweise Artikel 5 Abs 4 lit b EVÜ entgegenstehen.

Gegen die Berücksichtigung vorvertraglicher Leistungen kann eingewendet werden, dass die Ausnahmevorschrift der Artikel 5 Abs 4 lit b EVÜ beziehungsweise des Artikel 6 Abs 4 lit a Rom I-VO überhaupt erst zur Anwendung komme, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in irgendeiner Form auf den Verbraucherstaat „ausrichtet“ (Artikel 6 Abs 1 lit b Rom I-VO beziehungsweise Artikel 5 Abs 2 EVÜ). Artikel 5 Abs 2 EVÜ lasse es dafür ausdrücklich genügen, dass der Verbraucher in seinem Aufenthaltsstaat die „zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat“ oder dass der Unternehmer oder sein Vertreter „die Bestellung des Verbrauchers in diesem Staat entgegengenommen“ haben. Der Begriff „Dienstleistungen“ in Artikel 6 Rom I-VO beziehungsweise Artikel 5 EVÜ meine die vertragliche Hauptleistungspflicht des Unternehmers, aber nicht vorvertragliche Pflichten.

VI. Verfahrensrechtliches

Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen – wie im Einzelnen bereits dargestellt – hier vor. Bis zur Entscheidung des EuGH ist das Verfahren über das Rechtsmittel der Beklagten zu unterbrechen.

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