OGH 6Ob513/83

OGH6Ob513/8312.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Adolf T***** und 2. Elisabeth T*****, beide vertreten durch Dr. Werner Thurner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 14. Jänner 1981 verstorbenen Karoline M*****, vertreten durch die Verlassenschaftskuratorin Brigitta U*****, diese vertreten durch Dr. Kurt Mathias, Rechtsanwalt in Graz, wegen Aufkündigung, infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 7. Dezember 1982, GZ 3 R 369/82-38, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 5. Oktober 1982, GZ 5 C 63/81-35, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Karoline M***** war bis zu ihrem Tode am 14. 1. 1981 Hauptmieterin einer aus Küche und vier Zimmern samt Nebenräumlichkeiten bestehenden Wohnung in dem den beiden Klägern gehörenden Haus G*****.

Die Kläger kündigten am 10. 2. 1981 der Verlassenschaft nach Karoline M***** das Mietverhältnis unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 Abs 2 Z 11 MG gerichtlich auf und führten aus: Brigitta U***** sei nicht eintrittsberechtigt, weil die verstorbene Mieterin im Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrags nicht geschäftsfähig gewesen sei. Außerdem habe kein gemeinsamer Haushalt zwischen den beiden Personen bestanden.

Die Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung und die Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein: Brigitta U***** sei von Karoline M***** an Kindes statt angenommen worden und habe mit ihr im gemeinsamen Haushalt gelebt.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es ging im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Aufgrund einer am 1. 3. 1978 eingebrachten Kündigung, gegen welche Karoline M***** keine Einwendungen erhoben hatte, wurde das gegenständliche Bestandobjekt am 29. 5. 1978 zwangsweise geräumt. Über Antrag der Karoline M***** und der Brigtitta U***** wurde der zwischen diesen beiden am 13. 9. 1978 geschlossene Adoptionsvertrag mit Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. 9. 1978 bewilligt. Zum Zeitpunkt des Adoptionsvertragsabschlusses war Karoline M***** aufgrund von Abbauerscheinungen nur mehr in der Lage, einfache, täglich wiederkehrende Vorgänge zu erfassen. Mit dem Adopitionsvertrag wollte sie sich in Zukunft versorgt wissen. Am 2. 11. 1978 erhob Karoline M***** eine Klage auf Nichtigerklärung des Kündigungsverfahrens, welchem Begehren mit Urteil vom 24. 1. 1980 rechtskräftig stattgegeben wurde, weil Karoline M***** als nicht prozessfähig angesehen wurde. Ein gegen Karoline M***** eingeleitetes Entmündigungsverfahren wurde am 25. 8. 1980 eingestellt. Über Wunsch der Verstorbenen zog Brigitta U***** mit ihrem Gatten, den Karoline M***** schon längere Zeit als Arbeitnehmer des Pflastereiunternehmens ihres Mannes gekannt hat; und ihrem Sohn in die von Karoline M***** gemietete Wohnung. Schon vorher hatte Karoline M***** wegen Vermietung einiger Zimmer einen Raum als Kochnische ausgebaut. Anfangs bezahlte die Familie U***** für die Mitbenützung der gesamten Wohnung 500 S monatlich an Karoline M*****. Nach der Delogierung zog die Familie U***** wieder in das Bestandobjekt ein, wobei Brigitta U***** Karoline M***** versorgte, zuletzt vor deren Überstellung in verschiedenen Genesungs- bzw Erholungsheime sogar ständig betreuen und pflegen musste. Karoline M***** war hilfsbedürftig und benützte einen Raum als Schlafraum.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass Brigitta U***** als Wahlkind der Mieterin iSd § 19 Abs 2 Z 11 MG eintrittsberechtigt sei. Die Frage der Geschäftsfähigkeit der Karoline M***** bei Abschluss des Adoptionsvertrags sei aufgrund der Rechtskraft dieses Beschlusses einer weiteren Prüfung entzogen. Ein gemeinsamer Haushalt mit der verstorbenen Mieterin sei gegeben gewesen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil infolge Berufung der Kläger auf und verwies die Rechtssache zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei und führte aus: Das Adoptionsrecht beruhe auf der Vertragskonstruktion. Der Adoptionsvertrag komme durch Abgabe eines Versprechens und dessen Annahme zustande. Die Annahme an Kindes statt werde mit der gerichtlichen Bestätigung wirksam. Das Gesetz sehe einen Widerruf der gerichtlichen Adoptionsbewilligung, dem rückwirkende Kraft zukomme, und eine Aufhebung der Wahlkindschaft, die nur für die Zukunft wirke, vor. § 185a ABGB verbiete Widerruf und Aufhebung aus anderen als den im Gesetz angeführten Gründen, sowie eine vertragliche Einigung oder einen Rechtsstreit über die Anfechtung des Annahmevertrags. Es wäre daher jede Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen, die ein diesbezügliches Begehren enthielte. Auch die Geltendmachung eines diesbezüglichen Umstands durch Einrede sei unzulässig. Als „Anfechtung“ werde jede (Geltendmachung einer) Nichtigkeit des Adoptionsvertrags angesehen. Von außenstehende dritten Personen könne die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Adoptionsvertrags klage- oder einredeweise überhaupt nicht geltend gemacht werden. Die Wahlkindschaft habe mit der Ehe viele Gemeinsamkeiten und es dürfte in einem „gewöhnlichen Zivilprozess“ die Gültigkeit der Ehe nicht als Vorfrage beurteilt werden. Wende man diese Rechtsansicht auf den gegenständlichen Fall an, so ergebe sich, dass der Standpunkt des Erstgerichts hinsichtlich der Gültigkeit der Adoption frei von Rechtsirrtum sei. Die Frage der Geschäftsunfähigkeit der Karoline M***** im Zeitpunkt des Abschlusses des Adoptionsvertrags und die daraus abgeleitete Unwirksamkeit dieses Vertrags könne von den Klägern im vorliegenden Prozess nicht geltend gemacht werden. Auszugehen sei somit von einem bestehenden Adoptionsvertrag. Brigitta U***** gehöre daher als Wahlkind zum Kreis der im § 19 Abs 2 Z 11 MG angeführten eintrittsberechtigten Personen. Dass Brigitta U***** ihren Lebensschwerpunkt in der aufgekündigten Wohnung habe, die ihrem dringenden Wohnungsbedürfnis diene, sei im Berufungsverfahren nicht strittig. Die bisher getroffenen Feststellungen des Erstgerichts tatsächlicher Art bezüglich des Zusammenlebens der Streitteile seien unbedenklich. Sie reichten für eine abschließende rechtliche Beurteilung der Sache aber aus folgenden Gründen nicht aus: Es treffe zu, dass die Pflege eines erkrankten Mieters durch einen nahen Angehörigen noch keinen gemeinsamen Haushalt iSd § 19 Abs 2 Z 11 MG schaffe, wenn das Zusammenleben nicht über die bloße Pflege hinausgehen und nicht auf Dauer berechnet sei. Unter einem gemeinsamen Haushalt sei nach ständiger Rechtsprechung eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen, die eine gewisse Zeit hindurch ununterbrochen bis zum Zeitpunkt des Todes des Mieters bestanden habe und auf Dauer berechnet gewesen sei. Ferner komme es darauf an, dass der nahe Angehörige (in den Ausfertigungen der zweitinstanzlichen Entscheidung heißt es abweichend von der Urschrift unrichtig „neue Angehörige“) seinen Lebensschwerpunkt in der aufgekündigten Wohnung gehabt habe. Unterbrechungen des Zusammenlebens, wie Krankenhausaufenthalt und Pflegeaufenthalte, hinderten die Annahme des Fortbestands des gemeinsamen Haushalts nicht. Es sei bisher aber noch nicht festgestellt worden, ob Brigitta U***** nach ihrem zweiten Einzug in die Wohnung (wann?) Wohnungskosten bezahlt habe und bejahendenfalls welchen Anteil. Ungeklärt sei auch, auf welche Weise sie die hilfsbedürftige Mieterin versorgt, ständig gepflegt und betreut habe (Kochen, Waschen, Bügeln, Einkaufen, andere Besorgungen usw), seit wann und in welcher Art Karoline M***** hilfsbedürftig gewesen sei. Es fehlten Feststellungen, in welchen Genesungs- bzw Erholungsheimen sich die Verstorbene in welchen Zeiten aufgehalten habe. Es sei nicht geklärt, ob bei ihren Aufenthalten in der Wohnung ein gemeinsames Wirtschaften vorgelegen sei, ob unter Heranziehung gemeinsamer finanzieller Mittel (Einkommensverhältnisse der Verstorbenen und der Brigitta U*****) die Bedürfnisse des täglichen Lebens gemeinsam befriedigt worden seien, ob die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen worden seien und ob die Freizeit gemeinsam gestaltet worden sei. Es seien alle Umstände der Gestaltung des täglichen Lebensablaufs beider Personen - soferne sich die Karoline M***** nicht in Kranken- oder Pflegeanstalten aufgehalten habe - zu prüfen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Kläger ist nicht berechtigt.

Die Kläger wenden sich nicht mehr gegen die Auffassung der Vorinstanzen, dass nur die Parteien eines Adoptionsvertrags diesen anfechten und seine Nichtigkeit geltend machen könnten. Sie meinen aber, es fehle an der Wirksamkeit des Adoptionsvertrags, weil der gerichtliche Bestätigungsbeschluss nur scheinbar, nicht aber materiell rechtskräftig sei. Die Zustellung des Bestätigungsbeschlusses sei nämlich infolge Geschäftsunfähigkeit der Karoline M***** nicht wirksam gewesen.

Auch damit ist für die Kläger nichts zu gewinnen. Ebensowenig wie die Kläger den Adoptionsvertrag oder den die Adoption bewilligenden Beschluss anfechten können, steht ihnen das Recht zu, mit dem Hinweis auf die Geschäftsunfähigkeit der Wahlmutter im Zeitpunkt der Zustellung die Unwirksamkeit der erfolgten Zustellung des Bewilligungsbeschlusses und die fehlende Rechtskraft desselben geltend zu machen.

Die Kläger meinen weiter, es ergebe sich schon aus den Feststellungen des Erstgerichts, dass keine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Karoline M***** und Brigitta U***** vorgelegen sei. Dabei übersehen sie, dass der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, Aufträgen des Berufungsgerichts zur Ergänzung der Tatsachenfeststellungen nur entgegentreten könnte, wenn sie aus einer irrigen Rechtsansicht heraus erteilt und bei richtiger rechtlicher Beurteilung der Sache entbehrlich wären, weil sie ohne jeden Einfluss auf die zu treffende Entscheidung wären. Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein, weil es für die Beurteilung, ob ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften durch eine gewisse Zeit hindurch ununterbrochen bestanden hat und auf Dauer berechnet gewesen ist, auf die Umstände des Einzelfalls und damit auf vielfältige Möglichkeiten ankommt.

Dem insgesamt unberechtigten Rekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.

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