OGH 6Ob504/90

OGH6Ob504/908.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Markus H***, geboren 8. September 1978, in teilweiser Obsorge der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen als Jugendwohlfahrtsträger, infolge Revisionsrekurses der Eltern Florian H***, Staplerfahrer und Angela H***, Hausfrau, beide 2733 Grünbach, Rosenthal 21, beide vertreten durch Dr. Robert B***, öffentlicher Notar in Aspang-Markt, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 5. Dezember 1989, GZ R 486/89-17, womit der Rekurs der Eltern gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 2. Oktober 1989, GZ P 116/89-13, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird behoben und dem Rekursgericht eine Entscheidung in der Sache selbst aufgetragen.

Text

Begründung

Über Antrag der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen-Jugendabteilung wurde mit Beschluß vom 10. August 1989 die am 5. Juni 1989 vorgenommene Unterbringung des mj. Markus H*** im Landesjugendheim Pottenstein gemäß § 26 Abs 2 JWG 1954 pflegschaftsbehördlich genehmigt und die gesetzliche Erziehungshilfe bis 30. Juni 1989 angeordnet. Ab 1. Juli 1989 wurde gemäß dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz diese Maßnahme als Teilentziehung der Obsorge gemäß § 176 a ABGB aufrechterhalten, den Eltern Florian und Angela H*** die Obsorge im Teilbereich Pflege und Erziehung entzogen und dem Bezirksjugendamt Neunkirchen als dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen. In der Begründung wurde ausgeführt, massiv aufgetretene Erziehungsschwierigkeiten, vor allem im schulischen Bereich, machten eine - weitere - Unterbringung des Kindes in der geschützten und fachkundigen Umgebung des Niederösterreichischen Landesjugendheimes Pottenstein im Interesse einer gedeihlichen Weiterentwicklung des Minderjährigen auch gegen den Widerspruch der Eltern, die überdies vor einer exekutiven Räumung ihrer Wohnung stünden, erforderlich. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.

Am 7. September 1989 beantragten die Eltern, den Vollzug der mit dem oben genannten Beschluß gesetzten Maßnahme auszusetzen, weil derzeit kein Anlaß bestehe, den mj. Markus im Landesjugendheim Pottenstein unterzubringen. Der Minderjährige besuche seit 6. September 1989 die Hauptschule in Winzendorf, durch den Schulwechsel seien die Schulprobleme zumindest vorläufig beendet. In weiterer Folge beantragte der Vater, den Beschluß vom 10. August 1989 aufzuheben, und brachte dazu vor, seine Ehegattin und er seien mit der Erziehung im Landesjugendheim Pottenstein nicht zufrieden, sie könnten sich dieses Heim auch finanziell nicht leisten. Es sei im Sinne ihres Sohnes, daß dieser in einer Ganztagshauptschule untergebracht werde und im übrigen mit seinen Eltern und Geschwistern aufwachse. Dies entspreche auch dem Wunsch des Kindes, das bei seinen beiden Brüdern bleiben und auch Kleintiere, von denen es sich nur schwer trenne, betreuen möchte. Es entspreche nicht dem Wohl des Kindes, dieses von seiner Familie zu trennen. Wegen einer in naher Zukunft stattfindenden Delogierung könne die Familie nicht in Neunkirchen bleiben. Die Eltern versuchten aber, ihren Sohn in einer Ganztagsschule unterzubringen, die Kosten hiefür könnten sie aufbringen, wenn die Gemeinde sie nicht übernehme.

Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen äußerte sich zu den Anträgen der Eltern ablehnend, es bestehe kein Anlaß die vorgenommene Unterbringung des Minderjährigen im Niederösterreichischen Landesjugendheim Pottenstein wieder abzubrechen. An den Umständen, die zur Unterbringung des Minderjährigen in diesem Heim geführt hätten, habe sich nichts geändert.

Mit Beschluß vom 2. Oktober 1989 stellte das Erstgericht in Punkt 1. fest, daß der Antrag der Eltern, den Vollzug der mit Beschluß vom 10. August 1989 rechtskräftig angeordneten Heimerziehung des Minderjährigen aufzuschieben, durch Zeitablauf überholt und daher einer ordnungsgemäßen Erledigung nicht mehr zuzuführen sei, und wies im Punkt 2. den weiteren Antrag der Eltern, den Teilentzug der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung aufzuheben, ab. Es begründete seine Entscheidung damit, daß die Überstellung des Kindes in das Landesjugendheim Pottenstein am 8. September 1989 durchgeführt und der Antrag der Eltern auf Aufschiebung dieser Maßnahme durch Zeitablauf daher überholt sei. Zur Behebung der vorliegenden Erziehungsmängel, vor allem im schulischen Bereich, sei es im Interesse des Kindes notwendig, es einer gezielten kontinuierlich verlaufenden Ausbildung zuzuführen. Dies geschehe seit 8. September 1989 durch besonders geschulte Fachkräfte im Rahmen der Heimunterbringung. Eine Unterbrechung und damit ein neuerlicher Schulwechsel diene nicht dem Wohl des Kindes. Dazu komme, daß die Eltern vor der Delogierung stünden, und daher möglicherweise ein weiterer Schulwechsel bevorstehen könnte. Gegen diesen Beschluß erhoben die Eltern Rekurs wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben und dem Antrag auf Aufhebung der gerichtlich angeordneten Entziehung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung stattzugeben.

Das Rekursgericht hat diesen Rekurs zurückgewiesen. Es führte aus, der Rekurs richte sich inhaltlich zur Gänze gegen den Beschluß des Erstgerichtes vom 10. August 1989, mit welchem den Eltern die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung entzogen und dem Bezirksjugendamt Neunkirchen übertragen worden sei. Dieser Beschluß sei in Rechtskraft erwachsen. Auch im Verfahren Außerstreitsachen müsse von einem Rechtsmittel, das die Überprüfung einer Entscheidung im Instanzenzug anstrebe, verlangt werden, daß aus dem Inhalt hervorgehe, wogegen sich der Rechtsmittelwerber wende. Aus dem Inhalt des Rechtsmittels sei nicht zu erkennen, aus welchen Gründen die nunmehr angefochtene Entscheidung bekämpft werde, worin die Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung gelegen sein solle. Es fehle dem Rekurs der notwendige Inhalt, sodaß er zurückzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs ist zulässig (SZ 23/87 ua), er ist auch berechtigt.

Im Rekursverfahren sind an die Rechtsmittelerfordernisse weniger strenge Anforderungen zu stellen als im Berufungs- und Revisionsverfahren. Dies gilt ganz besonders für die nach den Bestimmungen des Verfahrens Außerstreitsachen zu beurteilenden Rechtsmittel, weil dieses Verfahren strengen Formerfordernissen ganz allgemein nicht jene Bedeutung zumißt, wie die Zivilprozeßordnung. Der Rekurs der Eltern bezeichnet bestimmt, sogar unter Anführung des Inhaltes des Spruches, die angefochtene Entscheidung, den Beschluß vom 2. Oktober 1989. Er enthält einen bestimmten Rekursantrag - dem Antrag der Eltern auf Aufhebung der gerichtlich angeordneten Entziehung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung stattzugeben - und bezeichnet auch die Rekursgründe - Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung. In den Rekursausführungen wird zunächst in gedrängter Form der Akteninhalt vom ersten Antrag der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen auf Genehmigung der gegen den Willen der Eltern vorgenommenen Unterbringung des Minderjährigen im Landesjugendheim Pottenstein bis zur teilweisen Entziehung der elterlichen Rechte dargestellt. Wenn auch die folgenden Rechtsausführungen zu § 176 und § 176 a ABGB sich zunächst dagegen wenden, daß eine solche Entziehung nach dem Gesetz überhaupt nicht statthaft gewesen wäre, so kann doch nicht übersehen werden, daß auch das Erstgericht sich zur Begründung des angefochtenen Beschlusses zunächst nur auf die im Akt erliegenden, vor der Entziehung liegenden Stellungnahmen bezogen hat. Zu der weiteren Begründung der Abweisung des Antrages, es drohe eine Delogierung, brachten die Rekurswerber unter Vorlage einer Bestätigung des Vermieters vor, daß sie nunmehr eine Wohnung in 2733 Grünbach, Rosenthal 21 gemietet hätten, die Frage der Familienwohnung sich daher erübrige. Ausdrücklich als Verfahrensmangel wurde gerügt, das Erstgericht habe die im Antrag auf Aufhebung der gerichtlich angeordneten teilweisen Entziehung der elterlichen Rechte enthaltenen Argumente - hier wurde immerhin vorgebracht, das Kind wolle bei der Familie sein, es habe Kleintiere, die es betreuen möchte und leide unter der Trennung - in keiner Weise berücksichtigt. Der Minderjährige sei, obwohl er das 10. Lebensjahr schon vollendet habe, vom Pflegschaftsgericht nicht gehört worden, es hätte auch ein kinderpsychiologischer Sachverständiger beigezogen werden müssen. Diese Mängelrügen lassen sich auch auf das Verfahren über den gestellten Antrag auf Aufhebung der getroffenen Maßnahme (welches sich in der Einholung einer Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen erschöpfte) beziehen. Bei der weitgehenden Formfreiheit von Rekursen im Außerstreitverfahren kann nach dem Gesagten daher keineswegs davon ausgegangen werden, daß das dem Rekursgericht vorliegende Rechtsmittel den Mindesterfordernissen für eine Sachentscheidung nicht entsprochen hätte. Die Zurückweisung des Rekurses der Eltern erfolgte daher zu Unrecht und das Rekursgericht wird nunmehr eine Entscheidung in der Sache selbst zu fällen haben.

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