Normen
HGB §377
HGB §377
Spruch:
Keine Untersuchungspflicht nach § 377 Abs. 1 HGB. bei Lieferung von zum Weiterverkauf in der Originalpackung bestimmten Waren.
Entscheidung vom 21. Dezember 1960, 6 Ob 411/60.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Dr. Otto T., der Beklagte, vertrat im Jahr 1958 für ganz Österreich die dänische Firma J. & Co., welche sich mit dem Vertrieb von M.- Telefonverstärkern befaßt, die von der Radiofabrik A. erzeugt werden. Mit gleichlautenden Verträgen, bei deren Abschluß er durch den von ihm bevollmächtigten Verkaufsleiter der Firma J. & Co. namens F. vertreten wurde, überließ er am 17. Juli 1958 dem Erstkläger und am 18. Juli 1958 dem Zweitkläger die Generalvertretung und das Alleinverkaufsrecht für das Gebiet von Oberösterreich bzw. von Salzburg und Niederösterreich. Gleichzeitig verkaufte er den beiden Klägern je 36 M.-Telefonverstärker um Preis von 1500 S pro Stück. Von den Bestimmungen dieser Verträge sind folgende Punkte besonders erwähnenswert:
"1. Der M.-Telefonverstärker wird in einem kompletten Satz ... geliefert, bestehend aus dem Gehäuse mit der gesamten Verstärkeranlage, die durch Anschluß an gewöhnlichen Steckkontakt ... betrieben wird ..., ferner aus dem Lautsprecher mit Zuleitungsanschluß, verpackt in einer solchen Weise, daß der Weiterversand ohne Umpacken stattfinden kann.
5. Jedem M.-Telefonverstärker liegt eine schriftliche sechsmonatige Garantieerklärung bei, die sowohl die Radioröhren, Konstruktionsfehler als auch die Betriebssicherheit einschließt und vom Verkaufsdatum des Generalvertreters an gerechnet wird.
Der M.-Telefonverstärker ist ein sehr robuster und betriebssicherer Apparat, und ein Service wird daher nur in wenigen Ausnahmefällen notwendig sein. Die eventuellen Kosten hiefür werden für die Dauer der Garantiezeit 100%ig von der Firma Dr. T. getragen, die dem Generalvertreter dessen Auslagen im Fall einer Reparatur ersetzt.
11. Sofern die Firma Dr. T. den Vertrag kundigt oder in wesentlichen Punkten gegen ihn verstößt, ist sie verpflichtet, die beim Generalvertreter befindlichen Apparate zu dem vollen Rechnungsbetrag zurückzukaufen ..." Die von den beiden Klägern gekauften Geräte wurden ihnen vom Beklagten einige Tage nach Vertragsabschluß unter Einziehung der Fakturenbeträge von je 45.000 S mittels Nachnahme geliefert.
Mit den vorliegenden, am 9. Dezember 1958 überreichten und zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen belangten die beiden Kläger den Beklagten auf "Rückkauf" der noch bei ihnen befindlichen Apparate und "Zahlung des Kaufpreises", und zwar der Erstkläger ursprünglich in Ansehung von 22 Apparaten bzw. 33.000 S, schließlich in Ansehung von 24 Apparaten bzw. 36.000 S, der Zweitkläger in Ansehung von 28 Apparaten bzw. 42.000 S, je samt Anhang. Sie grundeten den Klagsanspruch u. a. darauf, daß der Beklagte die eingeklagten Beträge aus dem Rechtsgrund der Gewährleistung bzw. wegen listiger Irreführung rückzuzahlen habe. Sie brachten hiezu vor, F. habe ihnen bei Vertragsabschluß zugesagt, daß das Gerät einwandfrei funktioniere, daß es in Österreich zum Patent angemeldet worden sei und daß in Österreich keine anderen Apparate dieser Art auf den Markt kämen. Er habe ihnen das Gerät in einem Hotel in L. auch zur Probe vorgeführt, und zwar auf eine Art und Weise, daß anzunehmen gewesen sei, es funktioniere. Nachträglich habe sich aber herausgestellt, daß alle Zusagen unrichtig gewesen seien. Telefonverstärker würden auch in Österreich erzeugt und auf den Markt gebracht. Der M.-Telefonverstärker sei in Österreich nicht zum Patent angemeldet worden. Die Apparate seien unbrauchbar, da die Möglichkeit der Verständigung mit den Gesprächspartnern schlecht sei. Es hätten nur einige Gefälligkeitsverkäufe getätigt werden können.
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung der eingeklagten Beträge samt Anhang Zug um Zug gegen Rücklieferung der bei den Klägern noch befindlichen Geräte.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstrichters mit der Begründung, daß die Kläger nach dem Ergebnis der Probevorführung darauf vertrauen durften, es sei ihnen ein Gerät zum Kauf angeboten worden, welches im Orts- und im Fernverkehr eine im wesentlichen von Störungen freie, deutliche, der Natur der Sache und den Verkehrsbedürfnissen entsprechende Verwendung gestatten werde. Diese Eigenschaften fehlten dem Gerät, weil die im Verfahren festgestellte übermäßige Pfeifneigung, die Behinderung bei Gesprächen im Ortsverkehr und die gänzliche Unverwendbarkeit bei Gesprächen im Fernverkehr den ordentlichen Gebrauch der Sache verhinderten. Diese Mängel seien unbehebbar. Die Kläger hätten ihren auf § 377 HGB. beruhenden Verpflichtungen entsprochen, und zwar habe der Erstkläger bereits mit Schreiben vom 28. Juli 1958 die Pfeifneigung angezeigt, woran nichts ändere, daß dies in der Form einer Anfrage um Ratschläge für die gehörige Bedienung der Geräte erfolgt sei. Der Zweitkläger habe dem Beklagten nach Eingang von Kundenreklamationen mit Schreiben vom 21. August 1958 den wesentlichen und unbehebbaren Mangel, daß der andere Gesprächsteilnehmer meist sehr schlecht höre, bekanntgegeben. Es sei dabei in Betracht zu ziehen, daß es sich bei den Klägern um Nichtfachleute handle, für welche die Mängel nicht sofort als Konstruktionsmängel erkennbar gewesen seien. Von einer Genehmigung der Ware durch die Kläger könne nicht gesprochen werden. Auf die Frage, ob dem Beklagten arglistiges Vorgehen seines Bevollmächtigten F. angelastet werden könne, habe nicht eingegangen werden müssen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist davon auszugehen, daß die Bestimmungen des § 377 HGB. nicht zwingendes Recht, sondern dispositiver Natur sind. Dies wirkt sich auch im vorliegenden Fall aus, weil die eingangs wörtlich wiedergegebenen Bestimmungen der Punkte 1 und 5 der von den Streitteilen geschlossenen Verträge nach den Gewohnheiten redlichen Verkehrs nur dahin verstanden werden konnten, daß die Kläger die M.- Telefonverstärker originalverpackt weiterverkaufen sollten, also selbst zunächst gar nicht zu untersuchen brauchten. Die Rügepflicht der Kläger wurde damit vertraglich zunächst dahin beschränkt, daß nach dem Weiterverkauf der Geräte etwaige Bemängelungen der Abnehmer von den Klägern an den Beklagten weiterzuleiten waren. Daß die Vereinbarungen der Streitteile in diesem Sinn zu verstehen waren, ergibt sich nicht nur aus der Überlegung, daß die Abnehmer solcher neuartiger, komplizierter und empfindlicher Geräte in aller Regel Wert darauf legen werden, tatsächlich fabriksneue und darum noch originalverpackte Apparate geliefert zu bekommen, sondern auch daraus, daß die Intensität der Störungen und damit das Ausmaß der Verwendbarkeit nach der Aktenlage wenigstens zum Teil auch von der Art der Verwendung im einzelnen Betrieb (zum Nahsprechverkehr oder Fernsprechverkehr) und von den sonstigen Verhältnissen an Ort und Stelle, also von dem Ergebnis der praktischen Erprobung durch den einzelnen Teilnehmer am Sprechverkehr abhängt.
Wenn nun die beiden Kläger dessenungeachtet mit den ihnen vom Beklagten gelieferten Geräten oder wenigstens mit einigen von ihnen vor der Absetzung derselben an die Einzelabnehmer Funktionsproben unternahmen und dabei auf Verständigungsschwierigkeiten wegen des Pfeifens bzw. wegen zu geringer Lautstärke kamen - die Vornahme solcher Funktionsproben wurde zwar nicht förmlich festgestellt, ergibt sich aber aus den Parteienvernehmungen und bezüglich des Erstklägers sinngemäß auch aus seinem Schreiben an den Beklagten vom 28. Juli 1958 -, so kann der Beklagte unter diesen Umständen keinesfalls eine Verletzung der Rügepflicht der Kläger in Ansehung der diesen gelieferten Geräte in ihrer Gesamtheit daraus ableiten, daß der Erstkläger zunächst um Ratschläge für die Aufstellung der Geräte unter Hinweis auf seinen Mangel an Erfahrung ersuchte und daß der Zweitkläger wenigstens die ersten Ergebnisse der Erprobung der Geräte bei den Abnehmen abwartete.
Jedenfalls hat der Zweitkläger dem Beklagten in der Folge bereits am 21. August 1958 geschrieben: "Der Absatz dieser Geräte, der grundsätzlich schon auf Interesse stoßen würde, ist aber dadurch sehr erschwert, daß der gegenüberliegende Gesprächsteilnehmer meist sehr schwer hört. Es müßte also auch für die eigene Stimme noch eine Verstärkeranlage eingebaut werden." Den Unterinstanzen ist darin beizupflichten, daß dies als ausreichende Mängelrüge angesehen werden kann.
Was den Erstkläger betrifft, steht fest, daß er dem Beklagten am 28. Juli 1958 u. a. folgendes schrieb: "... Auch wären einige Ratschläge für die Aufstellung der M.-Telefonverstärker (Pfeifen, verschiedene Hörermuscheln usw.) für uns von großem Vorteil, da wir darüber über keine Erfahrung verfügen."
Es ist allerdings nicht festgestellt worden, daß der Erstkläger nach Erhalt des Schreibens der Firma B.-Werke vom 9. September 1958 und des Schreibens des L.-Amtes vom 2. Oktober 1958 den Inhalt dieser Schreiben ebenso unverzüglich an den Beklagten weitergeleitet hätte, wie es dann - nach Beginn des vorliegenden Prozesses - mit dem (ihm anscheinend am 29. Jänner 1959 zugekommenen) Schreiben der St.-Werke vom 21. Jänner 1959 der Fall war. Die B.-Werke machten in ihrem Schreiben Mitteilung, daß verschiedene Versuche ergeben hätten, die Verständigung sei derart undeutlich, daß es nicht zweckmäßig erscheine, das Gerät in laufende Verwendung zu nehmen. Das L.-Amt sprach allgemein von gewissen technischen Mängeln, die eine Einführung des Gerätes nicht vertretbar erscheinen ließen, insbesondere so lange nicht, als die benützten Sprechgeräte (gemeint Telefonapparate) mit dem M.-Telefonverstärker formmäßig nicht vollkommen übereinstimmten.
Der Beklagte vermochte bei seiner Parteienvernehmung nicht anzugeben, er habe dem Erstkläger die erbetenen Ratschläge über die Aufstellung der Geräte zur Vermeidung des Pfeifens erteilt. Er hat sich offensichtlich um die Sache nicht mehr gekümmert. Das hat aber zur Folge, daß er das unter Hinweis auf das Pfeifen des Gerätes und die Verschiedenheit der Telefonhörermuscheln gestellte Ersuchen des Erstklägers um Ratschläge für die Aufstellung der Geräte nach Treu und Glauben als Mängelanzeige gelten lassen muß. Nach den Gewohnheiten redlichen Verkehrs mußte er die Anfrage des Erstklägers dahin verstehen, dieser sehe erst bei Behebung der von ihm wahrgenommenen Verwendungsschwierigkeiten die den Beklagten als Verkäufer treffenden Vertragspflichten als erfüllt an. Nach den Gewohnheiten redlichen Verkehrs konnte der Beklagte nicht im Zweifel darüber sein, daß der Erstkläger eine andere Form der Mängelrüge gewählt hätte, wenn er nicht eine Beantwortung seines Ersuchens um Beratung vorausgesetzt hätte. Wollte der Beklagte nach seinem eigenen Schweigen auf das Ersuchen des Erstklägers um Beratung wegen Behebung der Verwendungsschwierigkeiten darauf beharren, dieser hätte ihm noch gesondert den Inhalt der Schreiben der B.-Werke und des L.-Amtes weiterleiten müssen, müßte dies als schikanös angesehen werden (vgl. dazu Baumbach - Duden, Kurzkommentar zum HGB., 13. Aufl. zu §§ 377, 378 unter 1 G).
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