Spruch:
Haftung des Gastwirtes für den durch das Fehlen eines Handlaufes entlang der Stiege verursachten Schaden.
Zulässigkeit eines Zwischenurteiles nur, wenn die Berechtigung jedes Anspruches wenigstens zum Teil feststeht.
Entscheidung vom 11. Jänner 1968, 6 Ob 347/67.
I. Instanz: Bezirksgericht Ottenschlag; II. Instanz: Kreisgericht Krems.
Text
Die Klägerin behauptet, sie sei am 1. Mai 1965 im Gastgewerbebetrieb des Beklagten auf einer nicht durch einen Handlauf gesicherten Stiege gestürzt und habe dabei Verletzungen erlitten. Sie begehrt an Schmerzengeld 6000 S, Verdienstentgang 4000 S und an ihr entstandenen Kosten für eine Botengängerin 500 S, für Fahrten 300 S und für Reinigung 200 S, insgesamt 11.000 S s. A.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, daß durch einen Handlauf der Sturz der Klägerin verhindert worden wäre. Selbst bei Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Fehlen des Handlaufes und dem Sturz der Klägerin sei aber dem Beklagten ein Verschulden nicht anzulasten, weil die ihm von der Gewerbebehörde für die Herstellung eines Handlaufes gesetzte Frist zur Zeit des Unfalles noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und erkannte mit Zwischenurteil, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte im wesentlichen fest, die Klägerin habe sich am 1. Mai 1965 aus Anlaß einer Hochzeit in dem im ersten Stock gelegenen Saal des Gasthauses des Beklagten aufgehalten. Gegen 18 Uhr 45 habe sie, ohne Alkohol getrunken zu haben und ohne sonderliche Eile, den Saal verlassen, um in das Erdgeschoß zu gehen. Die dort befindliche Treppe mache eine Wendung um 180 Grad und habe siebzehn Stufen. Sie bestehen aus Terrazzo. 4 cm von der Kante entfernt sei ein zirka 5 cm breites, weißes, profiliertes Gummiband eingelassen, das über den Terrazzo etwas hinausrage. Die Stiege werde durch zwei große, in einer Entfernung von zirka 2 m voneinander angebrachte Fenster beleuchtet. Zur Zeit des Unfalles habe noch Tageslicht geherrscht. Auf der sechsten oder siebenten Stufe von oben sei die Klägerin, die Schuhe mit breiten, zirka 3.5 cm hohen Absätzen trug, mit dem rechten Fuß ausgerutscht. Die Stufen seien an dieser Stelle zirka 42 cm (außen) und zirka 14 cm (innen) breit und zirka 16.5 cm hoch. Die Rutschbewegung sei durch das Gummiband der Stufen gebremst worden, wodurch die Klägerin das Gleichgewicht verloren habe. Sie habe Halt suchend mit beiden Händen, an dem linken Unterarm sei ihre Handtasche gehangen, seitlich nach vorne gegriffen, habe aber mangels eines Handlaufes keine Stütze gefunden. Sie sei nach vorne die Treppe hinuntergestürzt, auf das Gesicht gefallen und habe dabei Verletzungen erlitten. Sie sei zur Behandlung zu einem Arzt und von dort wieder in das Gasthaus zurückgebracht worden.
Im Jahre 1964 habe der Beklagte die ursprünglich vorhanden gewesene Holzstiege durch die gegenständliche Treppe ersetzen lassen. Am 16. Februar 1965 habe die Bezirkshauptmannschaft Z. als Gewerbebehörde den Gast- und Schankgewerbebetrieb des Beklagten überprüft und ihm aufgetragen, die gegenständliche Stiege bis zum Dachboden mindestens auf einer Seite mit einem Handlauf zu versehen. Dafür sei ihm eine Frist von acht Monaten ab Rechtskraft des Bescheides, das ist ab 21. März 1965, gesetzt worden. Im März 1965 habe der Beklagte einen Schlossermeister zur Montage aufgefordert, doch sei zur Unfallszeit der Handlauf noch nicht angebracht gewesen.
Aus welchem Grund die Klägerin auf der Stiege ausrutschte, sei nicht feststellbar, ebensowenig wie das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis ihrer Ansprüche aus dem Unfall durch den Beklagten.
Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, ein Handlauf hätte den Sturz der Klägerin, die, als sie zu fallen drohte, Halt suchend die Arme ausstreckte, verhindert oder doch wesentlich gemildert. Diese durch das Fehlen eines Handlaufes bedingte Mangelhaftigkeit der Stiege sei dem Beklagten ohneweiters erkennbar gewesen. Für den mangelhaften Zustand der Stiege habe er daher zu haften. Daß die von der Bezirkshauptmannschaft Z. gesetzte Frist für die Herstellung des Handlaufes zur Zeit des Unfalles noch nicht verstrichen gewesen sei, sei unerheblich. Der Beklagte hätte die Herstellung des Handlaufes mit der notwendigen Dringlichkeit betreiben müssen. Ein Mitverschulden der Klägerin liege nicht vor. Ihre Ansprüche bestehen somit dem Gründe nach zu Recht.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil hinsichtlich der Zuerkennung des Schmerzengeldes als Teilurteil und hob im übrigen die Urteile der Untergerichte auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision ist nicht im Recht, soweit sie vermeint, daß der Beklagte, der der Inhaber des Gastgewerbebetriebes ist, in dem die Klägerin den Unfall erlitt, für dessen Folgen nicht zu haften habe. Richtig ist lediglich, daß eine Vorschrift, nach welcher jede Stiege mit einem Handlauf zu sichern sei, nicht besteht. Die Bauordnung für Niederösterreich, die hier in Betracht kommt, enthält darüber keine Bestimmungen. Doch ist daraus für den Beklagten nichts zu gewinnen, da er, wenn auch keine besondere Vorschrift besteht, die Folgen eines von ihm veranlaßten gefährlichen Zustandes, den er als solchen zu erkennen vermochte, zu vertreten hat. Das ist aber vorliegend der Fall. Stiegen, die zu allgemein zugänglichen Räumlichkeiten führen, werden üblicherweise durch ein Geländer oder einen Handlauf, mindestens auf einer Seite, gesichert. Derartige Einrichtungen sind geeignet, bei einem Ausgleiten, das auf einer Stiege aus verschiedenen Ursachen immer möglich ist, einen Sturz zu verhindern oder doch zumindest so weit eine Stütze zu geben, daß daraus nur geringere Folgen eintreten. Diese Einsicht muß auch beim Beklagten vorausgesetzt werden. Die Stiege, die zu dem allgemein zugänglichen Saal seines Gewerbebetriebes führte, ohne diese verkehrsübliche Sicherung belassen zu haben, bedeutet die Aufrechterhaltung eines mit dem Strafgesetz in Widerspruch befindlichen Zustandes, der, ohne daß es dazu noch einer ausdrücklichen Vorschrift der Bauordnung bedürfte, die Anordnung der Herstellung eines Geländers durch die Verwaltungsbehörde rechtfertigte (VwGH. vom 21. März 1908, Nr. 5.844 A). Abgesehen davon, daß, wie ausgeführt, diese Einsicht beim Beklagten vorausgesetzt werden muß, war ihm zur Zeit des Unfalles der Klägerin die Notwendigkeit eines Handlaufes jedenfalls auch durch den Beschluß der Bezirkshauptmannschaft Z., mit dem ihm diese Herstellung aufgetragen wurde, bekannt. Daß zur Zeit des Unfalles, am 1. Mai 1965, die ihm für die Herstellungsgesetze achtmonatige Frist ab Rechtskraft des Bescheides noch nicht verstrichen war, ändert daran nichts. Sie war nur, wie das Berufungsgericht richtig ausführte, für eine allfällige Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch die Verwaltungsbehörde von Bedeutung, keineswegs sollte damit der gegen die zwingenden Bestimmungen des Strafgesetzes verstoßende Zustand bis zum Ablauf der Frist genehmigt werden. Es ist daher auch der Hinweis des Beklagten unbeachtlich, daß diese Treppe an Stelle einer früheren Holzstiege hergestellt wurde, die ebenfalls nicht gesichert gewesen sei.
Demgegenüber ist eine Nachlässigkeit der Klägerin bei Benützung der Stiege nicht hervorgekommen. Sie ging, ohne Alkohol genossen zu haben und mit Schuhen, deren Absätze keine auffällige Höhe hatten und damit zu besonderer Sorgfalt genötigt hätten, über diese Stiege. Die Behauptung des Beklagten, sie sei übereilt gelaufen, wurde widerlegt. Als sie ausrutschte, suchte sie mit den Händen nach einer Stütze, doch fehlte es an dem, wie ausgeführt, auch für den Beklagten als notwendig erkennbar gewesenen Handlauf. Ein Mitverschulden der Klägerin wurde daher mit Recht nicht angenommen.
Doch reichen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichtes noch nicht hin, um auch nur mit Zwischenurteil über alle der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche erkennen zu können. Der Zweck eines Zwischenurteiles ist es, Gewißheit zu schaffen, ob ein Anspruch bestehe. Es muß diese Frage restlos beantworten, keineswegs darf dem Verfahren über die Höhe auch noch die nach dem Grund überlassen bleiben (SZ. XVI 176). Sonst wäre der prozeßökonomische Zweck des Zwischenurteils nicht erreicht. Wenn sich der Klagsanspruch aus mehreren Anspruchsteilen zusammensetzt, muß daher auch hinsichtlich aller Anspruchsteile wenigstens ein teilweiser Erfolg der Klage gewährleistet sein (Fasching in ÖJZ. 1958 S. 267 f., Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen III S. 590, JBl. 1956 S. 620, 6 Ob 208/60). Eine solche Mehrheit von Ansprüchen macht die Klägerin auch geltend. Sie begehrt neben einem Schmerzengeld Entschädigung für Verdienstentgang und den Ersatz der Kosten für eine wegen der Unfallsfolgen notwendig gewesene Botengängerin, für Fahrten und für Reinigung von Kleidern. Bisher wurde aber lediglich festgestellt, daß die Klägerin bei dem Sturz Verletzungen erlitt, zumal weiter feststeht, daß sie ärztlicher Behandlung bedurfte und insbesondere der Beklagte selbst die Bestreitung eines Schmerzengeldanspruches dem Gründe nach nicht mehr aufrechthält, reichen diese Ergebnisse der Beweisaufnahmen wohl hin, um mit Teilzwischenurteil darüber zu erkennen. Ob die Beklagte wegen des gegenständlichen Unfalles auch irgendeinen Verdienstausfall hatte sowie die weiter von ihr bezeichneten Aufwendungen machen mußte, wurde bisher nicht geprüft. Solange nicht feststeht, daß auch diese weiteren Ansprüche, wenn auch je nur mit einem geringen Teilbetrag, berechtigt sind, kann darüber aber auch mit Zwischenurteil noch nicht entschieden werden.
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