Spruch:
Die Grundsätze des Bewertungsgesetzes 1955 können bei der Ermittlung des Entschädigungsbetrages nach dem Notwegegesetz nicht herangezogen werden. Die Beteiligten können sich auf einen Sachverständigen einigen.
Entscheidung vom 8. Jänner 1964, 6 Ob 328/63.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Mit dem Kaufvertrag vom 21. Juli 1958 erwarben die Antragsteller von der Gemeinde D. die aus den Grundstücken Nr. 89/3 Wiese und 160 Baufläche mit Wohnhaus Nr. 51 bestehende Liegenschaft EZ. 212 KG. D. Da diese Liegenschaft keine Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz besitzt, begehrten die Antragsteller die Einräumung eines Notweges über das der Antragsgegnerin gehörige angrenzende Grundstück EZ. 264 KG. D. Hiezu erklärte sich die Antragsgegnerin bei der Tagsatzung vom 2. April 1963 bereit.
Das Erstgericht setzte daraufhin gemäß § 15 NotwegeG. die der Antragsgegnerin zu leistende Entschädigungssumme mit 21.650 S fest und führte hiezu aus, die für den Notweg beizustellende Fläche betrage 118 m2. Auf ihr stehen 26 Zwetschkenbäume, die zufolge der günstigen klimatischen Verhältnisse und der guten Absatzmöglichkeiten Jahresernten im Durchschnittswert von 800 S liefern. Der Entgang an Grasnutzung betrage 66 S jährlich. Diese Beträge seien im Sinne des Bewertungsgesetzes 1955, BGBl. Nr. 148/55, mit dem 25 fachen Jahreswert zu kapitalisieren, wodurch sich die Beträge von 20.000 S und 1650 S ergäben.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller Folge, hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es meinte, die von dem Sachverständigen vorgenommene Bewertung, der das Erstgericht folgte, müsse deswegen unrichtig sein, weil der Kaufpreis der von den Antragstellern erworbenen 623 m2 großen Liegenschaft laut Kaufvertrag vom 21. Juli 1958 nur 28.000 S betragen habe. Hiezu stehe ein Entschädigungsbetrag von 21.650 S für die für den Notweg erforderliche Grundfläche von 118 m2 in einem argen Mißverhältnis. Da die Antragsgegnerin durch den Entschädigungsbetrag nicht bereichert, sondern nur in angemessener Weise entschädigt werden solle, könne für die Bemessung der Entschädigung nur die Wertminderung maßgebend sein, die die Liegenschaft durch die Einräumung des Notweges erleidet. Außerdem seien gemäß §§ 12 und 14 NotwegeG. zwei Sachverständige beizuziehen, deren Gutachten gemeinsam mit den sonstigen Verhandlungsergebnissen die Grundlage für die vom Gericht nach freier Überzeugung zu bestimmende Entschädigung bilden. Für eine Anwendung des nur für das Abgabenrecht maßgebenden Bewertungsgesetzes 1955 sei kein Raum. Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist im Sinne der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. EvBl. 1958 Nr. 362) zwar zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Dem Rekursgericht kann allerdings nicht darin zugestimmt werden, daß gemäß §§ 12 und 14 NotwegeG. zu jedem Thema unbedingt 2 Sachverständige vernommen werden müssen. Zwar bestimmt § 12 (1) NotwegeG., daß das Gericht alle für die Notwendigkeit des Notweges und dessen Gestaltung sowie für die Feststellung der Entschädigung maßgebenden Verhältnisse unter Zuziehung von zwei Sachverständigen zu erheben hat. Der Zweck dieser Bestimmung ist bei der Frage der Entschädigung eine dem Interesse der Beteiligten dienende doppelte und damit überprüf- und vergleichbare Ermittlung des Entschädigungsbetrages. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch wiederholt (z. B. in EvBl. 1963 Nr. 485, in ZVR. 1963 Nr. 345 u. a.) zu ähnlichen Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes ausgesprochen, daß diese nur das Gericht zwingen. Haben sich aber - wie im vorliegenden Fall - die Beteiligten auf je einen Sachverständigen für jedes Beweisthema geeinigt, so ist die Vorschrift des § 12 NotwegeG. nicht von Amts wegen wahrzunehmen, zumal dies auch im Rekurs nicht geltend gemacht wurde.
Dem Rekursgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, daß der Entschädigungsbetrag, den das Erstgericht ermittelt hat, deswegen unrichtig sein müsse, weil er zum Kaufpreis der von den Antragstellern erworbenen Liegenschaft in einem Mißverhältnis stehe. Zwischen diesen beiden Werten besteht überhaupt keine Beziehung und daher auch keine Vergleichsmöglichkeit.
Richtig ist jedoch, daß die Grundsätze des Bewertungsgesetzes 1955 bei der Ermittlung des Entschädigungsbetrages nicht herangezogen werden können, da dessen Bestimmungen nach seinem § 1 nur für die Bemessung von Abgaben und Beiträgen an Körperschaften des öffentlichen Rechts und an Fonds gelten. Auch eine analoge Anwendung erscheint nicht gerechtfertigt, da gerade die in § 15 (2) dieses Gesetzes vorgesehene Kapitalisierung immerwährender Nutzungen oder Leistungen zu allen im gerichtlichen Verfahren geltenden Bestimmungen, so zu § 58 JN. oder zu § 21 (5) Realschätzungsordnung in Widerspruch stehen.
Wie der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung SZ. XVIII 132 ausgesprochen hat, müssen nach § 5 NotwegeG. durch die Entschädigungssumme alle Schäden ersetzt werden, die der mit dem Notweg belasteten Liegenschaft zugefügt werden. Diese Entschädigung besteht nicht nur im Verkehrswert des durch den Notweg betroffenen Grundstückteiles, sondern auch in dem Nachteil, der sich für den Eigentümer der belasteten Liegenschaft überhaupt durch die Erschwerung der Führung seiner Wirtschaft, durch die Belastung im Grundbuch, durch die sich hieraus allenfalls ergebende Erschwerung einer Hypothekenaufnahme und dergleichen mehr allenfalls ergibt. All diese Umstände sind bei der Bemessung des Entschädigungsbetrages zu berücksichtigen, daher im vorliegenden Fall zweifellos auch der Entgang des Obst- und des Grasertrages. Die Sachverständigen werden anzuleiten sein, den Wert der Liegenschaft ohne Belastung durch den Notweg sowie den unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände nach Einräumung des Notweges sich ergebenden Wert zu ermitteln. Die Differenz zwischen beiden Werten wird dann im Zusammenhalt mit den sonstigen Verfahrensergebnissen eine geeignete Grundlage für den vom Gericht festzusetzenden Betrag bilden.
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